Interview mit Petra Krüger, Sprecherin des Flüchtlingsrats Leipzig e.V.
Das Gespräch führte Hanna H.
Bleiberecht für alle! Eine einfache Losung. Sie einzuklagen, scheint es manchen zu genügen, sich einmal im Jahr beim Grenzcamp zu engagieren oder auch auszutoben. Andere Menschen gehen andere Wege. Dabei haben sie nicht weniger moralisch begründete Ziele. Über Lobbyarbeit für Flüchtlinge, Integrationsprojekte für Flüchtlinge und eine Vorstellung von Antirassismus sprach ich mit Petra Krüger, einer der beiden Sprecher/innen des Flüchtlingsrats Leipzig.
Als der Flüchtlingsrat Leipzig gegründet wurde, gab es da einen besonderen Anlass?
Ja, es gab einen Anlass. Im Jahre 1991. Und zwar war gerade das erste Flüchtlingslager eingerichtet worden, die Unterkunft Heiterblick im Nordosten Leipzigs. Es waren alte DDR-Bauwagen und die sanitären und sonstigen Lebensbedingungen waren einfach unmenschlich. Da fanden sich mehrere Leute zusammen, die der Meinung waren, dass gegen diese Unmenschlichkeit etwas unternommen werden müsse. Sie hatten gehört, dass es auch im Westen schon seit 10 oder 20 Jahren Flüchtlingsräte gab. Und so etwas wollten sie gründen.
Mit welchem genauen Ziel?
Um zu intervenieren. Ein Flüchtlingsrat sollte als Gremium Lobbyarbeit für die Flüchtlinge machen, ihre Interessen in die Öffentlichkeit tragen, wo sie es selbst aufgrund ihrer besonderen Lebensbedingungen und rechtlichen Lage nicht können. Und ein Flüchtlingsrat sollte nach Lösungen suchen für die Probleme von Flüchtlingen in der Stadt. Die ersten Aktionen bestanden dann auch darin, zu recherchieren und Briefe an zuständige Stellen, Behörden und Zeitungen zu schreiben.
Was für Personen/Personengruppen waren denn an der Gründung bzw. sind (noch) heute beteiligt?
Zunächst einmal hat der Ausländerbauftragte der Stadt am Anfang die Sache unterstützt. Außerdem waren Personen aus religiösen Organisationen wie Pax Christi dabei, der Ausländerbeauftragte des Evangelisch-Lutherischen Missionswerks … Sie gehören neben vielen Einzelpersonen, Vertretern anderer Vereine, Mitgliedern von Parteien oder von internationalen Organisationen wie amnesty zu den Mitgliedern.
Gab oder gibt es denn nicht manchmal ernsthafte Reibungen, wenn Leute, die Mitglieder in verschiedenen Parteien sind, so zusammensitzen?
Natürlich gab es die und gibt es die! Die eine ist vielleicht Hausfrau, ein anderer ist Mitglied in einer kirchlichen Organisation oder eine andere ist Mitglied einer Partei. Allein das Politikverständnis kann sehr unterschiedlich sein. Aber immerhin gab und gibt es ein wichtiges gemeinsames Ziel: Flüchtlinge konkret zu unterstützen, indem wir ihre Probleme öffentlich thematisieren oder diese Thematisierung fördern. Indem wir in der Bevölkerung, wo es hinsichtlich der Flüchtlingsangelegenheiten und hinsichtlich des Fremdenhasses großen Erklärungsbedarf gibt …, indem wir hier aktiv durch Öffentlichkeitsarbeit auftreten.
War von Anfang an klar, daß der Flüchtlingsrat ein Verein wird?
Auch das hat sich entwickelt. Am Anfang wurde heftig diskutiert. Wollten wir ein „Runder Tisch“ sein oder lieber ein „Arbeitskreis“. Wie formell oder informell sollte die Struktur sein? Darüber dachten ja damals viele in der ehemaligen DDR nach. Schließlich aber einigten wir uns darauf, ein eingetragener Verein zu werden und schrieben eine Satzung zusammen. Anfang 1992 waren wir dann der Flüchtlingsrat Leipzig e.V. .Wir wollten das so, weil wir mit einer klaren Struktur und einem klaren Programm bessere Möglichkeiten des Auftretens sahen. Und dann, am Anfang arbeiteten alle ehrenamtlich. Unsere Sprecher bzw. Sprecherinnen gaben ihre Privatadresse als Kontakt an. Das aber führte dazu, dass an ihnen unsagbar viel Arbeit hing und das Ganze nicht effektiv war. Wir hatten nicht einmal ein Büro. Also überlegten wir Ende 1993, ABM-Stellen zu beantragen. Seit Herbst 1994 haben wir immer zwei ABM-Stellen und ein Büro.
Waren und sind denn auch Migrantinnen und Migranten oder Flüchtlinge am Flüchtlingsrat beteiligt?
Ja, die ersten ABM-Stellen wurden von mir und von einer vietnamesischen Migrantin besetzt. Wir suchten natürlich immer nach einem Flüchtling oder nach einem Migranten. Aber niemand, der für die inhaltliche Arbeit infrage kam, war ABM-berechtigt. Erst in diesem Jahr konnten wir einen irakischen Kurden anstellen, der seit fünf Jahren in Deutschland ist. Ansonsten waren ehrenamtlich immer mal sporadisch, auf keinen Fall jedoch kontinuierlich Flüchtlinge beteiligt, die erst in den vergangenen Jahren gekommen waren. Das hat aber zwei Gründe: Erstens, viele Flüchtlinge engagieren sich nur in Notsituationen, wenn es sie persönlich oder länderspezifisch betrifft. Und zweitens, auch für Flüchtlinge ändert sich die Situation. Wenn sie anerkannt sind, dann suchen sie Arbeit und – man muss das so sagen – wandern in den Westen.
Hat der Flüchtlinsrat spezielle Arbeitsgruppen?
Die Frage muß detailliert beantwortet werden. Zunächst einmal gab es von 1996 bis Anfang 1999 eine Fraueninitiative. Für und mit Frauen aus Afghanistan, Iran sowie Kurdistan (Türkei und Irak) wurden Seminare, workshops und natürlich auch Feiern organisiert. Dabei ging es vor allem um länderspezifische und um ausländerrechtliche Themen, die insbesondere für Frauen von Interesse sind. Oder auch allgemeine Seminare zum Ausländerrecht. Meist sind es ja die Männer, die die Anträge stellen und deren Akten von Relevanz sind. Natürlich haben wir auch Seminare zur BRD-Parteienlandschaft, zum Aufbau der Administration oder aber zur Wende in der DDR gemacht. Aber schließlich brach das Projekt zusammen, als gleichzeitig vier der aktivsten Frauen aus verschiedenen Gründen ihre Aktivität einstellen mußten.
Und dann gibt es seit 1996 die Abschiebehaftgruppe des Flüchtlingsrats. Zu ihr gehörten mal 5-10 hochmotivierte Leute: Studenten sowie Rentner. Es dauerte anderthalb Jahre, bis sie sich die Möglichkeit erkämpft hatten, im Abschiebeknast Besuche durchzuführen und so Hilfe für Abschiebehäftlinge zu geben.
Ein anderes Projekt ist Deutsch für Flüchtlinge. Das war eine Initiative von zwei Frauen, die Deutsch als Fremdsprache studiert hatten. Das Projekt ist auch sehr wichtig, weil Asylbewerber, aber auch Flüchtlinge, die nicht nach 16a Grundgesetz anerkannt sind, kein Recht auf einen Sprachkurs haben. Auch hier wird ehrenamtlich und mit eigens zusammengestelltem Material bis zu viermal in der Woche Deutsch unterrichtet.
Asylberatung macht Ihr nicht?
Na ja …, es gibt immer wieder Leute, die das an uns herantragen. Aber wir schicken sie in die Beratungsstellen. Nur in Einzelfällen geben wir Unterstützung. Und auch hier nur als Einzelperson. Es sei denn, es handelt sich um einen ganz extremen Fall. Wie z.B. die Familienzusammenführung von einem vor mehreren Jahren asylrechtlich anerkannten iranischen Kurden, der zuletzt mit seiner Frau in Irakisch-Kurdistan lebte und diese Frau aus passrechtlichen Gründen nicht herkommen kann.
Wie ist denn Euer Verhältnis zum Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge?
Eigentlich haben wir keins. Das Bundesamt dürfte unsere Existenz bisher höchstens in Zusammenhang mit der Abschiebehaftgruppe registriert haben. Allerdings haben wir eher mit anderen Stellen zu tun. Ich müsste das so erklären: Wir haben uns durch unsere Recherche- und Öffentlichkeitsarbeit als Flüchtlingsrat eine Stellung erkämpft, in der wir als Gesprächspartner von verschiedenen Seiten ernstgenommen werden. So gibt es einmal monatlich eine Asylrunde in Leipzig, wo sich Beratungsstellen, entsprechende Initiativen und der Flüchtlingsrat zusammensetzen mit der Ausländerbehörde, dem Sozialamt, dem Wohnungsamt. Früher war auch die Polizei dabei. Bei den Treffen können wir einzelne Fragen thematisieren wie solche der Unterbringung oder neue Gesetze und Richtlinien. Außerdem gibt es ein- bis zweimal im Jahr ein Treffen mit dem Verwaltungsgericht. Das war allerdings eine Initiative des Büros des Ausländerbeauftragten. Mitglieder von uns beteiligen sich daran.
Und solche Treffen haben konkrete Ergebnisse?
Sie sind informativ und sie dienen einem Beginn und der Aufrechterhaltung der Kommunikation. Wenn man dann mal ein Einzelfallproblem hat, kann man mit dem Abteilungsleiter der Ausländerbehörde viel besser reden und erreicht auch etwas. Das ist sinnvoller, als auf Konfrontation zu gehen. Außerdem kann ein Flüchtlingsrat hier in Sachen Verständigung natürlich nochmal etwas anderes leisten als ein Asylberater, der es vielleicht mit einem unverständigen Sachbearbeiter zu tun hat. Ich denke, es ist immer besser, den direkten Kontakt zu suchen, als sich auf Telefon und Fax zu beschränken. Für die Flüchtlinge kommt am Ende mehr bei raus.
Du hast sicher auch Kontakt mit westdeutschen Flüchtlingsräten. Siehst Du da Unterschiede in der Arbeit und Struktur?
Ich sehe da die üblichen Unterschiede. Die westlichen Flüchtlingsräte sind in Anbindung an die Kirche entstanden. So haben sie bessere Möglichkeiten, vor allem bessere finanzielle Möglichkeiten. Die Flüchtlingsräte Berlin und Köln beispielsweise haben ihre Büros in kirchlichen Räumen. Und dann: sie sind in einer Zeit von mehr als vielleicht 20 Jahren gewachsen. Wir aber, wir haben uns in kürzester Zeit selbst aus dem Boden gestampft. Da sie mehr Erfahrungen haben, verfügen sie auch über mehr Erfahrung. Außerdem sind sie gesellschaftlich mehr verankert.
Gibt es einen Austausch?
Ja. Man schickt uns Informationsmaterial, damit wir auf dem Laufenden gehalten werden. Ansonsten gibt es persönliche Kontakte. Ich setze mich selbst sehr dafür ein. Ich nutze Tagungen und Seminare, um andere kennenzulernen. Die bisherigen Kontakte reichen jedoch nicht. Eigentlich beschränkt sich hier fast alles auf Post, Fax und Telefon. Es gibt keinerlei Treffen. Und außerdem gibt es ein grundlegendes Problem: Wir sind der einzige Flüchtlingsrat im Osten. Wir können uns nur am Westen orientieren. Eigentlich gibt es so etwas in vielen westdeutschen Städten und Gemeinden. Pro Asyl ist die Koordinierung der bundesdeutschen Flüchtlingsräte, die eigentlich mit den Länderflüchtlingsräten zu tun haben sollte. Der Flüchtlingsrat Sachsen ist allerdings nichts, was arbeitet. Und das liegt eben daran, daß in Sachsen nur der Leipziger Flüchtlingsrat existiert und funktioniert. Also wie gesagt, vieles ist verbesserungswürdig.
Flüchtlingshilfe und -unterstützung ist ein Terrain, auf dem es schonungslos und tragisch zugeht. Kannst Du Dich trotzdem erinnern, was Euer größtes Erfolgserlebnis war?
Oh Gott! Da muß ich nachdenken…
Und die schwerste Niederlage?
Darüber reden wir lieber nicht.
Du selbst bist seit Jahren sehr engagiert für Flüchtlinge. Was war denn für Dich das traurigste Erlebnis?
Ach, es war weniger ein Erlebnis, als ein Fakt. Und zwar, dass die Fraueninitiative so kläglich eingegangen ist. Das finde ich wirklich sehr traurig. Denn zum einen war es am Anfang ein so hoffnungsvolles Projekt, zum andern habe ich sehr viel Zeit investiert.
Du bist oben schon darauf eingegangen. Meinst Du wirklich, es lag nur daran, dass die aktivsten Frauen weggegangen sind?
Ja, auf jeden Fall. Jede Gruppe hat einen aktiven Kern und Leute, die einfach mitmachen. Und wenn der Kern geht, dann ist es vorbei. Aber es war nunmal so: eine Frau bekam ein Kind, eine andere wurde krank, die dritte reiste weit fort und ich musste zum Arbeiten in eine andere Stadt. Solche Dinge wie Projekte mit Migrantinnen brauchen ja Zeit, Ausdauer und Kontinuität. Und wenn man keine Zeit hat und das Projekt nicht dauerhaft kontinuierlich fortsetzen kann, geht es ein. Ich weiß, da wurde auch diskutiert, ob es nicht auch an Inaktivität von Seiten der Flüchtlingsfrauen lag. Schließlich waren einige von uns ja tatsächlich davon frustriert. Aber ich denke, es war vorerst unsere Aufgabe, die Fäden in der Hand zu halten und etwas aufzubauen.
Darf ich Dich nach einem Erfolgserlebnis fragen?
Ja, da war mal etwas, das war einmalig. Und zwar ist es mir gelungen … Ich habe mich da ein bißchen um einen Einzelfall gekümmert … Jedenfalls war das so: Die Person war hochgebildet, akademischer Abschluß. Hatte nach meiner Meinung eine glaubwürdige Verfolgungsgeschichte. Das Anhörungsprotokoll aber war völlig holprig. Lauter abgebrochene Sätze, unmögliche Formulierungen, primitive Wiedergabe des Inhalts. Ich tippte auf Unfähigkeit oder Unwilligkeit des Dolmetschers. Das kommt oft vor. Jedenfalls überzeugte ich den Abteilungsleiter beim Bundesamt, daß die Übersetzung eine Katastrophe war. Und so wurde eine zweite Anhörung vorgenommen, mit einem anderen Dolmetscher. Die Person hat jetzt einen guten Aufenthaltsstatus.
Siehst du Eure Arbeit als antirassistisch?
Ist Eure Arbeit interkulturell? Oder ist sie beides? Na, kommt darauf an, was man unter antirassistisch versteht. Ich würde sagen: Unsere Arbeit ist sowohl interkulturell, als auch antirassistisch. Im Verständnis einer antirassistischen Gruppe sind wir vielleicht nicht antirassistisch, weil eine solche Gruppe sich ja konkrete Ziele auf die Fahnen schreibt und selbst festlegt, was dem entspricht. Für mich aber heißt antirassistisch, dass man Rassismus nicht toleriert, sondern vielmehr bekämpft. Indem wir Leute, die von Rassismus bedroht sind, unterstützen, ist unsere Arbeit antirassistisch. Indem wir versuchen, in der deutschen Bevölkerung Lobbyarbeit für Flüchtlinge zu machen, sind wir antirassistisch. Rassismus ist nicht nur, jemanden auf der Straße zusammenzuschlagen. Rassismus ist auch, jemanden verbal anzugreifen, in der Kaufhalle oder auf den Ämtern zu diskriminieren. Wenn wir dagegen etwas tun, ist unsere Arbeit antirassistisch.
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