Zu Bernd Gehrkes Überlegungen, wie eine andere DDR möglich geworden wäre
aus telegraph #101
von Erhard Weinholz
Die Revolution vom Herbst ’89 lässt sich, wie Bernd Gehrke im abschließenden Beitrag zu dem unlängst erschienenen Sammelband „…das war doch nicht unsere Alternative“ schreibt, keinesfalls auf eine „Auseinandersetzung zwischen den Vertreterinnen und Vertretern einer diktatorischen DDR und einer demokratischen Bundesrepublik“ reduzieren. Es ist eines der Verdienste dieses von ihm und Wolfgang Rüddenklau herausgegebenen Buches, noch einmal deutlich gemacht zu haben, dass es zu diesen beiden Optionen durchaus eine – unver-wirklicht gebliebene – Alternative gegeben hat. Spricht man von solchen Alternativen, kann mehrerlei gemeint sein: Zum ersten, dass in einer bestimmten Situation ein anderer Verlauf insofern möglich gewesen wäre, als zumindest gewisse Voraussetzungen dafür gegeben waren. Die Alternative erscheint hier noch ganz abstrakt, als Denkmöglichkeit. Zum zweiten, da tritt sie schon konkreter zutage und ist der Realisierung näher, dass sich auch gesellschaftliche Kräfte für eine solche Alternative eingesetzt haben, die aber von vornherein zu schwach waren, als dass sie sich hätten durchsetzen können. Eben das war meines Erachtens im Herbst ’89 der Fall. Zum dritten, dass in einer bestimmten historischen Situation gesellschaftliche Kräfte existiert haben oder hätten mobilisiert werden können, von denen diese Alternative hätte verwirklicht werden können, diese also schon greifbare nahe war und lediglich durch das Fehlverhalten einiger weniger nicht realisiert worden ist. Diese letztere Sicht auf den Herbst ’89 vertritt Bernd, wenn ich ihn richtig verstanden habe, in seinem erwähnten Beitrag.
Ich halte diese Auffassung für illusionär, sie wird, wie mir scheint, den tatsächlichen Handlungsspielräumen der damaligen Akteure nicht gerecht. Wenn ich mich im folgenden mit seinen Argumenten, seinen Szenarien eines anderen Geschichtsverlaufs auseinandersetze, ist mir zweierlei bewusst: zum einen, dass es im nachhinein immer leicht so erscheinen kann, als habe sich die Geschichte unbedingt so abspielen müssen, wie sie sich abgespielt hat; zum anderen, dass Überlegungen zu diesem Thema stets Mutmaßungen bleiben müssen. Mutmaßungen allerdings, die mehr oder weniger plausibel sein können, je nach dem, wie sie die gegebenen Handlungsbedingungen berücksichtigen.
Möglichkeiten einer Alternative sieht Bernd schon vor dem Herbst ’89: Es hätte im Interesse und auch in den Möglichkeiten der damaligen SU-Führung gelegen, „Honecker und seine Mannschaft aufs Altenteil zu schicken und durch eine gorbat-schowistische Truppe zu ersetzen, die mittels einer deutschen Perestroika und einer Demokratisierung von oben auch eine Öffnungspolitik in der deutschen Frage hätte anvisieren müssen.“ Vielleicht hätte Gorbatschow Honecker tatsächlich am liebsten in die Wüste geschickt, auch wenn er damit seinen eigenen Prinzipien zwischenparteilicher Beziehungen hätte zuwiderhandeln müssen. Aber die Zeiten, da Parteichefs per Anruf aus Moskau ernannt werden konnten, waren Ende der achtziger Jahre vorbei. Zum Glück, muss man sagen. Schon die Entmachtung Ulbrichts war ja nur im Wechselspiel einer Fronde im SED-Politbüro und der Moskauer Führung möglich gewesen. Ich will nicht behaupten, dass eine Absetzung Honeckers und seines engeren Führungszirkels durch ein Eingreifen Moskaus völlig unmöglich gewesen wäre, aber die Möglichkeiten waren doch recht gering. Zudem halte ich es für fraglich, ob Gorbatschow selbst 1988/89 an einer tatsächlichen Demokratisierung und einer Öffnungspolitik in der deutschen Frage interessiert war. In Honeckers Politbüro und höchstwahrscheinlich auch im ZK, auf die sich Gorbatschow bei einem von ihm initiierten Führungswechsel hätte stützen müssen, gab es jedenfalls meines Wissens keine Kräfte, die ernsthaft an den von Bernd genannten Zielen orientiert waren. Das Personal, das eine solche Politik vielleicht hätte verwirklichen können, befand sich auf der Karriereleiter derart weit unten, dass es unter „normalen“ Bedingungen, also vor dem Herbst ’89, für Spitzenpositionen und die Auseinandersetzungen um sie nicht in Frage kam.
Bernd erwähnt noch eine Chance politischen Wandels vor dem Herbst ’89, die aber durch das Versagen der DDR – „Reformkommunisten“ nicht verwirklicht worden sei: Die Vertreter dieser Orientierung hätten sich, die Popularität Gorbatschows nutzend, als politische Strömung konstituieren und, etwa durch die Veröffentlichung von Reformpapieren in der sowjetischen Presse, eine öffentliche Debatte über ihrer Anschauungen erzwingen müssen. Ich halte es indes für sehr zweifelhaft, dass die SU-Führung den Abdruck solcher Papiere gestattet hätte. Ihr war meines Wissens bis zum Herbst‘ 89 sehr daran gelegen, zumindest den Schein des guten Einvernehmens mit der SED-Führung zu wahren. Allerdings hätten die DDR-Reformer ihre Papiere auch ohne die „Pravda“ in Umlauf bringen können, und dass sie das versäumt haben, muss man ihnen vorwerfen. An die Öffentlichkeit wären sie so zwar wahrscheinlich nicht gelangt, sie hätten allenfalls ein paar Diskussionen inner- und außerhalb der SED entfacht, Honeckers Machtposition jedoch nicht erschüttert. Immerhin wären diese Diskussionen eine Vorübung für den Herbst ’89 gewesen.
Zu fragen wäre nun aber gewesen, ob auf den genannten Wegen wirklich eine die Massen überzeugende Alternative sowohl zum vorherigen System als auch zur bürgerlichen Ordnung des Westens hätte geschaffen werden können (wenn nicht, hätte man sich die ganzen Mühen ja auch sparen können). Anders gesagt: Hatte die Revolution von oben zu der Zeit überhaupt noch eine Chance? Hätte sie andere Kräfte freisetzen können als jene, die 1989/90 freigesetzt wurden? Hätte sie sie vielleicht in eine andere Richtung lenken oder hätte sie gar die Formierung ganz anderer Kräfte bewirken können? Auf dieses entscheidende Problem, auf das ich noch zurückkommen werde, geht Bernd in seinem Beitrag erstaunlicherweise nicht ein.
Bedeutungsvoller noch als die Fehler der SU-Führung und der der SED-Reformer vor dem Herbst ’89 seien jedoch, so Bernd, die Versäumnisse im Herbst ’89 selbst gewesen. Die Opposition habe „zu keinem Zeitpunkt den Versuch unternommen, gestützt auf die demokratische Volksbewegung, in dem entscheidenden Zeitraum von November bis Januar selbst oder zusammen mit Reformern aus der SED die Regierung abzusetzen und eine provisorische Regierung zu bilden. Im Herbst 1989 wäre es nur durch eine solche, aus der Demokratiebewegung hervorgegangene Regierung möglich gewesen, eine Maueröffnung zu vollziehen, die keine Katastrophe für eine radikaldemokratische Bewegung wird. Nur sie hätte der Bevölkerung eine glaubwürdige Perspektive nach innen und außen bieten und das Konzept entweder einer umfassenden ‚Vertragsgemeinschaft‘, einer Konföderation oder eines Stufenplanes für eine gleichberechtigte Wiedervereinigung realisieren können.“ Eine solche Regierung, die die Wirtschaft reformiert und das gesamte gesellschaftliche Leben demokratisiert hätte, die Vorschläge für die weitere Demokratisierung im Westen beigebracht und die Lösung der deutschen Frage mit den europäischen Friedens- und Abrüstungsbemühungen verbunden hätte, wäre auch zu einem „offensiven Auftreten gegenüber der Bundesregierung“ imstande gewesen, sie hätte die Möglichkeit gehabt, „mit den eigenen Zielen offensiv in die Bundesrepublik hinein zu wirken.“ Den Bürgerbewegungen habe überhaupt der Mut gefehlt, der sich mit der Demokratisierung und Öffnung der DDR stellenden „ungeliebten Frage der Wiedervereinigung und damit der Existenz auch einer demokratischen DDR ins Auge zu sehen.“ Nur „Demokratie jetzt“ habe mit ihrem Dreistufenplan nach der Maueröffnung auf die Situation reagiert: Schrittweise Annäherung der zwei Staaten bei gleichzeitiger Reform beider im radikaldemokratischen und sozialökologischen Sinne.
Ich habe Ulrike Poppe unlängst, Mitte Dezember, bei einer Veranstaltung gefragt, wieso es nicht zur Bildung einer solchen Regierung gekommen sei. Ihre Antwort: Man habe erst einmal aus der Oppositionshaltung herauskommen müssen. Die Idee, eine solche Regierung zu bilden, sei dann auch diskutiert worden, es habe sich dafür aber keine Mehrheit gefunden, denn dieser Regierung hätte die demokratische Legitimation gefehlt. Der erste Teil dieser Begründung ist zweifellos ein Ausdruck des Verzichts „auf die Erarbeitung einer umfassenden strategischen Alternative zu den Gesellschaften in Ost und West“, wie Bernd zu Recht kritisch anmerkt, „die im entscheidenden Augenblick auch ein entschlossenes strategisches Handeln ermöglicht hätte.“ Wobei ich gestehen muss, dass mir damals auch nicht so wichtig war, wer in der Regierung sitzt; wichtiger war mir, dass endlich die freie und öffentliche Diskussion der gesellschaftlichen Perspektive dieses Landes in Gang kommt. Dass eine „Oppositionsregierung“ dafür erheblich bessere Bedingungen hätte schaffen können, als sie die Regierung Modrow geschaffen hat, ist mir erst später bewusst geworden. Der zweite Satz der Begründung Ulrike Poppes erscheint zunächst ziemlich unsinnig. Denn aus dem genannten Grunde auf eine Regierungsbildung zu verzichten bedeutete, eine Regierung zu dulden, der diese Legitimation ebenfalls fehlte, mehr noch, als sie einer „Oppositionsregierung“ gefehlt hätte, eine Regierung, die man dann mittels eines Runden Tisches zu kontrollieren versucht hat, der ebenso wenig demokratisch legitimiert war. In dieser legalistischen und zudem höchst widersprüchlichen Haltung steckt meines Erachtens aber ein rationaler Kern: die Frage nämlich, wozu eine solche Regierung berechtigt gewesen wäre, die berechtigte Scheu vor avantgardistischen Revolutionspraktiken.
Zurück zu Bernds Charakteristik einer Regierung aus den Reihen der Opposition: Wenn sie das hätte leisten wollen, was er als ihre Aufgaben benennt, hätte sie schon vor dem 9. November gebildet werden müssen. Die personellen Voraussetzungen dafür waren gegeben. Bei den organisatorischen sah es erheblich schlechter aus: Die Organisationen, die eine solche Regierung hätten unterstützen können, befanden sich zu dieser Zeit allesamt im Embryonalzustand, waren zum Teil über den Gründungsaufruf und erste Diskussionen im kleinen Kreise noch gar nicht hinausgekommen. Entscheidend scheint mir hier aber eine andere Frage zu sein, auf die Bernd ebenfalls nicht eingeht: Gab es damals überhaupt schon ein sich massenhaft äußerndes Interesse an einer solchen Regierung? Das wäre doch, neben dem Willen einiger Leute, eine Regierung zu bilden, die zweite Grundvoraussetzungen eines Machtwechsels gewesen. Ich kann mich aber nicht erinnern, unter den vielen Losungen vom 4. November auch nur eine mit einer entsprechenden Forderung gesehen zu haben. „Neues Forum zulassen“ war oft zu lesen gewesen, „Neues Forum an die Regierung“ nicht. Thomas Klein, mit dem ich mich darüber unterhalten habe, meinte, die Leute hätten eben vorwiegend reaktiv gehandelt, das heißt: Wenn die Opposition diese Forderung erhoben hätte, hätte sie sich bald auch in den Losungen wiedergefunden. Längerfristig mag das stimmen. Aber die Massen konnten nicht den zweiten Schritt vor dem ersten tun. Sie mussten erst einmal ihre Macht erkennen und die Ziele der neuen Bewegungen kennenlernen. Das brauchte seine Zeit. Zwischen der Politbüroerklärung vom 11. 10. und der Maueröffnung hatten schließlich nur vier Wochen gelegen. Völlig unklar ist mir übrigens, wie eine solche Regierung die Maueröffnung, Bernd hält das ja für möglich, ohne erhebliche Negativfolgen für die demokratische Bewegung hätte bewerkstelligen können.
In der zweiten Novemberhälfte oder im Dezember 1989 wäre die Einsetzung einer „Oppositionsregierung“ wohl möglich gewesen, und sie versäumt zu haben war höchstwahrscheinlich eine Fehler. Diese Regierung hätte allerdings, da sich nun der Ruf „Deutschland, einig Vaterland“ auszubreiten begann, einen recht schwierigen Stand gehabt. Hätte sie aber nicht, wie Bernd meint, gerade in dieser schwierigen Zeit der Bevölkerung eine glaubwürdige Perspektive bieten können? Ich finde, dies zu tun ist generell nicht Aufgabe von Regierungen, und die einer provisorische Regierung wäre es schon gar nicht gewesen. Es hat für mich etwas von einem Bevormundungsversuch an sich (der allerdings wahrscheinlich nichts gefruchtet hätte). Eine provisorischen Regierung hätte sich meines Erachtens darauf beschränken müssen, die Bedingungen für die freie und öffentliche Diskussion der Perspektiven zu schaffen, dem entgegenstehende Machtverhältnisse zu ändern, von der Bevölkerung aufgebaute Institutionen der Selbstbestimmung vorläufig zu legalisieren und freie Wahlen vorzubereiten. Zu mehr wäre sie aufgrund der rasch wachsenden Differenzen innerhalb der (vormaligen) Opposition wohl auch gar nicht imstande gewesen. Die Entwicklung in die gewollte Richtung voranzutreiben und Perspektiven anzubieten wäre hingegen Sache der Organisationen und aller sonstigen Interessierten gewesen.
Nun sieht Bernd, wie erwähnt, gerade bei den deutschlandpolitischen Zielsetzungen schwerwiegende Versäumnisse der neuen Bewegungen. Es mag sein, dass die neuen Bewegungen dem Thema nicht genügend Aufmerksamkeit gewidmet haben, ihm vielleicht sogar, im Bewusstsein ihrer Schwäche, zeitweise aus dem Wege gegangen sind. Denn es gab meines Erachtens nur die Alternative: völlige Selbständigkeit oder Anschluss. Die deutsche Frage, so, wie sie damals vom Osten aus gestellt wurde, war, ich überspitze es mal etwas, eine D-Mark-Frage. „Wohlstand jetzt!“ war die Losung. Alle Vorstellungen von Vertragsgemeinschaft, Konföderation, allmählicher, stufenweiser Annäherung mussten daran abprallen, sie waren als Orientierung sinnlos. Und zwar nicht nur mit Blick auf die DDR, sondern auch mit Blick auf die Bundesrepublik. Sicher hätte eine „Oppositionsregierung“ Kohl gegenüber einen etwas besseren Stand gehabt als die Regierung Modrow. Aber zu meinen, man hätte von der wirtschaftlich stark angeschlagenen, in hohem Maße von westlichen Gläubigern und Investoren abhängigen DDR aus offensiv in die Bundesrepublik hineinwirken können, halte ich für völlig illusionär. Die deutsche Frage auf eine Weise zu thematisieren, wie es „Demokratie jetzt“ versucht hat, hätte also insbesondere für die Linken in den neuen Bewegungen bedeutet, zugunsten eines unrealisierbaren Kompromisses ihre eigentlichen Ziele, die sie jahrzehntelang nicht hatte propagieren können, erneut zurückzustellen. Das wäre etwas zu viel verlangt gewesen. Meiner Meinung nach war es richtig, dass wir, statt Stufenpläne zu schmieden, für den Erhalt der Souveränität der DDR, gegen Ausverkauf und Wiedervereinigung (so die Losungen zur Anti-Kohl-Demonstration vom 19. 12. 89) eingetreten sind. Ich kann mich im übrigen auch nicht erinnern, dass Bernd sich damals bei uns in der VL für solche Pläne eingesetzt hat. Im Aufruf „Für unser Land“, zu dessen Erstunterzeichnern er gehörte, war davon ebenfalls nicht die Rede.
Bernd hat Recht: Es hat den einen an Mut, den anderen an strategischer Weitsicht und an Entschlossenheit gefehlt, es hat Versäumnisse und Fehler gegeben. Ich denke aber nicht, dass man mit mehr Mut und Entschlossenheit in unserem Sinne mehr erreicht hätte. In der ersten Zeit nach dem Herbst ’89 schien zumindest die Entwicklung in der CSSR noch das Gegenteil zu beweisen. Inzwischen haben sich auch dort, sogar ohne die massive Einflussnahme eines großen westlichen Bruders, die Gegebenheiten längst den westeuropäischen Standards angeglichen.
Das Ende des autoritären Staatsssozialismus, egal, ob durch eine Revolution von oben oder von unten bewirkt, musste unter dem alten System nicht nur konservierte, sondern immer wieder reproduzierte Bedürfnisse und Haltungen freisetzen, die nach einer ganz normalen bürgerlichen Ordnung verlangten. Es waren offensichtlich die einer Mehrheit, die in einer Demokratie, und eine Demokratie wollten wir ja, ausschlaggebenden. Ich kann nicht erkennen, dass eine provisorische Regierung im Herbst ’89 die Möglichkeit geboten hätte, den größeren Teil davon in ein irgendwie alternatives Konzept einzubinden (wobei es mit 51% für dieses Konzept nicht getan gewesen wäre). Dazu war speziell die Arbeiterschaft gegenüber allem, was vom Westen abwich, viel zu skeptisch, insbesondere auch zu wenig an einer über das Parlamentarische hinausgehenden Selbstbestimmung interessiert. Sicher ist es richtig, dass, wie Bernd schreibt, unser Handeln „auch Bedingung für anders Handelnde“ ist und „selbst neue Umstände“ schafft. Aber im Bereich der Bedürfnisse und Haltungen keinesfalls binnen weniger Monate.
Und die Lehren aus den 89er Ereignissen? Vor allem um sie geht es Bernd ja in seinem Beitrag, auch wenn er einschränkend bemerkt: „Die Geschichte …wiederholt sich nicht oder nur als Komödie.“ Ganz so sehe ich das nicht. Zwischen den Revolutionen von 1848, 1918 und 1989 hat es, trotz aller Unterschiede in den sozialen Bedingungen und in der sozialen Lage der Akteure, doch eine Gemeinsamkeit gegeben: Sie waren gegen mehr oder minder absolutistische politische Strukturen gerichtet. Diese Strukturen gibt es nun hierzulande nicht mehr, und ob die deutsche Linke überhaupt noch einmal gegen sie zu kämpfen haben wird, weiß man nicht. Es ist daher fraglich, ob sich auf der Ebene des politischen Machtkampfes, der Strategien, politische Macht zu erobern, auf die sich Bernd in seinem Beitrag konzentriert, aus den damaligen Ereignissen überhaupt Lehren für Auseinandersetzungen mit der hiesigen bürgerlichen Ordnung ziehen lassen. Vielleicht sind die Lehren aus dem Jahre ’89 eher auf einer anderen Ebene zu suchen. Eine von ihnen könnte lauten, dass Strategien zur Eroberung der politischen Macht zwar nicht unwichtig, aber letztlich auch nicht ausschlaggebend sind.
© telegraph. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des telegraph