Die Refeudalisierung der Ex-DDR

Im Osten verfügt der Hochadel über zunehmend mehr Großgrundbesitz, Einfluss und politische Macht
aus telegraph #101
von Klaus Hart

Wer sich in den neuen Bundesländern umhört, spürt Wut und Ärger über die Nachfahren der stockreaktionären Feudalelite, die in nur zehn Wendejahren wichtige strategische Positionen zurückeroberten. Überall fallen Begriffe wie Refeu- dalisierung, Neokolonialismus, wird von Kritikern darauf verwiesen, dass eine ungerechte Boden-und Besitzverteilung schon einmal faschismusfördernd war. Politiker und die westlich dominierten Medien im Osten passen höllisch auf, dass sich der Unmut nicht öffentlich artikulieren kann.

Während der Feudalgesellschaft, hatte jeder Ossi in der Schule gelernt, war der Adel die herrschende, den größten Teil des Grund und Boden besitzende Klasse, genoss zahlreiche Privilegien, übte hohe und niedere Gerichtsbarkeit aus, zog aus hörigen Bauern und abhängigen Städten große Reichtümer. Königen und Kaisern auch in Kriegen stets zu Diensten, wurden Adlige mit riesigen Besitztümern belohnt, die man weitervererbte bis in unsere Tage. Auch unter Adolf Hitler gehörten zahlreiche Blaublütige natürlich zur Führungselite von Staat und Partei, zu SS und Gestapo–im neuen Band “Vernichtungskrieg – Verbrechen der Wehrmacht“ sehr gut nachzulesen. Nach 1945 behielt der Adel im Westen seine Positionen in Schlüsselbereichen – die Kritiker weisen auf Graf von Lambsdorf oder den mächtigen Flick-Manager von Brauchitsch, dessen Bruder jahrzehntelang in Hamburg die Nachrichtensendungen des Norddeutschen Rundfunks dirigierte. Aber auch auf die „Zeit“-Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff – in Erich Schmidt-Eenbooms Buch „Undercover – wie der BND die deutschen Medien steuert“ ausführlich gewürdigt. Danach war sie unter dem Decknamen DOROTHEA im März 1970 als erstrangige BND-Pressesonderverbindung bei dem Geheimdienst registriert, der Offiziere wie Friedrich Wilhelm Höffer von Loewenfeld sowie Graf Christoph von Stauffenberg beschäftigte. Schmidt-Eenboom, Ex-Bundeswehroffizier und heute Direktor des Forschungsinstituts für Friedenspolitik in Weilheim/Oberbayern, konstatiert ferner:“BND-Gründer Gehlen hat eine Vielzahl von alten Generalstäblern und anderen Offizieren um sich geschart…Durch Gehlens Rekrutierung aus dem Offizierskorps der Hitler-Wehrmacht, wo eher preußisch und weniger nationalsozialistisch orientierte Offiziere sich im Reichssicherheitshauptamt und vornehmlich um Abwehrchef Canaris gesammelt hatten, gelangten überdurchschnittlich viele Adlige in den BND und holten über die Verwandtenrekrutierung weitere nach.“ Die Prinz zu Hohenlohe-Jagstberg & Banghard GmbH, ein Fonds-und Immobilien-Multi, steuert für dieses Jahr eine Milliarde Mark Umsatz an, operiert jetzt kräftig in den neuen Bundesländern. Und im Zusammenhang mit der CDU-Spendenaffäre ist auf einmal Casimir Prinz Wittgenstein, langjähriger Schatzmeister der Hessen-CDU reichlich in den Schlagzeilen. Nach 1945 hieß es dagegen im Osten „Junkerland in Bauernhand“ – seit der Wende, murren viele, läuft die Sache wieder genau umgekehrt und weisen besonders auf den bayrischen CSU-Politiker Franz Ludwig Graf von Stauffenberg. Mit dem muß sich Axel Vogel, ein anderer Bayer, neuerdings im Osten ebenso wie mit anderen wiedereingewanderten Grafen, Fürsten, Baronen und Freiherren befassen.

„Adelsaversion“ im Osten
Vogel, Direktor der brandenburgischen Landesanstalt für Großschutzgebiete, bemerkte unter Ossis eine recht weitgehende „Adelsaversion“ und nennt ein interessantes Detail der Wendezeit: Graf von Stauffenberg, vormals Chef des Waldbesitzerverbandes, habe sein Mandat als CSU-Europa-Abgeordneter niedergelegt, um bei der bundeseigenen Bodenverwertungs-und –verwaltungsge-sellschaft (BVVG) den Chef-Verkäufer für die Ost-Wälder zu spielen. Unschwer ist zu erraten, wer besonders reichlich mit urwüchsigen Forsten bedacht wurde. Allein im Naturpark „Uckermärkische Seen“ gehen die Filetstücke, über zehntausend Hektar, an nicht weniger als zehn Vertreter des Hochadels, darunter Fürst zu Solms-Lich, Bruder des FDP-Schatzmeisters, Baron Ostmann von der Leihe, an von Arnims und von Sayn-Wittgensteins.
( Meyers Konversationslexikon von 1878 vermerkt über Prinz August von Sayn-Wittgenstein, dass dieser Generalleutnant und Reichskriegsminister gewesen sei, mit „blindem Haß gegen Preußen“ und „reaktionärem Eifer“). Hans-Egbert von Arnim, 38, ist Chef der BVVG Sachsen-Anhalt. Nicht anders läuft es in der Schorfheide, wo einst Goebbels jagte – wieder ist Fürst zu Solms-Lich dabei, außerdem Fürst zu Oettingen-Spielberg. Nun sollen die Seen verhökert werden. In den anderen neuen Bundesländern – exakt die gleiche Situation. Überall regt sich Widerstand, spricht sich in Thüringen nach der Wende sogar der Landessportbund gegen die „privatrechtliche, auf Gewinnmaximierung ausgerichtete Bewirtschaftung des Thüringer Waldes“ aus. Ernst Pries, seinerzeit Templiner Kreistagsabgeordneter der Grünen und Mitglied des NABU, wird zu einer Art Sprecher der ostdeutschen Privatisierungsgegner. In der DDR war er einer der angesehensten, unbequemsten Umweltexperten, die Stasi hat auf seine Frau und ihn an die dreißig IM angesetzt, entsprechend dick ist die Gauck-Akte.

„Die Beute des Kalten Krieges wird verteilt“
Pries nimmt bis heute kein Blatt vor den Mund. Die Einheit Deutschlands, argumentiert er, wird zu einem Bereicherungsfeldzug kapitalkräftiger westdeutscher Oberschichten mißbraucht, „die Beute des Kalten Krieges wird verteilt. Eine nicht mehr zu kaschierende Habgier bringt die ohnehin Reichen um ihre politische Vernunft.“ Die Bodenreform von 1945 – 1949 habe historisch zufällig und viel zu spät den auf sozialem Unrecht basierenden Großgrundbesitz einer ausgedienten Herrschaftsschicht enteignet. Jetzt geschehe in Ostdeutschland Bodenraub, würden die Grundrechte der Bürger grob verletzt, entstünden wieder neue Herren-Knecht-Verhältnisse. „Schon einmal war eine ungerechte Boden-und Besitzverteilung faschismusfördernd.“ 1993 streitet Pries sogar bei einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung des ORB heftig mit Graf von Stauffenberg und Graf von Arnim. Besonders werden ihm klare Worte zur Rückübertragung von Brandenburger Wald an frühere Großgrundbesitzer übelgenommen:“Dieser Besitz entstammt überholten feudalen Strukturen und widerspricht zutiefst unserem heutigen sozialen Rechtsempfinden.Er ist wie jede Besitzkonzentration antidemokratisch. Wer mehr Boden beansprucht als er zu seiner unmittelbaren Lebensgestaltung braucht, raubt ihn seinen Mitmenschen und deren Nachkommen.“ In den Kolonien, so der populäre Bürgerrechtler und Umweltschützer, brachten die Kolonisatoren immer zuerst großflächig das Land juristisch in ihren Besitz. Über die Nachfahren von Gutsbesitzern urteilt Pries:“Ihre erbfähigen Kinder und Enkel erscheinen oft selbstherrlicher, man spürt dann schon die geschichtslose Halbbildung typischer Manager.“ Pries und andere Naturschutzaktivisten Brandenburgs sind besonders aufgebracht darüber, daß die geplante Ausweisung von Totalreservaten verhindert wurde, indem die Treuhand die naturschutzfachlich besten und daher vom Westadel am meisten begehrten Flächen im Eiltempo verhökerte.

„Hochadel hat Leute in der Justiz“
Indessen – Proteste gegen die Privatisierung fruchteten nicht. Das wird von den Kritikern auch darauf zurückgeführt, dass entscheidende Positionen der ministeriellen Verwaltung in den neuen Bundesländern mit Westdeutschen besetzt seien. Ein Insider aus Manfred Stolpes brandenburgischer SPD zum telegraph: „ Der Hochadel des Landes hat inzwischen seine Leute in der Justiz – sogar Richter gehören zum Klüngel, vertreten die Privatinteressen der Blaublütigen. Auf Bürger, die gegen Adlige Anzeige erstatten wollen, wird Druck ausgeübt.“ Dass in Brandenburg und Berlin zwar Mittel für Bildung und Kultur fehlen, das Schulniveau wie beabsichtigt, rapide sinkt, Theater und Orchester geschlossen werden, andererseits Stimmung für den aufwendigen Wiederaufbau unnötiger Feudalschlösser gemacht wird, führen Kritiker auch auf den wachsenden Einfluß des Hochadels im Osten zurück.

Besonders von Umweltschützern kommt derzeit der Vorwurf, dass neue blaublütige Waldbesitzer im Osten wie vorausgesagt, Naturrefugien, das sogenannte Tafelsilber der Einheit zerstören. Als Beispiel wird jener hessische Fürst zu Solms-Lich, Bruder des FDP-Schatzmeisters, genannt. Im Brandenburgischen kauft er nach der Wende günstig weit über zweitausend Hektar, läßt zügig und forsch aufräumen, im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin abholzen, setzt als Verwalter den Waldbesitzer von Karlowitz ein, der als besonders machtarrogant gilt.

Naturzerstörung in Brandenburg
Wie die zuständigen Behörden dem telegraph erläuterten, war dem Fürsten lange zuvor mitgeteilt worden, dass er Horstschutzzonen, geschützte Biotope, Tiere und Pflanzen zu berücksichtigen habe. Dennoch wird mitten in der Vegetationsperiode, der Adler-und Kranich-Brutzeit soviel Holz eingeschlagen, wie sonst in zehn Jahren nicht. Altbäume, in deren Höhlen ungezählte Jungvögel gefüttert werden, ein Schreiadler-Horststamm – weg damit. Viele niedliche Vogelnester von Bodenbrütern – die dicken Ballonreifen der Holzerntemaschine können darauf leider keine Rücksicht nehmen, auch nicht auf die einmaligen Amphibientümpel, sensiblen Moorflächen. Und auf denkmalsgeschützte Hügelgräber aus der Bronzezeit erst recht nicht. Beschildert sind sie zwar – aber Business geht vor, die Maschine muss drüber, tiefe Rinnen werden hineingefahren. Dieselkraftstoff, verschmutztes Öl fließen reichlich in den Waldboden. Die Anwohner beobachten mit Verdruss, was aus ihrem früher volkseigenen Wald wird, aber auch Umweltschützer, Förster, Fachleute des Biosphärenreservats werden nach vier Wochen Holzerei schließlich aufmerksam. Die Naturschutzbehörde des Uckermark-Kreises wirft dem Fürsten vor, Schaden an der Natur und den Rechtsgütern angerichtet zu haben, zwingt ihn per Verfügung, den Waldfrevel sofort zu stoppen. „Wir haben mit diesen Brüdern neuerdings laufend zu tun, weil sie sich über alles hinwegsetzen“, kommentiert Ernst Pries in Templin. Und Großschutzgebiets-Direktor Axel Vogel nennt den Fall durchaus lehrreich, weil doch immer behauptet werde, Privatwaldbesitzer betreiben genauso guten Naturschutz wie der Landesforst. Vogel hat rasch mitbekommen, dass es immer dann Probleme gibt, wenn die BVVG riesige zusammenhängende Flächen veräußert hat. Denn gleich in den ersten zwei, drei Jahren wollten die neuen Besitzer den Kaufpreis durch einen exorbitanten Waldeinschlag wieder hereinholen. Wie es sich in der Marktwirtschaft gehört, werden dafür nicht die arbeitslosen, gutausgebildeten Forstfacharbeiter aus den Dörfern der Region eingestellt, sondern meist superbillige ausländische. Wo in der DDR gleich mehrere Männer mit Motorsägen, Traktoren oder gar den besonders naturschonenden Pferdegespannen beschäftigt waren, ackert heute ein einziger Harvesterfahrer aus Finnland. Warum nicht wir, fragen die Leute hinter den Fensterscheiben, wenn draußen überschwere Laster die Stämme an den regionalen Sägewerken vorbei nach Schweden oder Tschechien transportieren. Manchen fällt da sogar der Spruch von der sozialen Verpflichtung des Eigentums wieder ein. Jene „Adelsaversion“ wird jedenfalls schwerlich geringer – zumal Blaublütige wie Fürst zu Solms-Lich nicht zurückstecken. Im ORB-Fernsehen beharrt er darauf, ordnungsgemäße Forstwirtschaft, wie im Westen, betrieben, keinerlei schlechtes Gewissen zu haben. Und klagt vor dem zuständigen Verwaltungsgericht gegen das laufende Ordnungswidrigkeitsverfahren, den verfügten Einschlag-Stopp, will dem Vernehmen nach Schadenersatz von 16000 Mark pro Tag.

„Kultur in den Osten reinbringen“
Dem ORB-TV-Team entgeht nicht, dass die Leute vor Ort über den Fürsten sehr wütend sind. Und dann ist da noch dieses absurd Missionarische der Blaublütigen, was manchen aufbringt. Die kommen in den „wilden Osten, tief überzeugt, hier erst einmal Kultur reinbringen, verlotterte „Wälder aufräumen zu müssen“, kritisiert man sogar in den Naturschutzbehörden. In Prenzlau hat Umweltdezernent Dr.Günter Heise – dessen Stasi-Akte „Ornithologe“ ist 390 Seiten dick – den Fall auf dem Tisch. In seinem Landkreis brüten einundzwanzig Seeadlerpaare, mehr als in den alten Bundesländern zusammen – außerdem jene Schreiadler, die im Westen ausgerottet wurden. “Der durch den Fürsten angerichtete Schaden an der Natur ist nicht wiedergutzumachen – unglaublich, was wir hier neuerdings erleben – die Leute kommen sich teilweise vor wie in `ner Kolonie. Und fragen, welche Beziehung der Fürst eigentlich zu dieser Region hat.“ Heise hat sie – er war bereits in der DDR Umweltaktivist, promovierte über Fledermausforschung, kritisiert die Verschlechterungen nach der Wende:“Die neue Umweltpolitik brachte keine Verbesserungen – nichts war effektiver als der ehrenamtliche Naturschutz in der DDR. Das will niemand wahrhaben. Heute hat der Naturschutz keine Lobby mehr.“

Kurios läuft es weiter nördlich. Große Teile der nordvorpommerschen Waldlandschaft sind vor der Wende gut abgeschirmte Staatsjagden, damit als Nebeneffekt exzellente Naturschutzgebiete. Ehrenamtliche Greifvogelexperten wie Ingenieur Joachim Matthes aus Rostock schleichen sich „wie die Partisanen“ hinein, um die raren Schreiadler zu beobachten, streiten sogar mit Politbüro-Jägern und ihren Bewachern herum.“Manchmal haben sie uns mit vorgehaltener Waffe wieder rausgescheucht.“ Die SED ist weg, doch der Ärger geht jetzt erst richtig los. Wäre NABU-Mitglied Matthes Millionär, hätte er sofort die feilgebotenen Staatsjagdgebiete erworben, daraus Schreiadlerreservate gemacht. Doch nun sind Graf von Finkenstein und Freiherr von Massenbach die neuen Besitzer der hochwichtigen Biotope, wirtschaften aus Sicht der Umweltschützer naturfeindlich. Das ganze Jahr ist jetzt Unruhe, nicht nur Adler werden massiv beim Brüten gestört, oder vertrieben. Neue Forstwege entstehen sogar mit Steuermitteln, Waldentwässerungen wirken wie anderswo im Bundesland verheerend auf sensible Arten, allerorten Übernutzung. 1999 gibt es– kein Wunder – laut Matthes, deshalb einen katastrophalen Einbruch bei den Schreiadlerbruten. Graf und Freiherr lassen die früher urwüchsigen Wälder „in wessi`scher Manier aufräumen, in Ordnung bringen. Für den Schreiadler ist dann absolut Sendepause, der verliert den Sichtschutz, geht weg.“ Von Finkenstein wird 1945 enteignet, wechselt nach drüben. Bei der Rückkehr bemerkt er den enormen Artenreichtum durchaus – der Bestand an Wildtieren sei zigmal höher als im Bayrischen Wald. Das sei alles viel zu viel. Doch jetzt wird ordnungsgemäße Forstwirtschaft eingeführt. Streit gab es jüngst, weil PDS-Umweltminister Wolfgang Methling auf Forderung der regionalen Umweltverbände just die nordvorpommersche Waldlandschaft zum Flora-Fauna-Habitat erklären, als sogenanntes FFH-Gebiet nach Brüssel melden wollte. Herbe Nutzungseinschränkungen zugunsten der Natur will Graf von Finkenstein natürlich nicht, droht mit einem Prozess vor dem Verwaltungsgericht, dem Vernehmen nach unterstützt von seinem Sohn, der, wie es heißt, praktischerweise Forstamtsleiter ist. Das wirkt – Minister Methling wird im Kabinett überstimmt, für hohe Schaden-ersatzsummen an die Blaublütigen wäre kein Geld in der knappen Landeskasse.

Kohl, Schäuble, Waigel –„diese Schweine“
Graf von Finkenstein ist nicht glücklich darüber, dass nach der Wende Ansprüche von „Alteigentümern“ wie ihm auf früheren Besitz nicht galten. Kohl, Schäuble und Waigel wirft er in diesem Zusammenhang „Propaganda“ vor, wird gegenüber dem telegraph plötzlich heftig. „Diese Schweine“ bricht es aus ihm heraus, er meint die genannten drei Politiker. Nachbar von Massenbach findet: „Der Naturschutzbund und wie die so alle heißen, wollen unsere Wälder nässer haben, damit also irgendwelche Frösche da sind, Schreiadler, Schwarzstorch und ich weiß nicht was.“ Wie sein Arealnachbar sieht er Widerstände, Quertreiber selbst in den Forst-und Jagdbehörden – oft habe man dort kein Verhältnis zu den Kosten. „Die haben halt nicht verinnerlicht, dass das bei uns nach westlichen Kriterien ein bisschen anders geht. Man muss den Leuten alles langsam beibringen.“ In Meyers Konversationslexikon wird ein Christian von Massenbach als preußischer Oberst genannt, der am Krieg gegen Frankreich teilgenommen habe. „1806 rieth er seinem König dringend eine Allianz mit Frankreich und mit diesem Krieg gegen Rußland an.“ Vom König habe er ein Landgut bekommen. Der Freiherr von heute ist zufrieden, dass PDS-und SPD-Minister in Schwerin sich besannen. Doch Leute wie Schreiadlerexperte Matthes können nur Rückschritt erkennen, wissen von grauenvollen Kahlschlägen, über die sich auch das Volk und sogar Bürgermeister aufregen. Die Zuständigen, meint er, knicken heutzutage sofort vor den Blaublütigen ein – egal ob Landwirtschaftsminister oder gar PDS-Mann Methling. „Der muss ja auch in der ganzen Soße mitschwimmen. Die Verhältnisse sind halt so.“ Umweltbeamte Mecklenburg-Vorpommerns zum telegraph:“Blaublütige verschlechtern nachweislich die Waldbiotope, beuten die Natur rücksichtslos aus“. Als Paradebeispiel dafür wird Freiherr von Massenbach genannt. Der NABU protestiert gegen die „neuen Herrscher im Adlerwald“, vom Umweltministerium wird bestätigt, dass sie massiv gegen Naturschutzgesetze verstoßen. Doch Minister Methling, übervorsichtig wie immer, wiegelt erst mal ab, um nicht in den Ruch der „Adelsaversion“ oder gar des unbelehrbaren Klassenkämpfers zu kommen. Er kenne viele, die sich außerordentlich positiv für Natur und Umwelt in Mecklenburg-Vorpommern engagierten, zum Beispiel den adligen Öko-Bauern von Bassewitz. Alle Blaublütigen sozusagen potentielle Naturschänder – nein, das gehe auf keinen Fall. Aber jene Probleme da in den Schreiadlerwäldern, „die existieren – da haben die Naturschützer und ihre Verbände Recht.“ Im Brandenburgischen legt sich unterdessen der Pfarrer, SPD-Bundestagsabgeordnete und Ex-Außenminister Markus Meckel heftig mit dem Grafen von Arnim-Boitzenburg an, weil der Spaziergängern, Badelustigen und Anwohnern mit einem Zaun den gewohnten Zugang zum Großen Küstrinsee versperrt. Ein Kind sei mit dem Rad dagegengefahren, habe sich am Hals verletzt. Doch die Betroffenen hätten sich nicht getraut, Anzeige zu erstatten. Der Aufforderung durch das zuständige Landratsamt, den Zaun zu entfernen, sei der Graf nicht nachgekommen. Zugangssperren gibt es laut Meckel bereits auch anderswo in der Uckermark. Bestes Beispiel – das kleine Blumenthal bei Prötzel. Stephan Prinz zur Lippe aus dem nordrhein-westfälischen Detmold kaufte dort vor zwei Jahren eintausend Hektar wunderschönen Wald, versperrt den Blumenthalern zwei seit über einhundert Jahren genutzte Zufahrten, indem er letzten September ohne Vorankündigung die Schlösser an den entsprechenden Schranken auswechselte. Eine Bürgerinitiative, geführt von dem 70-jährigen Historiker Rolf Leuschner, protestiert vehement, ohne dass die Regierung in Potsdam reagiert. Der Detmolder Prinz sprach bisher nicht ein einziges Mal mit den betroffenen Blumenthalern, die jetzt einen Umweg von zwölf Kilometern fahren müssen. Auch die Förster der Region, so Leuschner gegenüber dem telegraph, seien gegen den Adligen aufgebracht. Den SPD-Politiker Meckel bringt ebenfalls auf, dass in den privatisierten Wäldern großflächig und sichtbar ertragsorientiert Holz eingeschlagen werde. Fachleute fürchten um die Regenerationsfähigkeit der betroffenen Kiefernwälder.“Dies hätte außer wirtschaftlichen und ökologischen Schäden auch den Verlust touristischer Attraktivität zur Folge.“ Und Fürst zu Solms-Lich müßte bei solch schweren Verfehlungen seine Wälder normalerweise wieder abgeben, meint jetzt der Leiter des Naturparks „Uckermärkische Seen“, Roland Resch, Ex-SPD-Bildungsminister von Brandenburg. Nur – höherenorts traue sich niemand an das heikle Thema. Resch kommt auf diese Idee nicht zufällig – ungezählte Berliner und Brandenburger, die um die Zustände wissen, fordern seit langem die Wälder-Rückgabe.

„Die haben ja eh´ das Sagen“
Schließlich hatte die Treuhand dem hessischen Adligen die Flächen bei der allerersten regionalen Privatisierungsaktion zugeschanzt – gegen die Forstleute und Naturschützer heftig protestierten, sogar auf der Straße – und mit ihren Argumenten völlig richtig lagen. Unter den betroffenen Brandenburgern macht Resch heute Resignation aus:“Was sollen wir dagegen machen, die haben ja eh das Sagen“, sei zu hören. Anfang Februar lobt der Fürst erneut seine Holzfirma für die ordentliche Arbeit. Naturschützer haben eine enge Perspektive, aus unserer Sicht lächerlich, sagt er. Den Streit um seine Wälder wolle man als Ost-West-Problem hinstellen. „Was es natürlich nicht ist.“

Christoph von Bredow, Ex-CDU-Abgeordneter aus Niedersachsen, der im Naturpark Westhavelland dreihundert Hektar besitzt, wird womöglich genauso argumentieren, im Gegensatz zu den Anwohnern, Naturfreunden der Region. Im Mai läßt er durch finnische Waldarbeiter mitten in der Brutzeit eine große geschützte Graureiherkolonie total verwüsten. Die Horstbäume werden einfach gefällt, viele Eier, mindestens zwanzig Jungvögel stürzen gemäß den Ermittlungen herunter, die Tiere verenden grausam. Noch Tage fliegen die Reihereltern der seit DDR-Zeiten bestehenden Kolonie auf der Suche nach ihren Jungen laut und durchdringend rufend um den Ort des Umweltverbrechens. Der Rotmilan, man weiß es, ist ein typischer Wendeverlierer, geht stark zurück, wird deshalb vom NABU zum Vogel des Jahres 2000 ausgewählt. Ein Milanpaar brütet neben den Reihern. Unter dem West-Adligen von Bredow müssen die Milan-Jungen ebenfalls sterben – auch dieser Horstbaum wird einfach abgesägt. Gegenüber dem telegraph betonen Naturschutzexperten, dass der Adlige zudem gewusst haben muss, dass die Reihernester, wie in der Natur üblich, zudem äußerst seltene, streng geschützte Nachnutzer wie Baumfalken oder Waldohreulen hatten, auch diese Arten also geschädigt wurden. „Wieder macht ein Adliger in westlicher Großgrundbesitzermanier hier in der Ost-Natur Tabula rasa, als wäre es Kolonialgebiet“, sagen Leute im Westhavelland, aber auch in Umweltbehörden sieht man es so. Selbst die Regionalzeitung spricht von „Skandal“, von Brandenburgs SPD-Umwelt-und Landwirtschaftsminister Wolfgang Birthler wird eine energische Reaktion erwartet. Doch der verzichtet bezeichnenderweise sogar auf eine Presseerklärung.
Ostdeutsche Umweltexperten äußern sich zunehmend empört darüber, dass West-Adlige „geradezu frech“ Naturschutz verhindern wollen. Danach mischte sich der bayrische Fürst Albrecht zu Oettingen-Spielberg über den Chef seiner „Fürstlichen Forstverwaltung“, Dr.Eberhard Lasson, in die Ausweisung des Totalreservats Redernswalde im Biosphärenreservat Schorfheide- Chorin ein, wandte sich sogar über die Medien dagegen. Dr. Michael Luthardt, stellvertretender Reservatsleiter, wies den Einspruch zurück:“Fürst Albrecht zu Oettingen-Spielberg ist weder derzeitiger Besitzer oder Nutzer der Fläche und kann somit nicht als durch die geplante Schutzverordnung direkt Betroffener auftreten. Der Rückkauf der Redernswalder Forste und die geplante Bewirtschaftung sind eindeutig ein privates Interesse, während der langfristige Erhalt der einzigartigen Naturräume im Interesse der Allgemeinheit ist.“ Genau angrenzend, hat die BVVG dem Fürsten bereits 1012 Hektar verkauft, direkt am NABU-Informationszentrum „Blumberger Mühle“. Nicht weit davon, in Hohenwalde, hat Angela Merkel ihr Haus, ließ sich als Bundesumweltministerin dorthin wiederholt mit dem Hubschrauber auf Steuerzahlerkosten hinbringen – oder abholen. Damit verstieß sie gegen Umweltgesetz, weil Hubschrauberflüge ins Biosphärenreservat strikt verboten sind. Derzeit werden alle Fakten für eine Anzeige gegen die Ex-Ministerin geprüft.
Nach der Wende hat sich auch in Sachen öffentliche Sicherheit in Potsdam manches spürbar verändert. Verantwortlich dafür ist als Polizeipräsident ein Adliger, Graf Detlef von Schwerin, der im Naturpark „Uckermärkische Seen“ südlich Fürstenwerder Flächen auch in einem Naturschutzgebiet besitzt. „Darin begann er 1994/95 alten Buchenwald abzuholzen“, erinnert sich Brandenburgs Grüne-Liga-Vorstandsmitglied Norbert Wilke.“Der Seeadlerhorstbaum stand noch – aber drumherum war alles kahl. Somit war die Adlerbrut für dieses Jahr auch passé.“ Im Förderverein „Uckermärkische Seen“ seien einige Adlige Mitglied geworden, „um wie auf einem Beobachterposten alles mitzukriegen. Was wir hier in Brandenburg über so viele Jahre im Naturschutz bewahrt haben, ist jetzt völlig in Frage gestellt.“ Wie dem telegraph mitgeteilt wurde, wollte auch Potsdams Polizeipräsident in den Förderverein, habe jedoch nicht die notwendige Stimmenmehrheit bekommen, sei daraufhin wutentbrannt und schimpfend von dannen gezogen. In der weitverzweigten Adelsfamilie finden sich mehrere hohe Militärs: Kurt Christoph Graf von Schwerin , steht in Lexika, war preußischer Generalfeldmarschall, trat in die Dienste des Königs Friedrich Wilhelm I.“In Friedrichs Eroberungspläne eingeweiht, erhielt S. ein Kommando bei den zum Einfall in Schlesien bei Krossen zusammengezogenen Truppen…nahm Liegnitz, Jauer und Schweidnitz… drang in Mähren, später in Böhmen ein.“ Friedrich II habe ihm eine Statue auf dem Wilhelmsplatz in Berlin errichten lassen. Im Faschismus war ein Graf von Schwerin danach Oberstleutnant im Oberkommando der Wehrmacht, ein anderer Panzergeneral. Dieser wurde Sicherheitsberater Konrad Adenauers, kooperierte daher zwangsläufig mit dessen Kanzleramts-Staatssekretär Dr. Hans Maria Globke. Dieser, man erinnert sich, hatte die nazistischen Rassengesetze mitausgearbeitet, damit erheblichen Anteil an der Judenvernichtung, die auch die Wehrmacht mitbetrieb. Globke stand auf der alliierten Liste der Hauptkriegsverbrecher, wurde indessen laut „Spiegel“ der mit“ Abstand einflussreichste und mächtigste Mann in Bonn nach dem Kanzler“, habe über seine eigene Amtszeit hinaus auf die Politik der Bundesregierung eingewirkt.

Prinz Ernst Augusts Ost-Schlösser
“Die Werbewirtschaft hat die Zugkraft deutscher Adelshäuser, die Geschichte und Glaubwürdigkeit repräsentieren, einfach noch nicht erkannt“, sagt Eduard Prinz von Anhalt, TV-Kommentator bei Königshochzeiten, dem „Spiegel“ – nicht wenige Blaublütige werben indessen bereits kräftig, die neue Hauptstadt gibt dem Hochadel beste Chancen zur Selbstdarstellung. Die Super Illu, gerne von geistig unterbelichteten Ossis gekauft, mag natürlich, wie der 46-jährige Welfen-Prinz Ernst August, Ehemann der Monegassen-Prinzession Caroline, um die „Rückgabe“ großväterlichen Erbes im Osten auf dem Klagewege „kämpft“: Rund zehntausend Hektar in Harz und Magdeburger Börde mit Gutshöfen, zwei Schlössern, einem Kloster und einem Rittergut. „Sie könnten so viel Glanz und Wirtschaftskraft in den Harz bringen“, titelt die Ost-Illustrierte. Ein tausend Hektar großes Jagdrevier bei Altenbrak südlich Blankenburg hat die Treuhand dem Prinzen bereits verkauft. Die Provinzpresse schrieb begeistert, wie Prinzessin Caroline dort letztes Jahr im Jagddress, angeleitet von Welfen-Forstmeister Freiherr Ludolf von Oldershausen, ein Ost-Reh totschoss. Kommentar überflüssig.

Literatur:
Erich Schmidt-Eenboom, Undercover – Wie der BND die deutschen Medien steuert Knaur 1999
Hannes Heer, Klaus Naumann (Hg.) ,Vernichtungskrieg – Verbrechen der Wehrmacht 1941 – 1944, Zweitausendeins, 1999
Eckart Conze, Von deutschem Adel, Die Grafen von Bernstorff im 20. Jahrhundert, DVA Stuttgart – München, 2000

Klaus Hart ist Journalist und lebt in Berlin.

Wo bekamen blaublütige Großgrundbesitzer Ost-Natur, die zuvor allen gehörte? (unvollständig):
Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin
-Fürst zu Solms-Lich(Hessen) – bei Milmersdorf am Kölpinsee(Wald der Fällaktion)
-Fürst zu Oettingen-Spielberg(Bayern) – bei Görlsdorf am Großen Peetzigsee, an die NABU-Naturschutzstation „Blumberger Mühle“ grenzend, 1012 ha
-Kurt von Berghes – bei Pfingstberg, 572 ha Naturpark Uckermärkische Seen
-Fürst Solms-Lich und Graf Solms-Laubach – Flurstück Hohe Heide I, 1360 ha, südlich Küstrinchen
-Graf von Arnim – 515 ha, bei Warthe
-zwei Gräfinnen von Arnim, Flurstück Brüsenwalde I, 515 ha, südlich Brüsenwalde
-von Stockhausen – Flurstück Krumme Hecken, 578 ha, westlich von Warthe
-von Diergardt – Flurstück Zerwelin, 717 ha, nördlich Bergholz
-Thomas von Arnim – Flurstück bei Mahlendorf, 699 ha
-Prinzessin Almuth von Seyn-Wittgenstein – Flurstück Aalkasten, 799 ha, nordwestlich Brüsenwalde
-Fürst Solms-Lich – Flurstück Hohe Heide II, südlich Küstrinchen, dem Vernehmen nach etwa 1000 ha
-Graf von Schwerin – Flurstück Kieker, südlich Fürstenwerder

© telegraph. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des telegraph