aus telegraph #101
von Dirk Teschner
weißt du noch, wie schön es war
als da noch ´ne mauer war
der schutzwall ging durch unsere stadt
die bonner ultras hatten´s satt
die guten und die bösen dieser welt
das gleichgewicht war hergestellt
der klassenauftrag, der war klar
das feindbild hat gestimmt sogar
es ging darum, den feind zu schlagen
mit vier panzersoldaten
und ein hund…(1)
In einer, von André Greiner-Pol, Gerry Franke, Wüstling und Scheffel 1987 in der Schoppenstube erfundenen Piktogrammschrift buchstabiert man Pol: Peitsche Osten Liebe. So lautet auch der Titel des bei Schwarzkopf & Schwarzkopf erschienenen Buches über die Band Freygang.
Freygang, 1977 gegründet, vom Staat mehrmals der Spielerlaubnis entzogen und von den Fans gefeiert, ist bis heute auf Achse. Für die einen sind sie ein durchgeknallter Haufen von Machos, für die anderen ein auf den Punkt gebrachtes Lebensgefühl. In mehr als 100 Short Stories schildert André Greiner-Pol, der „verkommenste Ostrockmusiker“, die wichtigsten Stationen der Band.
Der Aufbau des Buches erinnert an den Schwulen – Kultfilm Hustler White, der an einigen Stellen unterbrochen wird für die Erklärung der Zensurbehörde und Statements des Regisseurs. Im Buch sind es die eingefügten Dokumente und Interviews mit dem Herausgeber Michael Rauhut und Pol, welche die an Tagebuchaufzeichnungen erinnernden Geschichten unterbrechen. Wenn André Greiner-Pol über seine Tätigkeit als IM für die Staatssicherheit von 1977-1981 erzählt, werden dazwischen BstU – Aktenkopien und ein Gespräch über Details seiner Stasitätigkeit eingebaut.
Blues, Fehlfarben, Ton Steine Scherben, Punk, Sessionsprojekte oder Schweinerock- die Musik von Freygang erzeugt verschiedene Assoziationen. Anfang der 80er Jahre bewegte sich Freygang zwischen Bands wie Monokel, Engerling, Hansi Biebl, Passat, Simple Song, Stefan Diestelmann, Caravan, Wind/ Sand & Sterne… . Die Auftrittsorte waren kleine Dorfkneipen mit Tanzsaal. Die „Kunden“ aus Berlin und Thüringen bewegten sich bis nach Annaberg im Erzgebirge, wenn das Gerücht über einen Freygang-Auftritt kursierte. Vor allem nach dem Spielverbot der Band 1983 wurden wöchentlich neue Tipps gehandelt, wo und wann Freygang unter einem anderen Namen oder in den Konzertpausen anderer Bands auftauchen würde.
Später spielte André Greiner-Pol an der Trasse in Sibirien, im „Törnen“ – Projekt von Holger Stark, als Tacheles, mit der Thüringer Band Pasch oder unter dem Namen André & Die Raketen. Freygang spielt seit 1989 wieder regelmäßig, mit wechselnder Besetzung.
Wo sind wir jetzt?
…Wir wollen Utopien schüren, Träume nähren. Das ist etwas Wunderschönes.
Wir spielen unsere Gigs, bringen Platten raus,
organisieren Festivals und stellen unser Leben gegen Seelenlosigkeit, Menschenschinderei und Amtsstubenterror.
Blues is the healer, Freygang ist Arznei. Eigentlich sollte es uns auf Rezept geben.
(1) Vier Panzersoldaten und ein Hund,
Text: André Greiner-Pol. CD: Land unter
André Greiner-Pol
PEITSCHE OSTEN LIEBE
Das FREYGANG-Buch
Herausgegeben von Michael Rauhut
Schwarzkopf & Schwarzkopf Berlin 2000
ISBN 3-89602-319-5
DM 29,80
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