A THIN RED LINE

von Kamil Majchrzak
aus telegraph #102/103

Aufgrund eines “geringen gesellschaftlichen Schadens” darf ein polnischer Historiker weiterhin den Holocaust leugnen.

In seinem Buch „Niebezpieczne tematy“ [Gefährliche Themen] beschreibt der Historiker der Universität Opole, Dariusz Ratajczak, dass Zyklon B nicht zum Morden in deutschen KZs während des zweiten Weltkrieges benutzt wurde. Das im März vergangenen Jahres erschienene Buch ist das erste in der Nachkriegsgeschichte Polens, das öffentlich den Völkermord an den Juden zu widerlegen versucht. Es ist schon verwunderlich, dass solche Behauptungen von einem Doktor einer polnischen Universität geäußert werden, wo doch gerade auf polnischem Territorium während des zweiten Weltkrieges mindestens 4 750 000 Menschen umgebracht wurden und das Schicksal von 1 700 000 weiteren unbekannt geblieben ist. „Wir können somit festhalten, ohne dabei einen groben Fehler zu begehen, dass Zyklon B zur Desinfektion und nicht zur Ermordung von Menschen diente (…); die Duschräume dienten zum Waschen, sie waren nicht der Platz wo Menschen ermordet wurden; Geschichten von Überlebenden, Gefangenen, die vorgeben, die Vergasung von Menschen gesehen zu haben, sind somit ohne Wert“.

Der Rektor der Opole Universität hat daraufhin die Berufung von Ratajczak zeitweilig suspendiert und die Staatsanwaltschaft erhob gegen Ratajczak Klage. Antrag auf Strafverfolgung stellte auch der damalige Leiter des „Instituts des nationalen Gedenkens“ Prof. Witold Kulesza. Artikel 55 des Institutgesetzes stellt die öffentliche Leugnung von Verbrechen der Nazis, der Kommunisten sowie Verbrechen gegen den Frieden, die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen unter Haftstrafe von bis zu drei Jahren. Die Staatsanwaltschaft verlangte für Ratajczak eine zehnmonatige Haftstrafe sowie 25% seines Einkommens. Das Geld sollte der Gedenkstätte in Auschwitz zugute kommen.

Während der Verhandlung gab der Angeklagte zwar zu, dass ihm in seiner Publikation „stilistische Fehler“ unterlaufen seien, jedoch aufgrund des „publizistischen Zeitdrucks“.

„Das Buch war eine Kurzfassung einiger Vorlesungen. Ich schrieb es für Studenten, die nicht daran zweifelten, dass es sich hierbei nicht um meine eigenen Auffassungen handelt“, meinte Ratajczak während der Verhandlung. Dieser Feststellung folgte das Gericht jedoch nicht und stimmte insoweit den Ausführungen der Staatsanwältin Lidia Sieradzka zu. Richter Krzysztof Turkiewicz sah es als erwiesen an, dass Ratajczak die Verbrechen der Nazis geleugnet und in seiner Publikation die Auffassungen der sog. Revisionisten übernommen hat. Dabei wertete das Gericht die Unschuldsbeteuerungen des Angeklagten sowie die Versuche, sich von den in seinem Buch dargestelltem Gedankengut anderer Revisionisten zu distanzieren, als nur in der von ihm angenommen Verteidigungslinie begründet. „Der Angeklagte durfte zwar die Ansichten von Revisionisten darstellen, jedoch diese nicht befürworten. Insoweit überschritt Ratajczak eine schmale Grenze“, meinte das Gericht. Trotzdem kam Richter Turkiewicz zu dem Schluss, dass das Verfahren aufgrund des „geringen gesellschaftlichen Schadens“ eingestellt wird. In der Begründung gab das Gericht an, von den 350 vom Verlag herausgegebenen Büchern seien, aufgrund der schnellen Reaktion, nur fünf Stück verkauft worden.

Dariusz Ratajczak ging erleichtert in Begleitung des bekannten antisemitischen Verlegers Leszek Bubel aus dem Gerichtssaal. Dieser bringt seit einiger Zeit, neben Titeln wie „Erkenne den Juden“ und einer Neuauflage des alten Bestsellers „Die Protokolle der Weisen von Zion“ die zweite Auflage von den „Gefährlichen Themen“ heraus. Im Gerichtssaal war außerdem auch Kazimierz Switon anwesend – bekannt durch die Aufstellung von mehreren hundert Kreuzen nahe des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz. Nach der Urteilsverkündung rief er Ratajczak zu: „Sie sollten in Berufung gehen, sonst sieht es so aus, als ob Sie sich schuldig fühlen!“ Bislang ist unbekannt, ob Ratajczak oder die Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts in Opole klagen werden. Gründe dazu gibt es genug. Wie die Neuauflage des Buches beweist, gibt es keine Spur von Reue des Angeklagten, von der das Gericht aber bei der Urteilsbegründung noch ausging.

Kamil Marjchrzak ist Student an der Europäischen Universität Viadrina in Frakfurt/O. und arbeitet in Antifa – Initiativen mit.

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