DIE ARGENTINISIERUNG BERLINS

DIE BERLINER BANKGESELLSCHAFT UND DER POLITISCHE
OFFENBARUNGSEID DER PDS
von Birger Scholz
aus telegraph #106

Am 9. April wurde im Berliner Abgeordnetenhaus weitgehend unbemerkt von der bundesdeutschen Öffentlichkeit die größte Finanzpleite der Nachkriegsgeschichte abgewendet. Vorläufig jedenfalls. Mit einer Bürgschaft von bis zu 21,66 Mrd. Euro in Höhe des Landeshaushalts eines ganzen Jahres sicherte die bankrotte Hauptstadt die Immobilienrisiken der überwiegend landeseigenen Bankgesellschaft Berlin bis ins Jahr 2032. Auf einer Pressekonferenz hatte Finanzsenator Sarrazin (SPD) die Risiken im „worst case“ sogar auf bis zu 35,34 Milliarden Euro beziffert. Und das, obwohl das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen (BAKred) bereits im Jahr 2001 eine Kapitalerhöhung von zwei Milliarden Euro erzwang. Dagegen sind die Verluste der Herstatt-Bank nicht mehr als die berüchtigten „Peanuts“. Allein die Enron-Pleite in den USA kann beanspruchen, in der gleichen Liga zu spielen – sowohl hinsichtlich der Kapitalvernichtung als auch bezüglich der kriminellen Verfilzung zwischen Geld und Politik. Berlin liegt halt in Argentinien, im Kreditgewerbe herrschen japanische Verhältnisse und die politischen Zustände erinnern an Italien Anfang der 90er Jahre. Neben der Risikoübernahme beschloss das Abgeordnetenhaus, die Investitionsbank Berlin (IBB) schnellstmöglich auszugliedern und als landeseigene Förderbank zu erhalten. Mit welchen Mitteln das Land dann noch fördern oder Strukturpolitik betreiben will, steht in den Sternen. Während die Holzmann-Pleite oder der Zusammenbruch des Kirch-Imperiums zur besten Sendezeit medial aufbereitet wurden, fanden sich in überregionalen Tageszeitungen zur Risikoübernahme bei der Bankgesellschaft allenfalls Agenturmeldungen. Das ist durchaus nachvollziehbar. Denn mit dem „Blankoscheck“ haftet das Land für alle Immobilienrisiken der Bankgesellschaft, und zwar auch für die, für die es – beispielsweise im Falle der Abwicklung – eigentlich gar nicht haften müsste. Auch kann nicht überprüft werden, für was das Geld bankintern wirklich verwendet wird. Letztlich wird Berlin auch für neue Schulden bürgen. Hinzukommt, dass Berlin die privaten Shareholder der Bankgesellschaft, die immerhin noch 19% des Grundkapitals halten, einfach aus der Verantwortung entlässt.

Intern geben Ex-Manager der Bankgesellschaft inzwischen unumwunden zu, dass die Bankgesellschaft als Ganzes kaum noch sanierbar sei. Von den noch über 14.000 Beschäftigten werden bis 2005 allenfalls 6.500 ihren Job behalten. Es wird sogar eingeräumt, dass so gut wie alle Geschäftsbereiche Verluste einfahren. Ohne eine Bürgschaft der öffentlich-rechtlichen Landesbank an die Holding Bankgesellschaft in Höhe von 8 Milliarden Euro wäre die Bankgesellschaft längst insolvent, da sie ihr internationales Kapitalmarktgeschäft nicht mehr betreiben könnte – sprich sie könnte sich nicht mehr refinanzieren. Außerdem gehe nach Angaben des Tagesspiegels aus den vertraulichen Unterlagen, die nur von Abgeordneten eingesehen werden konnten, hervor, dass die Landesbank Kredite von über 21,8 Milliarden Euro an die Bankgesellschaft vergeben hat. Insofern ist es sehr fraglich, ob die Bank trotz des Blankoschecks überleben wird. Denn nach Angaben der Beratungsfirma Consart hat die Bankgesellschaft darüber hinaus rund 14 Milliarden „schwergängige bis uneinbringbare“ Immobilienkredite vergeben. Und Consart benennt einen weiteren kaum bekannten Risikofaktor. Noch in 2001 war die Bankgesellschaft hinter der Deutschen Bank mit einem Volumen von 1,2 Billionen Euro der zweitgrößte „Player“ im Derivatgeschäft. Mittlerweile sind es „nur“ noch 800 Milliarden Euro. „Wenn uns dieses Geschäft um die Ohren fliegt, dann aber gute Nacht“ [1], zitiert der Tagesspiegel einen Insider. Als Krönung hat Consart einen dritten Risikobereich ausfindig gemacht. In den Bereich „Structure Finance“ fallen neu aufgelegte Fonds und Steuersparmodelle wie Schiffsbeteiligungen. Die Risiken sind nicht abschätzbar.

Eines ist abschätzbar: Die Risikoübernahme ist eine gigantische und kaum noch fassbare Sozialisierung privater Verluste, die dafür sorgen wird, dass die bettelarme Hauptstadt in den nächsten dreißig Jahre bettelarm bleiben wird.

DIE ZWEITE GRÜNDERZEIT ODER DAS SYSTEM LANDOWSKY
Begonnen hatte alles 1994 mit der Gründung der Bankgesellschaft Berlin AG unter deren Holding- Dach die einzelnen im Landesbesitz befindlichen Banken zusammengefasst wurden. Darunter befand sich auch die öffentlich-rechtliche Landesbank Berlin (LBB), für die das Land als Gewährträger haftet. Eine bundesweit einmalige Konstruktion, die der Finanzsenator Sarrazin parteiintern heute als Werk geistig Gestörter bezeichnet. War das 1994 nicht absehbar? Mitnichten: „Mit der Gründung einer eigenen Berliner Großbank wird ausschließlich ein Nährboden für krumme Geschäfte geschaffen, bei der es keine Trennung von Politik und privaten Geschäften geben wird.“ Als Michaele Schreyer, seinerzeit finanzpolitische Sprecherin der Grünen, diese Vermutung 1992 im Parlament äußerte, konnte sie kaum ahnen, dass es noch schlimmer kommen könnte. Maßgeblicher Strippenzieher bei der Gründung war der damalige CDU-Fraktionsvorsitzende Klaus Landowsky, der sich auch gleich einen Direktionsposten bei der Bankgesellschaft und die Verantwortung über das gesamte Immobiliengeschäft der Holding sicherte – und sich damit selbst kontrollierte. Um dies zu ermöglichen verabschiedete die damalige SPD/CDU Koalition fix extra eine „Lex Landowsky“. Die Grünen mussten sich vom damaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden und jetzigen Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium Ditmar Staffelt vorhalten lassen, sie seien „Kiezpolitiker“ und gönnten Berlin nur eine Sparkasse. Es kommt hinzu, dass durch die Holding-Konstruktion die gesunde Sparkasse die äußerst marode Berliner Bank und ihre Tochter Berlin Hyp vor dem Konkurs rettete. Es gab aber auch warnende Stimmen aus der SPD-Linken um Kurt Neumann, die sogar Verfassungsbeschwerde einlegen wollten und erbitterten Widerstand im SPD-Landesvorstand leistete. Der Spandauer SPD-Abgeordnete Lorenz erinnert sich: „Die Kritik richtete sich dagegen, dass die auf öffentliche Interessen gerichtete Landesbank einer auf Gewinnerzielung orientierten Aktiengesellschaft untergeordnet werden sollte. Dabei wurde angeführt, dass das Durcheinander der unterschiedlichen Weisungs- und Kontrollmechanismen von Anstalts- und Aktienrecht sowie der diversen Regelungen von Beteiligungs- und Interessenwahrungsverträgen dazu führe, dass im Ergebnis keinerlei wirksame Kontrolle mehr möglich sein werde. Daher hat das Landesarbeitsgericht diese Konstruktion 1996 verfassungswidrig genannt.“[2]

Dabei sind die Verluste nicht vom Himmel gefallen. Obwohl ab 1992 die Träume blühender Landschaften in Berlin und Ostdeutschland längst zerstoben waren, setzte die Berliner Politik bekanntermaßen weiter auf Boom und „Global City“. Dazu gehörte auch die Absicht, Berlin neben Frankfurt als weiteren Finanzplatz zu profilieren. Die Bankgesellschaft sollte dabei im Konzert der Grossbanken mitspielen. Strategischer Hebel war das lukrative Immobiliengeschäft, in dem die Immobilientöchter der Bankgesellschaft (IBG, IBAG) aggressiv versuchten, im Marktsegment Immobilienfonds die Marktführerschaft zu erringen.

DAS GRÖSSTE KRIMINELLE SCHNEEBALLSYSTEM DER REPUBLIK
Auf dem Höhepunkt der Berliner Immobilienblase wurde im großen Stile überteuert eingekauft. Als die Blase platzte waren die eingekauften Grundstücke oftmals nicht einmal mehr die Hälfte wert. Was tun? Die Bankmanager schrieben die Verluste nicht ab, sondern traten die Flucht nach vorne an und gaben richtig Gas. Sie legten immer neue und größere Fonds auf und deckten mit dem frischen Kapital die alten Schulden. Ein gigantisches Schneeballsystem. Die Fonds waren so gestaltet, dass sie für den Kundigen als unverantwortlich gelten mussten. Seit 1996 wusste nach Aussage von Ex-Finanzsenatorin Krajewski (SPD) die gesamte deutsche Bankenwelt, dass die Bankgesellschaft Fonds auflegt, die nur Verlust machen konnten. Erstens lag der durchschnittliche Preis der Immobilien, die oftmals von CDU-Unternehmern gekauft wurden, um das Zwei- bis Dreifache über dem Marktüblichen. Die Bank haftete aber für die Mieteinnahmen in vollem Umfang bis zu 30 Jahren. Zweitens wurden nur 38 Prozent des Fondsvolumens von den Fondszeichnern erbracht. 62 Prozent wurden durch Bankkredite – und hier vorrangig der Bankgesellschaft -finanziert. Die Kredite wurden wiederum zu überhöhten Zinssätzen vergeben. Ein blendendes Geschäft. Allerdings ein Scheingeschäft. Denn die Bankgesellschaft bürgte nicht nur für die Verzinsung, sondern auch für die Rücknahme eines maximal halbwertigen Projekts. Diese Fondskonstruktion wurde auch bei wichtigen Stadtentwicklungsprojekten des Landes angewandt. Im Fall der Wasserstadt Spandau ergibt sich einjährlicher Verlust nur aus der Finanzierung von 16,4 Mio. Euro. Für die Fondszeichner war es immer ein lohnendes Geschäft. Für die Sicherheit eines Bundesschatzbriefes gab es 29 Jahre durch steuerliche Verlustzuweisung die Verzinsung einer Risiko-Anleihe von bis zu 15 %. Wohlgemerkt: Das ist einer der „öffentlichen Fonds“. Aber „öffentlich“ gilt natürlich nur eingeschränkt. Nur wer über die nötige Steuerprogression verfügte (z.B. 200.000 Mark brutto im Jahr) profitierte richtig. Bei den internen Fonds, die nur von Bankern und Promis gezeichnet werden konnten, war die Verzinsung noch deutlich höher. Allein die steuerliche Verlustzuweisung betrug beim „Gardelegen-Fonds“, der auch von Heidemarie Wieczorek-Zeul gezeichnet wurde, 208 Prozent. Nach nur 3 Jahren erhielten die Zeichner ihre angelegte Summe vom Finanzamt voll und ganz zurück. Noch ungeklärt ist die Zurückhaltung der anderen Grossbanken, die durch die Dumping-Angebote der Bankgesellschaft, die zum Schluss über 20% des Marktes mit geschlossenen Immobilienfonds beherrschte, geschäftlich geschädigt wurden. Die internen „Schweinefonds“, die von mehr als 200 Top-Bankern der Republik gezeichnet worden sein sollen, lassen sich in diesem Zusammenhang durchaus als Schweigeprämie interpretieren. Auch wenn die Gründung der Bankgesellschaft viel mit Größenwahn zu tun hatte, die gigantischen Verluste können so nicht hinreichend erklärt werden. Spätestens im Jahr 1996 war die Euphorie verraucht und Wolfgang Rupf wurde als Sanierer zum neuen Vorstandsvorsitzenden bestimmt. Anstatt die bereits aufgelaufenen Verluste konsequent abzuschreiben, wurde ein Großteil der ruinösen Geschäfte erst jetzt aufgelegt. Auch verknüpfte Rupf die diversen Töchter der Bankgesellschaft durch Gewinnabführungsverträge, Patronatserklärungen, Haftungsübernahmen und andere windige Konstruktionen so, dass am Ende immer die Landesbank und somit das Land Berlin haftete.

BILANZFÄLSCHUNG, VETTERNWIRTSCHAFT, KONKURSVERSCHLEPPUNG: ALLES INKLUSIVE
Nach Recherchen des SFB haben die Banker gezielt auf Kosten der Fonds ihre Bilanzen geschönt. So wurden 1997 auch 5.000 Plattenbauwohnungen der Aubis-Gruppe von der Holding in die Fonds der Immobilientöchter verschoben. Chef der Berlin Hyp war Klaus Landowsky, Geschäftsführer der Aubis waren die ehemaligen CDU-Funktionäre Neuling und Wienhold, die mit ihrer aufgeflogenen Parteispende an Landowsky den Fall Bankgesellschaft Anfang 2001 erst ins Rollen brachten.
Hinzu kommt, dass die einzelnen Fonds-Objekte überwiegend nicht in den Zentren und auch nicht in den neuen Ländern lagen. Das ist nicht unwichtig, denn der Immobilenmarkt hat nur in den Ballungszentren hohe Schwankungen erfahren. In der Provinz ist der Markt recht stabil. So wurde massiv in die Hornbach-Baumärkte in Westdeutschland investiert, die aufgrund der Marktsättigung niemals die prospektierte Rendite erwirtschaften konnten. In den Fondsprospekten wurden dagegen besonders hohe Gewinnerwartungen garantiert und prognostiziert. Das hatte im Fall Hornbach auch seinen guten Grund: Der langjährige Chef der Bankgesellschaft Rupf war vorher Manager der Hornbach-Gruppe und später Mitglied in dessen Aufsichtsrat. Insider der Branche sind sich daher einig, dass die wirtschaftliche Fondskonstruktion zwei Systemfehler hatte:
a) Das Gesamt-Konzept stimmt nicht [3].
b) Die Wirtschaftlichkeit der Einzelobjekte ist nicht gegeben [4].
So ist das Objektportfolio dieser Fonds angefüllt mit Immobilien, deren Ertragskraft nur minimal von der Konjunktur abhängt, aber umso stärker von immobilienwirtschaftlichen Kriterien wie Lage, Zustand, Restnutzungsdauer und Nutzungsart. Zwar sind viele Kredite – auch in Berlin – durch Fehlspekulation und hohen Leerstand Not leidend geworden. Die Fonds der Bankgesellschaft haben damit jedoch wenig zu tun. Neben diesen kriminellen Fonds waren Gefälligkeitskredite an Parteifreunde, die mit Parteispenden honoriert wurden (z.B. der AUBIS – Parteispendenskandal, mit dem alles ins Rollen kam), gang und gäbe. Dass diese Geschäfte eine relevante Größenordnung hatten, weisen die Verluste aus den Geschäften der Aubis-Gruppe mit 300 Millionen Euro, der HvH-Gruppe des Berliner Bankbeirats Porsch mit 300 bis 400 Millionen Euro und der Schliffkowitz- Gruppe mit über 100 Millionen Euro aus. Auch steht etwa der CDU-Lokal-Tycoon Klaus Groth mit einer Milliarde Euro bei der BGB in der Kreide. Charakteristisch für die Bankgesellschaft war das berüchtigte Westberliner „Beziehungsgeflecht“, das sich nach dem Bau der Mauer mit den Westdeutschen Subventionen entwickelte. So kostete eine Berliner Sozialwohnung mehr als ein Eigenheim in Westdeutschland. Dieses „Korruptionsgeflecht“ geriet Anfang der 80er Jahre durch die Offenlegung einiger Bauskandale und die Abwahl der jahrzehntelang regierenden Staatspartei – West, der SPD, in die Krise. Mit dem Fall der Mauer und der Etablierung des neuen CDU-Filzes erlebte die Korruption eine zweite Blüte. Die Gründung der Bankgesellschaft, die als Selbstbedienungsladen die bisherigen Subventionen ersetzte, war ihr Meisterstück, Klaus Landowsky ihr Pate. Ein nicht unbeträchtlicher Anteil der 40 Milliarden Euro, die Berlin – neben den offiziellen Haushaltsschulden – aus dem geförderten Wohnungsbau für das ehemalige „Westberlin“ mit hohen Zinsen belasten, sind dieser Korruption geschuldet. Da die Subventionen für diese Kredite – nach 30 Jahren Förderung – nun auszulaufen beginnen, drohen zusätzliche Lasten aus bereits geforderten Anschlusssubventionen in Milliardenhöhe. Nicht mitgerechnet die 10 Milliarden Euro direkten Schulden der städtischen Wohnungsbaugesellschaften. [5]
Erst das Ausmaß an Korruption, die Verflechtung mit der Berliner Politik, die Beteiligung der westdeutschen Bankenlandschaft sowie die jahrelange stillschweigende Duldung durch das BAKred erklären hinreichend, warum niemals über Alternativen zum „Blankoscheck“ nachgedacht wurde. So wollte der rot-rote Senat das Gesetz schon am 21. März durchs Parlament peitschen. Die Abgeordneten sollten nicht einmal die dem Gesetz angehängte „Detailvereinbarung“ zwischen Bankgesellschaft und Land lesen dürfen. In der SPD-Fraktion versuchte Walter Mom-per die Genossen mit Horrorszenarien auf Linie zu bringen: Würde das Gesetz verschoben, reagierten die Finanzmärkte unkontrolliert und Berlin wäre nicht länger kreditwürdig. Tenor des Senats: „There is no alternative“. Der PDS-Fraktionsvorsitzende Harald Wolf brachte diese Haltung im Parlament trocken auf den Punkt: „Wir sind in gewisser Weise Gefangene dieser Bankgesellschaft.“[ 6]

HARALD WOLF: „THERE IS NO ALTERNATIVE!?“
Richtig ist sicherlich, dass die Bankgesellschaft mit einem Bilanzvolumen von 207 Milliarden Euro eigentlich „too big to fail“ ist. Eine Schließung der Bankgesellschaft, wie vom BAKred angedroht, hätte für die deutsche Bankenlandschaft verheerende Folgen. Fällt die Bankgesellschaft, dann schließt auch die Sparkasse in Garmisch, mutmaßt ein Banker. Eines ist sicher: die Renditen der Grossbanken und Landesbanken wären auf Jahre im Keller. Allein die Rekordzahl von 40.000 prognostizierten Insolvenzen für 2002 zwingt die Banken, die Risikovorsorge massiv aufzustocken. Käme noch etwas Gravierendes hinzu, orakelte der Präsident der Bundesbank Ernst Welteke Anfang März, könnte 2002 ein kritisches Jahr werden.[7] So sind die Privatbanken bei den unverbrieften Forderungen mit 68 Milliarden Euro die Hauptgläubiger der Bankgesellschaft. Zwar herrschen im deutschen Kreditwesen noch keine japanischen Verhältnisse, doch sitzt die Bankgesellschaft mit geschätzten 8 bis 10 Milliarden Euro auf ähnlich hohen faulen Krediten wie der Durchschnitt der 13 wichtigsten Banken Japans. Ein Zusammenbruch der Bankgesellschaft hätte die Republik erschüttert und eine Wiederwahl Schröders mehr als fraglich gemacht. Die Herabstufung Deutschlands im Länderrisiko wäre nur eine der Folgen gewesen. Richtig ist aber auch, dass ein kontrollierter Absturz und Entflechtung der Bankgesellschaft in Zusammenarbeit mit dem BAKred für das Land Berlin die günstigste Lösung gewesen wäre, da sich die Landesbanken, Privatbanken, Fondszeichner und privaten Kapitaleigner hätten beteiligen müssen. Voraussetzung einer solchen Lösung wäre die Gründung einer Auffanggesellschaft gewesen, die nur die Schulden tilgt, für die das Land auch wirklich haften muss. Ähnlich argumentiert der SPD-Linke Lorenz, der eine Risikoübernahme nur für die Verpflichtungen der LBB präferierte. Das hätte den Konkurs der Immobilientöchter der Bankgesellschaft zur Folge gehabt. Ein sauberes Konkursverfahren, das die Banker seit Jahren zu Lasten des Landes verschleppten. Auch Dieter Vesper vom DIW forderte zumindest die Prüfung einer gezielten Insolvenz der Immobilientöchter. [8] Nicht einmal das ist geschehen. Denn das wäre gar nicht im Sinne der 70.000 Fondszeichner, die ihre Ansprüche hätten einklagen müssen. Mit ungewissem Ausgang. Auch hätte eine Abwicklung und Teilinsolvenz die Offenlegung der bisherigen kriminellen Geschäfte bewirkt – mit ungeahnten Folgen für die Berliner Politik. Experten für Bank- und Kapitalmarktrecht nehmen die Garantieübernahme für alle Fonds irritiert zur Kenntnis. Gegenüber der Süddeutschen Zeitung betonte Hans-Peter Schwintowsky, Professor für Bürgerliches Recht an der Humboldt Universität, dass für Fonds-Verträge das gleiche gälte, wie für jeden anderen privatrechtlichen Vertrag auch: Wenn eine beträchtliche Störung der Geschäftsgrundlage vorliegt, hat eine Anpassung der Verträge stattzufinden.“ Diese Frage „wurde bisher nicht diskutiert … Den beteiligten Anlegern wurde in einer ganz besonderen Art das unternehmerische Risiko abgenommen – und das ist wiederum, nach meiner Ansicht, im Rahmen eines privatrechtlichen Vertrages, eindeutig zu viel des Guten.“[9]
In der Verkürzung der Garantie für bestimmte Werte, die in den Fonds liegen, sieht Schwintowsky beispielsweise auch weiterhin eine Möglichkeit, die Anleger zu beteiligen, ohne die Fonds in Insolvenz gehen zu lassen. Aber auch gegenüber der Forderung von Grünen und FDP, eine Insolvenzschutzklausel aufzunehmen, zeigte sich die Koalition resistent. Damit sollte verhindert werden, dass Berlin haftet, falls die Bank aus anderen Geschäften als ihrem Immobiliengeschäft Verluste erleiden sollte. Gleichfalls am Widerstand von SPD und PDS ist der Versuch der Grünen gescheitert, den berüchtigten Immobilienbereich abzutrennen und in eine eigene Gesellschaft zu überführen. Die Risiken offen zulegen und auszulagern hält auch der Finanzwissenschaftlers Markus C. Kerber von der TU Berlin für notwendig. Dabei hätten die Risiken beispielsweise auch vom Markt abgearbeitet werden können: „Forderungen einzutreiben, ist ein hoch professionelles Geschäft, auf dass sich entsprechende Gesellschaften spezialisiert haben. Ein privates Unternehmen, das davon profitiert, geringere Verluste als zunächst angenommen zu realisieren, würde mit Sicherheit bessere Ergebnisse erzielen als eine landeseigene Gesellschaft.“[10]

SPD UND PDS: SOZIALHILFE KÜRZEN – FONDSZEICHNER SCHÜTZEN
Wie gering der Wille des rot-roten Senats zur Aufklärung ist, verdeutlichte Finanzsenator Sarrazin vor dem Abgeordnetenhaus: „Von dem bisherigen Schaden ist ein relativ geringer Teil durch dubiose Handlungen im engeren Sinne entstanden. Der Rest war Inkompetenz, Fahrlässigkeit und Größenwahn. Das ist nicht justitiabel.“[11]
Dabei genügt ein Blick in eine gängige Kommentierung des Aktiengesetzes, dass Unternehmensleiter auch bei leichtester Fahrlässigkeit in Haftung genommen werden können. Bei Kreditgeschäften droht eine Haftung, wenn der Entscheidungsträger eine über das allgemeine Risiko bei Kreditgeschäften hinausgehende Gefährdung der Bank erkannt hat, sie aber in der Hoffnung hinnimmt, es werde gut ausgehen. Das Verhalten von Bankern bei wackeligen Immobiliengeschäften kann nicht nur strafrechtliche, sondern auch haftungsrechtliche Folgen haben.[ 12]
Bei der Bankgesellschaft wurde schließlich alles praktiziert, was ein Lehrbuch für Wirtschaftskriminalität hergibt: Korruption, Täuschung der Kontrollorgane, Vetternwirtschaft, Bilanzfälschung, Konkursverschleppung, Wettbewerbsverstöße, Subventionsbetrug, Risikoverschleierung. Ob die Banker nach der Risikoübernahme zur Verantwortung gezogen werden ist mehr als fraglich. Schließlich wären die Aufsichtsräte, die von SPD und CDU gestellt wurden, genauso betroffen. Die Pensionen der Manager sind jedenfalls sicher. Dafür sorgten die Aufsichtsräte im Jahr 2001, indem sie die Entlastung veranlassten. Markus C. Kerber konstatiert: „Das Versagen der bisherigen und heutigen Senatoren wird nicht haftungsrechtlich konkretisiert. Management und Aufsichtsrat der Bank müssen keine weitere Rechenschaft darüber ablegen, wie es zu dieser gigantischen Kapitalvernichtung gekommen ist. Und beim BAKred wird nicht mehr gefragt werden, wo die Wirtschaftsprüfer bei der Bankgesellschaft in den letzten Jahren eigentlich hingeguckt haben. Nach der Senatsentscheidung kann der Senat in Gänze verkaufen, statt in einem schmerzhaften Prozess die verkäuflichen und unverkäuflichen Teile zu trennen. Das alles geschieht auf Kosten der Berliner Steuerzahler.“[ 13]
Ob der Blankoscheck für 30 Jahre überhaupt mit dem Haushaltsrecht sowie den strikten EU-Bestimmungen für öffentliche Subventionen vereinbar ist, bleibt fraglich. So sieht der Landesrechnungshof in einem vom Spiegel zitierten internen Dossier die zwingende Notwendigkeit oder Wirtschaftlichkeit der Risikoübernahme weder hinreichend untersucht, noch vollständig belegt. Die EU-Kommission zweifelt gleichfalls am Sanierungskonzept und veranlasste eine gründliche Prüfung. Als EU-Kommissarin wird Michaele Schreyer in Brüssel mitentscheiden, ein echter Treppenwitz der Geschichte. Nicht wundern wird sie, dass einige Tage später bereits ein „vertrauliches Sanierungskonzept“ der Bankgesellschaft kursierte, in dem schon in 2003 mit Gewinn gerechnet wird. Welch Zufall.

VON DER KRISE DER REPRÄSENTANZ ZUR SYSTEMKRISE
Was bleibt ist die bittere Erkenntnis, dass der rotrote Senat das Land für 30 Jahre an die Bank verpfändete. Bis auf attac-Berlin war kein außerparlamentarischer Widerspruch zu vernehmen. Der DGB positionierte sich nicht, während verdi, die jahrelang Aufsichtsräte stellte, offensiv für den Blankoscheck warb. In der SPD regte sich in der völlig marginalisierten Parteilinken um den Abgeordneten Lorenz immerhin vereinzelt vehementer Widerstand, der auch ein Mindestmass an kritischer Öffentlichkeit bewirkte. Die Furcht der Parteiführung vor offener Debatte war indes so groß, dass es der Landesvorsitzende Peter Strieder ablehnte, vor der Entscheidung eine Sitzung des Landesvorstands einzuberufen. Argument: Das ist Sache der Fraktion. Bis auf eine Abteilung (Ortsverein) in Kreuzberg, die konsequenterweise den Rücktritt Strieders forderte, blieb der Unmut in der Partei verhalten und zahnlos. Die Entpolitisierung selbst des mittleren Funktionärskörpers des New Labour Wahlvereins ist fortgeschrittener als landläufig angenommen. Da überrascht es nicht mehr, dass sich der Landesvorsitzende dreist weigern kann, seine 1996 für 80.000 Mark erworbenen Anteile am LBB-Fonds 8 zurückzugeben. Denn dann wären auch die bereits realisierten steuerlichen Verlustzuweisungen, die im ersten Jahr 88% betrugen, futsch. Immerhin lässt Heidemarie Wieczorek-Zeul seit Anfang März von einem Anwalt prüfen, wie sie aus dem berüchtigten Gardelegen-Fonds aussteigen kann. Peter Strieder kennt dagegen auf Nachfragen der Süddeutschen Zeitung nur eine Antwort: „Das geht gar nicht.“ Dabei gibt es etwa an der Hamburger Börse einen geregelten Zweitmarkt für solche Anteile. Und nachdem Strieder im Abgeordnetenhaus auch die Rendite seines eigenen Fonds sicherte, dürfte es nicht schwer sein, einen Käufer zu finden.
Als selbsternannte Partei des kleineren Übels stimmte die PDS stolz für das kleinere Übel. Der kritischere Teil reklamierte dabei auch die üblichen „Bauchschmerzen“, von denen die Grünen schon im Kosovo-Krieg geplagt wurden. Ein PDS-Abgeordneter beschrieb die Alternativlosigkeit so: „Das ist wie Kirch und Kosovo in einem.“ Anders formuliert heißt das: Um einen Oligarchen zu retten, muss man auch für Krieg stimmen können. Möglicherweise nach der Bundestagswahl erst so richtig. Aber mit Bauchschmerzen. Die Parallele zum Kosovo-Krieg ist so weit hergeholt nicht. Denn so wie Schröder und Fischer 1999 den gesellschaftlichen Widerstand auf ein Minimum reduzierten, ermöglicht erst der rot-rote Berliner Senat, die kriminellen Geschäfte von Landowsky und Konsorten in Gänze auf Kosten der Berliner Bevölkerung zu legalisieren. Das BAKred spielte als angeblich „neutrale Instanz“ mit seinen Ultimaten eine gewichtige Rolle. Der Präsident des BAKred hatte bereits 1997 und 1999 Sonderberichte anfertigen lassen. Zu Recht fragt Hans Peter Schwintowsky, warum die Bankenaufsicht erst 2001 einschritt: „Der erste Bericht war ein bisschen milder, aber wenn man ihn richtig liest … dann wurde bereits damals ein Risiko von 19 bis 20 Milliarden Mark sichtbar … Sehr eindeutig stand alles im zweiten Bericht von 1999. Gehandelt hat die Bankenaufsicht erst 2001. Mich hat das doch sehr überrascht.“ Der Bundesregierung unter Kohl wie unter Schröder waren die Vorkommnisse demnach bekannt und wurden stillschweigend toleriert. Insofern kann davon ausgegangen werden, dass die Zustimmung zum Blankoscheck die „conditio sine qua non“ (unerlässliche Bedingung) der PDS-Regierungsbeteiligung war.
Schließlich ist es gerade Aufgabe der PDS im rot-roten Senat mit den Gewerkschaften den neo-korporatistischen Kürzungspakt zu schmieden, nachdem sich die Führung der Berliner SPD in der zweiten Hälfte der 90er Jahre unter Finanz- senatorin Fugmann-Heesing erfolgreich mit den Berliner Arbeitnehmervertretern entzweit hatte. Bis auf den Abgeordneten Over, einem ehemaligen Hausbesetzer aus Friedrichshain, regte sich daher kein Widerstand. Die KPF ging auf Tauchstation, und das Marxistische Forum sah sich außerstande, eine Stellungnahme abzugeben. Verwunderlich ist das nicht: Es geht schließlich nur um die Zukunft einer ganzen Generation und nicht um die Vergangenheit und Befindlichkeit der alten Funktionselite. Der politische Langzeitschaden für das parlamentarische System ist hingegen noch gar nicht absehbar. Schon jetzt sind in der Hauptstadt die verfassungsmäßig vorgeschriebenen Aufgaben im Bildungsbereich in Frage gestellt. Die letzten Reste des Sozialstaats werden in den nächsten Jahren unter dem Spardiktat fallen. Ganze Stadtviertel drohen zu Slums zu verkommen. In Berlin schufen SPD und PDS ideale Voraussetzungen für ein weiteres Erstarken des Rechtspopulismus und einer fortschreitenden Entfremdung zum Parteien- und Repräsentationssystem. Denn wenn die Herrschaft über den Haushalt letztlich von den Banken ausgeübt wird und sich die Volksvertreter dreist erpressen lassen, macht sich das Parlament überflüssig. Dass ein solcher Vorgang das parlamentarische System in Frage stellt, ist offenkundig.

[1] Tagesspiegel, 30.3.2002
[2] Interview in „junge Welt“ vom 4.4.2002
[3] Wenn ein Fonds zwischen 5,5 und 6,5% ausschüttet, müssen auch Immobilien drin sein, die diese Rendite bringen. Das war aber durchweg und insgesamt nicht der Fall. So haben nach Recherchen unabhängiger Immobilienexperten von den 3.000.000 qm Nutzfläche der LBB-Fonds 1 bis 13 über 51% der Nutzfläche eine Rendite, die nicht zur versprochenen Ausschüttung passt.
[4] Es wurden in der Mehrzahl Objekte in die Fonds aufgenommen, die für sich gesehen und beurteilt nicht in einen Fonds gehören: alte sanierungsbedürftige, niedrig rentierliche und schlecht gelegene Objekte. Kein privater Unternehmer hätte diese Objekte in einen Fonds gepackt.
[5] Wegen der hohen Verschuldung müssen die Gesellschaften mehr als die Hälfte ihrer Einnahmen für Zinsen und Tilgung verwenden. Zwischen 1995 und 1997 hatte der Senat die Verschuldung, die aus überhöhten Baukosten im Westen, hohen Modernisierungskosten im Osten sowie niedrigen Mieten und einer seit Jahren steigenden Leerstandsquote resultiert, durch Fusionen weitergesteigert. Dabei kaufte eine landeseigene Gesellschaft die Anteile einer anderen landeseigenen Gesellschaft und spülte so über 1,5 Milliarden Euro in den Haushalt. Größter Gläubiger der Wohnungsbaugesellschaften ist die Bankgesellschaft Berlin, die allein 4,3 Milliarden Euro Kredit gewährte. Pikanterweise schlugen sowohl PDS wie CDU vor, alle Gesellschaften in einer Holding zusammenzufassen, um Kosten zu sparen und Synergieeffekte zu erzielen. Genau wie einst bei der Bankgesellschaft.
[6] Plenarprotokoll 15/6 vom 7.3.2002
[7] Vgl. Berliner Zeitung, S. 27 vom 6./7.4.2002
[8] Vgl. FAZ, Berliner Seiten (BS1) vom 9.4.2002
[9] Süddeutsche Zeitung, 10.4.2002
[10] taz Berlinlokal Nr. 6719 vom 8.4.2002, Seite 22
[11] Plenarprotokoll 15/5 vom21.2.2002
[12] Vgl. Neue Wirtschafts-Briefe (NWB) Nr. 12 vom 18.3.2002, S. 899 ff.
[13] taz Berlin lokal a.a.O.

Der Text erschien auch in Sozialismus 5/2002. Birger Scholz ist Mitglied des Koordinierungskreises von Attac Berlin.

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