DIE NEUEN KRIEGE

Ein Buch von Herfried Münkler

von Helmut Höge
aus telegraph #108

Herfried Münkler ist seit einigen Jahren Professor für Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität, davor war er Assistent des Frankfurter Marxforschers Iring Fetscher. Davon merkt man aber nichts mehr. Seitdem er den Gipfel deutscher Wissenschaftlichkeit erreicht hat, veröffentlicht er fast wöchentlich irgendwo einen Text. Seit dem Anschlag auf das World-Trade-Center kommt diesen eine gewisse Aktualität zu, insofern sie meistens Terrorismus, Partisanentum, Bürgerkriege und Staatenkriege thematisieren. Sein neuestes Buch greift all dies noch einmal auf und konzentriert es auf die These, dass „low intensity Konflikte“ – wie etwa die in Afghanistan, im Kongo und in Angola – nicht nur Rückfälle in Barbarei und in gleichsam vormoderne Kriegsführung bedeuten, sondern im Gegenteil auch bereits auf die zukünftig wieder mehr enthegten Kriege neuen Typs hinweisen.
Der deutsche Philosophieprofessor an der Humboldt-Universität analysiert aber die einzelnen „Konfliktherde“ nicht, auch zieht es ihn nicht nach Kabul oder Bosnien – also vor Ort, geschweige denn dass er sich Filmmaterial von dort ansieht oder Beteiligte interviewt. Er studiert vor allem die angesagte Literatur seiner Kollegen aus der Kriegs- bzw. Terrorismusforschung, bucht diesbezügliche Kongresse und verfolgt das Weltgeschehen ansonsten unaufgeregt über die Tagespresse. Das, was er anschließend daraus an eigenen Texten macht, könnte man neubürgerliche Politikwissenschaft nennen. Es ist der alte Versuch, gegenüber den an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten aufeinander stoßenden Konfliktparteien und ihren Interpretationen des Geschehens und der Gegner so etwas wie eine dritte Position zu gewinnen – mittels eines Apparates aus scheinbar neutralen Begrifflichkeiten – wie etwa: „Asymmetrisierung“, „postheroische Gesellschaften“ und die „Hervorbringung eines zu interessierenden Dritten“. Dabei hebt Münkler immer wieder gerne bei Clausewitz und Carl Schmitt an. Wie sie strebt er eine Politikberatung an, für die er mit seiner Kurztext-Streuung – bis in den „Merkur – der deutschen Zeitschrift für europäisches Denken“ hinein – wirbt. Seine Position ist dabei etwa die eines stets sachlich bleibenden Bellizisten. Der jetzt gegenüber den sich seit dem Zerfall der Sowjetunion privatisierenden Kriegern wieder mehr die Verteidigungsminister ins Spiel bringen möchte, Vorbild dafür sind ihm anscheinend die „Kabinettskriege“. Münklers Bücher sind mithin staatstragende Werke. Sein letztes endet mit dem tiefsinnigen Gedanken: „Bei symmetrischen Konfliktkonstellationen…sind die Chancen von Lernen und Lernverweigerung tendenziell gleichmäßig verteilt; asymmetrische Konstellationen hingegen bringen Ungleichheiten bei Lernvermögen und Lernblockaden mit sich.“
Kurz davor ist auch noch von „Kreativität“ die Rede. Es ist dennoch keine Pisa-Studie (über Krisengebiete), sondern einfach der neueste Output eines Professors – aus dem Politikzentrum Deutschlands, in der Mitte Berlins. Genau so einen Stuss finden wir im alljährlichen Buch des New Yorker Globalisierungskritikers Richard Sennett oder in den Poemen des Charlottenburger Transformationsforschers Karl Schlögel – auf den gekalkten Seiten der Samstags-FAZ. Ohne Sinn und Verstand wird hier von einer höheren Warte aus abgewogen, die postsowjetische Welt interpretiert. Der Verfall von Respekt, der osteuropäische Ameisenhandel, die blutigsten Hotspots. Was schert diese abgesicherten Akademiker die Gefahr, dass es immer schon zu viel Deutung gibt und nie genug Fakten – und dass die Akte durch Deutung am gefährlichsten für die Freiheit sind?! Sennett war sogar einmal ein Mitarbeiter und Liebhaber von Michel Foucault. Während Schlögel sich von links nach rechts fortfaselt: vom Maoisten bis zum Sänger der Marktwirtschaft. Münkler schreibt: „Im asymmetrischen Krieg sind die Medien selbst zu einem Mittel der Kriegsführung geworden“. An diesem Punkt wird dann bei den Medienforschern der Humboldt-Universität nebenan weiter gedacht, wo u.a. Paul Virilio mitgedacht wird („Terrorismus ist Guerillakrieg im Zeitalter der Medien“). Das ganze ist eine Art Pingpong-Spiel über Bande. Wobei sich dann aus Talkshows und Expertenrunden immer mal wieder ein „Highfligher in Science“ performatorisch herausmendelt. Aus mir spricht die Enttäuschung – darüber, dass nur wenig mehr dabei herauskommt. Münkler hat diesmal seinen Text sogar noch mit – völlig überflüssigen, geradezu bescheuerten – Photos angereichert. Er schreibt: „Warlords und Warlordfigurationen“ galten lange Zeit als typisch für stecken gebliebene Modernisierungsprozesse, bei denen der Staat (noch) nicht zum Monopolisten der legitimen physischen Gewalt avanciert ist“, aber jetzt haben „die Warlords ihrerseits einen Modernisierungsprozess durchlaufen“. In diesem Zusammenhang erwähnt er die Guerillera Kolumbiens, wobei der Gedanke, dass in diesem Land die „Warlords und Warlordfigurationen“ sich aus dem Regierungspersonal, den Killerkommandos der Grundbesitzer und den US-Beratern rekrutieren, bei ihm nicht einmal am Rande aufscheint. Das meinte ich mit „scheinbar neutraler“ Darstellung. Der deutsche Professor ist, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, ein Wendehals und seine Publikationen legen Zeugnis von seiner Anpassung an den jeweiligen Diskurs-Mainstream ab, auf etwas vornehmere Art als der Springerstiefelverlag, der seinen Mitarbeitern seit dem „11.9.“ eine Demutsadresse gegenüber dem Bündnis mit den Amis abverlangt. Wir gehen „in ausgesprochen unruhige und bewegte Zeiten hinein“, so lautet der allerletzte Satz in Münklers Buch „Die neuen Kriege“, d.h. die „Kriegsunternehmer“ sind wieder unterwegs, und die „Freiwilligen“ kämpfen „in vielen Fällen aus wirtschaftlichen Gründen“. Dies bezieht sich bei ihm konkret auf die serbischen „Tschetniks“, Münkler berichtet jedoch von keinem einzigen Fall – und so schreibt er sich von Krise zu Krise fort, holt mal hier bis zum 30jährigen Krieg aus und zählt dort mal eben alle Söldnerfirmen mit Sitz in London auf. Sind es wirklich nur sechs? wem gehören sie eigentlich? und haben einige vielleicht schon fusioniert? Der Leser erfährt nur: „In Schwarzafrika ist (darüber) die Meinung verbreitet…“ Dann geht es hastig weiter zu den „Netzwerken der Mudschaheddin“, die ihre Kämpfer ebenfalls sehr „hastig“ rekrutieren. Manchmal hat es den Anschein, als wüssten unsere Terrorismusforscher bald nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht – weil ihr Gegenstand, die Terroristen, auch nicht mehr alle Tassen im Schrank haben…

Wie jüngst wieder die „feinkritischen“ Terroristen Alexander Brener und Barbara Schurz in einem in St. Petersburg geschriebenen Flugblatt – an den tschetschenischen Anführer der Geiselaktion im Moskauer Musical „Nord-Ost“ Movsar Baraev feststellten. Ihr auf Deutsch im telegraph, # 107 erschienener Kurztext hat den Titel: „Hey, Movsar“.

Die Neuen Kriege von Herfried Münkler, erschienen im Rowohlt-Verlag 2002, 285 Seiten, 19,90 Euro.

Helmut Höge ist Journalist und Autor.
Er lebt in Berlin.

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