von Hugo Velarde
aus telegraph #108
Vor einem Jahr, in der Nacht zum 9. März 2002, stirbt der Prenzlauer Berger Dichter und „Torpedokäfer“-Barmann Lothar Feix. In den letzten Wochen des quälenden Sterbens sichten Freunde des Dichters seine Notizen, Entwürfe und abgeschlossenen Texte, die sich seit seinem 19. Lebensjahr angesammelt haben. Inzwischen arbeitet Feix an seinem letzten, umfangreichsten Manuskript, einem Tagebuch: „43 Tage Hunger und andere Schweinereien“. Er möchte den Text abschließen, bevor der Tod eintritt. Ein schwerer Kampf gegen die Zeit, den er schließlich gewinnt; ein letzter Sieg, bevor er völlig erschöpft noch sein „Musiktestament“ an Gerd Schönfeld schreibt: „Tja, Schöni, sieht wohl ganz so aus, daß Du demnächst auch auf meiner Beerdigung spielen kannst… Du wirst allen Leuten sagen können, daß es mir eine Ehre ist, daß Du zu meiner Verscharrung spielst…“ Und zum Schluß scherzhaft: „Du könntest ja im Gegner eine Liste Deiner prominentesten ‚Opfer’ veröffentlichen, wozu dann freilich ich als Ex-Autor dieser Postille auch zu zählen wäre.“
In Erinnerung bleiben seine früheren Gedanken gegen Staatssozialismus, Staatskapitalismus, gegen die große Welt von Ausbeutung und Unterdrückung, in der die letzten humanen Regungen erlahmt sind. Kurze Texte, die in eigenen und fremden Schubladen, innerhalb und außerhalb seiner Wohnung verstreut sind.
Noch quicklebendig, hat sich Feix nicht wirklich um Schriftstellerruhm gekümmert. Er ist kein üblicher „Autor mit Verlag und Vertrag“, sondern der Scharfblickende vor oder hinterm Tresen, der das Leben im Duncker/Schliemann-Kiez mit Bemerkungen zu den historischen Revolutionen illustriert; den Blick auf das Leben mit Mühsam-Zitaten wirft, die Nächte bei Rock- und Punkmusik wie ohrenbetäubende Geistesbeschwörungen vergehen läßt. So verläuft das Leben in Kellnerstunden.
Feix ist Bürger verschiedener Welten, der mehrere Erzählweisen und Autoren in sich selbst spürt. Aber eine Singularität scheint es nur in seinem Kiez zu geben. Hier schreibt er und macht aus seiner Verachtung gegenüber den entfremdeten Weiten kein Hehl. Feix’ pulsierendes, ambivalentes, schreibendes Leben. Er ist vor den Kliniktagen, wie er irgendwann im „Torpedokäfer“ verriet, noch ein „Meister, ein Seemann im Verkennen seines Selbst“. Ein Rauschmensch. Da ließ er eines Tages den Portugiesen Fernando Pessoa, den Dichter der eisernen Chronik der Traurigkeit, kritisch Revue passieren, ohne zu ahnen, daß er selbst zum Schluß auf dieses Genre zurückgreifen wird, nachdem sein Leben selbst verbleicht, nur noch aus Sterbensschwere besteht, die eine erbarmungslos letzte Eindeutigkeit nach sich zieht. Feix schreibt auf seine Art ein „Wirres Buch“ aus der Klinik. Pessoas Schreibqual dauert 20 Jahre, Feix’ 43 zerbrechliche Tage.
Jetzt zwingt ihn die „Disziplinierung der Klinik“ zum „Klartext“. Nun geht es darum, etwas „vernünftiger“ zu schreiben. Der Sterbende reflektiert übers Schreiben, bevor er das niederschreibt, zieht den Philosophen Kant zu Rate, um Orientierung zu finden in dem, was peinigt und bedrückt. Er versucht, die sonst allzu saloppen Formulierungen zu meiden. Die losen Zettel aus der Kneipe wirken gegenüber dem bleischweren Tagebuch nunmehr wie heißersehnte, nie mehr erreichbare „Leberwurstbrötchen nach der Torpedokäferschicht“.
Hugo Velarde ist Journalist, Autor und Interpret, er lebt in Berlin.
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