Übergriffe auf die Hamburger Hafenstrasse

aus telegraph 11/1990
von Wolfgang Rüddenklau

Leider haben wir bis dato keine direkten Verbindungen zu den Beset-
zerInnen der Hamburger Hafenstrasse, sodass wir mit einer Vorort-
Recherche der dortigen Polizeiübergriffe nicht dienen können.
Einer unserer Redakteure, der im Januar in Hamburg war, bekam eine
herbe Abfuhr: Mit Leuten aus der früheren DDR-Opposition, die den
dortigen Sozialismus gestürzt hätten, wollten die
Hafenstrassen-Leute nichts zu tun haben. Das ist zwar schade,
vielleicht aber auch symptomatisch für einen Teil der sogenannten
autonomen Szene, die Inhalte durch Schubladen ersetzt. Um trotzdem
auf die Vorgänge einzugehen, fassen wir kurz ein Flugblatt der
Hafenstrasse zusammen:

Angeblich auf der Suche nach Terroristen erklärten
Bundesanwaltschaft und Hamburger Senat am 15. Mai die Häuser der
Hafenstrasse zum Sperrgebiet. Mit 3.000 Polizisten wurde das Gebiet
hermetisch abgeriegelt, BesucherInnenen von Kneipen wurden
abgeführt. Innerhalb des Sperrgürtels durften nur BewohnerInnen
bleiben. Auch die Presse war ausgesperrt. TeilnehmerInnen einer
Solidaritätsdemonstration wurden auseinandergeprügelt. Die
wahllos Festgenommenen mussten alle bis zum Abend wieder freigelassen
werden.

Innerhalb des Sperrgürtels wurden alle Häuser und Wohnungen
durchsucht. Neben offener Brutalität gingen die Staatsschützer
mit akribischer Sorgfalt vor. Ihr besonderes Interesse galt privater
Post, Fotos, Adressbüchern und Fingerabdrücken. Auf
Millimeterpapier wurden Grundrißkizzen von Wohnungen und deren
Einrichtungsgegenständen gefertigt. Personalien wurden
festgestellt.

Die BewohnerInnen der Hafenstrasse meinen, dass das RAF-
Konstrukt offenbar eine neue Argumentationsschiene zur Räumung
eröffnen soll, nachdem der Hamburger Senat mit dem Sicherheits- und
Ordnungsgesetz und dem mietrechtlichen Kündigungsprozess politisch
in die Sackgasse geraten ist.

Eine Protestdemonstration am Samstag, den 19. Mai, wurde verbo-
ten, mit einer Begründung, die an Zynismus ihresgleichen sucht.
Leseprobe: „Die Teilnehmer der Demonstration werden damit zum
Widerstand gegen die Zuordnung von Hafenstrassenbewohnern zu einer
terroristischen Vereinigung aufgerufen. Insofern ist davon auszuge-
hen, dass sich in dem Aufzug die Personen befinden, die auch bisher
gegen º129a StGB protestiert haben: sie werden dabei auch das gleiche
gewalttätige Verhalten zeigen, das bereits am 16.1.1989 zu einem
gerichtlich bestätigten Verbot eines Aufzuges zu diesem Thema
führte.“

Mehrere Demonstrationen, die trotzdem stattfanden, wurden zum
Teil mit massivem Polizeiaufgebot auseinandergejagt.
Im Flugblatt heisst es zum Schluss: „Uns ist immer noch nicht
klar, was ihre Angriffslinie genau ist. Dass wir alle plötzlich zur
RAF gehören sollen, ist so lächerlich wie auch gefährlich.
Wasserwerfer, Panzer und MP-bewaffnete Beamte hinterlassen ein noch
viel flaueres Gefühl als sonst. Nur eins ist klar: sie wollen
räumen und noch viel mehr.“ r.l.