EULENHOFFRÜHSTÜCKSREVOLUTION

von Peter Wawerzinek
aus telegraph #110

Was der Frühstücksrevolution vorausging
Mich hat es endgültig aus Berlin gedrängt. Mir geben die Straßen, Kneipen, Freundeswohnungen keinerlei Halt mehr. Ich bin ins Dorf gehuscht, bin ein Dorfgehuschter. Mein neuer Hort heißt Wewelsfleth.

Es wewelt so schön und fleth bei Nacht.
Ich habe an Heinrich Heine gedacht.

An Deutschland sowieso… und werde nicht recht glücklich, nicht wirklich froh.
Wewelsfleth liegt im traurigen Norden. Meine neue Heimat liegt in einem Flachgebiet. Man müsste kriechen, müsste auf dem Bauchnabel schleifen, um nicht gesehen zu werden. Ich lebe an einem Ort, wo nicht viel mehr los ist als Kiebitze in Scharen. Wo mal der Grassgünti, königlich die Hände auf dem Rücken verschränkt, spazieren gegangen ist, mit einem erhabenen Gesichtsausdruck, denke ich mal, als würde er anhand der Gegend, der Menschen, der Lüfte, von bösen Gülledüften umweht, literarisch inspiriert sein. Wewelsfleth aber kann nicht inspirieren. Wewelsfleth isoliert. Wewelsfleth lockt den Starkstromliebhaber, lockt Leute, die sich in Gefahr zu begeben wissen, den ländlichen Stromschlag als Ritterhieb denken können. Wewelsfleth ist überall und geschieht nur in Wewelsfleth. Ich suche mir freiwillig einen Ort überzuziehen, in dem ich so fremd bleibe wie einer fremd bleibt, der nicht in Wewelsfleth geboren ist. Da geht es mir wie es all den inzwischen auch nicht heimisch gewordenen, ewiglich Fremden in Deutschland geht.
Man schreibt Geschichten oder Geschichte, sage ich mir, wenn ich über die Deiche balanciere und Schafsvolk betrachte, von dem es heißt, das es ihm durchweg am Schließmuskel mangelt, dass aus ihnen die Kugeln ungebremst hinten raus schießen, wenn oben hinein gestopft wird.
Ich habe Berlin abgelegt, verraten.
Ich lasse den Berlinern ihre Russendisko. Mein Zappeln heißt Schäferhand, Bauernverstand. Ich arbeite im Eulenhof. Mein Chef hat einen Namen. Seine Töchter sind fesche, ländliche Damen. Will sagen, durch ihre Unterschiedlichkeit werde ich angeregt, das Leben auf unserem Planeten neu zu betrachten. Der Sohn meines Chefs wird am Ende der Revolution die Hymne texten und komponieren. Mehr kann uns allen nicht an Freude, Frohsinn und Pathos passieren. Ganz der kirchlich-schiefen Tradition verhaftet, erhebe ich den Eulenhof zur Familie, behauptete, der Krieg beginne innerhalb der familiären Bande.
Noch ein Frühstücksei und wir sind frei!

Wie unsere Frühstücksrevolution zu den Kindern steht
Immer wieder geraten erwachsene Menschen an Kinder, an Jugendliche, die ihnen Vorwürfe machen müssen. Warum wir Kriege nicht abgeschafft haben, warum wir einem Bundeskanzler vertrauen, wieso wir nicht hingehen, den Leuten von BILD, dem Politkclown Bush eine runterhauen? Weshalb wir nicht auf Riesenbäumen im Riesenbaum-Dschungel leben? Warum wir alle nicht angekettet in der Antarktis an rapid schmelzenden Eisblöcken kleben? Ob wir uns nicht zum Kotzen finden, wir mit unseren Idolen, mit unserem Ché, unserem Gandhi, unserer Janis Joplin.
Gut, sage ich mir. Kinder ihr habt Recht.
Euer Geistesvater, ich P. W., wird umgehend zündeln, seine Generation auf Trab bringen, das hohe Lied der Umwälzungen lauthals singen, Ché entlassen, die Joplin hassen, Gandhi an die Kehle fassen.

Was danach an einem Morgen im Frühstückssaal folgte
Wir wollen die Revolution, wollen sie erst einmal/ erstmalig beim Frühstück überdenken, singen Gerd Gedig und ich im Kreise der Patienten, die schön übersichtlich an vier Frühstückstischen sitzen, die ihre Tassen füllen, die Sud schlürfen. Genossen, die Zeitungen durchsuchen, nach dem, was in den Zeitungen unter dem heutigen Datum einfach nicht drin steht, nicht drin stehen kann, weil wir es eben erst frühstücksfrisch formulieren.
Den Kindern der Kindeskinder rund um die Uhr, Sommerherbstfrühjahrundwinter.

Punkt eins
Die Männer, rufe ich aus (und alle Männer schauen auf), die Männer müssen wir dermaßen verblöden, dass weibliche Reize sie nicht mehr erreichen. Jaja, sage ich, wir alle, alle, die wir Männer sind. Wir müssen schleunigst abstumpfen, dem Weiblichen absagen, radikal.
Walter, der Brinkmann-Kenner, die Wolf Dieter-Zitaten-Kanone, öffnet vorsorglich und verunsichert die Magnus-Wasserpulle. Sir Wolf-Walter-Brinkmann setzt die Flasche an und verschluckt sich. Hustet kurz, sagt:
Dierevolution in einem Wort, sagt Dierevolution, die wahre, die wirkliche Revolution bleibt Musik. Der Hendrix, die Beatles, unsere rollenden Stones. Die Doors, der Dylan, die phantastischen Vier.

Das sind wir.
Das bringt uns heiter immer weiter.
Muse, Mutter, Mystik, Musik, Mut.
Herzen müssen schmerzen. Hirne müssen Tropfen.

Punkt zwei
Nein, antworte ich noch im sanften Ton. Ich meine eine andere, die durchgreifende, die notwendige, unumkehrbare Große Revolution. Hier von uns ausgehend. Das weltweite Signal. Kannste mir nicht mal die Butter rüberreichen, ruft eine der Frühstücksleichen. Und bekommt die Butter prompt gereicht. Ich stehe schon auf meinem Stuhl. Ich schreie ein wenig, ich kann kaum an mich halten: Die Jungen, schreie ich, und auch die Alten. Alle verblödeten Männer werden in stahlblaue Kittel gesteckt, dass nie ein Mann mehr beim anderen Bürger aneckt, sich kein Revolutionär hinterm T-Shirt eines anderen Kämpfers mit seltsamer Aufschrift versteckt. Da ausgerechnet hat einer entdeckt, dass es kein Pflaumenmus gibt.
Ich störe mich nicht dran. Mir kommt es auf Pflaumenmus nicht an. Ich bin der revolutionäre Pflaumenmusignorante Mann der ersten Stunde. Die anderen führen ihre Brötchen zu Munde. Ich störe mich nicht, lustig wird drauf weiteres Zeugs ausgeheckt. Wann hier wer mit den Eiern dran ist, was mit dem Gefrierfleisch passiert, fragt Jerry der Koch dann doch. Eh Klasse. Endlich was für die Masse, Eier, Feier, neue Leier, antwortet die Crew vom Rauchertisch.

Drittens
säuselt Gerd mir ins Ohr. Wir setzen unfehlbare Drogen ein. Ohne Drogen funktioniert die Verblödung der Männer nicht. Nimms nicht krumm, schau dich um. Dumm wird nicht von allein dumm, doof nie doof genug, dass man mit der Doofheit was anfangen kann. Ich schaffe die richtige Droge ran. Ab dann mit der Droge ins Wasserversorgungssystem. Wirst schon sehn. Geht bequem. Ganz ohne Nebenwirkung, ganz ohne Stress. Mit jedem Schluck weg vom Druck der Waren, der Artikel, der Südseereisen.

Ayahuasca, Ayahuasca, ruft es aus dem Frühstücksaal.

Amsel, Drossel, Fink und Sting* der Star. Ayahuasca, Ayahuasca.
Die Revolution wird brasilianisch und wunderbar. Wo uns die Zukunftssegel einsam blinken, müssen von uns selbst erschaffen.
Wir brauchen kein Ayahuasca, Ayahuasca. Weg mit Sting, diesen kapitalistischen Affen. Was Revolutionsdrogen anbelangt, hat Sting abgedankt. Da können wir uns nicht auf Rockstars, da kann man sich nicht einmal auf anerkannte Firmen verlassen. Schon gar nicht Firmen, die Revolutionäre hassen.

Sting mit seiner Ayahuasca , Ayahuasca-Manie schafft es nie.

Für die Frauen, die nötigen Kinder, schreit einer emphatisch, die besorgen wir uns aus Kinderlos-Gross-China, wo sie zurzeit eh nur eins pro Familie haben dürfen. Lasst uns in China den Nachwuchs schürfen. Denn es braucht Kinder für jede Revolution. Und erst danach, wenns darum – Vorwärts und nicht vergessen – geht, die Kinder der Revolution aufzufressen.
Wir kennen kein trennen, umbenennen, aberkennen, albern und wennen.
Es gibt keine „Beschränkung“ mehr. Bringt uns chinesische Kinder her.
Die Rechnung ist folgende, erklärt Jerry, der gute Vordenker. Wir brauchen, um unsere Revolution zukunftsweisend zu ermöglichen, im Schnitt 2 Komma 6 Kinder pro Frau. Richtig. Genau, widerhallt es im Frühstücksolymp. Richtig, genau. Das ist schlau. Drei Kinder auf eine Frau. Drei sind völlig normal. Saufen ist nicht. Niemand ist dun. Unsere Frauen haben mit den Kindern zu tun. Schon wird, ohne lange zu fackeln,

Punkt 4 angegangen.
Was, fragt ein Frühstücksrevolutionär mit vollem Mund, wollen wir mit den Straffälligen anfangen. Die sage ich, erhebe mich, ersteige den Tisch, gibt es bei uns nicht. Die lassen wir alle frei, raus aus der Falle, rein ins Leben, Geld auf die Kralle, weil die schon geheilt genug sind, befreit von Frau, befreit von Kegel und Kind.

Punkt 5
Ist der Mann erst mal ein Idiot, braucht er nichts weiter. Also sind wir für ein absolutes Postverbot. Landesweit geächtete Briefkästen. Wir werden frei von Amtsschreiben, Rechnungen, Werbekram. Wir brauchen kein Geld, keine Banken.
Keine Versicherungsanstalten. Wir wollen uns schmetterlingsfroh entfalten.
Immer Null Pfennig! Nix in der Tasche, ruft Walter mit der Magnus-Flasche. Niemals mehr überlegen, woher man die Kohle zu was herkriegen soll. Wir haben vom Geld die Schnauze gestrichen voll. Frühstück und Revolution, das ist toll. Wir haben vom Geldfluss genug. Geld basiert auf Betrug.
Wovon will der Beckmann seine neue Brille bezahlen, fragt einer, der nicht begriffen hat, und erntet zügellose Lachprügel. Den merken wir uns nicht. Den braucht sich keiner merken. Wir haben keine Geheimpolizei. Geheime Leute sollen uns nicht bestärken.

Punkt sechs
umfasst, was wir heimlich lieben.
Die Medien, das Fernsehen. Ungenießbar, hoch aggressiv. Unglaublich, was wir alles schlucken. TV, schreit einer, interessiert uns nicht. Nicht einmal in der Mattscheibe einer von uns, nicht mal mein eigenes Revolutionärengesicht. Es interessiert nicht. Schmeißt die Kaffeetasse in die Mattscheibenmasse, die zerspringt und implodiert.

Der Stein des Anstosses, die Tasse der Revolution – Es gibt sie schon.

Es ist passiert. Wir sind nicht zu stoppen, nicht zu toppen. Diese Revolution kann gar nicht floppen. Wo gibt es das schon, sich selber verblöden. Nicht einen, nicht alle, jeden. Wir gehen von der Rolle. Wir schreiten in Gruppe. Talkshows sind uns schnuppe. Fernsehtürme werden wir knicken, alle Moderatoren ficken. Wir fegen sämtliche Programme vom bösen Schnee frei. Es geschehe. Es sei. Alle Tage fernsehfrei. Nicht lange nachgedacht, rangemacht.

Punkt 7
Alles was stört, sich nicht gehört, unser Leben unnutz beschwert, alles was hintenrum hinkt und zum Himmel stinkt, wird von uns getreten bis es versinkt.

Wo ist mein Fleisch? Wieso krieg ich wieder so ein kleines Stück? Bewaffnet mit Messer und Gabel stakst einer in ein Fleischteil, das er schon lange im Auge hat. Wovon werden wir später satt? Wovon unsere Kinder?

Ich: Kinder ham wa nich, Mensch wann kapierste det endlich.
Gerd: Kinder tun wir die Frauen anvertrauen.
Die andern alle zusammen im Chor:
Konsum, Konsum wusstet ihr schon,
Konsum, Konsum ist die schönste Revolution.

Es schreit aus Stellas Hals
Hier fehlt das Salz.
Salz verführt zum Saufen.
Wir werden dir kein Salz mehr kaufen.

Revolutionärer Zwischenbericht an einer offensichtlichen Stelle
Ich: Ich sehe nicht durch, sage ich, steig runter vom Tisch.
Die Männer hier sind allesamt noch nicht ansatzweise verblödet genug.
Die haben alle noch Hochgenüsse in ihren Birnen.
Die kriegen wir allein niemals klein.
Die werden so schlau wie sie hier alle tun, schlaumeierische Bremsklötze sein.
Gerd: Bleib ganz ruhig, ich bin Gerd die Stimme.
Ich berate dich gern.
Du musst nur zuhörn.
Anfangs stört jedermann.
Später kommt es auf alle diejenigen an, die man nie zu was gebrauchen kann.

Punkt 8
Wir schaffen den Wandel ohne internationalen Handel. Wir essen Algen, essen Torf, essen Kartoffelbrei mit Sauerklee von der Spree und Spreewälder Gurken. Wir trinken Apfel- Birnen- Pflaumensaft. Der Rest wird weggeschüttet, wird abgeschafft. Wer Sekt braucht, Putenschenkel gierig frisst, auch sonst so nichts weiter als ein elendiger kleiner Muschelfresser ist, gehört zu den Schurken, wird ausgeliefert
An den übelsten Schurkenstaat.
Um keinen von denen ist es wirklich schad.
Wir werfen nicht mit Tomaten, wir mixen draus Tomatensalat.

Bei Punkt 9 angelangt
beginnt das Erschlaffen der Frühstücksaffen, die von der Revolution nichts mehr raffen. Die nur noch ihre Bäuche halten, in denen Därme walten, Enzyme schalten. Ein Volk von Schreihälsen mit gestopften Mägen, beginnt zu verstummen. Beginnt die Köpfe aufs Wachstischtuch zu legen. Einen höre ich schnarchen, den nächsten am Aste sägen. Nur Walter, die Augen reinste Glut, schürt innerlich eiserne, revolutionäre Wut, gemäß dem Motto von Otto:
Gut tut was nicht gut tut, und auch nicht so tut als täte es gut.

Wir müssen uns bei Punkt 10 erheben
müssen die Runde verlassen. Wir müssen sie lieben, dürfen niemanden hassen, müssen uns auf die Kraft der Frühstücksmasse verlassen. Ja, es ist ein langer Weg bis vom Eulenhof aus, die Benzinspur sich verläuft nach Berlin, dort den Reichstag erreicht und zündelt im Kamin. Wir haken uns unter. Der Gerd und ich. Wir singen munter.

Wir sind am Anfang.
Das Ende naht.
Wir wollen nicht viel.
Nur einen anderen Staat.

Schlusskommentar
Unsere kleine Frühstücksrevolution hat nicht das erbracht, was von einer spontanen Aktion hinlänglich zu erwarten ist. War es zu früh? Waren nicht die richtigen Leute vor Ort? Haben wir alles falsch geredet, mit dem ersten Wort? Haben wir die Leute statt auf die Hinterköpfe, doch eher in die Magenkuhlen geschlagen?
Wir machen uns nichts vor, wir bleiben nicht weiter dran.

Wir schauen getrost auf die deutsche, die weltliche Geschichte zurück und sagen: Nach dem Frühstück kommt die Mittagspause
Kommt die Vesper
Kommt das Abendrot zum Abendbrot
Kommt der nächste Hunger gewiss
Wir werden Löffel sein
Suppenkelle
Immer zu Diensten
Immer Helle.
Wir treten ins Grelle
nicht auf der Stelle.

Peter Wawerzinek ist Schriftsteller, er lebt in Berlin und zeitweise in Wewelsfleth, wo er Archivar einer Resozialisierungseinrichtung namens Eulenhof ist.

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