EDITORIAL telegraph #111

In den Wochen der Berliner Montagsdemos wurden 8-seitige Hefte als Sonderausgaben des telegraph verteilt (www.ostbuero.de). Somit schien der telegraph wieder dort angekommen, wo er 1989 begann – als Informationsblatt für die Menschen, die unzufrieden sind mit den gesellschaftlichen Verhältnissen und deshalb auf die Straße gehen.

Die seit 1987 herausgegebene DDR-Oppositionszeitschrift Umweltblätter benannte sich vor 15 Jahren in telegraph um. Darum an dieser Stelle kurz etwas zur Geschichte: Herausgegeben wurden die Umweltblätter von der Ostberliner Umweltbibliothek. Diese war Teil der basisdemokratischen Friedens-, Umwelt- und 3. Welt-Bewegung der DDR. In der Umweltbibliothek versuchten mehrere junge Leute um den Libertären Wolfgang Rüddenklau mit den Umweltblättern dem staatlichen Informationsmonopol eine eigene, kritische Berichterstattung entgegen zu setzen. In der DDR tabuisierte Themen wurden angesprochen, unterdrückte Informationen und Nachrichten weiterverbreitet und den verschiedenen Oppositionsgruppen in der DDR eine Diskussionsplattform geboten.

Durch ein beschleunigtes Informationsaufkommen mit Beginn der „Wende“, im September 1989, stellte sich der zweimonatige Erscheinungsrhythmus der Umweltblätter als zu schwerfällig dar. Ein schnelleres Medium musste her. Die Redakteure der Umweltblätter riefen befreundete Kollegen der Samisdatblätter Friedrichsfelder Feuermelder, Grenzfall, und Antifa-Infoblatt Ostberlin zur Mitarbeit auf. Das war die Geburtsstunde des telegraph. Die Nummer 1 erschien am 10. Oktober 1989, die Jahrgangsnummerierung der Umweltblätter wurde darin fortgeführt. Bis zum Ende des Umbruchs in der DDR war der telegraph einer der wenigen unabhängigen Berichterstatter in dieser Zeit.

Von 1989 bis 1996 erschien der telegraph regelmäßig und dokumentierte kritisch den Übergang von einem System zum anderen. Im Mai 1997 gab es eine finanzielle Krise. Der telegraph kam mit einer Notausgabe heraus, in der die Leser ultimativ zur Solidarität mit der Zeitschrift aufgefordert wurden. Daraufhin stießen zu Beginn des Jahres 1998 mehrere neue Mitglieder zum Redaktionskollektiv hinzu und dieses entwickelte ein neues Zeitungskonzept. Der telegraph erschien ab jetzt als „ostdeutsche Zeitschrift“. Unter dem Namen telegraph wurden bisher 111 reguläre Ausgaben, mehrere Flugblätter, Notausgaben und zuletzt 3 Sonderausgaben zu den Montagsdemonstrationen veröffentlicht.

Anlässlich des telegraph-Jubiläums fand am 7. Oktober diesen Jahres eine Veranstaltung im Haus der Demokratie und Menschenrechte in Berlin statt. Dort wurde über Sinn, Fehler und Chancen unabhängiger linker Medienprojekte diskutiert und das Jubiläum natürlich ausgiebig gefeiert. Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion haben für dieses Heft ihre Thesen zu Artikeln verarbeitet. Somit trägt der erste Teil des Heftes einen Readercharakter.

Wir möchten uns für die finanzielle Unterstützung der Veranstaltung und der Herstellung dieser Ausgabe bei der Stiftung Haus der Demokratie bedanken.

Danken möchten wir auch: unseren Lesern, insbesondere den Abonnenten, weil auch sie diese Zeitschrift nicht aufgegeben haben; unseren Autoren, die ohne Honorare arbeiten, wie wir selbst – aus nachvollziehbaren Gründen schon lange keine Selbstverständlichkeit mehr; denjenigen, die durch finanzielle Unterstützung von Außen die Sonderausgaben des telegraph mit ermöglicht haben.

Die Fotos in dieser Ausgabe sind von Miriam Reer, das Umschlagfoto von Moritz Jost.

Eure Redaktion telegraph

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