MEDIEN UND DEMOKRATIE

von Eckart Spoo
aus telegraph #111

Die Demokratie in Deutschland – und in anderen Ländern desgleichen – ist den Eigentumsverhältnissen in den Medien unterworfen. Aber wer merkt es?

Der größte Pressekonzern in Deutschland ist der Axel-Springer-Verlag. Ihm gehören Bild und Welt, BZ, Berliner Morgenpost, Hamburger Abendblatt, Wochenzeitungen, Zeitschriften, Beteiligungen an Hörfunk und Fernsehen. Die bei Springer beschäftigten Journalisten sind allesamt auf das marktwirtschaftliche System verpflichtet, den Kapitalismus. Es ist ihre Aufgabe, den vielen Millionen Menschen, die sie erreichen, immerzu die Botschaft einzuträufeln, der Kapitalismus sei gut für sie, besser als alles sonst Erdenkliche.

Zum Springer-Konzern gehören auch die Lübecker Nachrichten, die Monopolzeitung in Lübeck und Umgebung. Wie alle Springer-Zeitungen preist dieses Blatt tagtäglich die Konkurrenz, den freien Markt, auf dem sich alles zum Besten fügt. Wer bemerkt diesen grotesken Widerspruch, diese Verlogenheit: daß ein Monopolblatt den freien Markt preist? In den meisten Regionen Deutschlands erscheint nur noch je eine Zeitung. Im Bundesland Rheinland-Pfalz beispielsweise gibt es vier Tageszeitungen, je eine in den vier Bezirken Mainz, Koblenz, Ludwigshafen und Trier; die Verbreitungsgebiete sind genau gegeneinander abgegrenzt.

In Ostdeutschland erschienen bis 1989 neben den SED-Bezirkszeitungen noch Zeitungen der anderen Parteien und großen Organisationen, sie unterschieden sich in Einzelheiten, aber alle priesen den Sozialismus und die damaligen Machtverhältnisse. Die SED-Bezirkszeitungen wurden dann sämtlich von westdeutschen Pressekonzernen übernommen; die anderen Blätter wurden eingestellt. Die in Monopolzeitungen umgewandelten früheren SED-Blätter preisen jetzt alle den Kapitalismus und die heutigen Machtverhältnisse.

Obwohl die regionale Monopolisierung der Presse auch in Westdeutschland weitgehend – bis auf wenige Regionen wie Berlin, München, Frankfurt – abgeschlossen ist, geht die Pressekonzentration weiter. Die großen Konzerne erbeuten nach und nach die regionalen Monopolblätter, wie es Springer in Lübeck getan hat. Der Holtzbrinck-Konzern zum Beispiel (der mit Buchklubs anfing, dann viele Buchverlage erwarb, darunter so große wie Rowohlt und S.Fischer, und solche Blätter wie Wirtschaftswoche, Handelsblatt und Die Zeit) hat sich den Südkurier, die Lausitzer Rundschau und die Saarbrücker Zeitung (die einzige Zeitung im Saarland) zugelegt und versucht in Berlin, sowohl über den Tagesspiegel als auch über die Berliner Zeitung zu gebieten. Jedes Holtzbrinck-Blatt stimmt mit jedem Springer-Blatt im Lobpreis des Kapitalismus überein, der angeblich die Grundlage aller Freiheit ist, und die Blätter des Bertelsmann-Konzerns (Gruner & Jahr), des Essener WAZ-Konzerns und der anderen großen Verlage singen unisono dasselbe Lied.

Wo einmal ein Monopol besteht, da kann Konkurrenz nicht wiedererstehen. Kleine Versuche hat es gelegentlich hier und da gegeben. Alle scheiterten. Selbst der reiche Heinrich-Bauer-Verlag schaffte es nicht, in dem kleinen Verbreitungsgebiet der Husumer Nachrichten ein Konkurrenzblatt zu etablieren. Aber nach der „Wende“ bedachte ihn die sog. Treuhandanstalt mit der Volksstimme, der früheren SED-Bezirkszeitung in Magdeburg und Umgebung. So konnte dieser mächtige Zeitschriftenkonzern endlich auch ins Zeitungsgeschäft hineinwachsen.

Alle Monopolzeitungen agitieren für das Privateigentum an der Presse, für die Privatwirtschaft überhaupt und für die Privatisierung alles dessen, was noch gemeinwirtschaftlich ist: Nahverkehr, Wasserversorgung, Kliniken, zu-letzt wahrscheinlich auch noch Schulen und Gefängnisse, jedenfalls soweit sich daraus Geld schlagen läßt.

Sie agitieren gegen das Tarifvertragsrecht, gegen das Streikrecht, gegen das Koalitionsrecht. Sie agitieren für die Lockerung, möglichst Abschaffung des Kündigungsschutzes, für die Verlängerung der Arbeitszeit bis hin zur Aufhebung aller Arbeitszeitregelungen, für die Senkung der Lohnkosten, also der Löhne und aller Sozialabgaben, zu denen die Unternehmer je verpflichtet worden sind, und mit der Hingabe eines Kirchenchores verbreiten sie die frohe Botschaft, der Sozialabbau werde den wirtschaftlichen Aufschwung bringen, der dann auch Arbeitsplätze schaffen werde. Das alles ist so inhuman wie irrsinnig – aber gerade deswegen ist dieser gewaltige propagandistische Aufwand erforderlich: damit das Volk nicht auf andere, realistischere Gedanken kommt.

Die Medien haben in Deutschland viel Freiheit. Sie dürfen über alle möglichen Absonderlichkeiten berichten, auch über frei erfundene, und manchmal zeigen sie sich zu starkem Engagement imstande, so Springers BZ zeitweilig für den armen „Euro-Fritz“, den die Berührung mit Geldscheinen angeblich impotent gemacht hatte; die Zeitung führte ihm Frauen zu, die ihn sexuell stimulieren sollten. Jeden Quatsch können wir aus den Medien erfahren, die Wahrheit dagegen sehr viel mühsamer, auch aus sog. seriösen Blättern.

Eine freie Presse ist laut Bundesverfassungsgericht „schlechthin konstituierend“ für die Demokratie. Wie frei die Presse ist (frei wovon? frei wozu?) und welchen Gebrauch sie von ihrer Freiheit macht, müßte permanent untersucht werden: von Medienwissenschaftlern, von Bürgerrechtsorganisationen, von Gewerkschaften.

Die Medienwissenschaft dient weitgehend den Medienkonzernen und der werbungtreibenden Wirtschaft, die möglichst genau wissen wollen, mit welchen Methoden sie noch intensiver auf die Öffentlichkeit und aufs Unterbewußtsein der Konsumenten einwirken können, um ihre Interessen durchzusetzen. Solche Studien bleiben uns meist verborgen. Selten kommen Studien mit demokratischer Tendenz zustande wie vor etlichen Jahren die von Norbert Jonscher über „Inhalte und Defizite des lokalen Teils in der deutschen Tagespresse“ als Dissertation an der Universität Göttingen. Da können wir dann erfahren, daß alle vier untersuchten Lokalzeitungen im östlichen Niedersachsen, sämtlich Monopolblätter, die Aufgabe, umfassende und vielfältige Informationen und Meinungen zu vermitteln, durch die den Lesern eine eigene Meinungsbildung zu kommunalpolitischen Themen ermöglicht würde, „nicht oder nur mangelhaft erfüllen“, indem sie unliebsame Themen (z.B. Umweltverschmutzung durch ortsansässige Unternehmen) bewußt vernachlässigen und auf Kritik und Kontrolle von Politikern und Behörden weitgehend verzichten. Über bestimmte gesellschaftliche Bereiche wie Kirche und Wirtschaft werde fast nie negativ berichtet. In den Lokalteilen, so Jonscher, tauchten immer die gleichen Handlungsträger auf (Parteien, Vereine, Bürgermeister), andere kämen äußerst selten zu Wort. Meist werde über Veranstaltungen berichtet, Hintergrundinformation fehlen gewöhnlich. Konsequenz: „Nicht nur die Partizipationsmöglichkeiten der Bürger werden erschwert, auch ihr allgemeines Demokratiebewußtsein wird durch diese Nichtbeteiligung an unmittelbar interessierenden, überschaubaren kommunalpolitischen Entscheidungsprozessen geschwächt.“

Die Mängel im Lokalteil sind noch harmlos im Vergleich zu denen in der außenpolitischen Berichterstattung. Eine Grundtendenz der typischen bundesdeutschen Monopolzeitung ist ihre Mitwirkung an der „Enttabuisierung des Militärischen“ (Schröder). Im Gleichklang mit strammen Politikern – andere Stimmen dürfen nicht durchdringen – verkünden die Monopolmedien seit Jahren, Deutschland müsse, nachdem es vereinigt sei, endlich „normal werden“, es müsse außenpolitisch „erwachsen werden“, es müsse „Verantwortung übernehmen“. Gemeint ist mit all diesen Worten nur eins: Deutschland müsse wieder bereit werden, in den Krieg zu ziehen – obwohl es sich im 2+4-Vertrag verpflichtet hat, die Bundeswehr ausschließlich zu Verteidigungszwecken einzusetzen, wie es ja auch im Grundgesetz steht. Stattdessen versuchen die Konzernmedien unaufhörlich, die Bevölkerung glauben zu machen, es gebe ein Recht oder gar eine Pflicht zum Angriffskrieg. Im Krieg gegen den Irak beschränkten sie sich im wesentlichen auf den „embedded journalism“, wie ihn das Militär geplant hatte. Der Journalismus ließ sich – mit wenigen Ausnahmen – ausgerechnet im Krieg zu Bett bringen und einschläfern. Läßt sich Schlimmeres über die Medien sagen?

Die Journalisten des Springer-Konzerns wurden unmittelbar nach dem 11.9.2001 arbeitsvertraglich auf „Unterstützung des transatlantischen Bündnisses und die Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten“ verpflichtet. Ungeschrieben scheint in anderen Presseunternehmen die gleiche Pflicht zu voreingenommenem, einseitigem, parteiischem Journalismus zu gelten. Und wenn – vorbestimmt durch die in der Gesellschaft vorherrschenden Interessen – von vorn herein feststeht, was wichtig und was unwichtig, was wahr oder unwahr, gut oder böse ist, dann erübrigt sich eben die Recherche. Vor allem in privaten Medien findet sie kaum statt.

Die Verlage, die als Privatunternehmen möglichst hohe Rendite abwerfen sollen, drosseln die Kosten, auch und gerade die notwendigen Kosten journalistischer Arbeit. Die verkleinerten Redaktionen – mit verringerten Etats für freie Mitarbeiter – sind kaum noch in der Lage, mehr zu leisten, als die von Nachrichtenagenturen oder direkt von Pressestellen und Propagandastäben gelieferte vorgefertigte journalistische Ware weiterzutransportieren. Angeblich fehlt es an Geld. Tatsächlich geht es den Medienkonzernen so gut, daß sie international expandieren. Nachdem sie sich Ostdeutschland angeeignet hatten (für sie eine Goldgrube), erwarben sie mehr und mehr Zeitungen in Polen, Tschechien und Ungarn – mit der Konsequenz, daß die Bevölkerung dort kaum noch Medien für die Debatte über umwälzende Entscheidungen wie den Beitritt zur NATO oder gar für den Protest dagegen hatte. Nachdem im Ergebnis der NATO-Aggression gegen Jugoslawien der frühere Kanzleramtsminister Bodo Hombach als politischer Entwicklungshelfer nach Jugoslawien entsandt worden war, konnte es kaum verwundern, daß sich der Essener WAZ-Konzern, Monopolist im Ruhrgebiet, die tonangebende Belgrader Zeitung aneignen konnte; Hombach ist inzwischen Chef dieses Konzerns, der auch in Kroatien, Makedonien, Bulgarien und Rumänien die publizistische Macht übernommen hat. Die Ostexpansion – an der sich selbstverständlich auch der Springer-Konzern beteiligt – geht weiter; die Souveränität der betroffenen Völker geht zuschanden.

Mit diesen Erfahrungen will ich keinesfalls entmutigen. Im Gegenteil, denn Einschüchterung demokratischen Engagements ist gerade die Hauptleistung der Springer- und ähnlicher Medien. Wir müssen unsere Grundrechte, wenn sie nicht nur auf dem Papier stehen sollen, öffentlich geltend machen, auch und gerade das Grundrecht der Informations- und Meinungsfreiheit – aber in dem Bewußtsein, daß es sehr schwer ist, die entstandenen publizistischen Machtstrukturen aufzubrechen. Als vorrangig sehe ich die Aufgabe an, den permanenten Mißbrauch publizistischer Macht zu dokumentieren, damit die notwendige politische Auseinandersetzung geführt werden kann. Kritik an unwahrer Berichterstattung kann kritischen, verantwortungsbewußten Journalisten helfen, wenn sie selber sich um Arbeitsbedingungen bemühen, die sie brauchen, um ihren Beruf so ausüben zu können, wie es sich in einer demokratischen Gesellschaft gehören würde.

Eckart Spoo ist Journalist, Mitherausgeber und Redakteur der Zeitschrift Ossietzky – Veröffentlichungen zu Zeitgeschichte und Medienkritik.

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