EINBLICK INS GETRIEBE

Gespräch mit Matthias Bernt
aus telegraph #115

telegraph: Andrej H. ist nicht nur vorläufig, sondern endgültig wieder draußen. Der BGH hat die Haltlosigkeit des Tatverdachts von Anfang an festgestellt. Ist damit der ganze Trouble vorbei, die Konstruktion erledigt?

Matthias Bernt: Keineswegs, man darf das eigentliche Problem nicht übergehen, wie es auch jetzt noch der BGH versucht.
Zum ersten ist es doch schon ein Hammer, dass das BKA vier Leute mit einem, wie der BGH jetzt bestätigt, „haltlosen“ Tatverdacht ein Jahr lang bespitzeln und einen davon sogar mehrere Wochen in’s Gefängnis stecken darf. Das Problem ist deshalb eigentlich dieser Terrorismusparagraph, der der Polizei den ungebremsten Einsatz geheimdienstlicher Mittel erlaubt, die dann nach rein schematischen Gesichtspunkten auf uns angewandt wurden und auch noch weiterhin werden. Und der 129 a ist ja nicht vom Tisch, sondern bestimmt die Ermittlungen weiter.
Damit ist eine auch juristisch völlig neue Ebene polizeilichen Handelns aufgemacht. Denn was nun eigentlich genau „Terrorismus“ ist, weiß keiner so genau und die Grundsatzfrage, ob auf unser wissenschaftliches Engagement oder auf Sachbeschädigung mit antimilitaristischem Hintergrund überhaupt der 129 a angewandt werden kann, ist nach wie vor unbeantwortet.

Wie lange arbeitet ihr Sozialwissenschaftler schon zusammen?

Wir kennen uns alle bereits seit der Wende und haben im Lauf der Jahre viel zusammen gemacht. In den letzten Jahren geht jeder seine eigenen Wege, an seinem Ort, in seiner Stadt.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Euch in Berlin und Leipzig sowie den Leuten, die in Brandenburg eine Sachbeschädigung als Brandanschlag versucht haben sollen?

Der wird vom BKA behauptet.

Aber persönliche Bekanntschaft gibt es doch?

Meinerseits wissentlich nicht. Das BKA behauptet, Andrej habe sich zweimal mit einem von ihnen getroffen und zwar ohne das Handy zu benutzen. Das lässt nach Meinung des BKA darauf schließen, dass die beiden was zu verbergen hatten.

Wie bewertest Du die Ansichten der drei Antimilitaristen aus dem Brandenburgischen, die noch immer in Moabit einsitzen?

Ich kenne sie doch gar nicht, könnte da nur Vermutungen anstellen und spekulieren möchte ich nicht. Das wäre kaum besser als das, was die Bundesanwaltschaft mit uns macht.

Zwischen einer versuchten Brandstiftung und Deinen Forschungen zu sozialstrukturellen Tendenzen in der Stadtentwicklung besteht ein weiter Abstand.

Zweifellos, aber selbst Brandstiftung ist rechtlich noch kein Terrorismus.

Auf den Solidaritätsdemonstrationen stellten die Freunde der drei den versuchten Brandanschlag auf ein Bundeswehrfahrzeug in eine große Linie antimilitaristischer Militanz, die bis in die USA hinüber und in die Zeit des Vietnamkriegs zurückreicht. Haftstrafen wurden dort bewußt in Kauf genommen.

Das kann schon sein. Ich gehe jedenfalls davon aus, dass jemand der sich auf solchen Weg begibt, den möglichen strafrechtlichen Konsequenzen ins Gesicht sieht. Aber, wohlgemerkt, eben für eine Brandstiftung, und nicht wegen Terrorismus.

Die Solidarität für alle Verdächtigten war groß?

Sie war und ist überwältigend. Mich haben Menschen auf der Straße angesprochen und sofort gefragt, wie können wir helfen? Auch dass die Community der Wissenschaftler von Berlin bis Paris, London und New York sofort reagiert hat, war eine großartige und wichtige Erfahrung. Unser Fall hat offensichtlich einen Nerv getroffen, denn er zeigt, dass mit diesen Gesetzen das Terror-Etikett jeden publizistisch und politisch Engagierten treffen kann. Unser Fall geht also auch die andern an, und viele haben das verstanden!

Gilt die Solidarität allen sieben Betroffenen?

Das kann ich nicht gut beurteilen, mich beeindruckt sie jedenfalls sehr, und im politischen Sinn betrifft sie uns alle.

Worauf sollte sich die Solidarität politisch beziehen?

Auf die Abschaffung des 129 a.

Ausgerechnet im Zeitalter des internationalen Terrorismus?

Da steckt ein ganzes Nest von Widersprüchen. Der Paragraph ist vor drei Jahrzehnten gegen die RAF im Inland erfunden worden. Er gewinnt inzwischen einen ständig größeren Wirkungsradius und Anwendungskreis, sowohl extensiv, territorial, als auch intensiv, durch die modernen technischen Möglichkeiten. Er verleiht Sonderrechte schon in der Ermittlung, und eröffnet den Übergang zur Gesinnungsjustiz.
Wäre ich ein gewöhnlicher Pyromane, stünde im Verdacht, andauernd Autos anzuzünden, könnte ich mich auf das übliche Strafrecht verlassen, und hätte eigentlich nur einen Vorwurf wegen Sachbeschädigung am Hals. Ist das Auto aber ein Bundeswehrauto und habe ich vorher einen Artikel über den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr geschrieben, hätte das Feuer im Polizeiverständnis sofort einen terroristischen Hintergrund. Der 129 a kommt dann zur Anwendung und eröffnet der Polizei die Möglichkeit zum umfassenden Einsatz geheimdienstlicher Mittel und zur Verhängung wirklich drastischer Strafen. Die Polizei wird damit zur Geheimpolizei und die rechtliche Abwägung zur Gesinnungsjustiz.

Also?

Trotz meines gezwungenermaßen tiefen Einblicks ins Getriebe bin ich kein Jurist. Aber da muss etwas korrigiert werden, einer demokratischen, öffentlich nachvollziehbaren Kontrolle unterworfen werden. Der 129 a, so wie er jetzt besteht, ist vor allem ein Ermittlungsparagraph, der der Polizei ein krasses Selbstläufertum ermöglicht. An unserem Fall sieht man ja deutlich, daß er in einer demokratischen Gesellschaft eigentlich abgeschafft gehört. telegraph 115 2007 47

Für vier, fünf Wörter aus Artikeln von Euch seid ihr zehn Monate prophylaktisch überwacht worden?

Exakt. 29 Bände Überwachungsmaterial für vier Leute in 10 Monaten, und zwar lange bevor von irgendeiner eventuell geplanten Brandstiftung an einem anderem Ort, von anderen Leuten, zu einem späterem Zeitpunkt überhaupt etwas zu erkennen war! Telefonüberwachung, E-Mails mitlesen, Wohnhaus und Wohnung beschatten, Straßenbegegnungen aufzeichnen… Das ging und geht eben nur mit dem 129 a – und es wird nicht weniger werden, wenn man sich hier nicht wehrt.

Noch einmal. Die öffentlich zugänglichen Publikationen von euch Sozialwissenschaftlern waren also im September 2006 der Auslöser für die ganze Aktion, für die Anwendung des 129 a, ohne ein einziges spezifisches Verdachtsmoment, das Euch persönlich betraf?

So ist es.

Und die Verbindung zur unbekannten, aber wohl real existierende „militanten gruppe“….

… wurde vor allem nach der Profi ling-Methode bearbeitet. Das BKA hat ein Schema erarbeitet, nach dem typische Merkmale eines mg-Mitglieds abgeleitet wurden. Zentrale Charakteristika sind demnach: „umfangreiche politische und historische Kenntnisse“, „Fähigkeit, mit komplexen Texten umzugehen“, „hat Zugang zu Bibliotheken“, „bis jetzt nicht erkennungsdienstlich behandelt“, „Kein klassischer Autonomer/ kein klassischer Antiimp“, „Mitarbeit in Basisstrukturen“ – da all diese Suchkriterien wohl auf mich passen, spuckte der Rechner meinen Namen aus. So wurde aus dem Schema ein 100prozentiger Treffer und los gings mit der Ausspähung.

Läßt sich das unterlaufen?

Die einzige Möglichkeit, solcher Art von Verdächtigung zu entgehen bestünde darin, doof, einsam und kriminell zu sein. Auf jeden Fall sollte man keine Freunde haben, die sich jemals, früher oder zukünftig, politisch interessierten oder gar engagierten. Man dürfte sich also nur noch mit den bekannten drei Affen abgeben – und müßte wohl selbst einer davon werden.

Kann man noch einmal auf eine Art Sichüberfressen- mit-Informationen wie einst beim MfS in der DDR hoffen?

Das ist doch nur ein Wortwitz, der persönliche Preis und auch die gesellschaftlichen Kosten sind heute wie damals zu hoch! Wir haben doch nicht den einen Apparat abgeschafft, um jetzt von Variante 2.0 mit moderner Technik überrollt zu werden.

Heute gibt’s Spielregeln.

Ja, jedenfalls mehr als damals, aber sie werden eben auch problematisch, ihre Funktion verändert sich. Der 129 a ist die Tür, durch die ein Selbstlauf der Verdächtigungen offensichtlich legitimiert werden kann. An unserem Fall ist die Tendenz zur Ausspähung ganzer Milieus doch bereits deutlich zu erkennen. Wenige Wörter und ein wirklich obskures Profi l genügten für einen „Anfangsverdacht“, dann kamen die Freundinnen auf den Schirm, danach unsere und deren engere oder fernere Bekannte usw. Schließlich fand sich zur rückwirkenden Begründung die völlig unspezifi sche Bekanntschaft von Andrej mit einem jungen Antimilitaristen. Danach weitete sich die Beobachtung noch einmal aus usw. usf. Wenn man alle auf diese Weise zustande gekommenen „Kontakte“ zusammen nimmt, kommt man locker auf eine dreistellige Zahl. Diese komplette 48 telegraph 115 2007 Aufnahme ganzer politischer, akademischer, künstlerischer oder anderer Milieus und Altersgruppen erinnert schon sehr an die sog. fl ächendeckende Überwachung im letzten Jahrzehnt der DDR.

So modern wäre die Stasi heute auch?

Man könnte in methodischer Hinsicht auch sagen, so modern war sie schon. Für einen von uns wurde übrigens sogar seine MfSAkte in die Ermittlung einbezogen, um in der Einschätzung von damals eine Begründung für die Ermittlung von heute zu fi nden.

Hat sich eine Begründung gefunden?

Gute Frage. Es hat sich gezeigt, dass wir schon damals renitent waren. Der methodische Ansatz der Stasi konnte also problemlos vom BKA übernommen werden. Offensichtlich gibt es da wohl doch Parallelen: Gefragt wird vorlaufend nach bestimmten Denk- und Sprechweisen, überwacht wird vorbeugend, und verhaftet oder durchsucht wird ebenso vorgreifend.

Herr Dr. Bernt, vielen Dank für dieses friedliche Gespräch.

Das Interview führte Klaus Wolfram.

Matthias Bernt ist Politikwissenschaftler. In den 1990er Jahren in verschiedenen Stadtteilinitiativen in Berlin – Prenzlauer Berg aktiv, von 1998-2000 Redakteur des „telegraph“. Autor bei verschiedenen Buchveröffentlichungen. Seit 31. Juli 2007 Beschuldigter im Ermittlungsverfahren.

Klaus Wolfram, Studium der Philosophie und Ökonomie; Gründung einer linken oppositionellen Gruppe in den 1970er Jahren; Arbeit am Institut für Internationale Politik und Wirtschaft; Fabrikarbeit; Lektor; 1989 im Neuen Forum aktiv, u.a. am Runden Tisch; Mitbegründung des BasisDruck Verlages; Mitbegründung der Robert-Havemann- Gesellschaft.

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