von Frank Willmann
aus telegraph 120 | 121
Fußball in der DDR – eine strahlende Erfolgsgeschichte war das mitnichten. Zwar gab es einige Achtungserfolge, allen voran das 1:0 über den Klassenfeind Bundesrepublik – ausgerechnet bei der WM 1974 in Deutschland-West. Insgesamt aber haderten die Staatsoberen mit der allzu mageren Bilanz. Und nach der Wende ging es zudem im Vereinsfußball nochmal so richtig bergab. Frank Willmann zieht eine ernüchternde Bilanz der letzten 35 Jahre Ost-Fußball.
Der große Sieg gegen den großen Nachbarn
Vor 35 Jahren gewann die DDR in Hamburg gegen die BRD mit 1:0
Jürgen Sparwasser schoss das einzige Tor des Spiels, welches man zurecht als Jahrhunderttor feierte. Sparwasser meint, es hätte ihm im nachhinein eher geschadet. Für die Mannschaft der BRD war die Niederlage eine Art Weckruf, sie wurde später Weltmeister. Die DDR hingegen bekam als Gruppenerster schwere Mannschaften in der Zwischenrunde vorgesetzt und schied aus.
Im Clubfußball war nix zu holen
Die Geschichte des Fußballs in der DDR ist eine kleine Geschichte des Scheiterns.
Klar, der 1. FC Magdeburg holte 1974 den Pokal der Pokalsieger gegen den großen AC Milan. Doch das war’s auch schon an Herrlichkeit. Im Clubfußball gab’s für die Ostzonenkicker nix zu holen.
Die DDR-Sportfunktionäre versuchten einiges, um das Niveau zu heben. Ab 1965 beschloss man die Gründung von Fußballclubs. Zehn Fußballclubs wurden gebildet. Ab Anfang der 70er Jahre errichtete der DFV (Deutscher Fußball Verband) schrittweise 196 Trainingszentren und die Kinder-und Jugendsportschulen (KJS) bei den Fußballclubs. Die Spitzenfußballer waren Vollprofis. Ihre Gehälter übernahmen DDR-Großbetriebe, Ministerien oder staatliche Einrichtungen. Natürlich geiferten die Funktionäre gen Bonner Revanchisten und prangerten das unmenschliche Profitum in der BRD an.
Bei Olympischen Spielen gelang es der DDR 1964 und 1972, die Bronzemedaille zu holen. 1976 wurde man in Montreal gar Olympiasieger. Allerdings traten seinerzeit die westlichen Staaten nicht mit ihren aktuellen Nationalmannschaften an. Somit sagte der Olympiasieg nichts über den wahren Leistungsstand im Weltfußball aus.
„Wo bleibt denn der Eigendorf?“ – Stadionprotest und Gängelei
DDR-Fußballer waren privilegiert. Neben den offiziellen Gehältern floss viel unter der Hand an die Spieler. Übergeschnappte Kombinatsdirektoren pumpten Geld in die Clubs. So wurden herausragende Kicker gern mit Haushälften, Autos und Urlaubsreisen geködert.
Mächtige Minister und Funktionäre ließen die Muskeln spielen, wenn es galt, ihren Mannschaften Vorteile zu verschaffen. Wie im richtigen Westfußballerleben. Nur verdeckter, die Öffentlichkeit wusste nichts davon. An eine freie Presse, die kritisch über die Belange des Fußballs berichtete, war in der DDR selbstverständlich nicht zu denken.
Die Spieler wurden von den Funktionären am Gängelband gehalten. Individualisten beäugte man kritisch, es galt das Prinzip des Kollektivismus. Der DDR-Bürger liebte seine Kicker. Jedes Wochenende strömten die Menschen in die Stadien der DDR. Meist Männer und heranwachsende Männlein. Bei Bockwurst, Bier und Brause wurden sie eins mit ihren Teams. Und verschafften sich ab und an Luft. Neben der evangelischen Kirche bot nur die Anonymität in den Stadien die Möglichkeit, politischen Protest zu äußern. „Stasi raus!“ oder „Die Mauer muss weg!“ (Verballhornung der Mauer beim Freistoß) wurde nicht erst während der politischen Wende skandiert. Immer wenn mal wieder ein Spieler des verhassten BFC Dynamo (mit Oberfan Erich Mielke) in den Westen flüchtete, wurde das von den Fans genüsslich deklamiert: „Wo bleibt denn der Eigendorf?“, „Wo bleibt den der Falko Götz“ etc.
Staatsfeind „Hooligan“ – Die Stasi wird aktiv
Wo politischer Protest geäußert wurde, war in der DDR die Staatssicherheit nicht weit. Als Anfang der 80er die sogenannten „feindlichen“ Fan-Gesänge in den Stadien überhand nahmen, begann man großflächig die Fanszene zu „bearbeiten“.
Schnell wurden drei Gruppen von Fans ausgemacht. Die normalen Anhänger, die dekadenten Anhänger (lange Haare oder zu kurze, freche Gesänge, Alkohol), die feindlich-negativ dekadenten Anhänger (fast Staatsfeinde, gewaltbereit, schrecken nicht vor Angriffen gegen die Volkspolizei zurück). Insbesondere der dritten Gruppe nahm sich die Stasi an. Zumal diese dritte Gruppe in und um die Stadien zusehends von sich reden machte. Der Hooliganismus hielt in die Stadien der DDR Einzug. Und damit kamen die Sicherheitsorgane anfangs gar nicht zurecht. Plötzlich wurde aus der Fanmasse mit rechten Parolen provoziert, ja es wurden „Staatsorgane“ (Polizisten, Ordner, Zivile) angegriffen. Und das in einem Land, wo der Antifaschismus Staatsdoktrin war. Mit viel Mühe gelang es, dem Problem einigermaßen Herr zu werden. Zumal man insbesondere in Berlin vorsichtig sein musste. Die Staatsgrenze und die westlichen Medien waren nah. So musste man (laut Stasiprotokollen) auf den Einsatz von Hunden und chemischen Kampfstoffen verzichten, die in anderen sozialistischen Ländern gern gegen Fans eingesetzt worden sind.
Die Wende … verbrannte Erde zwischen Dresden und Berlin
Sicher hatten die Geschehnisse in den Stadien einen Einfluss auf die politische Wende 1989. Wobei die Wende für den DDR-Fußball eher als Kahlschlag zu begreifen ist.
Die Gründe dafür sind vielfältig. Zum einen waren da die verknöcherten DDR-Fußballfunktionäre, die bei Karl Marx nicht nachgelesen hatten, wie Kapitalismus funktioniert und es nicht gewohnt waren, selbstständig zu denken. Da in der DDR immer alles „von oben“ funktionierte.
Zum anderen gab es die arroganten DFB-Opis, die ihre Animositäten gegenüber den DFV-Funktionären in den Vordergrund stellten und ihrer solidarischen Pflicht, den Ostfußball in das westliche System zu integrieren, nicht genügend nachkamen. Wenn der DFB seinen ostdeutschen Bruderverband als gleichberechtigten Partner behandelt hätte, wären nicht nur zwei DDR-Teams in die 1. Bundesliga aufgenommen worden.
Und dann kamen auch einige Bundesligavereine und deren gierige Manager hinzu. Diese sahen nur das schnelle Geschäft, ohne sich Gedanken über den künftigen Markt zu machen. Massenhaft strömten die DDR-Fußballer in die westdeutschen Vereine. Allein der BFC Dynamo verlor im ersten Jahr nach der Wende zwei komplette Mannschaften in den goldenen Westen. Richtig verdient daran haben nur die Spielerberater und einige Bundesligaclubs. Das gute Westgeld versickerte in den DDR-Clubs, die in den Anfangsjahren ein Fass ohne Boden waren.
Anfang der 90er übernahmen vielerorts bei ostdeutschen Traditionsclubs Baurülpse aus dem Westen den Präsidentenposten. Ihre Orientierung war, über den Fußball Kontakte zu knüpfen = Geld zu machen. Bei einigen Vereinen hinterließen die Rolf-Jürgen Ottos (Dynamo Dresden) dieser Welt nichts als verbrannte Erde. Nur mühsam erheben sich die Ostclubs aus dem Staub. Momentan spielen gerade mal drei ostdeutsche Mannschaften in der zweiten Bundesliga, die ersten ist gar zonefrei.
Auch die deutsche Nationalelf macht heute um den Osten meist einen großen Bogen. Höchstens alle paar Jahre mal ein Kick gegen Fußballnationen wie Liechtenstein finden statt.
Es kann nur besser werden.
Frank Willmann, 1963 in Weimar geboren. Die DDR verließ er 1984 Richtung Westberlin, heute lebt er mit Freundin und Sohn in Berlin-Mitte. Er arbeitet als Publizist und Autor, versteht sich aber auch explizit als Fußballer und Reisender. Letzten Veröffentlichungen: „Stadionpartisanen – Fußballfans und Hooligans in der DDR“, „Ultras, Kutten Hooligans“, „Satan, kannst du mir noch mal verzeihen?“. Fußballerisch ist Frank Willmann dem FC Carl Zeiss Jena als Mitglied verbunden.
© telegraph. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des telegraph