Wer wird Deutschlands frechster Arbeitsloser?

von Peter Nowak
aus telegraph 120 | 121

„Deutschlands frechster Arbeitsloser“ wurde im Februar und März 2010 von dem Boulevardmedien vor das mediale Volksgericht gestellt. Was hatte der 54jährige Arno Dübel eigentlich verbrochen? Er ist seit 36 Jahren erwerbslos, schämt sich nicht dafür, lehnt Minijobs ab und hat auch den Humor nicht verloren. So einer muss bestraft werden, meint das Boulevard und Bild meldete Vollzug. Zumindest um 30 Prozent wurde ihm die Stütze gekürzt. Doch in Internetkommentaren kochte die Volksseele über und manche forderten dort gar die Todesstrafe für den „Schmarotzer.

Vor mehr als 5 Jahren war es Florida Rolf, ein Rentner, der seine Sozialhilfe lieber in den sonnigen Gefilden der USA als in Deutschland ausgeben wollte, der für Aufruhr beim Boulevard und seinen Lesern sorgte. Erst als der Mann wieder heim ins Reich kam und der Gesetzgeber weitere solche Extratoren zu verhindern versprach, legte sich der Furore. Auch der Erwerbslose Henrico Frank, der mit langen Haaren und Bart im Dezember 2006 gegen einen Auftritt des damaligen SPD-Vorsitzenden Kurt Beck protestierte, bekam den Zorn zu spüren. Der Pfälzer Politiker hatte die größten Zustimmungsraten, als er dem renitenten Erwerbslosen zurief, er solle sich rasieren und waschen. Mittlerweile ist Frank ohne Bart und mit gestutzten Haar nicht mehr der bad guy des Boulevard. Denn er hat ja schon seit Längerem eine Stelle in einem Radio angenommen.

Ein Erwerbsloser, der es nicht als größten Erfolg sieht, eine Lohnarbeit um jeden Preis, sondern ein für ihn schönes Leben anzustreben, ist schon mal verdächtig und Ziel von Ressentiments und Aggressionen. Arno Dübel ist das aktuelle Beispiel dafür.

Akt der Selbstermächtigung
Dabei gibt es durchaus mehr freche Erwerbslose in vielen Städten der Republik. Sie organisieren sich untereinander, begleiten sich gegenseitig zu ihren Fallmanagern, oder hauen mal auf den Schreibtisch, wenn ein Antrag zum X-ten Male nicht bearbeitet und dringend benötigtes Geld nicht angewiesen worden ist. Sie verstehen ihre Aktivitäten politisch, wie bei den Zahltagen, die von Köln aus in vielen Städten Nachahmer fanden oder als individuelle Unterstützung, wie bei der Aktion „Keiner muss allein zum Amt“.

Doch gemeinsam ist diesen unterschiedlichen Aktionen, dass es sich um Akte der Selbstermächtigung von Erwerbslosen handelt. Sie wollen nicht Rücken an Rücken vor dem Jobcenter in der Schlange stehen, wie es den Verantwortlichen gefällt, sondern brechen das Schweigen, reden miteinander und entdecken, dass sie ähnliche Interessen haben und die gemeinsam besser vertreten können.

Bemerkenswert ist, dass die Zahltag- und Begleitaktionen hauptsächlich in westdeutschen Städten organisiert werden. Im Sommer 2004 war es noch umgekehrt. Die Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV gingen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR und kamen im Westen nie so richtig an. Doch es gibt keinen Grund, warum sich die Aktionen um die Jobcenter nicht in der ganzen Republik verbreiten sollen.
Schließlich sind die Bedingungen für die Erwerbslose überall mies.

In den letzten Monaten häufen sich in verschiedenen Städten Zahltage in den Jobcentern. Manche finden in der vierten Woche statt, weil am Monatsende das Geld nicht mehr reicht. Andere beginnen am Monatsbeginn, wenn viele Erwerbslose feststellen, dass wieder einmal Gelder nicht angewiesen oder gekürzt worden sind. Bisher sind diese Aktivitäten selbst in den Medien, die den Erwerbslosen wohlgesonnen sind und die Hetze von FDP und Boulevard verurteilen, auf wenig Resonanz gestoßen. Auch in der aktuellen Debatte um Hartz kommen Erwerbslose als Kostenverursacher oder als Opfer vor. Als handelnde politische Subjekte aber werden sie kaum wahrgenommen. Auch die Hetzmedien üben Zurückhaltung?

Vielleicht, weil das Hetze nicht mehr funktionieren würde? Einen Arno Schübel, einen Henrico Frank, einen Florida Rolf kann der Boulevard dem Mob zum Fraß vorwerfen. Aber 20 Erwerbslose, die gemeinsam ins Büro ihres Fallmanagers gehen, dort ruhig aber bestimmt ausstehende Gelder einfordern und damit, wie häufig geschehen, sogar Erfolg haben, die könnten die Leser des Boulevard auf dumme Gedanken bringen. Wieso sollten die Menschen, die häufig in keiner anderen Situation als die Erwerbslosen sind, nicht denken: „Deutschlands frechste Arbeitslose – das können wir auch!“

Peter Nowak arbeitet als Journalist in Berlin und hat auf http://peter-nowak-joournalist.de Artikel zu verschiedenen Themengebieten dokumentiert. Er ist Herausgeber des im Unrast-Verlag erschienenen Buches „Zahltag- Zwang und Widerstand – Erwerbslose unter Hartz IV

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