Die rappenden Erben der Scherben

Sie rappen auf Demos vom Lautsprecherwagen. Zu ihren Konzerten auf alternativen Straßenfesten und Solipartys in Hausprojekten fahren sie quer durchs Land. Sie geben sich Namen wie Conexion Musical, Blockwart & Basur oder Schlagzeiln. Sie rappen über alles, was bei Antifaschisten, Globalisierungs- und Gentrifizierungsgegnern gerade en vogue ist, aber nicht ausschließlich.

Von Jenz Steiner
aus telegraph #122/123

Eine neue linke Rap-Szene hat sich in den letzten fünf Jahren in Deutschland entwickelt. Noch führt sie ein Schattendasein mit ungewisser Zukunft – unentdeckt von Musikindustrie und Mainstream-Medien. Noch ist sie klein, überschaubar und hart im Nehmen.

Was andere Musiker als Gage kassieren, wandert bei ihren Konzerten in die Spendenbüchsen sozialer und politischer Projekte. Manchmal federn die Einnahmen der Soli-Partys auch Anwalts- und Prozesskosten junger Antifas ab. Niemand stört sich daran, dass die Künstler leer ausgehen. Im
Gegenteil: Diese Form der Solidarität ist Konsens und gehört fasst schon zum guten Ton.

Etwa 50 aktive Gruppen und Einzelkünstler gibt es in Deutschland, zirka 20 in Berlin. Zum aktiven Kern gehören bundesweit zehn bis 15 Band-Projekte.
Es sind vorallem die Wertvorstellungen, Utopien und Ideale, die sie verbinden. Es ist der Traum vom selbstbestimmten Leben, von einer Welt, die genügend Zeit und Freiraum für Kreativität bietet. Es ist die jugendlich-naive Hoffnung auf eine Welt ohne Armut, Hunger und Krieg. Für sie ist es ein Fünkchen Revolution im Alltag, ein Fünkchen Hoffnung in der materialistischen Welt der Egomanen und Ökonomen. Rap ist Sprechgesang und braucht keinen Musikunterricht. Rap ist das Medium derer, die wenig in den Taschen, aber viel im Kopf und auf dem Herzen haben. Rap kann und muss man selber machen. Rap macht Spaß, bringt schnell Anerkennung und kostet nichts.

Nach Profi-Musikern mit GEMA-Mitgliedschaft, Booking-Agentur und großem Plattenlabel im Schlepptau sucht man in dieser Sparte vergeblich. Ihre selbst produzierten CDs verkaufen sie nach ihren Gigs aus dem Rucksack, in kleinen Mengen auf Kommissionsschein in Infoläden und Internet-Mailorder-Shops. Die Auflagen sind gering. 50 bis 300 verkaufte Exemplare sind normal. Selbst gedrehte Youtube-Videos, kostenlose Download-Links einzelner Songs oder komplette Alben auf Musikportalen wie Myspace, Soundcloud oder Bandcamp sorgen für eine schnelle und flächendeckende Verbreitung der Musik unter Gleichgesinnten. Kein Wunder, wenn etwa das Publikum in Magdeburg die Refrains einer Gruppe aus Hamburg oder Berlin mitsingt, ohne jemals eines ihrer Alben in den Händen gehalten zu haben.

Statt im Hotel oder Tourbus, schlafen sie nach ihren Auftritten in den verqualmten Backstageräumen alternativer Jugendzentren. Dort ist der Geist der Linken der frühen Neunziger noch lebendig. Vollgepupste Punkermatratzen, der Geruch nasser Hundehaare und eingetrocknetes Bier zwicken ordentlich in der Nase. Catering heißt hier noch VoKü und steht für zerkochte Spirelli mit Chili sin carne, also pappig-graue Nudelbatzen mit geraspeltem Soja-Radiergummi in schön roter Soße, mit großen Kellen serviert aus zerbeulten NVA-Kochtöpfen. Das macht satt und ist vegan.

Die musikalischen Erben von Quetschenpaua, SLIME und Ton Steine Scherben essen und trinken, singen und knutschen im abgedunkelten Licht alter Baustellenscheinwerfer und umgebauter Straßenlaternen. Zwischen Plenumsprotokollen und Mobilisierungspostern an schwarzen Wänden, zwischen rollenden Bierpullen und Club-Mate-Flaschen rappen sie auf schummrig beleuchteten Bühnen, die schnell aus Transportpaletten und Teppichresten zusammengeschustert wurden. Dabei kämpfen sie wie Don Quijote gegen Wackelkontakte, Stromausfälle und durchgebrannte Sicherungen, manchmal auch gegen Heiserkeit und Publikumsschwund, denn Monitorboxen und fähige
Licht- und Ton-Techniker wollen bezahlt werden und sind deshalb rar auf solchen Veranstaltungen. Scheiß Kapitalismus!

Die New-Left-Rapper kennen ihre Vorfahren, kennen die Punkrocker und Singer/ Songwriter-Ikonen der Alt-Linken, doch wurden die Ohren ihrer Generation eher von urbanen Sounds, von Techno, Drum ’n‘ Bass oder Minimal Electro geprägt: Genauso haben der kalte, synthetische „Aggro“-Rap oder der scherzhaft-lokalpatriotische Funk-Hip Hop aus Berlin ihre Spuren hinterlassen. Das hört man. Ganz klar, dass diese Generation nun das für altbacken hält, was für ihre Eltern noch revolutionär war.

„Der Altersdurchschnitt der Leute liegt meistens bei 16 bis 25 Jahren, außer bei Gewerkschafts-Demos, da liegt er bei 35 bis 50“, beschreibt der Hamburger Rapper Holger Burner sein Publikum. Er bezeichnet sich selbst als MC und Sozialist. In seiner Sparte ist er einer der aktivsten und dienstältesten Musiker. Ihn prägten in den frühen Neunzigern die Musik von US-Rap-Gruppen wie Gangstarr und Public Enemy. Noch bevor er Musik und Politik in seinem Leben enger verknüpfte, gewann Holger Burner auf Hamburger Hip-Hop-Events regelmäßig Freestyle-Battles:
Stegreif-Rap-Wettbewerbe. Heute steht er fast jedes Wochenende irgendwo in Deutschland auf der Bühne, nach eigenen Angaben zu etwa 75 Prozent vor einem jungen linkem Publikum. Eine durch und durch Hip-Hop-affine Fangemeinde ist bei ihm eher die Ausnahme als die Regel. Die Gründe dafür liegen in der wechselhaften Geschichte und Vielfalt der hiesigen Hip-Hop-Kultur.

Die große Hip-Hop-Szene in Deutschland hat sich in den letzten drei Jahrzehnten in ganz verschiedene Richtungen entwickelt. Waren die 80er Jahre nach der großen Breakdance-Welle noch geprägt waren von verstreuten Fans von Graffiti, Rap, DJing und B-Boying, die sich untereinander gar nicht oder nur flüchtig kannten, entstand in den frühen Neunzigern eine starke Szene mit bald gut ausgebauter Infrastruktur. Sie war überregional vernetzt durch regelmäßige Jams, eigene Fanzines und Bücher, durch Radiosendungen und VHS-Videos. Man traf sich in Jugendklubs und kleinen Läden für Sprühdosen, Schallplatten und Schirmmützen. Mainstream-Medien und Musikindustrie beschnupperten und umschwänzelten gierig die frisch erblühende Jugendkultur. In den letzten zehn Jahren lässt sich hingegen eine Aufspaltung beobachten. Die Unterhaltungsbranche interessiert sich heute nur noch ernsthaft für fertige Produkte, deren Erfolg in Zahlen messbar ist.

Die Szene ist nicht nur unübersichtlich, sondern unüberschaubar geworden.
Es gibt eine regelrechte Profi-Liga. Wer dort spielt, ist Gesprächsthema auf jedem Schulhof. Wer dort spielt, steht in der BRAVO und vor den Kameras der großen Musik-TV-Sender. Wer dort spielt, verkauft auch in Zeiten des Internets bis zu 100.000 Tonträger. Die zweite Liga, das sind semiprofessionelle Künstler auf unterschiedlichem Niveau. Es gibt viele Stilrichtungen und Verschmelzungen mit angrenzenden musikalischen Genres und anderen darstellenden Künsten. Hip Hop-Filme, Rap-Theater, Hip Hop-Musical, Rap-Soundtracks für Computerspiele, unabhängige Rap-Labels – alles scheint es schon zu geben. Selbst den auflagenstarken Special-Interest-Heften Juice und Backspin und Online-Magazinen wie Splash Mag, Mixery Raw Deluxe, rap.de oder hiphop.de, fällt es immer schwerer, den Überblick über die vielen Sub-Genres zu behalten.

Die Herausbildung einer autarken linken Rap-Szene scheint auf den ersten Blick etwas verwunderlich. „Rap empfindet sich als links, manifestiert sich aber nicht als links“, meint der Musik-Journalist und Fritz-Radio-DJ André Langenfeld und bezieht sich zuerst auf die Anfänge deutschen Sprechgesangs in den frühen Neunzigern. In der Geburtsphase des Raps in deutscher Sprache positionierten sich Gruppen wie Advanced Chemistry aus Heidelberg oder die Absoluten Beginner aus Hamburg musikalisch mit eindeutig linkslastigen Themen: Fremdenfeindlichkeit und Polizeigewalt.
Etwa zeitgleich sangen sie 1992/93: „Ich habe einen grünen Pass mit ’nem goldenen Adler drauf, doch bin ich fremd hier“ und „Wir wollen keine Bullenschweine“ – in Anlehnung an die legendären Punk-Rocker von SLIME.

Rap in Deutschland wollte sich nie beschränken lassen, schon gar nicht auf rein linke Themen. Wenn es jedoch darauf ankam, hat die Szene immer eindeutig, gemeinschaftlich und medienwirksam Stellung bezogen. Etwa nachdem am 11. Juni 2000 der aus Mosambik stammende Alberto Adriano im Dessauer Stadtpark von drei Neo-Nazis zu Tode geprügelt wurde. „Letzte Warnung“ hieß der Song, den das Projekt „Brothers Keepers“ daraufhin Opfern rechter Gewalt widmete. Das Lied der Rap-, Reggae- und Soul-Musiker legte den Finger in die Wunde. Die Single und das Video liefen in den Jugendprogrammen und Musiksendern rauf und runter. Ein jüngeres Beispiel ist der 2010 entstandene Song „Sarrazynismus“ der Berliner Rapper Maddog, Kaveh und Gigoflow – eine musikalische Antwort auf Thilo Sarrazins rechtspopulistisches Buch „Deutschland schafft sich ab“. Explizit linker Rap war das jedoch nicht.

Zwar gibt es unter den neuen Links-Rappern durchaus Kontakte mir der großen Hip-Hop-Szene, doch bleiben sie bei ihren Konzerten größtenteils unter sich und ziehen ein eigenes, sehr junges und Antifa-affines Publikum an. Inzwischen schaffen sich die Protagonisten dieser Sparte eigene Medien, in denen sie eigenen Reihen beleuchten. Der Berliner Musiker Tapete moderiert eine Fernsehsendung auf Alex, dem Offenen Kanal Berlin.
Seine Show „Tapete Late Night“ füllt eine Lücke in der Fernsehlandschaft.
Regelmäßig lädt er sich rappende Studiogäste wie Lea-Won aus München, Herr von Grau oder Sookee aus Berlin ein. Die Sendung schafft Platz für Künstler, die in herkömmlichen Hip Hop-Medien keinen Platz finden, im Mainstream kaum wahrgenommen werden oder sich bewusst abgrenzen. Für die Distanzierung von der Hip Hop-Szene gibt es klare Gründe.

Holger Burner formuliert deutlich, was ihn heute an der breiten Hip Hop-Szene in Deutschland stört: „Es gibt kein Bewusstsein für Sexismus und Homophobie.“ Eine ähnliche Sicht teilt der Berliner Produzent Leiji One.
Es gäbe Künstlerinnen und Künstler, die nicht im Kontext „Homophobie, Mackergehabe und Sexismus“ auftreten würden. Er hat 2009 den Rap-Sampler „Conscious 2.0“ produziert und im Internet als freies Download-Album veröffentlicht. Ein Großteil der in der Linken etabierten MC’s ist darauf vertreten. Für ihn ist Rap ein inhaltsstarkes Medium. „Es gibt Leute, die Hip Hop machen und es gibt Leute, die mit Hip Hop Politik machen“, sagt der junge Beat-Produzent aus Berlin Friedrichshain.

Ein politischer Geist, der mit Hip Hop nicht unbedingt Politik, aber Medien macht, ist der Berliner Blogger, Journalist und Medienaktivist Lutz Bonneberg. In Form von Interview-Podcasts dokumentiert er auf seinem Audioblog hiphopist.de die deutsche HipHop-Landschaft. Er erklärt sich das Herausbilden einer linken Rap-Szene durch die Allgegenwärtigkeit von Rap in der Musikwelt. Nicht nur der hohe Wortanteil mache Rap attraktiv. „Mehr als reines Silbenzählen, denke ich, dass Rap zwar auch lyrisch sein kann, sich aber dabei mehr an der Alltagssprache orientiert, was der Vermittlung von komplexen, politischen Inhalten entgegenkommt. Und Rap dominiert zur Zeit als Musikrichtung über die meisten anderen Stile. Er läuft überall, auch bei den Linken.“

Ein weiterer Erklärungsansatz für das Erstarken einer unabhängigen
Links-Rap-Szene: Als MC kann man sich in der jungen Linken problemloser und schneller etablieren als in der breiten Hip Hop-Szene. Der Konkurrenzdruck ist geringer. Man muss nur die Themen bedienen, die gerade und generell auf der Agenda stehen. Die Berliner Rapperin Lena Stoehrfaktor von Conexion Musical teilt diese Erfahrung. „Im Mainstream würden viele dieser Rapper untergehen. In der Linken ist es leichter.“ Nach sechs Jahren auf linken Bühnen und fünf Veröffentlichungen ist ihr Blick auf diese Rap-Sparte und ihr eigenes Werk kritischer geworden. „Es geht oft nur um Phrasen, aber man erkennt den Menschen dahinter nicht mehr“, stellt sie fest und fügt hinzu: „Dieses Publikum will hören, dass morgen die Revolution kommt“.

Ein Gegensatz tut sich auf. Die gemeinsamen Ideale: der kollektive Traum von Freiräumen, von grenzenloser Kreativität kollidieren mit der individuellen Entwicklung des Einzelnen. Je mehr Lena Stoehrfaktor die eigene Persönlichkeit in ihre Lieder einbringen und auf Parolen verzichten würde, desto geringschätziger sei das Feedback ihres Publikums. „Die Hörer des politischen Raps haben oft keinen Plan von Kunst und keine Ahnung von Musik“, sagt sie. Gelegentlich fühle sie sich sogar instrumentalisiert.
„Manche linke Rapper nehmen Rap als Mittel zum Zweck. Sie sagen vor und die Anderen sollen hinterher rennen, ohne selbst darüber nachzudenken.“ Derartiger Flugblatt-Rap frustriert Lena Stoehrfaktor: „Man kriegt Angst, dass man so ähnlich ist.“ Für sich und ihre Gruppe resümiert sie: „Wir haben da keinen Bock mehr drauf und haben uns weiterentwickelt.“

Besteht die linke HipHop-Szene, die ihre Sparte gelegentlich als Conscious Rap tituliert, in Wirklichkeit aus politisch übermotivierten Kulturbanausen im Teenie-Alter, die platte Parolen und Party-Texte hören wollen, aus stylebewussten Hedonisten in Antifa-Markenklamotten, aus Narzisten, die in dieser Sparte ohne großen künstlerischen Anspruch, Aufwand und Konkurrenzdruck schnell Lorbeeren einsammeln wollen?

In den Gesprächen, die Hip Hop-Dokumentarist Lutz Bonneberg mit linken Rappern führen konnte, hätten sich aus seiner Sicht einige Grundmotive
herauskristallisiert: einerseits das intrinsische Bedürfnis, sich mit ihrer politischen Meinung auf künstlerische Art zu artikulieren und andererseits die Chance, durch politische Provokationen mit Dritten in den Dialog zu treten. „Unabhängig davon ist bei den politischen Rap-Acts oftmals ein ausgeprägter Hang zur Selbstdarstellung vorhanden, was sie von anderen darstellenden Künstlern allerdings nicht unbedingt unterscheidet.“

Lena Stoehrfaktor benennt klar die Mangelerscheinungen der selbsternannten Rapper mit gesellschaftlichem Bewusstsein. „Mir fehlt eine politische Reflexion und eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten. Leute verstecken sich hinter einer Polit-Szene mit trendy Image.“ Nach Systemalternativen würde in dieser Szene kaum jemand ernsthaft suchen, sagt sie. Nichts Neues, wenn man die Geschichte der Linken in Deutschland betrachtet. Wer Potential hat, nutzt die Strukturen als Karriere-Sprungbrett, wird aber nicht in ihr alt. Beispiele finden sich reichlich in Politik und Kultur. Die junge Linke lebt vom Aktionismus.
Rap-Songs aus dieser Sparte spiegeln das deutlich wider. Die Inhalte linker Rap-Tracks seien nach Lutz Bonnebergs Auffassung oftmals dramaturgisch überhöht, würden sich aber immer einer zugänglichen Bildsprache bedienen. Knackige Refrains kämen ohne großes Lesen zwischen den Zeilen aus und seien auf die emotionale Programmierung der Hörer ausgerichtet.

Holger Burner sieht Rap hingegen als ein Medium, mit dem man Menschen aus der Isolation holen kann. „Ich habe Leuten schon die Erfahrung vermitteln können, dass sich das Kämpfen lohnt, dass es sinnvoll ist, sich zu vernetzen und unabhängige Strukturen aufzubauen.“ Genau davon merkt Lena Stoehrfaktor hingegen recht wenig. „Richtigen Zusammenhalt gibt es nicht.
Die Leute supporten sich nur gegenseitig, um selbst Support zu bekommen.“ Diese Unterstützung zum Selbstzweck ist ihr nicht der einzige Dorn im Auge. „Für mich ist die linke Hip Hop-Szene nicht attraktiv. Sie ist lyrisch nicht anspruchsvoll, famegeil und nicht besonders reflektiert“, klagt die 26jährige Rapperin aus Berlin Neukölln, die neben ihren musikalischen Aktivitäten noch soziale Arbeit studiert.

Hip-Hop-Beobachter Lutz Bonneberg sieht es etwas differenzierter. Er unterscheidet linken Rap inzwischen in „Demo-tauglichen Parolen-Rap“ und „Diskurs-Rap“. Beiden Formen würde es jedoch nicht nur am qualitativ hochwertigen Umgang mit Sprache und Lyrik mangeln, sondern auch an der Fähigkeit, Humor in politische Aussagen einzuflechten. „Mein Eindruck ist, dass der Umgang mit Politik in Deutschland immer sehr ernst wirkt, obwohl wir eine sehr gute Polit-Satireszene haben.“ Würde man solche unterhaltenden Elemente integrieren, ist Bonneberg überzeugt, könne man eine größere Hörerschaft erreichen. „Polit-Rap hängt das Image einer recht humorlosen und oft oftmals auch ideologisch-verbohrten Musikrichtung an, die darüber hinaus auch noch belehrend rüberkommt. Die Möglichkeit der Wahrnehmung der Musik steigt mit der Affinität und Offenheit des Publikums gegenüber diesen politischen Inhalten“, ist Bonneberg überzeugt.

Neben Humorlosigkeit und Verbissenheit gibt es einen ganz wesentlichen Grund für das Schattendasein der linken Rapper. Das mangelhafte Handwerkszeug. Wer Musik macht, muss viel üben und sich mit seinem Medium auseinandersetzen, um wirklich gut zu werden. Das geht nicht von heute auf morgen. In der Tat beherrschen die jungen Vertreter dieses Rap-Subgenres ihr Werkzeug noch nicht gut genug, um bei einem durchschnittlich anspruchsvollenPublikum künstlerisch und inhaltlich gleichermaßen punkten zu können. Zu hölzern, zu blechern, zu lieblos und synthetisch klingen die Instrumentale, sofern sie aus eigener Produktion stammen. Zu holprig, zu einfach gestrickt und abgedroschen wirken die Rap-Fertigkeiten der MCs.
Wenig Wortwitz, mangelndes Fingerspitzengefühl beim Umgang mit Sprache und massenhaft Allgemeinplätze prägen viele ihrer Texte. Das ist sehr schade, zumal linker Rap die kreative Autonomie hat, sich vollkommen frei in alle Richtungen zu entwickeln. Gerade in der Niesche, abseits von allen Normen und Zwängen, können Pflänzchen gedeihen, die vielleicht nicht nur die Musikwelt revolutionieren würden.

Der Blogger Lutz Bonneberg erkennt in der Szene jedoch großes
Entwicklungspotential: „Da eine kommerzielle Wertschöpfung nicht im Zentrum der Musikproduktion steht, denke ich, dass autonome Musik sich formal-stilistisch nicht zwingend an den aktuellen Hörgewohnheiten orientieren muss. Allerdings muss sie musikalisch zugänglich bleiben, um gehört zu werden. Sie muss sich also mit den sich wandelnden Hörgewohnheiten entwickeln. Ich würde jetzt auch nicht behaupten wollen, dass es stilistisch nur einen autonomen Rap gibt. Ich bin mir sicher, dass linke Musiker nicht nur explizit linke Musik hören, sondern sich auch von anderen Quellen inspirieren lassen, was wieder in ihre eigene Musik mit einfliesst. Da unterscheiden sie sich auch nicht von anderen Musikern.“

Sind es die noch drückenden Kinderschuhe oder die ersten Pubertätserscheinung dieser jungen Subkultur? Mein persönliches Fazit:
Diese kleine Szene krankt an mangelndem Selbstbewusstsein und mangelnder Selbstironie. Sie scheint zu sehr eingeschüchtert vom Rap-Mainstream, zu wenig ambitioniert, sich politisch, musikalisch und künstlerisch zu entwickeln. Dabei liegt die Freiheit als Klumpen Knete auf der Straße. Den muss man nur aufheben und eine Form geben muss. Das erfordert jedoch Offenheit, Radikalität und Feingefühl zugleich.

Doch solange die Protagonisten auf der Bühne die Bestätigung eines ästhetisch anspruchslosen Publikums erfahren und sich damit zufrieden geben, werden sie unter sich bleiben. Sie werden nicht verstehen, dass Rap eine darstellende Kunst ist. Sie werden ihre schöpferische Trägheit hinter der Schutzbehauptung verstecken, dass Texte wichtiger sind als das gesamtmusikalische Konzept. Solange das so ist, werden sie wieder und wieder an der Chance vorbeirauschen, sich zu ernstzunehmenden, gewachsenen und innovativen politischen Künstlerinnen und Künstlern zu entwickeln.

Doch die ersten Weichen sind gestellt und die ersten Scheuklappen abgelegt. Gerade deshalb wird es sich lohnen, in Zukunft noch einen zweiten, dritten und vierten Blick auf diese musikalische Sparte zu werfen.

Jenz Steiner gehört zum Autorenkollektiv des Blogs Generation Tapedeck, ist Musiker und Co-Autor des „Hip Hop Lexikons“ und des Sachbuchs „Bei uns geht einiges – Die Deutsche Hip Hop-Szene“.

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