Grüner Sozialismus und ‚Gutes Leben’

Ein Sozialismus der Zukunft muss ökologisch sein und Fortschritt neu definieren.

Von Raul Zelik
aus telegraph #125|126

In den Industriegesellschaften – in den aufstrebenden Ökonomien des Südens sieht die Lage doch recht anders aus – hat sich in den letzten Jahren das Bewusst- sein durchgesetzt, dass das herrschende Energie-, Konsum- und Produktionsmodell grundlegend transformiert werden muss. Eine ökologische Wende scheint konsensfähig. Im Mainstream-Diskurs wird dieser Politikwechsel vor allem unter den Stichworten „Grüner Kapitalismus“ und „Green New Deal“ verhandelt. Doch ob mit diesem Konzept wirklich eine ökologische Konversion gelingen kann, ist stark anzuzweifeln.

Der „Grüne Kapitalismus“ versteht Transformation als globales Inwertsetzungs-Vorhaben. Umweltschutz (und nicht zuletzt die Natur als solche) soll in den Markt geholt und damit profitabel gemacht werden. Man will also sozusagen die Innovationsmaschine ‚Kapitalakkumulation‘ auf ein ökologisches Gleis setzen. Dass das in der Praxis kaum gelingen kann, zeigt der Siegeszug der Biokraftstoffe. Die wachsende Nachfrage nach „klimaneutralem“ Agrarsprit hat die Anbauflächen von Zuckerrohr und Palm-Öl rasant wachsen lassen und damit die Verwandlung von Savannen- und Waldland in agrarindustrielle Monokulturen forciert. Der vermeintlich ökologische Effekt wird mit gewaltiger Naturzerstörung erkauft, ohne dass sich das in Preisen rechnen ließe. Entgegen aller liberalen Mythen ist der Markt eben kein besonders geeignetes Instrument zur Umsetzung gesellschaftlicher Anliegen.

Aber auch der stärker auf einer politischen Regulation beruhende „Green New Deal“ ist ein widersprüchliches Konzept. Zum einen stellt sich die Frage, welche gesellschaftlichen Kämpfe und Allianzen das Transformationsvorhaben umsetzen sollen – immerhin war der historische „New Deal“ weniger das Ergebnis eines Regierungswechsels als das von heftigen Klassenkämpfen, auf die Teile des politischen Establishments schließlich mit einem sozialen Kompromiss antworteten (vgl. Roesler 2010). Zum anderen muss man den Einwand formulieren, dass Wachstum auf Dauer gar nicht ökologisch sein kann. Sicherlich würde eine staatlich geförderte Konversion hin zu grünen Technologien und effizienterer Energienutzung zunächst einmal neue Wachstumsfelder eröffnen. Doch auf Dauer kann eine ökologische Transformation nur bedeuten, dass weniger Ressourcen verbraucht, Produkte sparsamer hergestellt und stoffliche Güter zurückhaltender konsumiert werden. Verschiedene Wissenschaftler und Unternehmer haben sich in den letzten Jahren für eine solche, weniger wachsende oder sogar statische Ökonomie plädiert (z. B. Binswanger 2006). Der grundlegende Widerspruch bleibt bei dieser Debatte je- doch ausgeblendet: Kapitalakkumulation braucht Wachstum. Wo weniger produziert und konsumiert wird, wird aber auch weniger in Wert gesetzt. Der Kapitalismus verträgt sich faktisch nicht mit De-Growth-Strategien.

Vor diesem Hintergrund drängt sich das Konzept ‚Grüner Sozialismus‘ theoretisch geradezu auf. Eine ökologische Konversion würde implizieren, dass das Naturverhältnis der Gesellschaft (und damit auch ihre Arbeitsformen, Lebensgeschwindigkeit, Konsummuster usw.) nicht länger vom Zwang zur Kapitalverwertung bestimmt wird, sondern umgekehrt die Gesellschaft über ihr Naturverhältnis entscheidet – eine klassisch sozialistische Idee.

Geschichtsdeterminismus, Technikkritik, Agrarkommunismus …


Doch wenn die Verbindung so nahe liegend ist, warum haben sich die realen Sozialismen – vom Staatssozialismus des 20. Jahrhunderts bis zum lateinamerikanischen Socialismo del siglo XXI heute – dann bisher noch immer durch eine Naturzerstörung ausgezeichnet, die der im Kapitalismus in nichts nachsteht?

Ein Grund ist mit Sicherheit, dass sich der Sozialismus ideengeschichtlich als Fortschrittsprojekt verstand, bei dem die Entwicklung der Produktivkräfte die Funk- tion eines Motors innehatte. Der Marxismus der Zweiten Internationale und zugespitzt der Sowjetmarxismus verwandelten das Marxsche Argument, wonach die technische Entwicklung die Tür zum Kommunismus aufschlägt, indem sie die Menschheit von Mangel befreit und die fragmentierten Unterklassen zu einem sozialen Subjekt verbindet, in ein deterministisches Gesetz. Aus der Marxschen Möglichkeit wurde historische Mechanik: Die Produktivkraftentwicklung treibt die Gesellschaft auf den Kommunismus zu. Im Umkehrschluss bedeutete das: Da Befreiung nur auf höchstem industriellen Stand möglich ist, muss die sozialistische Gesellschaft den technisch-industriellen Sprung in nachholender Entwicklung forcieren. Die Gewalttätigkeit des Stalinismus war in diesem Zusammenhang nur folgerichtig. Immerhin war die industrielle Modernisierung nicht nur in der UdSSR, sondern auch in bürgerlichen Gesellschaften oft ein gewalttätiges, teilweise sogar terroristisches Projekt.1

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts formierten sich aber auch starke antideterministische Gegenbewegungen, die Entwicklungsvorstellungen und teilweise auch das Naturverhältnis zu hinterfragen begannen. Dabei überlagerten sich verschiedene Debatten. In der westeuropäischen und nordamerikanischen Linken schlug die Frankfurter Schule eine alternative Marx-Lektüre vor, in der Naturverhältnis und Kritik der instrumentellen Vernunft eine zentrale Rolle einnahmen. Die Grundlage für diesen Perspektivenwechsel hatten Horkheimer/Adorno bereits in der „Dialektik der Aufklärung“ (1947), in der sie u. a. anhand des Odysseus- Mythos veranschaulichten, wie das listenreiche bürgerliche Subjekt Fortschritt als eine Erweiterung des Herrschaftswissens begreift und gleichzeitig Natur und Weiblichkeit als zu unterwerfendes „Anderes“ setzt. Im Rahmen dieser Auseinandersetzungen kam es auch zu einer Wiederentdeckung des jungen Marx und dessen Pariser Manuskripten, in denen die Entfremdungskritik – verstanden als Entfremdung des Menschen von seinem Produkt, der Gesellschaft und der Natur – im Mittelpunkt steht.

In Südeuropa, v. a. in Italien, waren es in den frühen 60er Jahren hingegen neue Arbeiterkämpfe, die ein theoretisches Interesse an Arbeitsorganisation und Entfremdung begründeten. Unter den süditalienischen Inlandsmigranten hatte sich eine neue politische Subjektivität entfaltet, die den gewerkschaftlichen Lohn- und Verteilungskämpfen fremd gegenüberstand und die fordistische Fabrik als solche als Gegner betrachtete. In diesem Kontext entwickelten italienische MarxistInnen auch eine radikale Technikkritik. Das Fließ- band wurde als Strategie analysiert, mit deren Hilfe das Kapital die Belegschaften ihrer Autonomie beraubten und die Arbeit fremdbestimmt Takten kann. Das bedeutete im Umkehrschluss, dass es – anders als von Lenin postuliert – keinen sozialistischen Taylorismus2 geben könne. Eine revolutionäre Gesellschaft müsse sich jenseits der bestehenden Technik entwickeln und die kapitalistischen Arbeits- und Lebensprozesse als solche auf den Kopf stellen.

Diese These wiederum schien sich mit den Positionen maoistischer und guevaristischer Linker im Süden zu decken (vgl. die Debatte in: Bettelheim/Castro/ Guevara 1969), die die Möglichkeit eines eigenständigen Wegs zum Kommunismus postulierte. Was nach Entwicklungskritik klang und von europäischen Linken auch so (miss-)verstanden wurde, war in erster Linie innerkommunistischen Strategiekonflikten geschuldet. Da der Sowjetmarxismus davon ausging, dass Entwicklungsstadien historisch determiniert sind, setzten moskautreue Kommunisten in der ganzen Welt auf Reformbündnisse mit nationalen Entwicklungsbourgeoisien. Damit gerieten sie in Konflikt zu dem maoistischen und guevaristischen Revolutionsmodell, das den Aufbau von Guerillagruppen propagierte und von der Möglichkeit überzeugt war, die bürgerliche Phase einfach überspringen zu können. Der Maoismus formulierte in Abgrenzung zum großindustriell strukturierten Sowjetmarxismus die Notwendigkeit eines eigenen, stärker bäuerlich geprägten kommunistischen Wegs.

Das Primat der Politik und der Irrsinn der Ideologie


Die verschiedenen Ansätze der Technik- und Modernismuskritik mündeten jedoch nicht minder in der Sackgasse als der traditionsmarxistische Technikfetischismus. In der europäischen und nordamerikanischen Neuen Linken gewannen anthropologische Ursprünglichkeitsvorstellungen die Überhand, die – vom bürgerlichen Diskurs des „freien Wilden“ kaum zu unterscheiden – die Subsistenzformen von Indigenen, Dorfgemeinschaften und Roma idealisierten und bruchlos an die Esoterik anschlussfähig waren.

Noch weitaus dramatischer verlief die Geschichte des Maoismus. Auch wenn es diesem nie um ein alternatives Naturverhältnis, sondern um eine Veränderung der Beziehungen von Stadt und Land sowie von Kopf- und Handarbeit gegangen war, illustriert seine Geschichte doch, was geschehen kann, wenn auf politisch-ideologischer Grundlage alternative Entwicklungswege definiert werden. So versuch- ten die Revolutionsführer im maoistischen China und im Kambodscha der Roten Khmer, die kapitalistische Moderne durch eigene Fortschrittsparadigmen zu ersetzen. In China beispielsweise propagierte man während des „Großen Sprungs nach vorn“ (1958-1961) die Möglichkeit einer dezentralen, nichtfordistischen Entwicklung, ließ Stahl in Hinterhof-Öfen kochen und stellte die landwirtschaftlichen Anbaumethoden radikal um. Die Kampagne war ein völliges Fiasko und zog schwere Hungersnöte nach sich. Noch drastischer war die Entwicklung in Kambodscha: Hier führte der Kampf gegen die hierarchische Trennung von Kopf- und Handarbeit zur Zwangsumsiedlung der Stadtbevölkerung und zu einer wahren Hexenjagd auf Intellektuelle. Das Primat der Politik schlug in offenen Terror um.

Betrachtet man diese Entwicklung von Fortschritts- und Modernismuskritik, so wird nachvollziehbar, warum sich deutsche Linke – besonders prominent Dath (2008) oder Dath/Kirchner (2012) – heute wieder ungebrochen technikfreundlich argumentieren. In „Implex“ insistieren Dath/Kirchner auf der Marxschen Unterscheidung zwischen Produktivkraftentwicklung und Produktionsverhältnissen, sprich zwischen technischer Innovation und gesellschaftlichen Verhältnissen. Simpel ausgedrückt: Nicht die Pharmatechnik ist das Problem, sondern ihre profitorientierte Aneignung durch das Kapital.

Doch die neoleninistische Volte beantwortet die Frage, in welchem Verhältnis Technik, Entwicklung, Herrschaft und Emanzipation denn nun eigentlich stehen, nicht wirklich. Was bei Antibiotika noch jedem einleuchtet (allein, dass es sie gibt, ist ein gewaltiger emanzipatorischer Fortschritt), wird beim Thema Gentechnik schon komplizierter. Es gibt eben durchaus Wissen, das strukturell, also auch jenseits der profitorientierten Aneignung, Herrschafts- wissen ist.

Fortschritt ohne Entwicklung?

Was hat die Modernismuskritik nun aber mit dem Grünen Sozialismus zu tun? Meine These wäre, dass eines der zentralen Probleme des Staatssozialismus (eben- so wie des „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“) darin bestand, dass er kein eigenes Entwicklungsmodell (vielleicht auch Nicht-Entwicklungs-Modell) hervor- brachte. Der Sowjetmarxismus kopierte das kapitalistische Akkumulationsmodell einschließlich dessen energetischer Basis, Konsumverständnis, tayloristischer Arbeitsorganisation und utilitaristischen Naturverhältnisses. Andererseits scheiterten aber auch die Versuche, sich aus dieser Umklammerung zu befreien. Die neulinke Entfremdungskritik postulierte, zumindest implizit, einen Eigentlichkeitsbegriff, der eine vermeintliche menschliche Natur zum Ausgangspunkt nahm: Wenn die Verhältnisse „entfremdet“ sind, dann muss es auch einen Naturzustand geben, zu dem es zurückzukehren gilt. Die Experimente hingegen, auf ideologischer Grundlage alternative Entwicklungsvorstellungen zu formulieren, mündeten – wie im Maoismus – in voluntaristischem Erziehungsterror. Wo also neu ansetzen? Zunächst ein- mal scheint mir der Marxsche Entwicklungsoptimismus doppelt widerlegt. Die in der technischen Entwicklung angelegte Möglichkeit der Emanzipation – in Daths/Kirchners Worten: des sozialen Fortschritts – ist geringer als von Marx erhofft. Wissensfortschritt bedeutet unter den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen eben doch meist vor allem eine Intensivierung von Herrschaft. Zum andren, und dieses Argument wiegt vielleicht noch schwerer, stellt sich die Frage, ob es jenen Überfluss, der für Marx das Ende der Ökonomie und damit die Grundlage des Kommunismus einläuten sollte, überhaupt geben kann. Die natürliche Begrenztheit des Planeten Erde impliziert, dass stoffliche Güter nicht endlos zur Verfügung stehen können.3

Wenn man davon ausgeht, dass Kommunismus eine Aneignungsbewegung ist, in der die Gesellschaft dafür sorgt, dass Arbeitsformen, Lebensgeschwindigkeit, Konsummuster und Naturverhältnis nicht länger vom Zwang zur Kapitalverwertung, sondern in demokratischer Übereinkunft bestimmt werden, dann steht der grüne Kommunismus vor einem begrifflichen Problem: Die technische Entwicklung hat den Überfluss, den Reichtum für alle, arbeitstechnisch möglich gemacht; die Begrenztheit der Natur jedoch wirft uns auf die ökonomische Frage ‚Was brauchen wir und zu welchem Preis?’ wieder zurück.

In den Verfassungen Ecuadors und Boliviens ist in den vergangenen Jahren ein alternativer Wohlstandsbegriff verankert worden. Als Antwort auf das ökonomisch-alternativlose Enteignungsregime des Neoliberalismus haben sich soziale Bewegungen des ‚guten Lebens’ (sumak kawsay) besonnen, wie es von indigenen Gemeinschaften als gubernamentales Prinzip propagiert wird. Der ecuadorianische Indígena-Aktivist Floresmilo Simbaña (2012, vgl. Prada 2012) definiert den Be- griff folgendermaßen:

  1. Reziprozität (Sozialbeziehungen, die nicht auf Tausch, aber doch auf ausgleichender Wechselseitigkeit beruhen),
2. Gemeinschaftseigentum,
  2. die Verbindung mit der Natur (im Gegensatz zur Trennung von Mensch und Natur im modernen Denken),
4. soziale Verantwortung,
  3. Konsens in den Gemeinschaften.

In der Realität der linksregierten Länder Lateinamerikas spielen diese alternativen Parameter keine echte Rolle. Trotz der ökosozialistischen Rhetorik ist das rohstoffzentrierte, weltmarktorientierte Akkumulationsmodell in Ecuador, Bolivien und Venezuela im letzten Jahrzehnt sogar weiter vertieft worden (vgl. Bonilla 2011). Trotzdem scheint es mir erfolgversprechend, die Debatte um den Grünen Sozialismus an genau diesem, aus einer ganz anderen Denktradition stammenden Konzept aufzuhängen. Denn das Spannungsverhältnis zwischen sozialistischer Fortschrittsbegeisterung und antiimperialer Modernisierungs- und Entwicklungskritik lässt sich nicht einfach auflösen. Es ist ganz einfach beides richtig: Marx hatte Recht, wenn er behauptete, dass gesellschaftliches Wissen überhaupt erst die Befreiung von Mangel und Unmündigkeit ermöglicht. Andererseits stimmt aber eben auch, was antikoloniale Bewegungen und Intellektuelle im Süden (wie z.B. Arturo Escobar, 2007) betonen: dass nämlich der Entwicklungsdiskurs selbst Teil des imperialen Herrschaftsparadigmas ist. Die Vorstellung, Gesellschaften müssten tradierte Formen und Lebensvorstellungen überwinden, ist selbst schon Teil der neokolonialen Ordnung. Die Herausforderung für einen Grünen Sozialismus lautet, eigenständige Ziele von Arbeit, Kooperation und Ökonomie zu formulieren. Wir sollten uns dabei allerdings daran erinnern, zu welchem Horror das ‚Primat der Politik’ in der Lage ist. Der Maoismus war ja nicht nur deswegen schrecklich, weil er autoritär war, sondern auch weil er den Kommunismus jenseits der stofflichen und sozialen Realität aus dem puren Willen zur ‚Andersheit’ begründen wollte. Wenn man akzeptiert, dass Sozialismus ein radikaldemokratisches Vorhaben ist, dann wird auch klar, welche gewaltigen Konfliktpotenziale die demokratische Verständigung über dieses Projekt birgt. Der Widerspruch zwischen der sozialistischen Forderung nach größerer materieller Teilhabe und dem ökologischen Verständnis, dass sich der stoffliche Konsum der wohl- habenden 30 Prozent der Weltbevölkerung verringern muss, liegt auf der Hand. Dass die Lebens- und Kulturvorstellungen heute völlig von kapitalistischen Verwertungsnotwendigkeiten geformt sind und gerade diesen stofflichen Konsum als Ausdruck hoher Lebensqualität begreifen, macht die Sache nicht einfacher.

Der Grüne Sozialismus wird also radikal unterschiedliche Sprachen, Wissensarten und Perspektiven zusammenbringen müssen. Eine einfache Synthese, in der sich die Widersprüche dialektisch aufheben lassen, wird es nicht geben. Auch das ist Teil der Herausforderung: lernen, die Koexistenz sich unterschiedlicher Logiken in einem gesellschaftlichen Projekt zuzulassen. Wir wollen Reichtum für alle, aber weniger Konsum. Technische Innovation, aber eben auch die Freiheit, tradierte gemeinschaftliche Lebensformen beizubehalten. Stete Veränderung, aber ohne Entwicklung. Das mag widersprüchlich sein, ein Hybrid – aber mit Sicherheit realistischer als Kapitalismus ohne Wachstum, als globale Inwertsetzung ohne Naturzerstörung.

Literatur:

Bettelheim, Charles/ Castro, Fidel/ Gue- vara, Ernesto u. a. (1969): Wertgesetz, Planung und Bewusstsein – Die Pla- nungsdebatte in Cuba, Verlag Neue Kritik: Frankfurt
Binswanger, Hans-Christoph (2006): Die Wachstumsspirale, Marburg
Bonilla, Ricardo (2011): Apertura y repri- marización de la economía colombiana, in: Nueva Sociedad Nr.231, Buenos Aires Dath, Dietmar (2008): Maschinenwinter, Suhrkamp: Frankfurt
Dath, Dietmar/ Kirchner, Barbara (2012): Der Implex, Suhrkamp: Berlin
Escobar, Arturo (2007): La invención del Tercer Mundo Construcción y deconstruc- ción del desarrollo, Caracas, Venezuela Horkheimer, Max/ Adorno, Theodor W. (1947): Dialektik der Aufklärung, Querido Verlag: Amsterdam
Prada, Raúl (2012): El vivir bien como alternativa civilizatoria: Modelo de Esta- do y modelo económico, in: Lang, M. / Mokrani, D. (Hg): Más allá del Desarrollo, Fundación Rosa Luxemburg: Quito Roesler, Jörg (2010): Der schwierige Weg in eine solidarische Wirtschaft. Historische Erfahrungen aus Weltwirtschaftskrise und New Deal. Supplement Sozialismus 9/

2010, VSA: Hamburg
Simbaña, Floresmilo (2012): El sumak kawsay como proyecto político in: Lang, M./ Mokrani, D. (Hg): Más allá del Desar- rollo, Fundación Rosa Luxemburg: Quito

1 Das Entstehen der bürgerlichen Gesellschaften in Großbritannien und Frankreich ging mit dem Entstehen von autoritären Einrichtungen wie den Arbeitshäusern einher, in denen die nomadisierende Armut gefangen gehalten und diszipliniert werden konnte. Und die Wirtschaftswunderländer Südkorea und Taiwan befanden sich während der großen Modernisierungswelle 1950-1985 fest in den Händen von Militärdiktaturen.

2 Als Fordismus bezeichne ich das auf Massenproduktion und -konsum beruhende Akkumulationsmodell. Der Begriff Taylorismus beschreibt eine Arbeitsorganisation, in der Handlungen und Bewegungen der Belegschaft ‚wissenschaftlich-effizient’ gestaltet werden.

3 Michel Bauwens, Theoretiker der freien Software-Bewegung formuliert die These, dass die Ökonomie deshalb perspektivisch in zwei Teile zerfällt. In der digitalen und Wissenswelt werde sich, so Bauwens, das Prinzip des Teilens durchsetzen; Märkte erfüllten hier ökonomisch keine Funktion mehr. Was die stoffliche Welt angehe, müsse die Gesellschaft hingegen eine Form entwickeln, mit der Begrenztheit von Gütern um- zugehen. Diese ökonomische Form müsse wachstumslos, d. h. nichtkapitalistisch sein.

Raul Zelik ist Schriftsteller und Professor für Politik an der Universidad Nacional de Colombia in Medellín. Er forscht zur Entregelung von Staatlichkeit.

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