Bundeswehr in Schulen

Seit der Abschaffung der Wehrpflicht in Deutschland leidet die Bundeswehr unter einem massiven Personalproblem. Um die klaffende Lücke an Menschenmaterial zu schließen, drängen die Headhunter in Uniform immer massiver in staatliche Bildungseinrichtungen. Doch es formiert sich auch Widerstand unter den betroffenen Schüler_innen, Eltern und Lehrkräften.

Von Lena Sachs
aus telegraph #127|128

Immer massiver wirbt die Bundeswehr um Herzen und Köpfe in der deutschen Bevölkerung. Insbesondere unter Jugendlichen sollen die Jugendoffiziere der Bundeswehr für Zustimmung und Sympathie sorgen. Denn neben „freiwilligen“ Rekruten und Rekrutinnen ist eine Armee im weltweiten Einsatz auch auf den Rückhalt in der Bevölkerung angewiesen. Daher treten sowohl die Jugendoffiziere als auch die Karriereberater der Bundeswehr verstärkt an die junge Generation heran und verschaffen sich diesen Zugang zunehmend über staatliche Bildungseinrichtungen.

In den letzten Jahren hat sich der, bereits seit den Gründungsjahren der Bundeswehr, bestehende Einfluss der Bundeswehr, auf das Bildungswesen zunehmend verstärkt und mit den seit 2008 in nunmehr acht Bundesländern unterzeichneten Kooperationsvereinbarungen zwischen Bundeswehr und Kultusministerien einen besorgniserregenden Höhepunkt erreicht. Nicht zuletzt diese Kooperationsabkommen haben auch das öffentliche Interesse und die Bewegung gegen diese fragwürdige Zusammenarbeit gestärkt.

Bundesweit zeichnet sich bei den seit 2008 vergleichbaren Zahlen zwischen 2011 und 2012 erstmals ein Anstieg der Einsätze der Jugendoffiziere ab. Während 2011 laut des letzten Jahresberichtes der Jugendoffiziere, die Zahl der erreichten Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei 156.805 lag, waren für das Jahr 2012, so die Antwort auf eine kleine Anfrage an den Bundestag, bereits 175.447 zu verzeichnen. Den Jahresberichten der Jugendoffiziere der einzelnen Bundesländer zur Folge sind die Einschätzungen zu den Auswirkungen durch die Kooperationsvereinbarungen recht unterschiedlich. Die Jugendoffiziere Bayerns schreiben in ihrem Bericht von 2011: „die Zusammenarbeit mit Lehrern (…) ist unverändert gut und intensiv. (…) Leider hat die Kooperation bisher nicht zu einer Steigerung des Bekanntheitsgrades des Angebots der Jugendoffiziere an den Schulen geführt.“ Im baden-württembergischen Bericht heißt es: „Die Kooperation (…) verläuft insgesamt in allen Bereichen sehr positiv. Regelmäßige Konsultationen erfolgen auf allen Ebenen und vertiefen und festigen die Zusammenarbeit stetig.“ In Nordrhein-Westfalen hat sich „die Unterzeichnung der Kooperationsvereinbarung (…) für die Arbeit der Jugendoffiziere als positiv herausgestellt. Bei der Akquise an Schulen war es hilfreich auf diese Vereinbarung hinzuweisen.“ Laut der Länderberichte ist die Zusammenarbeit nicht in der Breite bekannt, aber gerade mit den Ausbildungseinrichtungen für ReferendarInnen sowie Regierungspräsidien verfestigt sich die „vertrauensvolle Zusammenarbeit“ stetig. So leiten bereits einige Regierungspräsidien die Angebote der Jugendoffiziere direkt an die LehrerInnen weiter. Ziel ist es, die Jugendoffiziere schon in die Ausbildung der Referendar- und die Lehrerfortbildung stärker einzubinden, um bei diesen so genannte Multiplikatoren Akzeptanz, Interesse und Wohlwollen für zukünftige Zusammenarbeit zu erzeugen.

Dass Jugendoffiziere verstärkt an Schulen in Ost- gegenüber Westdeutschland „Informationsarbeit“ leisten, lässt sich meines Erachtens nicht deutlich feststellen, zumal Kooperationsvereinbarungen sowohl in den alten als auch neuen Bundesländern unterzeichnet wurden und die länderspezifischen Jahresberichte der Jugendoffiziere bislang nur für Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen vorliegen. Was sich jedoch klar abzeichnet, ist eine erhöhte Aktivität der Wehrdienstberater und anderer Maßnahmen der Nachwuchswerbung im Osten Deutschlands. Hier liegt die Vermutung nahe, dass seitens der Bundeswehr die in Ostdeutschland oftmals schlechteren beruflichen Chancen für die Rekrutierung ausgenutzt werden. Auch bei den Soldaten und Soldatinnen, insbesondere bei denen, die sich in Auslandseinsätzen befinden, zeigen sich die Ostdeutschen als überrepräsentiert wie aus einer Anfrage an die Bundesregierung von 2010 hervorgeht.
Prof. Michael Wolffsohn von der Hochschule der Bundeswehr in München sagte in einem Radiobeitrag für Deutschlandradio Kultur am 13. 1. 2011: „In der Bundeswehr findet man überproportional viele Ostdeutsche, und zwar ostdeutsche Unterschichten. Rund ein Fünftel der Bundesbürger lebt im deutschen Osten, aber etwas mehr als ein Drittel des Bundeswehrpersonals stammt aus den Neuen Ländern. Das Wirtschafts- und Sozialgefälle zwischen dem deutschen Westen und Osten spiegelt sich in der Bundeswehr wider. Wie bisher seit der Wiedervereinigung wird die neue Bundeswehr eine ostdeutsche Unterschichtenarmee sein. ‚Weil du arm bist, musst du früher sterben.’“ Für diese unverzerrte Realitätsbeschreibung ist er nicht nur von seinem Verteidigungsminister attackiert worden.

Dass in weiteren Bundesländern derartige Kooperationsabkommen geplant sind, ist bislang nicht bekannt. Es besteht die Vermutung, dass momentan darauf verzichtet wird, da die Zusammenarbeit ohnehin gut läuft und um der Gegenbewegung keine weitere Angriffsfläche zu bieten. Momentan scheint der Trend der Landesregierungen zu sein, Kooperationsvereinbarungen zu überarbeiten, um so zu versuchen, kritischen Stimmen die Argumentationsgrundlage zu entziehen (Saarland, NRW), oder zusätzlich Kooperationsabkommen mit der „Friedensbewegung“ abzuschließen (RLP, NRW). Diese Feigenblattlösung, welche die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr zusätzlich legitimiert, wird zwar nur von wenigen Personen als Möglichkeit gesehen, von der deutlichen Mehrheit der Aktiven in diesem Bereich jedoch strikt abgelehnt (siehe http://www.imi-online.de/2011/09/13/friedensbewegung-auf/).

Mit der Intensivierung der Kooperation zwischen Bundeswehr und Schulen regt sich auch zunehmend Protest in der Bevölkerung. In einigen Bundesländern haben sich in den letzten Jahren landesweite Bündnisse zusammengeschlossen und etliche lokale Gruppen arbeiten primär auch zu diesem Thema.

Die bundesweite Aktionswoche im September letzten Jahres (siehe antimilaktionswoche.wordpress.com) hat den Versuch gestartet, die einzelnen Initiativen, auch aus dem Bereich der Zivilklausel-Bewegung an den Hochschulen, bundesweit zu vernetzen. Während der von über 100 Organisationen unterstützten Aktionswoche fanden in vielen Städten Protestaktionen und Infoveranstaltungen statt. Vor Ort waren es aber leider wenig Aktive, die sich konkret an Aktionen beteiligt haben. Eltern, beispielsweise Landeselternvertretungen, die bedeutsame Mitstreitende im Kampf gegen die Militarisierung des Bildungswesens wären, sind bislang kaum für die Thematik zu gewinnen. Auch Lehrkräfte sind eher vereinzelt in dieser Sache aktiv. Wichtig dabei ist, dass die „Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)“ dem Thema einen wichtigen Stellenwert einräumt und sich gezielt für die Kündigungen der bestehenden Kooperationsabkommen einsetzt. Die GEW hat im Oktober 2011 die Broschüre „Einsatzgebiet Klassenzimmer – Die Bundeswehr in der Schule“ herausgebracht und fordert für die Schule stattdessen Friedens-Bildung und -Erziehung.

Schülerinnen und Schüler sind zwar mit Protestaktionen vor oder während vieler Veranstaltungen häufig präsent, dennoch geht auch von diesen Gruppen bislang kein breiter Widerstand aus.

Auch wenn bei diesem Protest nicht von einer Massenbewegung gesprochen werden kann, diese Zusammenschlüsse sind aber dennoch ernstzunehmende Gegner, die auch ausdrücklich in den Jahresberichten der Jugendoffiziere Erwähnung finden. Die Liste der unterstützenden Gruppen der Aktionswoche für militärfreie Bildung und Forschung sowie insbesondere Berichte in „bürgerlichen“ Medien zeigen, dass es sich hierbei um ein Thema handelt, das nicht nur innerhalb der Friedensbewegung und in linksradikalen Strukturen, sondern auch in der Breite der Bevölkerung diskutiert wird. Mit Aufsehen erregenden Aktionen, wie die „BRAVO-bw-adventure-camps“ oder dem Skandal rund um die an Grundschulen gebastelten „Engel für Afghanistan“, rückte die Nachwuchswerbung der Bundeswehr verstärkt in den öffentlichen Blick und löste viel Unbehagen und Proteste aus.
Sowohl Bundeswehr als auch Politik sehen sich zur Reaktion auf die Kritik genötigt. So hat sich Verteidigungsminister de Maizière jüngst in die Diskussion eingemischt und sich für die Wichtigkeit der Jugendoffiziere an Schulen ausgesprochen. Er ließ sich vom grünen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Kretschmann versichern, das Baden-Württemberg an der Kooperationsvereinbarung festhält, entgegen der Stimmung in der Landesregierung. Denn Kultusminister Stoch (SPD) sowie die Fraktionen der Grünen und SPD sind einer Kündigung der Vereinbarung gegenüber durchaus aufgeschlossen. Es wird also von oberster Ebene Druck auf die Kultusministerien ausgeübt, an den Vereinbarungen festzuhalten.
Die Bundeswehr scheint sich aber durchaus bewusst zu sein, dass es sich bei ihrem Einfluss um eine sowohl politisch, als auch pädagogisch heikle Frage handelt. So wurde einem Jugendoffizier beispielsweise kurzfristig die Teilnahme an einer Diskussionsrunde zu dieser Thematik untersagt, mit der Begründung, es handle sich um ein aktuell zu brisantes Thema. Eine wichtige Erfahrung: Auch durch Protest vor oder während Veranstaltungen war und ist die Bundeswehr durchaus zum Rückzug zu bewegen. Auch wollen einige Schulleiterinnen und Schulleiter in Zukunft darauf verzichten, die Bundeswehr einzuladen, um zu verhindern, durch Protestaktionen in negative Schlagzeilen zu geraten.

Wichtige Schritte im Kampf gegen die Militarisierung des Bildungswesens waren die Selbstverpflichtungen von Lehrkräfte- und Schulkonferenzen zur „militärfreien Zone“, die in der BRD an mittlerweile sechs Schulen bestehen. Zuletzt ging die Initiative an einer Schule in Darmstadt hierzu von der Vertretung der Schülerinnen und Schüler aus. Diese Schulen sind wichtige Leuchtturm-Projekte – mehr Informationen gibt es im Internet unter schule-ohne-militaer.de.

Auf der Internetseite bundeswehr-wegtreten.org werden unter „Termine“ Werbeauftritte der Bundeswehr auf Messen und Ausstellungen, in Jobcentern und Arbeitsämtern und auch in Schulen und Berufsschulen für das laufende Quartal zusammengestellt. Die Informationsstelle „Militarisierung e. V. (IMI)“ hat im Internet einen kurzen vierseitigen Leitfaden zu „Bundeswehr und Schulen“ zusammengestellt (http://imi-online.de/download/factSheetSchuleBW2011_web.pdf, er ist auch in gedruckter Form bestellbar). Auf der oben genannten Seite schule-ohne-militaer.de findet sich im Downloadbereich z. B. ein Entwurf für einen Antrag für ein Schul-Gremium auf Nicht-Zusammenarbeit mit der Bundeswehr.

Auch wenn es wohl unwahrscheinlich ist, in naher Zukunft Jugendoffizieren, die gezielt von Lehrkräften eingeladen werden, den Schulbesuch zu verbieten, so scheinen doch die Kündigungen der bestehenden Vereinbarungen als durchsetzbar.

Doch hierzu muss der Druck weiter erhöht werden und sich eine breite kritische Öffentlichkeit zu Wort melden. Die Kündigungen der Kooperationsvereinbarungen bedeuten nicht das Ende der Zusammenarbeit, es liegt darin jedoch eine hohe symbolische Signalwirkung, und es ist ein wichtiger Schritt, der Bundeswehr die Legitimationsgrundlage für ihre Propaganda an Schulen zu entziehen. Als realistisch erachte ich auch die strikte Durchsetzung eines Verbotes von Nachwuchswerbung durch die Wehrdienst- bzw. so genannte Karriereberatung der Bundeswehr an Schulen und ich möchte dafür plädieren, diese Forderung nicht aus dem Blickfeld geraten zu lassen.

Für einen erfolgreichen Kampf gegen die zunehmende Militarisierung des Bildungswesens, die offensichtliche und subtile Einflussnahme der Bundeswehr auf die politische Bildung, die gezielte Nachwuchswerbung in Schulen und anderswo sowie die Selbstverständlichkeit und Akzeptanz von uniformierten Soldaten und Soldatinnen im zivilen Alltag, müssen jedoch noch weitere Bemühungen um einen breiteren Widerstand unternommen werden. Das Selbstbekenntnis von weiteren Schulen zur „militärfreien Zone“ sowie der Zusammenschluss von regionalen Bündnissen, die vor Ort Widerstand organisieren, Entwicklungen verfolgen und Informationsarbeit leisten, scheinen mir als wichtige weitere Schritte. Dabei ist es unumgänglich, mit entsprechenden Veranstaltungsformaten insbesondere die Gruppen der Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrkräfte anzusprechen.

Am 14. Juni 2013 wird ein bundesweit angelegter, dezentraler Aktionstag für militärfreie Bildung und Forschung stattfinden. Dazu sind Alle herzlich eingeladen, sich mit Aktionen und Veranstaltungen vor Ort an diesem Tag zu beteiligen. Außerdem wird es Ende diesen oder Anfang nächsten Jahres erneut eine bundesweite Aktionswoche geben. Mehr Informationen hierzu gibt es unter antimilaktionswoche.wordpress.com.

Lena Sachs ist aktiv bei der Kampagne „Schulfrei für die Bundeswehr“ in Baden-Württemberg. Sie ist Autorin der Studie „Die Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und Bildungseinrichtungen – eine kritische Analyse“ (Centaurusverlag 2012). Masterstudium der Erziehungswissenschaften an der Pädagogischen Hochschule Freiburg.

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