Kommentar: Debatte um das neue Wahlgesetz

Organisationen sollen von der Wahl ausgeschlossen werden
aus telegraph 02/1990, vom 22. Januar

Organisationen sollen von der Wahl ausgeschlossen werden

Jetzt soll also bald gewählt werden, und zwar nicht auf kommunaler Ebene, wie es nach dem Wahlbetrug vom vorigen Jahr anstehen würde, sondern gleich zur Volkskammer. Das bietet Alt- und Neuparteien viel Stoff für unüberprüfbare Wahlversprechen und wir können getrost annehmen, daß uns in nächster Zeit von den Litfaßsäulen her das Blaue vom Himmel heruntergelogen wird. Wie es um die Fährnis in diesem Wahlkampf beschaffen sein wird, dafür wurde schon jetzt ein häßliches Beispiel geliefert. Schon im vorigen Jahr wurde ja spekuliert, daß die Altparteien das Antreten des Neuen Forums und anderer Organisa­tionen verhindern wollten, indem sie im neuen Wahlrecht nur Parteien zur Wahl zulassen. Eine Überraschung und ein Zeichen von besonderer Scharmlosigkeit war es, daß sich jetzt am Runden Tisch sowohl die SPD als auch die Grünen gegen das Wahlrecht von Organisationen aussprachen. Die Begründungen liefen darauf hinaus, daß Parteien im Gegensatz zu Organisationen über ein fixiertes und daher wählerfreundli­ches Programm verfügen und außerdem Doppelmandate ausgeschlossen werden sollten. Frech war, daß der Vertreter der Grünen Partei zugleich für seinen Verein wieder einmal den Begriff „Basisdemokra­tie“ usurpierte. Natürlich geht es aber in Wirklichkeit den beiden Parteien darum, den stärksten Konkurrenten, das Neue Forum von der Wahl auszuschließen. Die SPD handelt dabei der Weisung ihrer Bonner Schwesterpartei gemäß. Dort scheint man anzunehmen, daß die Ost-SPD ohne die Konkurrenz des Neuen Forum über 50% der Stimmen auf sich vereinigen kann. Dagegen waren natürlich die Argumente der Vertreter der Bürgerbewegungen völlig machtlos. Sie betonten, daß gerade das Neue Forum eine zentrale Rolle bei den gesellschaftlichen Veränderun­gen gespielt habe und eine Ausschließung dieser Organisation von den Wahlen nicht der Logik der jüngsten Entwicklung entspreche.

Noch ist die Debatte über das neue Wahlgesetz nicht beendet, aber das Ergebnis scheint absehbar. Der infame Schachzug der Alt- und Neuparteien dürfte zu einer Spaltung des Neuen Forums und damit zum vorläufigen Sieg der Vertreter- über die direkte Bürgerdemokratie führen. Bleibt zu hoffen, daß die Bürgerbewegungen wenigstens auf Landes- und lokaler Ebene das Heft in den Händen behalten und den Regierenden der Zentrale starke Gegengewichte entgegensetzen können.

r.l.

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