Durchsuchung der Offenen Arbeit Jena

aus telegraph 2/3 1996
von Wolfgang Rüddenklau

Zu einem polizeilichen Übergriff auf die Räume der Jenenser „Offenen Arbeit“, einer zu DDR-Zeit häufig behördlich attackierten evangelischen Jugendarbeit, kam es jetzt erstmals wieder seit der Wende. Am 27. Februar drangen etwa 50 Polizeibeamte mit und ohne Hunde in die Räume in der Johannisstraße 14 ein. Die anwesenden 100 bis 120 Jugendlichen wurden durchsucht, ebenso wie drei MitarbeiterInnen, darunter der Stadtjugendpfarrer. Obwohl sie darauf hingewiesen wurden, daß die Räume nicht zur Jugendarbeit gehören, bohrte die Polizei die Schlösser der anliegenden Räume des Kirchenchores auf. Die Durchsuchung fand ohne neutrale Zeugen statt. Gefunden wurden, was in einer Presseerklärung des Stadtjugendpfarramtes angezweifelt wird, angeblich 10 bis 50 Gramm Haschisch. Ein junger Mann wurde wegen des Verdachts, gegen das Waffen- und das Betäubungsmittelgesetz verstoßen zu haben, festgenommen und am nächsten Tag wieder entlassen. Beschlagnahmt wurde bei ihm nach Angaben der Polizei ein Tonfa (asiatischer Schlagstock, der überall käuflich ist). Die Durchsuchung war am 16. Februar vom Amtsgericht Jena angeordnet worden. Der Leiter der Geraer Staatsanwaltschaft wollte sich nicht zu laufenden Ermittlungen äußern, meinte aber, ihm sei berichtet worden, daß es sich bei dem durchsuchten Gebäude um ein „Alternativobjekt“ handle, „daß sich äußerlich in einem absolut ungepflegten Zustand befindet.“

Zu einer neuen Polizeiaktion führte dann ein Plakat, das in der Nacht vom 30. Februar zum 1. März an mehreren Stellen der Stadt an Litfaßsäulen geklebt wurde. Es hieß dort: „Sehr geehrte Herren Richter, das Gesetz ist auf ihrer Seite und das Recht wird Ihnen zuteil, die Beschwerde rechtlos bleiben, ich weiß, ich weiß, ich weiß, sie werden wiederkommen, korrekt und pflichtgemäß das Gesetz zu erfüllen, bis sie nichts mehr finden …, nur Leere noch und Angst und Mißtrauen und und Wut und Verzweiflung zur Nachtzeit.“ Nach DDR-Manier entfernte daraufhin die Polizei noch in der Nacht von sämtlichen Litfaßsäulen diese Plakate. Offenbar in diesem Zusammenhang wurde der Stadtjugendpfarrer Lothar König mit seinem Auto von ca.sieben Polizeiautos gestoppt und das Auto durchsucht. Ebenso wurden Jugendliche, die als Mitglieder der Offenen Arbeit bekannt sind, im Stadtgebiet und vor dem Eingang kontrolliert.

Immerhin war die Reaktion der Öffentlichkeit einhellig. Sogar die Ostthüringer Lokalblätter zeigten Unverständnis über das Vorgehen der Behörden. Das Jenenser Jugendzentrum „Casablance“ kündigte in einem Offenen Brief dem Drogendezernat der Polizei die weitere Zusammenarbeit, die „jeder Sinnhaftigkeit entbehre“

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