Erich Mielke, soll unser Führer sein

Die Fußballfanszene in Ostberlin
 aus telegraph #3 _ 1999
von Helmut Wyschek

Eisern Union
20. Januar 1966, TROKlubhaus. Es war ein bedeutender Tag für den Berliner Fußball. Der 1. FC Union wurde gegründet. Union war ein Arbeiterverein, ein ungeliebtes Kind. Dynamo stand in der Publikumsgunst nur auf Rang 3. Denn Unions Beliebtheit blieb unangefochten. Eine FanUmfrage hatte ergeben, dass für den neuen Fußballklub nur „Union“ als Name in Frage kam. Dazu wurden die Farben RotWeiß, also wie im Stadtwappen, gewählt, um zu zeigen, dass man im Zivilen sowieso die Nummer 1 war. Geführt von Trainer Werner Schwenzfeier meldete man sich an der „Alten Försterei“ 1966 auch wieder in der Oberliga zurück. Und im Bubenstreich von 1968 wurde im Pokalfinale von Halle/S. der Meister und Favorit FC Carl Zeiss Jena mit 2:1 vom Sockel geholt. Im Europapokal aber durfte sich Union nicht zeigen. Der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ im Sommer durch die Truppen des Warschauer Paktes folgten nicht nur scharfe internationale Proteste, sondern auch eine Neuauslosung des Europacups durch die UEFA, worauf fünf sozialistische Länder den Cup boykottierten. Union stand mit draußen und so blieb der Gruppensieg beim IFCCup im Sommer 1986 vor Bayer Uerdingen, Lausanne Sports und Standard Lüttich das internationale Glanzstück.

Die Stimmung an der „Alten Försterei“ glich einem Hexenkessel, ca. 15 000 17 000 Zuschauer kamen in den 70er, 80er Jahren, in Ligazeiten natürlich weniger, um die „Eisernen Unioner“ zu unterstützen. „Die Alte Försterei“ ist im ursprünglichen Sinne ein Fußballstadion ohne Aschenbahn, im Gegensatz zum BFCStadion. Über Siege von Union konnte man sich noch freuen, die selten genug waren, Niederlagen des BFC gab es so oft wie die Weihnachtsfeiertage eines Jahres.

Auswärts war Union eine Macht (zwischen 5003000 Fans), und allein schon aufgrund der Masse gab es immer für die anderen Fans eins auf die Mütze! Union war einfach ein wundervolles Lebensgefühl, ich glaube, einzigartig zu DDRZeiten. Aus diesem Grund wäre es auch besser gewesen, Union hätte sich nach der Wende aufgelöst, denn nach der Wende entwickelte sich Union zu einem drittklassigen Allerweltsverein mit einem Zuschauerschnitt von ca. 15002500 Fans. Selbst die ehemals gefürchteten UnionFans sind heute nicht mehr davor gefeit, auswärts Prügel von anderen Fans zu bekommen, was damals undenkbar war.

Ein Schuss, ein Tor Dynamo
Am 16. Januar 1966 wurde aus dem SC Dynamo der BFC Dynamo. Erich Mielke überreichte im Sportforum vor 1.600 Gästen dem ersten Vorsitzenden, Manfred Kirste, feierlich die Clubfahne und erklärte damit den Berliner Fußballclub Dynamo für gegründet. Am 28.05.1990 erfolgt die Umbenennung in FC Berlin, und am Anfang des Jahres 1999 vertraute man auf alte Tugenden, um am 08.05.1999 die Rückbenennung in BFC Dynamo der Öffentlichkeit mitzuteilen. Wenn man in BerlinMitte wohnte war man eher Fan des BFC (es war alles in allem stadtbezirksabhängig für welchen Verein das Herz schlug), da das Stadion (FriedrichLudwigJahnSportpark) nur einen Katzensprung entfernt in der Schönhauser Allee im Prenzlauer Berg seine Heimstätte hatte. Ab Mitte der 80iger wurde der BFC Dynamo immer mehr zum Verein von Skinheads/Hooligans, da diese sich vom Verein der Langhaarigen (Union) nicht angezogen fühlten, bzw. sich radikal unterscheiden wollten (obwohl es auch bei Union eine SkinheadSzene gab, die wiederum zum Teil auch Kontakte zu BFCSkins/Fans hatten.) Auswärts kam der BFC auf höchstens 200300 Fans/Hools, die überall gehasst wurden. Aber dieses Gefühl, gehasst zu werden, machte den Reiz aus! Nicht umsonst gab es den Spruch: „Wir sind wenig, aber geil!“ Und dazu noch ein vermeintlicher StasiKlub! Unter diesem Vorzeichen kann man immer auf eine geile Prügelei hoffen! Bei so wenig Fans, gerade auswärts, wo man einfach zusammen halten musste, um nicht völlig unter die Räder zu geraten, entwickelte sich ein einmaliges Zusammengehörigkeitsgefühl! Da jeder jeden kannte, konnte man sehr oft mit 100 Leuten einen Mob von mehreren hundert gegnerischen Fans in die Flucht schlagen. Die BFCFans waren einer der schlagkräftigsten Mop neben Union! (Mitte der 80er Jahre bildete sich die erste HooliganSzene der DDR heraus. Der harte Kern bestand aus 50 bis maximal 200 Leuten, die sich in anderen Städten handfeste Auseinandersetzungen mit gegnerischen Fans und der VP lieferten. Im Regelfall waren sie stets zahlenmäßig unterlegen, gewannen aber, weil sie durchtrainierter, entschlossener und taktisch gewiefter waren.)

Die Stimmung bis Mitte der 80er Jahre im Stadion des BFC war alles in allem ziemlich harmlos, um nicht zu sagen beschaulich, da der BFC selbst zu seinen größten Zeiten nur über das zahlenmäßig gleiche Zuschauerpotenzial verfügte wie Union während all seiner Auf und Abstiegszeiten. Zumal viele StasiLeute und Erfolgfans die sportlichen Ränge auffüllten. Die Massen pilgerten zum, oftmals im hinteren Mittelfeld platzierten, 1. FC Union. Die Köpenicker galten als Mannschaft des Volkes. Dagegen wurde die BFCSzene recht schnell mit Sprüchen abgetan, wie z.B.:“Beim BullenVerein ist doch nichts los! Da gehen nur Kinder hin!“ Es war tatsächlich so, dass die Derbys für den BFC den Charakter normaler Auswärtsspiele besaßen.

Jedenfalls gab es bis Ende der 70er Jahre für die wenigen BFCer nur Prügel, zumal sie, besonders im Vorfeld der Derbys im Stadion der Weltjugend, zum größten Teil unkoordiniert anrückten. Doch dafür revanchierte man sich ab 1980/81 nach dem jeweiligen Spiel. Während der Meisterjahre gab es oft Resultate die sich zwischen einem 2:0 und 8:1 bewegten, sodass sich oft folgender, skurriler Ablauf vollzog: Während ein Großteil der Unioner keinen Bock auf das bittere Ende verspürte und abwanderte, verblieb der immer noch zahlenmäßig gleich starke Rest bis zum Abpfiff im Stadion, um schließlich von der VP den Weg Richtung SBahnhof Friedrichstraße geebnet zu bekommen. Nachdem die BFCer noch ein Weilchen festgehalten wurden, rannten sie, immerhin einige hundert, die mehr als zwei Kilometer vom Stadion über die Chausee und Friedrichstraße zum SBahnhof, um vor den zwei nadelöhrähnlichen Bahnhofseingängen die UnionFans noch zu erwischen. Dass Union mit schöner Regelmäßigkeit einging, lag daran, dass sie weder die Leitwölfe hatten, noch wollten sie wahrhaben, dass ihnen ausgerechnet in Berlin eine Minderheit den Rang ablief, während sie sonst sogar der Polizei Paroli boten und andere Fans gänzlich in die Schranken wiesen! Zur damaligen Zeit war normalerweise die Größe des Mobs entscheidend, sodass die Fans von Union und Chemie Leipzig die erste Geige spielten, während sich die BFCer allenfalls im breiten Mittelfeld tummelten. Sehr beliebt war das sogenannte „Rupfen“ gegnerischer Fans, woran sich mindestens zwei Drittel der jugendlichen Stadionbesucher beteiligt haben! Der Kurs war relativ fair. Für einen Schal gab es eine vors Maul. Doch rannten zwischen 1978 und 1984 noch viele BFCer mit, um dementsprechend mitzumachen, so war das Aufkommen der Hooligans auch nicht gerade das, weshalb die meisten gekommen waren. Bisher disziplinierte sich der Mob oftmals untereinander, wenn einige wenige nicht von einem Unglücklichen ablassen wollten. Was über das Rupfen und ein, zwei Schlägen hinaus ging, war den meisten Fans doch eher suspekt. Zwar musste immer ein bisschen Action sein, um für den Nachwuchs interessant zu bleiben, damit nicht alle zu Union rannten und einem wenig später an den Hals wollten, doch eigentlich ging es den meisten BFCern nur darum, das letzte Wort zu haben! Sie waren großkotzige Berliner. Andererseits war ausgerechnet der Vorzeigeverein immer ein Sammelbecken für subversive Gestalten! Vielleicht spielte ein Hauch Palastrevolte mit hinein? Es lag wohl daran, dass in Prenzlauer Berg und den angrenzenden Bezirken seit jeher mehr urbane Charaktere wohnten als anderswo und diese mangels eigener subkultureller Infrastruktur ganz gerne mit den Fußballrowdies den realexistierenden sozialistischen Alltag lockerer gestalteten! Immerhin galten die BFCer als einer der lustigeren Mobs in der hiesigen FanLandschaft. Diese allseits gelobte kreative Subkultur beruht jedoch auf dem Engagement einiger weniger.“ ¹

Die panische Furcht vor Gegendemonstrationen der sich formierenden politischen Opposition vor fremden Augen, Ohren und Kameras sorgte immer öfter für ein handverlesenes Publikum. Vor allem für die ECGastspiele des Hamburger SV und von Werder Bremen kam keine Karte an die öffentlichen Kassen. Die Tickets gingen in die Dienststellen des MfS, des Innenministeriums, der SED und der Gewerkschaft. Die Fußballfans blieben ausgeschlossen und dann auch in der Oberliga weg. 1988 waren es nur noch 7.000, die mit dem BFC den zehnten Titel feiern wollten.

Herbst ’89 und die Vopo
„Über Nacht verloren sie jegliche Autorität. Desillusioniert und schlecht ausgerüstet sahen sie sich einem Mob gegenüber, der darauf brannte, für alles zurückzuzahlen. Denn nur allzu oft übertrugen die Provinzler ihren Unmut, den sie auf den Staat hatten, auf den BFC und seine Fans! Wie Aussätzige wurden sie Spieltag für Spieltag mit „SchieboarMeistoar BähäfZäh“Chören bedacht. Es lag auf der Hand, dass viele, die mal zum BFC gingen, nun wieder vorbeischauten, um für unschöne Szenen zu sorgen. November ’89 in Jena: 500 Berliner plünderten Geschäfte, überfielen Tankstellen und schlugen die VP in die Flucht! Im Stadion kam der Mob nie zur Ruhe. Es folgte der Spielabbruch. Zu Mauerzeiten standen selbst nach wüsten Randalen mit mehreren hundert Beteiligten am Montag nur umnebelte Infos wie „Ein Teil des Publikums war etwas unsportlich!“ in der Zeitung, doch nun krachte es! Für den Mob war diese von den BoulevardBlättern zur Schau getragene Entrüstung die beste Publicity. Zum ersten Mal war es angesagt, sich als BFCer zu bezeichnen! Nun verfügte die Szene über eine Substanz, welche nahezu jede Woche für Schlagzeilen sorgte. In Berlin ging es, nicht nur an Spieltagen, gegen besetzte Häuser und auswärts gegen die VP. Wie es um das Kräfteverhältnis bestellt war, verdeutlicht die Tatsache, dass das im Osten erste besetzte Haus, am Senefelder Platz, mit der zwei Nummern weiter stationierten Polizei eine Sicherheitskoalition einging, weil es den Mob nach jedem Heimspiel dorthin zog.“ ¹

Bei Union war es die Masse, bei BFC die geniale Organisation einzelner Leute. Gerade als Skinhead/Hooligan zu einem StasiVerein zu halten, ist faszinierend bzw. etwas Widersprüchlicheres konnte es nicht geben ein geiles Gefühl!
Auch was die Kleidung betraf, die sehr westlich war, unterschied man sich gewaltig von den anderen OberligaKlubs. Union konnte da auch schon ein wenig mithalten. Die sogenannten KuttenFans waren beherrschendes Erscheinungsbild in den DDRFußballstadien. Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre entwickelte sich dann zunehmend der Mythos BFC, wo es dann Mode war, zum BFC zu gehen, und man so ohne Probleme einen gewaltbereiten Mob bis zu 2000 Leuten zusammentrommelte (Hools, Skins und andere…). Der BFC Dynamo ist deutschlandweit wohl der einzige Verein, der fast nur aus jugendlichen und der Gewalt nicht abgeneigten Fans besteht! Auch dieses macht ihn so anziehend!

Mythos BFC?
Der legendäre Ruf entstand erst nach der Wende. Der BFC Dynamo rannte gegen eine Wand des Zornes und der Ablehnung, was das Auseinanderfallen des BFC nach der Wende 1989 und damit auch den Absturz in die Drittklassigkeit beschleunigte. Um den Stallgeruch des allseits umsorgten Ziehvaters, Erich Mielke loszuwerden, erfolgte am 28.05.1990 die Umbennung in FC Berlin. Den ehemaligen BFCVerantwortlichen ist mit dieser hektischen Namensänderung jedoch nicht gelungen, die verlorene Gunst beim Berliner zurückzugewinnen. Und von Imagegewinn konnte schon gar keine Rede sein, eher das Gegenteil ist eingetreten. Die Fans sind weggeblieben oder gar nicht mehr gekommen. Von den Übriggebliebenen, Nachgerückten (meistens junge Fans) wurde der Name hartnäckig ignoriert bzw. nicht anerkannt. Nach wie vor wurde die Mannschaft mit „BFC“ und „Dynamo“Rufen angefeuert.

Trauriger Höhepunkt!
Bei stundenlangen gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Hooligans und der Leipziger Polizei am Rande des Fußballspiels zwischen dem FC Berlin und Sachsen Leipzig am 03. November 1990 in Leipzig wurde der 18jährige Mike Polley (aus dem Umfeld der Berliner HoolSzene) von fünf Schüssen getroffen und getötet. Fünf andere wurden durch Schüsse aus Polizeipistolen schwer verletzt. Traurige Besonderheit: Die Leipziger Polizei, machte von der Schusswaffe Gebrauch, ohne jemals ernsthaft in arge Bedrängnis geraten zu sein. Am 10. November 1990 fand ein Trauermarsch von ca. 1000 BFCer für Mike Polley statt!

Aussichten Einsichten
Trotz keinerlei Organisationsstruktur ist es eine relativ homogene Szene mit ausgeprägtem Zusammengehörigkeitsgefühl. Neben Stadionbesuchen und Auswärtsfahrten finden mehrmals im Jahr in verschiedenen Lokalitäten große BFCPartys statt. Des weiteren verteilen sich über den Nordosten Berlins einschlägige Kneipen, in denen man Gleichgesinnte treffen kann. Gelegentlich tut sich ein Anführer hervor, der aber nur zeitweise und aufgrund besonderer Fähigkeiten respektiert wird. Die BFCHooligans zählen seit Jahren zu den Besten in ganz Deutschland. Gefürchtet bei allen, von Schalke bis Hamburg, aber auch bei der Polizei.

Viele Fragen keine Antworten
Für den anständig demokratisch erzogenen westdeutschen Fußballfan ist es schwer, nachzuvollziehen, wenn im Fernsehen Transparente wie „VEB Elektrokohle grüßt den BFC“ und DDRFahnen zu sehen sind oder Schlachtgesänge auf den Rängen intoniert werden, a la „Wer soll unser Führer sein Erich Mielke“. Eine Mischung aus OstIdentität und BerlinStolz spielen eine Rolle. Bei Partys flippen sie bei der Musik von Roger Whitaker, Marianne Rosenberg und Abba aus. Es werden abwechslungsreich „rechte“ wie „linke“ Losungen gerufen. Und sie feixen bei dem Gedanken, dass auch das kein Außenstehender verstehen kann. Wie passt das alles ins öffentliche Meinungsbild, Hooligans Rechtsradikale und dumpfe Fußballchaoten?

So sagte Jens Uwe Vogt, ein charismatischer HoolFührer, der schon zu DDRFußballzeiten einen legendären Ruf hatte „Viele von uns lieben ja auch den Fußball. Wir sind doch keine Radaubrüder, die da nur hinfahren, um Krawall zu machen.“ „Provozieren wollen wir schon. Wir machen uns über Blödheiten der Bürger lustig.“ All dies scheint dem Betrachter von außen sehr widersprüchlich, jedoch steckt eine gehörige Portion Bequemlichkeit dahinter diese und jene Gruppe zu stigmatisieren ohne einmal den Blick hinter die Kulissen gewagt zu haben.

Ich finde es falsch, eine bestimmte Gruppe auf eine politische Überzeugung festzunageln, die sie notwendigerweise gar nicht unbedingt haben muss. Es gehört heute zum Entwicklungsstadium von Jugendlichen (zahlenmäßig sehr stark vertretene Gruppe beim BFC), extreme politische Meinungen auszuprobieren. In der deutschen HooliganSzene hat der BFC einen sehr guten Ruf, da sie in der Regel auch vor einem größeren gegnerischen Mob nicht kneifen! Das schlagkräftige Potenzial ist dem rechten Lager nicht verborgen geblieben und weckte Begehrlichkeiten. Denn so unbekannt dürfte es nicht sein, das sie weitgehend rechts und deutschnational eingestellt sind. Doch die meisten, oft plumpen Unterwanderungs und Instrumentalisierungsversuche scheiterten alle kläglich und bescherten gelegentlich dem Abgeblitzten eine Abreibung. Zwar hat sich der eine oder andere auch an Aktivitäten rechter Gruppierungen beteiligt, das waren aber eher Einzelfälle und Privatvergnügen. Rein instinktiv wurde die Unfähigkeit und Konzeptlosigkeit der Rechten wahrgenommen und man entzog sich immer wieder einer Einschnürung in deren organisatorischen Korsetten.

Quelle: ¹Fanszines – Jan Schlendrians BFCVerherrlichung

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