Die UCK und der Volksaufstand im Kosovo
von Matthias Bernt
(Aus telegraph 3/4 1998)
Obwohl der Kosovo kaum weiter von Berlin weg ist als London, kam der Volksaufstand im Frühjahr für die meisten Beobachter völlig unerwartet. Noch im Winter letzten Jahres verkauften uns die Medien die UCK als ein kleines Häuflein durchgeknallter Hardliner – wenige Monate später war die albanische Guerilla zur wichtigsten politischen Kraft im Kosovo geworden, nach deren Führern westliche Diplomaten verzweifelt suchten. Sowohl der Übergang von den Aktionen einer bewaffneten Gruppe zum Volksaufstand, wie die Diffusität der politischen Führung, als auch die Abwesenheit eines Regierungsprogrammes haben die Unsicherheit noch verschärft.
Zeit also, sich der Entstehungsgeschichte der UCK im Kontext der kosovo-albanischen Gesellschaft zuzuwenden.
Kosovo-Albaner – Nation ohne Staat Wie immer im Balkan geht die Entstehungsgeschichte des modernen albanischen Nationalismus auf die Situation gegen Anfang des 20. Jahrhunderts zurück. Im Verlauf der Balkankriege eroberte Serbien 1912 das bis dahin zum Osmanischen Reich gehörige Kosovo. Aus serbischer Sicht war damit ein jahrhundertealter Kampf gegen die Osmanen glücklich zu Ende gegangen und das Herztück des mythischen mittelalterlichen serbischen Königreiches zurück erobert worden. Für die Albaner, die Bevölkerungsmehrheit im Kosovo, war die serbische Eroberung eine Katastrophe. Quer durch den albanischen Siedlungsraum wurde eine Grenze gezogen und die Cousins, Tanten und Onkel vom Nachbardorf wohnten plötzlich jenseits von ihr. Wichtige Reproduktionszusammenhänge der um Großfamilien herum gruppierten albanischen Agrargesellschaft wurden damit zerschnitten.
Während des 2.Weltkrieges wurde der größte Teil Kosovos von Italien besetzt und in das neu geschaffene Groß-Albanien eingegliedert. Der antifaschistische Widerstand (im Kosovo operierte vor allem der albanische „Balli kombetar“ und nicht die Tito-Partisanen) hatte darum zwei Ziele: Vertreibung der italienischen Okkupanten und Befreiung von „ganz“ Albanien. Entgegen diesen Hoffnungen wurde 1945 mit der Gründung der SFRJ die Grenze wieder eingeführt. Anfangs war das kaum ein Problem, denn Albanien und Jugoslawien waren schließlich sozialistische Brudervölker, die gemeinsam in eine glückliche Zukunft marschierten. Onkels und Tanten konnten sich wieder besuchen und Heiraten im Nachbardorf war auch wieder möglich.
Mit dem großen Schisma Jugoslawiens 1948 änderte sich das grundlegend: Jugoslawien war für das sozialistische Lager zum „konterrevolutionär-titoistischen“ Erzfeind geworden, während Albanien in unverbrüchlicher Treue zu Stalin hielt und die Grenze wurde wieder dicht gemacht. Die albanische Mehrheitsbevölkerung des Kosovo wurde für den jugoslawischen Staat (lange Zeit) zum potentiellen kollektiven Kollaborateur mit dem albanischen Gegner.
Gleichzeitig blieb der Kosovo das Armenhaus Jugoslawiens, in dem trikontinentale Verhältnisse herrschten. Auch ein in den 60er Jahren einsetzendes gewaltiges Investitionsprogramm vermochte die weitgehend agrarisch strukturierte kosovo-albanische Gesellschaft kaum aufzubrechen. Mit Staatsgeldern wurden vor allem kapitalintensive Basisindustrien in Bergbau und Energieversorgung aufgebaut, die wenig Arbeitsplätze schufen. Ungeachtet des Mangels an industriellen Basisstrukturen wurde in den 60er und 70er Jahren durch den jugoslawischen Staat eine gewaltige Expansion des („albanischen“) Bildungssektors in Gang gesetzt, u.a. wurde die Universität Pristina in den 70ern zur größten Jugoslawiens. Die sozialen Probleme des Kosovo waren so allerdings nicht zu lösen: Während in Industrie und Dienstleistungsbetrieben nur relativ wenig Jobs entstanden, explodierte das Bevölkerungswachstum (der Kosovo wies damals die höchsten Geburtenraten Europas auf) und der immer noch weitgehend auf traditionellen Familienstrukturen basierende Agrarsektor war immer weniger in der Lage, die entstehende versteckte Arbeitslosigkeit aufzufangen. Die Großfamilie blieb weiterhin der wesentliche soziale Bezugsrahmen, der allerdings durch den Modernisierungsprozeß in die Krise geriet. Da, wie ein Sprichwort sagt, im Kosovo „jeder mit jedem verwandt ist“ erscheint es nur logisch, daß eine Konzeption, die den Bezugsrahmen Großfamilie zu einem nationalen Projekt hoch kopierte (ausgehend von albanischen Intellektuellen an der Universität Pristina) und damit eine Antwort auf das immer sichtbarer werdende Auseinanderklaffen zwischen gesellschaftlicher Basis und jugoslawisch-zentralstaatlichem Modernisierungsprojekt bot, unter der kosovo-albanischen Bevölkerung wieder mehr Zustimmung erlangen konnte.
Genährt wurden die separatistischen Ambitionen durch die offensichtliche Unterrepräsentation albanischer Interessen im jugoslawischen Förderalismus. Auf der politischen Ebene blieben die Kosovo-Albaner als einzige größere Nationalität in Jugoslawien ohne eigenen Bundesstaat. Obwohl 1974 weitgehende Autonomierechte, so z.B. ein eigenes Parlament (damit verbunden eine eigene politische Klasse) und eine eigene Polizei, eingeführt wurden, blieb der Kosovo immer Teil Serbiens. Das hatte zwei Folgen: erstens konnte der Kosovo im Gegensatz zu den anderen Republiken auch formell nicht aus dem jugoslawischen Staatsverband austreten, zweitens wurde Kosovo-Politik zu einem wesentlichen Teil in Belgrad gemacht, Sicherheitsangelegenheiten des Kosovo waren serbische Sicherheitsangelegenheiten.
Auf diese Weise vermischten sich Ende der 70er Jahre soziale Krise und serbische Vorherrschaft zu einem Problembündel, das den Kosovo zum Pulverfaß machte.
Die dunklen 80er Jahre
1981 sollte das Pulverfaß explodieren. Im März kam es in Pristina zu Studentenprotesten gegen die schlechte Qualität des Mensaessens im besonderen und die schlechten Lebens- und Arbeitsverhältnisse überhaupt, die sich zu einer Straßenschlacht entwickelten, bei der mehrere Milizionäre schwer verletzt wurden. In den darauf folgenden Wochen entwickelten sich im gesamten Kosovo militante Auseinandersetzungen mit der Polizei, der sich nach und nach weite Teile der Bevölkerung anschlossen. Am 2.April wurde schließlich der Ausnahmezustand verhängt und das Militär zur Niederschlagung des Aufstandes eingesetzt. Nach über 100 Toten war die Ruhe wieder hergestellt.
Die 80er Jahre hindurch glich der Kosovo einem serbischen Polizeistaat. Unmittelbar nach dem Aufstand wurden die Parteiorgane, und d.h. auch die Behörden und Fabriken von unsicheren Elementen gesäubert, tausende Albaner verloren ihren Arbeitsplatz. Gegen die Gefangenen des Aufstandes wurden extrem hohe Gefängnisstrafen verhängt, selbst kleinste Vergehen (wie Flugblätterverteilen und Parolenmalen) wurden mit drakonischer Härte verfolgt. Investitionen flossen kaum noch in den Kosovo, die schon seit den 60er Jahren andauernde Emigration nach Westeuropa schwoll zu einem Strom an (es wird geschätzt, daß in den 80ern 200.000 Albaner, bei einer Bevölkerung von ca. 2 Mio., den Kosovo verließen).
Die albanische Opposition wurde dadurch zwar auf kurze Frist zum Schweigen gebracht, auf lange Frist aber extrem radikalisiert. Im Untergrund und im Exil der 80er Jahre liegt darum der Ausgangspunkt für die heutige Guerilla. Nach der Niederschlagung des Aufstandes entstanden zahlreiche marxistisch-leninistische Untergrundzirkel, die sich in Anlehnung an Enver Hoxhas Albanien als „Enveristen“ bezeichneten. Wie weit ihre Ideologie wirklich leninistisch war, kann heute nur schwer eingeschätzt werden. Mit Sicherheit bot der Leninismus aber eine gute Folie für die ideologische Ausgestaltung einer konspirativen politischen Praxis und der Bezug auf Hoxha einen Ausdruck der Ablehnung serbischer Vorherrschaft und der Hinwendung zum alten „Mutterland“ Albanien.
Zur wichtigsten dieser militanten Gruppierungen wurde in den 80er Jahren die „Levizja Popullore e Kosoves (LPK)“ oder „Volksbewegung für den Kosovo“ die als Reaktion auf die Ermordung von drei Militanten durch den jugoslawischen Geheimdienst 1982 in Deutschland gegründet wurde. Die LPK warb von Westeuropa aus für den Widerstand gegen die Besatzer, schaffte über die Gastarbeiter-Community Finanzen heran und baute im Kosovo eine geheime Zellenstruktur auf.
Währenddessen radikalisierten sich die Verhältnisse vor Ort. Der Zerfall Jugoslawiens setzte ein, aus dem in Serbien die nationalistische Milosevic-Fraktion als Sieger hervor ging. Sie stellte die Kosovo-Problematik in den Mittelpunkt einer neuen großserbischen Kampagne – am 28. Juni 1989, dem 600.Jahrestag der Schlacht vom Amselfeld (bei der Serbien seine Vorherrschaft im Kosovo an das Osmanische Reich verloren hatte) mobilisierten serbische Nationalisten hunderttausende Serben auf das ehemalige Schlachtfeld. 1990 schließlich wurde das kosovare Provinzparlament endgültig abgesetzt und auch de jure die Militärdiktatur eingeführt. Mit der Eskalation des Krieges in Kroatien, Bosnien und der Herzegowina nahm die Unterdrückung auch im Kosovo Konturen einer drohenden ethnischen Säuberung an.
Fragmentierte Politiklandschaft und kosovare Zivilgesellschaft
Obwohl die Autonomie der Kosovo-Provinz 1990 beendet wurde, entwickelte sich Serbien im Zuge des weltweiten Zusammenbruchs kommunistischer Regimes zu einem parlamentarischen Mehrparteiensystem. In diesem Kontext konnte auch eine legale Partei der Kosovo-Albaner aufgebaut werden – die Demokratische Liga des Kosovo (LDK) mit Ibrahim Rugova, einem Gewaltlosigkeit predigenden Akademiker mit Kashmir-Schal, an der Spitze. Die unerwartete Öffnung des politischen Systems verursachte einen Zustrom von ehemaligen Militanten zur Rugova-Partei – übrig blieb der „harte Kern“ in den konspirativen Gruppen, der die Arbeit in einer vom serbischen Staat geduldeten Organisation als Verrat betrachtete und weiterhin für den bewaffneten Kampf warb.
Die Machtverhältnisse blieben hybrid: der Kosovo hatte zwar 1990 seine Unabhängigkeit erklärt, angesichts der militärischen Kräfteverhältnisse blieb das aber eher die Deklaration eines Wunsches, als die Feststellung von Fakten. Trotzdem wurde mit dem Aufbau von staatlichen Basiorganisationen begonnen, die sich der serbischen Kontrolle entziehen sollten. Auf diese Weise entstand ein paralleles Bildungs- und Gesundheitssystem, eine Exilregierung wurde aufgebaut und sogar Steuern eingetrieben. Die Macht des kosovarischen Staats-Torsos beruhte und beruht dabei vor allem auf der Akzeptanz durch die albanische Gesellschaft. Da die Administration über keinen eigenen Repressionsapparat verfügt, können ihre Anordnung auch nicht mit zwang durchgesetzt werden, sondern nur dann greifen, wenn sie sich im Konsens mit der Mehrheit der kosovo-albanischen Gesellschaft befinden. Grundlage dieser Akzeptanz war vor allem der Glaube, daß ein bewaffneter Kampf gegen den hochgerüsteten serbischen Staat Selbstmord sei und daß ein Leben auf Serbiens Gnaden einem Massakriertwerden immer noch vorzuziehen sei. Die Erfahrung der Kriegsgreuel in anderen Teilen des ehemaligen Jugoslawiens verstärkte diese Überzeugung noch. Trotz Hilfeersuchen durch Bosnien und Kroatien hielt sich der Kosovo so aus den Kriegen heraus und hoffte auf bessere Zeiten und auf eine Intervention der internationalen Gemeinschaft.
Der Friedensvertrag von Dayton im November 1995 bereitete dieser Hoffnung ein jähes Ende. Denn obgleich der Vertrag den Status von Bosnien neu festlegte, konservierte er den Status des Kosovo. Da der Kosovo nie eine jugoslawische Republik, sondern nur eine serbische Provinz gewesen war, sollte er Bestandteil Serbiens bzw. Rumpf-Jugoslawiens, bleiben. Nach dem Dayton-Abkommen erkannten alle EU-Staaten Rumpf-Jugoslawien, und damit Kosovo als seinen integralen Bestandteil, an – Rugovas passiver Widerstand war in eine Sackgasse geraten.
Die UCK taucht auf
Die Militanten von der LPK und anderen Gruppen machten derweil ihre eigenen Pläne. Nach einigen geheimen Treffen in Deutschland und Makedonien wurde Anfang 1993 in Pristina, der Provinzhauptstadt, die Kosovobefreiungsarmee, die „Ushtria Clirimtare Kosoves“ (UCK) gegründet. Die ersten Jahre verbrachte die Organisation mit dem Organisationsaufbau, mit dem Sammeln von Spenden in den albanischen Communities in Westeuropa und mit dem Aufbau eines Netzwerkes von Schläfern zu Hause.
1994 war die Organisation schon genügend gefestigt, um mit rund 100 Militanten militärische Trainingslager in Deutschland oder in der Schweiz abzuhalten. Ausbilder sollen dabei Gerüchten zufolge westeuropäische und ex-jugoslawische Offiziere außer Dienst ge
wesen sein, auch über die Rolle westlicher Geheimdienste wird spekuliert.
In der Folgezeit sorgte die UCK vor allem für ihr Image, indem sie – in einer Art „Propaganda der Tat“ – immer mal wieder einen serbischen Polizisten erschoß. Anfangs wurden diese Aktionen oft noch für ein Werk serbischer Ultras gehalten, die die Lage im Kosovo eskalieren wollten, um auch hier mit ethnischen Säuberungen zu beginnen. Mit der Zeit festigte sich aber der Ruf der UCK und die Erkenntnis, daß im Kosovo eine Untergrundarmee exisitiert, setzte sich durch. Im Januar 1997 endlich wurde die Existenz der UCK „offiziell“ als drei ihrer Kämpfer in einem Feuergefecht mit der Polizei fielen.
Der albanische Kollaps kommt in´s Spiel
Mit dem Zusammenbruch des passiven Widerstands in Folge von Dayton (s.o.) erhielt die UCK immer mehr Zulauf. Das Grundproblem der Guerilla blieb bestehen: Wie konnte man ausreichend Waffen und Munition in den Kosovo schaffen, um der serbisch/jugoslawischen Armee Paroli zu bieten?
Die Lösung für das Problem kam auf die denkbar bizarrste Weise: Im Frühjahr 1997 implodierte der albanische Staat. In der Folge des Konkurses von „Pyramiden“ -Finanzierungssystemen verlor ein großer Teil der Bevölkerung sämtliche Ersparnisse. Die Skipetaren stürmten die Banken, zündeten Regierungsinstitutionen an und ließen, wie die westliche Presse entsetzt schrieb, das Land allgemein „im Chaos versinken“. Vor allem aber stürmten die aufständischen Volksmassen die Waffendepots der Regierung, die in Folge von Enver Hoxhas „maoistischem“ Konfrontationskurs in den siebziger Jahren, gut gefüllt waren. Auf diese Weise kamen innerhalb kürzester Zeit Hunderttausende von Kalaschnikows auf den lokalen Markt und die Preise für sie purzelten auf 10-20 $ pro Stück. Gleichzeitig war der albanische Staat kaum noch existent und auf jeden Fall nicht einmal auf seinem eigenen Territorium in der Lage, die Waffenzirkulation zu unterbinden.
Damit stand der UCK auf einen Schlag eine äußerst preisgünstige Versorgungsbasis in unmittelbarer Nähe zum Operationsgebiet zur Verfügung. Sie intensivierte ihren Organisationsaufbau, erschoß noch mehr Polizisten und unternahm ein erstes (nach irischem oder baskischem Vorbild) von Maskierten eskortiertes Propaganda-Begräbnis.
Im Januar 1998 erhielten die Auseinandersetzungen ein neues Niveau, die Untergrundarmee ging dazu über, serbische Polizeifahrzeuge zu überfallen und „Kollaborateure“ zu erschießen. Die UCK heizte die Lage an und bereitete sich darauf vor, sie in einen Aufstand hinübergleiten zu lassen.
Nach übereinstimmenden Berichten teilte sie das auch mehreren westlichen Journalisten mit, die sie kontaktierte, um sie auf den kommenden Aufstand einzustimmen. Aber irgendwie glaubte niemand der Guerilla..
Der Volksaufstand kommt überraschend
Im März 1998 überholte die Realität die politische Dramaturgie der UCK.
In einem Dorf in der Region Drenica wohnte ein alter albanischer Hardliner mit dem Namen Adem Jashari. Vor einigen Jahren war er verurteilt worden, einen serbischen Polizisten erschossen zu haben. Aber irgendwie schaffte es die Staatsmacht über Jahre hinweg nicht, das Urteil zu kassieren, da Jashari immer auf die Polizei schoß, wenn sie sich seinem Haus näherte. Dem englischen Guardian zufolge war Jashari allerdings „kein ideologischer Guerilla. Er liebte es einfach, sich zu betrinken, auszugehen und auf Serben zu schießen.“ Irgendwann hatte die Polizei die Nase voll. Am 4. März stürmte sie sein Anwesen und richtete ein Massaker an. 80 Leute wurden getötet, vorwiegend Mitglieder der weitverzweigten Familie Jasharis.
Der Kosovo kochte, Massendemonstrationen und Streikaufrufe florierten – und die UCK wagte sich aus ihren Verstecken. Waffen wurden verteilt, Schläfer aktiviert und in einem Wechsel von Selbstorganisation und UCK-Unterstützung gründeten sich Dorfmilizen und nahmen den bewaffneten Kampf auf. Viele der neu entstehenden bewaffneten Formationen begannen sich einfach UCK zu nennen, weil das der konsequenteste Ausdruck für den Widerstand gegen die serbischen Besatzer zu sein schien. Auf diese Weise fand sich die kleine Guerilla-Bewegung, die immer noch dabei war, sich vorzubereiten, über Nacht mitten in einem Volksaufstand wieder.
Die jugoslawische Ordnungsmacht war von dem Aufstand genauso überrascht wie die Albaner selbst. Aus diesem Grund gelang es den Aufständischen, eine rasche Kette von militärischen Erfolgen zu erringen. Wie ein Präriefeuer breitete sich im Frühsommer die Anzahl der „befreiten Gebiete“ aus und die Guerilla expandierte (zahlen- und flächenmäßig) rasch.
Die rasche Expansion und die damit verbundene Diffusität erwies sich aber zusehends auch als Schwachpunkt des Volksaufstandes. Da sich mittlerweile fast jede aufständische bewaffnete Gruppe UCK nannte und die Organisation selbst über keinen politischen Arm verfügte, konnte sie auf dem Höhepunkt ihres Erfolges ihre militärischen Siege nicht in politische umwandeln. Im Gegenteil ist sie immer wieder bedroht, ihre Verhandlungsmacht an die Rugova-Regierung zu verlieren, die der einzige „demokratisch-legitimierte“ Ansprechpartner(sowohl für Jugoslawien, wie für den Westen) ist.
Darüber hinaus verhinderte die Diffusität bewaffneter Formationen eine abgestimmte Kriegsführung, was zu einer Anzahl von Debakeln führte. Von den raschen Erfolgen betrunken, besetzte so ein lokaler UCK-Kommandeur ein bedeutendes Bergwerk, ein anderer beschloß, die serbischen Polizeikräfte aus der Stadt Orahovac zu vertreiben. Beide Unternehmen erwiesen sich als Debakel. Als die Serben schließlich mit der überlegenen Feuerkraft schwerer Waffen zurückschlugen, waren beide Stützpunkte von der nur leicht bewaffneten UCK nicht zu halten. Dasselbe gilt für die großen Verbindungsstraßen.
Seit Juli befindet sich die Guerilla auf dem Rückzug. Soweit das von hier erkennbar ist, spielen sich die Auseinandersetzungen nach folgendem Muster ab: Die serbisch/ jugoslawische Polizei greift ein Dorf an, das sie für einen Guerilla-Stützpunkt hält. Nach einigem Hin und Her ziehen sich die Guerilla-Einheiten zurück und weichen durch die Berge in eine andere Gegend oder nach Nordalbanien aus. Die Polizei rückt ein und nimmt Massenverhaftungen unter allen Leuten vor, die sie verdächtigt, die UCK unterstützt zu haben. In einigen Fällen ist es dabei zu den aus Bosnien bekannten willkürlichen Erschießungen und Folter unter der Zivilbevölkerung gekommen, die vor allem das Ziel haben, die Großfamilien, die die agrarisch strukturierte kosovo-albanische Geselschaft zusammenhalten, zu liquidieren. Ein zweiter Schwerpunkt der Auseinandersetzungen ist die Grenze zu Albanien, das das Rückzugs- und Versorgungsgebiet der UCK bildet. Während die Guerilla unbedingt einen Korridor halten muß, um überhaupt operieren zu können, setzt die jugoslawische Armee alles daran, diesen zu schließen. Da die Gegend aber sehr bergig ist, ist das kaum möglich und es kommt immer wieder zu Gefechten zwischen Grenztruppen und Waffenkarawanen.
Vom Aufstand zum Guerillakrieg?
Die weitere Entwicklung des Konfliktes läßt sich nur schwer prognostizieren, da sie sowohl von der Fähigkeit der UCK abhängen dürfte, den Umbau zu einer klassischen Guerrilla zu bewältigen, als auch von den Ereignissen in Albanien, der Entwicklung in Jugoslawien und der Haltung des Westens.
Gerade Albanien bewegt sich durch seine offene Unterstützung der UCK am Rande eines Krieges mit Jugoslawien. Daß dieser noch nicht ausgebrochen ist, liegt vor allem daran, daß eine jugoslawische Aggression unabdingbar eine westliche militärische Intervention, ob mit oder ohne UN-Mandat, nach sich ziehen würde. Falls die Grenze aber von albanischer Seite geschlossen würde, würde das der UCK die Luft abdrehen, ohne schwere diplomatische Verwicklungen nach sich zu ziehen. Zur Zeit scheint diese Variante eher unwahrscheinlich, aber die Entwicklung der albanischen innenpolitischen Verhältnisse ist immer wie
der chaotisch.
Ähnlich unübersichtlich scheint die politische Lage in Jugoslawien selbst zu sein. Westliche Beobachter setzen dabei viel Hoffnung auf einen Sieg der demokratischen Opposition über den Hardliner Milosevic. Ob diese Hoffnungen aber realistisch sind oder ob nicht vielmehr durch die militärischen Drohungen der NATO in der serbischen Innenpolitik eine Dynamik erzeugt wird, die nationalistische Werthaltungen forciert und auch die demokratische Opposition in diesen Strudel mit hineinzieht, ist fraglich.
Auch eine, in den letzten Wochen immer wieder angedrohte, militärische Intervention des Westens wird die Lage im Kosovo nur schwerlich zum Guten wenden. Aus praktischen Gründen würde sie genötigt sein, sich darauf zu beschränken, den Serben über Luftangriffe den Einsatz schwerer Waffen zu verunmöglichen. Damit würde das Gleichgewicht der Waffen in der Region wieder hergestellt und der serbische Vernichtungsfeldzug gestoppt. Gleichzeitig könnte eine solche Intervention aber kaum „befreite Gebiete“ dulden, für die es keinen völkerrechtlichen Status gibt. Die Appeasement-Politik würde darum kaum zu Frieden in der Region führen, sondern eher das Hinübergleiten in eine low-intensitiy-warfare mit den aus Bosnien bekannten Massakern durch unkontrollierbare paramilitärische Einheiten beschleunigen.
Auf jeden Fall wird also der Krieg im Kosovo weitergehen. Ob man auf einen demokratischen Umruch in Belgrad hoffen sollte oder eher auf eine von der Gnade der NATO abhängige kosovare Bananenrepublik setzt, ist fraglich. Voreilige Sympathiebekundungen sind nicht angebracht. Was bleibt, ist die Tatsache des Volksaufstandes im Kosovo und die Gefahr, daß zehntausende Flüchtlinge den Winter in den Wäldern nicht überleben.
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