Gespräch über offensiven Antifaschismus, Bündnisse und Erlebnispädagogik
(Aus telegraph 3/4 1998)
Auch in der DDR gibt es seit den 80er Jahren eine aktive, wenn auch zahlenmäßig kleine antifaschistische Bewegung, die versucht, entstehenden faschistischen Strukturen direkt entgegenzutreten. Die Erfahrungen dieser Gruppen sind heute wichtig, wenn es um die Frage geht, wie erfolgreiche Antifaarbeit aussehen kann. Gilt es doch gerade in und aus und für Ostdeutschland eine antifaschistische Perspektive zu entwickeln, die mehr will, als jedes Wochenende schneller zu sein als die NPD und andere Faschisten. Diese Diskussion kann nur von den aktiven Antifagruppen geführt werden. Deshalb haben wir uns entschlossen für dieses Heft ein Gespräch von verschiedenen Antifas zu dokumentieren. Im Mittelpunkt standen dabei Fragen zur Ent-wicklung von Antifabewegung in Ostdeutschland, zu Perspektiven von Bündnissen und dem Verhältnis von offensivem Antifaschismus, Mili-tanz und Organisierung. Um einen regionalen und vielleicht auch inhaltlichen Querschnitt des offensiven antifaschistischen Spektrums in Ostdeutschland zu erfassen haben wir Aktivisten und Aktivistinnen aus Cottbus,Erfurt und Rostock eingeladen. Das Gespräch fand am 10.10. 1998 in Berlin statt.
telegraph: Wie hat sich die direkte Auseinandersetzung mit Nazis bei euch entwickelt, ist das eine aufgezwungene Sache oder eine strategische Entscheidung gewesen, die man angefangen hat, weil man es sinnvoll fand?
Erfurt: Der Höhepunkt der direkten Auseinandersetzung, also auch der Auseinandersetzung mit körperlicher Gewalt, lag Anfang der 90er Jahre – also ’90 bis ’93, und ich denke, daß die Auseinandersetzung eher aufgezwungen war. Sie ist nicht strategisch diskutiert worden, sondern sie hat sich daraus ergeben, daß die Nazis uns, also das autonome Zentrum, angegriffen haben. Wir mußten uns einfach aus diesem Zentrum heraus wehren. Das hat dazu geführt, daß in den Jahren bis `93 die Situation auf der Straße ziemlich eskaliert ist, es hat fast keinen Tag gegeben, an dem es nicht zu Zusammenstößen auf der Straße gekommen ist. Die sind damals von beiden Seiten sehr offensiv geführt worden und haben sich, glaube ich auch gegenseitig hochgeschaukelt. Höhepunkte waren ein Angriff von 150 -200 Skinheads auf das AJZ, wo die Polizei in einer Seitenstraße stand und zugeschaut hat. Das war am 9. November 1990. Und dann noch zwei scharfe Schüsse aus einer Pistole auf dieses AJZ Anfang 1991. Es hat dann 1993 ein „Rock gegen Links“ gegeben, von Nazis in einem städtischen Jugendzentrum und dieser „Rock gegen Links“ sollte von etwa 200 Leuten angegriffen werden. Das waren vor allem Punks, aber auch Antifas und das ist nur ganz knapp von den Bullen verhindert worden – es ist also nicht zu einer offenen Feldschlacht gekommen.
Es hat später ein massives Agieren der Polizei gegeben, auch gegen Nazis auf der Straße. Das heißt, es sind Personenkontrollen durchgeführt worden, gegen Skinheadbands, die in städtischen Jugendräumen geprobt haben, hat es Razzien gegeben. Ich denke, diese doppelte Repression (von uns und den staatlichen Organen) ist der eine Faktor dafür, daß dann die Nazigewalt zurückgegangen ist und das andere ist, daß die Antifa auch zunehmend mehr in Bündnissen agiert hat und das auch öffentlich gemacht hat. Es hat einen „Monitor“-Bericht gegeben über die Nazigewalt in Erfurt und das hat ziemlich für Aufregung gesorgt in der Stadt, damals. Ab 1993 ist das dann alles aber wesentlich ruhiger geworden.
Cottbus: Ich kann, zu dem was 1990 bis ’92 passiert, nicht soviel sagen, aber ein autonomes Zentrum gab es nicht zu dieser Zeit. Es gab eine Kneipe und einen Konzertveranstalter, die ein linkes Publikum angezogen haben und von wo aus auch die ersten Auseinandersetzungen losgingen. Inwieweit diese Auseinandersetzungen aufgezwungen waren oder nicht, weiß ich nicht, aber es ging natürlich darum, daß die Leute keinen Bock darauf hatten, daß die Nazis den Innenstadtbereich kontrollieren, also haben sie sich gewehrt. Das war dann erstmal auch ziemlich erfolgreich.
Es gab später mehrere besetzte Häuser oder Versuche Häuser zu besetzen, die dann auch von den Nazis angegriffen wurden, wobei sie allerdings wenig Erfolg hatten. Es waren ja auch wirklich sehr viele Leute, die angefangen haben sich zu wehren und die Innenstadt von den Nazis freizuhalten. Und irgendwann war es in der Innenstadt auch wirklich ruhig, was Nazis angeht. Man konnte sich da ohne Probleme bewegen. In den Außenbezirken hingegen sah es für viele Leute finster aus, da gab es riesige Probleme.
Nachdem es die Probleme in der Innenstadt nicht mehr gab, haben sich viele Leute zurückgezogen. Ein paar Leute haben dann 1994/95 einen Verein gegründet und machen kontinuierlich Infoladenarbeit. Eine Weile ist es dann sehr ruhig gewesen, doch seit dem letzten Jahr ist es wieder so, daß es eine Faschokneipe gibt, die sich nur hundert Meter neben einem linken Projekt befindet. Dadurch ist uns eine neuerliche Auseinandersetzung aufgezwungen worden. Das heißt, im letzten Jahr gab es für uns relativ überraschend sehr massive Auseinandersetzungen – dabei traten die Faschos als Organisation in der Stadt überhaupt nicht auf. Es gab dieses Jahr einen Infostand der NPD, aber der ist auch nur gelaufen, weil Leute von denen aus Berlin da waren. Trotzdem hatten wir im Sommer ein richtig akutes Naziproblem auf der Straße.
telegraph: Und wie hat sich das in Rostock entwickelt?
Rostock: In Rostock gab es ja schon ab 1988/89 die ersten besetzten Häuser und dann später den oder das JAZ, gegründet von Leuten die auch aus dieser Szene kamen – also Schwarzwohner. Es gab dann auch bei uns ab 1990 eine Steigerung von Auseinandersetzungen. Vor allem in der Innenstadt, Höhepunkt war aber ganz klar 1992, das Pogrom in Lichtenhagen.
Die Auseinandersetzungen der Rostocker Antifas mit den Nazis war in der Zeit nach Lichtenhagen ziemlich heftig, weil die Nazis durch das Pogrom starken Aufwind bekommen hatten. Es gab wöchentlich ein bis zwei versuchte Angriffe auf das JAZ. Nachdem aber auch die Bullen das immer sehr schnell mitbekommen und die Faschos ziemlich früh abgefangen haben, hatten die dann auch kein Bock mehr. Das hat sich dann bei denen totgelaufen. Das war also kein Erfolg für die Antifa, die in dem Moment doch eher stark in der Ver-teidigungsposition war. Die meisten waren doch darauf bedacht, das JAZ zu schützen. Später wurde das aber offensiver, vor allem in der Innenstadt. Da ist es gelungen, daß dort kaum bis gar keine Nazis mehr auftauchten. Das war dann auch lange Zeit der Stand.
Ab 1993/94 fingen Diskussionen über die Militanz an, über Sinn oder Unsinn dieser Geschichte. Daraufhin hat sich eine ziemlich große Gruppe, die dafür gesorgt hat, daß die Innenstadt nazifrei war, fast vollständig ins Private und in alles Mögliche zurückgezogen. Dann kam dazu, daß das JAZ ein halbes bis dreiviertel Jahr wegen baulicher Veränderungen dicht war. Ohne zentralen Treffpunkt kam so die Antifa- und auch die kulturelle Arbeit fast vollständig zum Erliegen. Es gab aber in dieser Zeit auch kaum Auseinandersetzungen mit den Nazis. Irgendwann gab es zwar
noch eine „Anti-Antifa-Woche“ von der wir ziemlich viel zu spüren bekommen haben. Da waren die Faschos auf dem Weihnachtsmarkt und haben gnadenlos alles was anders aussah gejagt. Ansonsten war es von deren Seite aber wirklich ruhig. Auch aus den Jugendzentren in der Stadt hat man eigentlich nie gehört, daß es dort Streß mit Nazis gegeben hätte, oder daß sie sich dort irgendwo festgesetzt hätten. Die Älteren sind einfach ein bißchen familiärer geworden und von den jüngeren Nazis ist, was Gewalt anbelangt, nicht mehr viel gekommen. Die Folgen dieser äußerlichen Ruhe bekommen wir jetzt zu spüren, denn an den Schulen gab es natürlich immer noch jede Menge Nazis, nur daß wir es da nicht mehr so mitbekommen haben.
telegraph: In allen Städten gab es also nach 1990 sehr direkte Konfrontationen mit Nazis, die dann irgendwann abflauten. Und in allen Städten haben sich die Aktiven dann anderen Dingen zugewandt. So weit ähneln sich die Berichte, aber was waren denn das für Diskussionen in Rostock, die ganze Gruppen zum Aussteigen brachten?
Rostock: Bei dieser Diskussion war es so, daß leider solche Sachen kamen, wie „ich laß mir doch nicht für andere Leute auf den Kopf hauen und muß mich danach auch noch dafür rechtfertigen!“, das heißt, Leute aus dieser Gruppe hatten keine Lust sich dafür zu rechtfertigen, warum sie losziehen und die Nazis aus der Innenstadt vertreiben. Sie sind dafür auch mehr als einmal ziemlich hart kritisiert worden, mit dem Argument, daß diese körperliche Auseinandersetzung nicht sein muß. Da haben sie sich dann gesagt „wir müssen das nicht machen, wir machen das ja nicht für uns und wenn euch das nicht gefällt, dann stop.“ Und dann haben sie sich zurückgezogen und haben aber auch nicht danach gesucht, wie man Antifa-Arbeit mit anderen Mitteln weitermachen kann.
telegraph: Den Luxus über Militanz zu reden hat es in Rostock offensichtlich erst gegeben, als die Innenstadt „nazifrei“ war. Was würdet ihr sagen, wie erfolgreich war euer offensives Agieren, also das Angreifen von Nazistrukturen in den anderen Städten?
Erfurt: Also ich würde erstmal nicht von „euch“ sprechen und ich würde nicht von „Nazistrukturen“ sprechen.
Wenn das „euch“ gerichtet ist, auf so eine kleine Gruppe von Leuten die sich ganz bewußt mit Nazis geprügelt haben, weil sie das auch wollten, dann stimmt „euch“. Aber nicht für diejenigen, die sich ganz allgemein mit Nazis auseinandersetzen mußten, das waren unheimlich viele Leute, die mit „Antifa“ überhaupt nichts zu tun hatten, sondern die mußten sich einfach wehren.
Von „Nazistrukturen“ würde ich auch so nicht reden, weil Zentren/Kader von denen überhaupt nicht explizit angegriffen worden sind. Die befanden sich unter denen, die da auf der Straße agiert haben und die vielleicht auch mal etwas abgekriegt haben, aber das war kein organisiertes und konzentriertes Agieren.
Trotzdem denke ich, daß „sich wehren“ und den Nazis zeigen, daß, wenn sie die Zentren angreifen, sie mit Verteidigung zu rechnen haben, dazu geführt hat, daß die Zentren weiterbestehen konnten. Ich würde aber nicht sagen, daß die Nazis eingeschüchtert waren. Dafür haben sie zu schnell nach den gescheiterten Angriffen weiter agiert. Richtig Ruhe hat es in Erfurt eigentlich nie gegeben.
telegraph: Du beschriebst immer wieder das „Zentrum“ als ein Teil von antifaschistischer Aktivität und daneben diese aufgezwungenen Auseinandersetzungen. Was sollte in dem „Zentrum“ eigentlich passieren und waren die militanten Kämpfe in der Stadt, Anfang der 90er, die dann ja weg gebrochen sind, nicht euer Faustpfand dafür, daß die Stadt euch als Ansprechpartner überhaupt ernst genommen hat?
Erfurt: Diese Auseinandersetzungen sind nicht „weg gebrochen“. Das klingt so nach „die Qualität war nicht mehr da“. Die sind einfach ausgelaufen. Die Kämpfe um die Zentren und besetzten Häuser, die von den Nazis angegriffen wurden, haben immer eine negative Rolle bei den Verhandlungen mit der Stadt gespielt. Die Gewalt war immer ein Argument für die Vermieter – also meistens der Stadt – zu sagen, da sind Unruheherde da. Also ein Faustpfand im umgekehrten Sinne – wir mußten immer wieder beweisen, daß man mit uns überhaupt Mietverträge eingehen kann, obwohl es diese Auseinandersetzungen mit den Nazis gibt.
telegraph: Seit Faschos immer mal wieder auf’s Maul bekommen haben, gab es da auch im Hinblick auf die Antifa eine Repression und wenn ja, was hatte die für eine Wirkung?
Erfurt: Also es hat 1990 die erste Räumung eines Hauses gegeben, noch in der DDR. Da hat ein SEK ein Haus geräumt, kein Zentrum oder sowas, sondern eine einfache Wohnung die es in einem leerstehenden Haus gab. Aber das hatte nicht direkt mit Antifa zu tun. Daneben gab es natürlich immer wieder low-level-Repression, also Personalienkontrollen oder mal eine kleine Razzia, also nichts von Bedeutung. Es hat keine nennenswerte Repression gegen die Antifa gegeben. Im Gegenteil: 1991 wurde eine Demo mit 1000 Leuten durch Jena gemacht – das war die erste autonom organisierte Antifademo – wo ein Block von 600 Leuten „RAF-RAF“-skandierend durch Jena gezogen ist. Das war nach dem Rohwedder-Attentat und die Bullen hat das überhaupt nicht interessiert.
Cottbus: So was „Großes“ haben wir nie auf die Beine gestellt, aber Repression gab es auch nie so richtig. Es gab und gibt zwar immer mal wieder Versuche dazu, bis jetzt aber eigentlich ohne größere Auswirkungen, zumal die Betreffenden immer ganz gut wieder aus solchen Situationen raus gekommen sind. Im Herbst ’95 gab es zum Beispiel einen Prozeß gegen 7 Antifas wegen einer Aktion am 20.April `94 – das sah erstmal ziemlich heftig aus, zumal die Bullen totalen Streß gemacht haben. Da es bei denen aber auch viele Pannen gab, sind alle okay wieder da raus gekommen
telegraph: Haben sich die Erfahrungen, daß die Nazis relativ einfach und mit einem offensichtlich berechenbarem Repressionsrisiko aus der Innenstadt vertrieben werden können, darauf ausgewirkt, wie über Antifa-Arbeit diskutiert wurde? Gab es Überlegungen, das in kleinere Städte zu exportieren, oder war von Anfang an klar, daß ihr etwas anderes machen wolltet?
Cottbus: Wir wollten klar etwas anderes machen. Aber inzwischen sind es hauptsächlich jüngere Leute, die jetzt diese Auseinandersetzung um und in der Innenstadt haben. Aufgrund der Tatsache, daß sie viele sind, gehen sie immer noch davon aus, daß diese Auseinandersetzungen eine Lösung des Problems sind. Uns, den Älteren geht das nicht mehr so. Gerade durch die Vernetzungstreffen mit den kleineren Städten versuchen wir, Leuten in Streßsituationen zu helfen, durch Info’s, aber auch indem wir Probleme und verschiedene
Herangehensweisen diskutieren und Lösungen suchen. Wichtig sind diese Treffen, weil in manchen Städten nur Einzelpersonen aktiv sind. Insofern ist das Vernetzungstreffen auch eher eine feste Gruppe als ein Bündnis, wo verschiedene Vertreter von Irgendwas zusammensitzen.
telegraph: Es ging ja jetzt hauptsächlich um die Innenstädte, die Cottbusser haben inzwischen ein Vernetzungstreffen mit den umliegenden Kleinstädten organisiert. Wie sah und sieht die Situation mit Nazis im „flachen Land“ denn sonst so aus?
Rostock: Bei uns – also da wo ich herkomme – ging es ein bißchen später los. Etwa 1992 waren wir in so einer Kreisstadt in der Nähe von Schwerin 5-8 Leute, die nicht auf diesen Nazi-Mainstream abgefahren sind. Anfangs hatten wir als Punks relativ wenig Probleme, da sich auch alle aus der Schule kannten, man hat sich auf der Straße noch abgegrüßt. Das haben wir natürlich nur gemacht, weil wir Schiß hatten. Der Großteil der Jugendlichen waren Nazis/Skinheads und Ende 92 kamen dann die Westnazis, zum Beispiel aus Hamburg, und haben angefangen, diesen Haufen zu organisieren. Die haben dann zum Beispiel einen Überfall auf ein Asylbewerberheim gestartet und haben angefangen, die richtig gegen uns aufzuhetzen. Danach ging es dann böse ab in der Stadt. Wir haben ständig auf die Fresse gekriegt. Vor allem aber hatten wir keinen Treffpunkt, es gab ein paar Privatwohnungen oder wir saßen draußen. Dann hat der Kreis, der dann später auch die Antifa war, gesagt: „Da muß sich etwas ändern. Wir brauchen Räume. Wir brauchen ein Haus.“ Zuerst wurde es auf der Schiene Stadt und Bürgermeister versucht. Von denen wurde immer auf die zwei bereits bestehenden Jugendklubs verwiesen. Da gab es einen richtig betreuten, und dann gab es noch einen, in dem nur Nazis waren, wo also ein Jugendarbeiter rumstand, um den Nazis Kaffe zu kochen. Die Stadt hat also gesagt, da gibt es doch zwei Klubs, also geht dahin. Das war für uns natürlich völlig unmöglich. Daraufhin haben wir dann beschlossen, daß es wohl nur über die Schiene geht, daß wir Streß machen in der Stadt. Dann haben wir uns ein paar Leute von außerhalb geholt und haben angefangen die Konfrontation mit den Nazis in der Stadt zu suchen. Das hat dann auch dazu geführt, daß wir ein Haus bekommen haben. Da ist dann aufgegangen, was wir uns überlegt hatten, daß nämlich die ganzen Kids, von denen wir das niemals gedacht hätten, zu uns kamen. Die hatten auch keinen Bock auf die Nazis.
Wir haben uns dann der JRE („Jugend gegen Rassismus in Europa“) angeschlossen, um uns
irgendwo mehr einzubinden. (Mußte es den ausgerechnet diese Sekte sein?; der Säzzer) Dann war das Arbeiten wirklich möglich – wir haben sogar eine Demo gemacht. Irgendwann nahm die Konfrontation mit den Nazis wieder zu. Die haben uns wirklich permanent angegriffen. Wir haben dann ganz massiv Leute von außerhalb geholt, die auch ein bißchen älter waren als wir. Dann gab es jedes Wochenende krasse Auseinandersetzungen, zum Teil Straßenschlachten. Aber es hat irgendwie dazu geführt, daß man uns in Ruhe gelassen hat. Die Nazis haben dann gemerkt, daß es ihnen nichts bringt, daß sie gleich nachdem sie uns angegriffen haben, wieder auf die Fresse kriegen. Erst dann hatten wir ein bißchen Ruhe, um antifaschistische, kulturelle Arbeit zu machen. Es ist seitdem in dieser Gegend wirklich ruhiger geworden.
Anfangs lief kulturell ja wirklich nichts. Da war es nur so, daß es da Räume gab, die man benutzen konnte, ohne daß die Nazis da waren. Das war für viele Jugendlichen wichtig, weil sie einfach keinen Bock auf diese Nazis hatten, und darauf, was die den ganzen Tag machen. Sie hatten dann eine Alternative, und später haben sie gemerkt, daß es cool ist, dahinzugehen, weil sie da sicher sind. Wir können da machen, was wir wollen und da sind Leute, die uns beschützen und mit denen zusammen können wir sogar mal hingehen und den Nazis zeigen, wer wir sind. Als wir dann angefangen haben, Konzerte und Diskussionen zu machen, oder Filme zu zeigen, da wurden es dann immer mehr Leute.
telegraph: Die Auseinandersetzungen waren eigentlich in allen Städten Verteidigungskämpfe. Ist Antifa immer nur dann stark, wenn es eine Bedrohung durch die Nazis gibt?
Erfurt: Es war auch bei uns nicht so, daß es da nur eine Konfrontation gab, daß also die Nazis kommen und wir uns wehren, sondern aus diesen Zentren heraus ist man initiativ geworden. Ein Beispiel dafür war der Versuch der DVU, sich in Thüringen zu etablieren, mit einem Besuch von Gerhard Frey. Da ist aus dem damaligen Zentrum demonstriert worden, gegen diesen Versuch der DVU und da waren relativ schnell viele Leute da. Das war ein bestimmter Höhepunkt, auch an zielgerichteten Aktionen. Einem Bus, der die Leute zu dem Parteitag bringen sollte, ist die Luft ausgegangen, der Mercedes von Dr. Frey ist vor dem Veranstaltungsort verschrottet worden. Das waren aber nur Teilaspekte von einem Leben in den Zentren.
89/90 hat es die Besetzungen von einer leerstehenden Fabrik für ein autonomes Jugendzentrum gegeben – das hat es bis 90 gegeben.
Dann fand ein Umzug statt, das war damals noch in der Innenstadt. Dann kamen die Räumungsdrohungen und eine eigene Dynamik hat sich entwickelt…
Später hat sich aus einem Bündnis zum Thema Antifa ein ganz breites Bündnis für ein Projekt entwickelt. Es wurde irgendwann ein Haus für ein neues Zentrum besetzt und die Besetzung ist von Parteien und von Gewerkschaften unterstützt worden, weil gesagt worden ist: „die Stadt hat einen Ratsbeschluß – Räume zu Verfügung zu stellen. Sie kommt dem nicht nach, also unterstützen wir die Besetzung der Jugendlichen als legitime Form“. Da hat sich in aller Deutlichkeit gezeigt, daß es in der Stadt Gruppen gibt, die bereit sind, unsere Geschichten mitzutragen, in einem Maße, daß bis dahin nicht für möglich gehalten wurde.
Dieses Bündnis war 1991 für einen antirassistischen Ratschlag entstanden. Da haben sich damals Gewerkschaften, also DGB, HBV, Bildungswerk, Antifas, VVN, BDA und PDS zusammengesetzt. Mittlerweile sind dann auch die Grünen dazugekommen. Das ist ein kontinuierliches Bündnis, was sich 1997 den Namen LAG (Landesarbeitgemeinschaft) antifa/antira gegeben hat, und aus dem heraus der Ratschlag vorbereitet wird, aus dem sich aber auch zu anderen Dingen verhalten wird. Zum Beispiel wäre die Antifademo in Saalfeld ohne dieses Bündnis nicht in dieser Form zustande gekommen.
Cottbus: In Cottbus ist es völlig anders gelaufen – so eine Kontinuität hat sich nie entwickelt. Am Anfang, als es diese Bedrohung gab, waren sehr viele Leute zusammen gekommen und als es sie dann nicht mehr gab, ist das in der Form auch kaputt gegangen. Übriggeblieben sind der Verein und die Räume und einige wenige Leute, die versucht haben, etwas anderes zu machen. Es gab dann sehr viele Diskussionen, aber die waren anders. Es gab Leute die diesen Verein gemacht haben und das war eher so ein Laberkreis, und es gab die, die sich als Antifa bezeichneten. Von denen wurde der Verein und auch der Versuch eine andere Antifa-Arbeit zu machen überhaupt nicht akzeptiert. Es gab dann ´96 einen ganz großen Bruch zwischen den Leuten. Der Teil der Leute, also eher der praktische Flügel, hat danach auch nicht mehr soviel gemacht, sondern ist auf Party und Sonstetwas. Wobei die Unterteilung in „praktischer“ Flügel, ja nicht genau stimmt, weil die Leute, die diese politische Arbeit machen ja auch praktisch sehr viel tun. Es gab den Infoladen, es gibt eine Zeitung, es gab mehrere Frauengruppen, Filme wurden gezeigt und Diskussionen gemacht und jetzt gibt es dieses Wohnprojekt, um von dieser Ebene wegzukommen auf der man sich trifft und sich politisch definiert und danach wieder nach Hause, in seine 2-Zimmerwohnung geht.
Rostock: Ich würde das ähnlich sehen. Bis zu dem Zeitpunkt, wo es mit den Bauarbeiten im JAZ losging, also dieser Bruch da war, gab es eine kontinuierliche Arbeit, es gab alle möglichen Infoveranstaltungen zu vielen Themen, z.B. Internationalismus, das ganze Spektrum. Dann war einfach zu und diese Bedrohung gab es wirklich nicht mehr in dem Maße, daß es irgendwas zusammengehalten hätte. Dann war Party und Privatleben angesagt. Wenn da nicht zwei, drei Leute gewesen wären, die diese Arbeit fortgeführt hätten – die Kontakte mit der Stadt usw., weil es ja Gelder von der Stadt gibt – dann würde es das JAZ heute nicht mehr geben. Danach, als es wieder aufgemacht hat, konnte man dann nicht einmal mehr den Kaffebetrieb aufrechterhalten – so wenig Leute waren noch aktiv. Während es früher sieben Tage die Woche, rund um die Uhr geöffnet war, ist es heute so, daß das es nur noch vier oder fünf sind, die da seit der Wiedereröffnung wieder dazugekommen sind. Es ist hauptsächlich kulturelle Arbeit und wenig bis gar keine
politische Arbeit mehr. Die ist dann erst wieder mit der Antifa gekommen, die sich neu oder überhaupt erstmal wieder vor 1 ½ Jahren organisiert hat. Obwohl es natürlich personelle Überschneidungen gibt, war das erstmal getrennt voneinander, das JAZ und die Antifa.
telegraph: Erstens, wieso ist das so und zweitens, ist die Antifa alleine, also ohne ein Projekt im Hintergrund, nicht beschränkt – im Sinne eine fehlenden Stabilität?
Rostock: Das eine ist natürlich diese Sache mit der schwindenden Bedrohung und dadurch haben viele Leute gesagt, wenn das nicht mehr notwendig ist, dann konzentriere ich mich mehr auf meine Sachen. Wir versuchen jetzt gerade diese Antifa einzubetten in ein Bündnis gegen Rechts, um von dort aus andere Leute zu erreichen, mehr Leute zu erreichen, andere – mit wirklich ganz anderen Geschichten…
Anfänglich waren in dem Bündnis Leute von der Gewerkschaft und der Gewerkschaftsjugend, Einzelpersonen, der Stadtjugendring und die Antifa. Im Zuge der Vorbereitung auf den 19. September, also die geplante Abschluß-demonstation der NPD vor den Bundestagswahlen, sind Unmengen von Leuten dazugekommen. Das geht bis zu diversen Wohnungsgenossenschaften, Firmen und PR-Agenturen, die diese Geschichte „bunt statt braun“ promotet haben, sich sogar die Rechte daran sichern lassen, also das hat wirklich Ausmaße angenommen, die wir nicht erwartet hatten. Das ist auch ein Punkt, wo wir jetzt im nachhinein stark diskutieren, ob dieses Bündnis was bringt. Es gab jetzt nachher ein zwei Treffen auf denen noch Leute aus der Bürgerschaft, die Antifa und der Ausländerbauftragte übriggeblieben sind. Es gab am Anfang, als das Treffen noch relativ klein war, die Hoffnung, daß das Bündnis auch nach der Wahl weiter arbeitet. Da muß man jetzt aber erst mal sehen, wie das weitergeht.
Erfurt: Es ist natürlich die Last von jemandem, der das jetzt seit zehn Jahren macht, zu beobachten, wer macht Antifa, wer ist Antifa. Inzwischen sind es drei verschiedene Jahrgänge die jeweils angefangen und wieder aufgehört haben. Jetzt sind wir bei der vierten Generation. Interessanterweise auch bei uns wieder seit einem halben Jahr. Antifa hat da jetzt aber einen höheren Anspruch, sie organisiert und vernetzt sich. Aber bis zu diesem Zeitpunkt kann man sagen: Jugendliche gehen in diese Häuser, in diese Zentren, machen das Leben da mit und arbeiten vielleicht auch mit, aber nach maximal zwei, drei Jahren hört das wieder auf. Dann gehen sie entweder studieren, oder machen Zivildienst, gehen in eine andere Stadt, nehmen einen Job an und alles, was sie vorher gemacht haben, spielt keine Rolle mehr. Das wiederholt sich wirklich seit 1990 permanent. Wenn man das mit einer politischen Perspektive verknüpft, dann heißt das, daß wir eine viel geringere Reichweite haben als wir zumindest am Anfang immer gedacht haben. Wir machen Zentrumsarbeit um Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, sich zu politisieren, einen eigenen Le
bensweg, der politisch ist, zu entwickeln und dann stellen wir fest, daß gerade das nicht passiert.
Neben den ganzen Fraktionierungen und Diskussionen, die es auch bei uns gegeben hat, kann man sagen, daß die Frage Bündnis und die Entscheidung für ein kontinuierlich arbeitendes Bündnis, nochmal zu einer Ausdifferenzierung dieser sowieso schon ziemlich kleinen Politszene geführt hat. Die einen haben gesagt „wir machen weiter Zentrumsarbeit“ – die machen mittlerweile gar nichts mehr, haben privatisiert, Esoterik, Drogen und dann ist ein kleiner Teil übrig – die „harte Politfraktion“ – der weiter in dem Bündnis arbeitet. Das geht auch persönlich dann weiter, in eine andere Richtung, die sind jetzt also bei PDS, Grünen und Gewerkschaften und machen da die Arbeit, die sie früher bei den Autonomen gemacht haben, auch durchaus mit den gleichen Inhalten, die sie also mitgebracht haben aus der autonomen Szene und unterscheiden sich darin auch von dem, was sie in den neuen Vereinen umgibt. Aber sie haben mittlerweile entschieden, daß wenn sie weiter Politik machen wollen, in einem organisierten Rahmen, dann müssen sie sich eine Partei, eine Gewerkschaft oder einen Verein suchen.
telegraph: Ihr habt jetzt fast alle von „Bündnissen“ gesprochen. Ist das nur so eine Mode, oder tatsächlich ein zumindest im Osten neuer Weg des Antifaschismus und vor allem – kann er erfolgreich sein?
Erfurt: Ich denke das Bündnisse ganz stark davon leben, wer die Einzelpersonen sind, die die Bündnispartner in den Treffen vertreten. Wenn diese Einzelpersonen eine linke oder sogar linksradikale Geschichte haben, gibt es eine viel größere Offenheit, eine größere Bereitschaft Sachen mitzutragen, als wenn sie es nicht sind. Das ist gerade im Osten so. Und wir haben in dieser Beziehung auch einfach Glück gehabt in Erfurt, da ist nach wie vor sehr viel möglich. Zum Beispiel Saalfeld, wo es möglich war, daß die autonome Antifa und der DGB zusammen eine Demo machen. Das ist etwas Neues, für Thüringen, aber auch für den ganzen Osten. Es gab eine sehr starke Repression von der SPD, die ganz klar gesagt hat: „Gewerkschafter entscheidet euch zwischen Antifa oder SPD, wir oder die Autonomen!“ Und der DGB in der Landesbezirkskonferenz entscheidet: „die Autonomen, die Antifademo“. Das wäre nicht möglich gewesen ohne eine ge
meinsame, lange inhaltliche Arbeit im Rahmen dieser Ratschläge.
telegraph: Gab es diese Effekte auch zu anderen von euch eingebrachten Themen die auf dem Ratschlag beraten wurden und dann von verschiedenen Seiten aufgegriffen wurden?
Erfurt: Zunächst war es das ganze Spektrum von Antifaschismus und Antirassismus. Dann sind natürlich Sachen wie die Solidarität mit der „radikal“, mit eingeflossen und in den allermeisten Fällen hat es dann eine Reaktion aus dem Bündnis gegeben. Aber zum Thema Castor z.B. wird natürlich an anderen Orten diskutiert, aber es ist klar, daß aus der Zusammenarbeit in der LAG Kontakte geknüpft worden sind, die sich an ganz vielen Orten in der Stadt und im Land auswirken. Wenn die PDS und die Grünen die Frühjahrskonferenz der Anti-AKW-Bewegung unterstützen, dann hat das auch etwas damit zu tun, das es in der LAG eine gute Zusammenarbeit gegeben hat.
Cottbus: Bei uns gab es im Zusammenhang mit den Arbeitslosenprotesten einen Runden Tisch gegen Sozialabbau, an dem sich unter anderem auch von uns die „Initiative gegen Sozialabbau“ beteiligt hat. Wir waren bei diesem Runden Tisch ein bißchen die Jungen, die viele gute Ideen haben. Das geht uns sehr oft in der Stadt so, daß man es ganz wunderbar findet, wie wir die Sachen so sehen und was wir machen, aber richtig ernst werden wir dabei nicht genommen. Das Ganze lief ungefähr ein halbes Jahr. Am Anfang des Jahres ging es los, auch sehr erfolgreich und alle haben etwas dafür gemacht. Aber diese Treffen, die es gab, waren dann später nur noch Demovorbereitung – sehr technisch. Wir haben dann diese Demos personell und auch durch die Redebeiträge sehr stark bestimmt. Auf den Bündnistreffen aber hat es dann im Laufe der Zeit merkwürdige Diskussionen gegeben, inwieweit auf jeder Demo ein Politiker sprechen sollte, wo die einen meinten, daß es nicht zu einer Wahlveranstaltung verkommen sollte, während andere es wichtig fanden, das es zu einer „politischen“ Auseinandersetzung kommt. Das waren die ersten Probleme, bei denen Leute von uns nicht mehr mitgemacht haben. Zum Ende gab es dann den Versuch, das ein bißchen umzuwandeln, in ein „Bündnis gegen Rechts“. Seit Frühjahr war klar, daß auch in Cottbus rechte Parteien zur Wahl antreten, und das war vor allem der Versuch überhaupt etwas dagegen zu machen. Dann gab es mehrere schriftliche Beiträge zur Perspektive der Zusammenarbeit. Der DGB hat etwas geschrieben, der Arbeitslosenverband und wir. Es wurde dann versucht die verschiedenen Positionen zusammenzufassen, um sich auf etwas zu einigen. Da wurde es dann ganz merkwürdig zusammengeworfen und es ist nicht weitergegangen.
Als immer weniger Leute zu den Demos kamen, haben wir dann versucht etwas anderes zu machen. Es wurde also keine Demo, sondern so eine Art Fest zu diesem Arbeitslosenaktionstag gemacht. Da haben wir dann ein Fußballturnier organisiert, es gab Stände und Musik. Da hat sich aber kaum noch jemand
von diesem Bündnis beteiligt. Das waren nur noch Leute vom Behindertenverband, von der „lila villa“ und von uns.
telegraph: Werdet ihr bei Bündnissen in den anderen Städten auch darauf reduziert, die „Jungen“ zu sein, die in die praktische Vorbereitung mit einbezogen werden, oder gibt es auch Punkte, in denen das politische Wissen, vielleicht sogar Expertenwissen in den Bündnissen anerkannt sind?
Rostock: In Rostock haben wir innerhalb des Bündnisses eine sehr gute Position. Die beiden, die von uns da drin waren, sind auch als Einzelpersonen – unabhängig davon, daß sie aus der Antifa, oder dem JAZ kommen – sehr gut angesehen in der Stadt und gelten als kompetent. Schon seit den Ereignissen `92 waren sie immer wieder Ansprechpartner für die Stadt, den Bürgermeister, die Polizei, wenn es um Antifa oder bestimmte Spannungen in der Stadt ging.
Die Idee und der Anspruch für das ganze Bündnis ist bei uns aus einer Diskussion entstanden, in der wir uns überlegt hatten, was eine Perspektive für Antifapolitik sein könnte. Irgendwann hatten wir mal gesagt, ein Ziel, was wir anstreben, ist einfach wieder so einen gemeinsamen Nenner gegen die Nazis in die Gesellschaft zu bringen. Das wird jetzt leider, wieder etwas weg diskutiert. Egal, was das erstmal bedeutet, daß irgend so eine Grundstimmung da ist, wie sie jetzt auch letztlich zum 19.9. in Rostock rüber gekommen ist: die gesamte Stadt hat den Naziaufmarsch abgelehnt. Das war das Ziel, mit dem wir in das Bündnis rein gegangen sind, und wir denken auch, daß genau dieser Punkt das Ziel ist, was in solchen Bündnissen angestrebt werden kann – nach außen erstmal eine Ablehnung zu zeigen, und man die nach und nach, über innere Auseinandersetzungen mit Inhalten füllt. Dazu ist es wichtig in diesen Bündnissen drin zu stecken, als Bündnispartner voll akzeptiert zu werden, aber nicht, was viele Gruppen fordern, von vornherein zu sagen: „wir haben diese und jene linksradikalen Inhalte, und wollen die in das Bündnis reinbringen!“ So etwas ist unsinnig, es geht darum, ein Bündnis als gemeinsamen Prozeß zu begreifen. Wir haben das Gefühl, wir überfordern in den Bündnissen viel zu oft die Leute, die mit einsteigen und dann ist es wirklich nur noch ein Bündnis aus Leuten, die sowieso schon eine linksradikale Einstellung haben – und damit isolieren wir uns. Ich denke, daß haben wir die letzten Jahre gemacht und jetzt müssen wir diese Bündnisse mit allen machen. Da muß man auch viel wegstecken können, denn da kommen ganz viele Leute, mit denen wir auch politisch Probleme haben. Das fängt ja schon bei der SPD an und in Rostock war letzten Endes sogar die CDU vom Bündnis sehr angetan. Da muß man sehr genau sehen, was sinnvoll ist und einschätzen können, wo der Spaß aufhört, richtig lustig zu sein. Aber zunächst mal ging es uns darum, diese Ablehnung den Nazis gegenüber aufzubauen.
telegraph: Noch mal grundsätzlich zu Bündnissen. Sind das nur die Einzelpersonen die auf den Bündnistreffen sitzen oder geht es dabei tatsächlich um gesellschaftliche Stimmungen. Hattet ihr in Rostock beispielsweise das Gefühl, daß tatsächlich die Mehrheit der Leute gegen Nazis eingestellt ist?
Rostock: Das Gefühl hatte ich. Es ist ja so, daß wenn irgendwelche Linksradikalen einen Artikel in der Zeitung bringen können, dann lesen die Leute das und wissen „naja, das sind die Linksradikalen…“, und lassen das nicht an sich ´ran. In dem Bündnis saßen wirklich alle links von der CDU drin, und das hat vielen
Leuten – jedenfalls was wir jetzt im nachhinein an persönlichen Gesprächen mitbekommen haben – den Anstoß gegeben sich damit auseinanderzusetzen und auf die Straße zu gehen. Das lag wirklich daran, daß das Spektrum derartig breit war. Es war für die Leute eine coole Sache, es war in Ordnung, es war nicht zuerst die Distanz zu uns „Chaoten“ da. Insofern haben wir auch das wesentlichste Ziel erreicht, daß nicht nur die auf die Straße gehen, die eh schon politisiert sind.
Erfurt: An dem Punkt unterscheidet sich das Bündnis in Rostock sicher von dem in Thüringen. Wir hatten eine einzige Situation, in der wir mit der CDU an einem Tisch gesessen haben und das war in der Zeit der Lichterketten. Da hatte der DGB zu einer Diskussionsveranstaltung eingeladen, in der es darum ging herauszukriegen, was man machen kann – Demonstration oder Lichterkette. Da hat sich ziemlich schnell an der inhaltlichen Diskussion gezeigt, daß es einen Dissens gab, zwischen der CDU und der SPD auf der einen, und Gewerkschaften, PDS und uns auf der anderen Seite. Das hat sich dann letztendlich darin ausgedrückt, daß die einen, nämlich wir, eine Demo gemacht haben und die anderen eben eine Lichterkette. Es ist uns also aufgrund unserer inhaltlichen Aussagen, im Rahmen einer Resolution zum Beispiel, wo es um weit mehr geht, als nur gegen Nazis zu sein, immer so gegangen, daß relativ schnell klar war, daß die CDU und die SPD nicht mit uns kann. Die Positionen, die wir vertreten sind klar humanistische, linke Positionen und so weit gehen die nie. Das ist auch gleichzeitig unser Erfolg, daß nämlich dieser Ratschlag und die Diskussionen, die es in Arbeitsgruppen und in Plena gegeben hat, dazu geführt haben, unseren gemeinsamen Nenner zu suchen. Und das war damals eine klare Position für den Artikel 16, 91/92 war das noch die Abschaffung des Verfassungsschutzes und das ist immer noch Konsens. Aber da geht es um weit mehr, als nur darum, gegen Nazis zu sein.
Cottbus: Wir hatten zwar noch nie konkret die Situation, langfristig in einer Art „Bündnis gegen Rechts“ mitzuarbeiten, aber ich glaube, daß eher immer geguckt werden muß, was im einzelnen erreicht werden soll. Wir sind ja nicht so stark oder präsent, daß wir das Nazi-Problem lösen werden und wir sind auch nicht in der Lage, Nazi-Aufmärsche zu „verhindern“. Wo liegt auch der Sinn, eine Gruppe von 1.000 Leuten zu mobilisieren und dann von einem Ort zum nächsten zu fahren… Ich denke, daß so etwas nur Sinn macht, wenn Leute aus der betreffenden Stadt auch tatsächlich ein Problem haben und dem auf ihre Weise entgegentreten wollen. Und diesen vielleicht auch nur Einzelpersonen müßte dazu auch Gelegenheit gegeben werden – und dabei hilft eine reine Antifademo überhaupt nicht weiter.
Ich denke es muß viel stärker differenziert werden, bei dem, was man wie tut. Gerade bei Bündnissen muß geguckt werden, wie weit man selbst gehen kann für einen Konsens. Wenn in einem taktischen Moment die „politischen Gegensätze über Bord“ geworfen werden, heißt das doch noch lange nicht, sie grundsätzlich aufzugeben. Ich denke – und das fehlt mir oft eine bißchen – wir sollten wieder stärker in der Lage sein, verschiedene Wege zu probieren und zuzulassen, neue Ideen zu entwickeln, nicht nur darüber nachdenken: Bündnis ja oder nein, Militanz ja oder nein. Was wir brauchen, ist endlich wieder Phantasie, um unberechenbar und unvorhersehbar zu werden.
telegraph: Habe ich richtig heraus gehört, daß wir hier von zwei verschieden Typen von Bündnis reden? Einmal – wie in Rostock – soll
eine breite Akzeptanz auf der Grundlage eines Minimalkonsens (gegen Nazis) hergestellt werden. Das Bündnis in Erfurt zielt eher auf die Erarbeitung ganz konkreter inhaltlicher Positionen, die eine öffentliche Diskussion beeinflussen sollen – klappt das wirklich?
Erfurt: Genau an diesem Punkt, wo es um die Einzelpersonen aus der Gewerkschaft geht, oder sonstige, die mit dem Status „antirassistische Spinner“ in ihren Organisationen arbeiten, ist bei uns klar geworden, daß es keine Einzelpersonen mehr sind, sondern daß es Personen sind, die inzwischen eine Hegemonie haben. Das hat sich zum Beispiel bei der zweiten Demo in Saalfeld gezeigt. Die SPD hat ein klares Angebot gemacht: wir machen eine gemeinsame Aktion. Und die Gewerkschaften haben gesagt, ja, wir machen gerne eine gemeinsame Aktion mit euch, aber die mit denen wir das letzte Mal das Bündnis gemacht haben, die Demonstration, die ihr verboten habt, also die Autonomen, die machen mit – mit ihren Inhalten und mit ihren Aktionsformen. Da hat die SPD gesagt „nein danke, dann nicht“. Und die Teile der Gewerkschaften, die in den letzten Jahren lange Diskussionen mit den Autonomen und ihren Inhalten geführt haben, die haben sich durchgesetzt. Das heißt es sind nicht mehr nur Spinner, sondern mehrheitsfähige Positionen und eine mehrheitsfähige Politik innerhalb dieser Organisationen gewesen.
telegraph: Du beschreibst jetzt einen institutionellen Effekt von Bündnissen, eine Diskussion, die über politische Schwerpunktsetzungen zu einem Konsens kommt. Kamen zu Euren Aktionen auch die ganz normalen, also nichtorganisierten Personen wie in Rostock, bringt so ein „politisches Bündnis“ auch eine Vermassung voran?
Ich sehe im Moment gar nicht, daß das Rostocker Bündnis den breiteren Teil der Bevölkerung erreicht hat. Ich weiß nicht genau, wieviel Leute in Rostock demonstriert haben. In Saalfeld waren es bis 7000 Leute und ich glaube, das ist eine ähnliche Zahl wie in Rostock.
Das PDS-Klientel, was in Saalfeld auf die Straße gegangen ist, das sind für mich normale Leute. Das sind keine Leute die sowieso immer kommen, sondern da sind weitaus mehr hingekommen. Gleichzeitig ist es nicht der Mensch aus dem Ghetto, der ansonsten denkt: „das die Nazis die Ausländer totschlagen ist scheiße, aber abgeschoben werden, sollen sie doch!“ Die kommen nicht zu unserer Demo, und das ist auch richtig.
Das ist auch den Leuten mit den Lichterketten nicht gelungen. Das was die Lichterketten im Westen geschafft haben (ich will jetzt nicht die Diskussion über Zivilgesellschaft Ost/West anfangen), das ist in Erfurt definitiv nicht gelungen. Ihr Aufruf, Zeichen zu setzen im Fenster oder auch draußen, hat keine Wirkung gezeigt.
Rostock: Bei uns wurde und wird da noch sehr viel und sehr kontrovers diskutiert. Da gibt es zur Zeit auch keine einheitliche Meinung, über Sinn und Folgen des Bündnisses. Du hast wahrscheinlich recht, wenn du sagst, daß die Masse der Leute noch nicht mobilisiert wurde. Man muß allerdings danach sehen, wo die 6- 8000 Menschen in Saalfeld hergekommen sind, und wo sie in Rostock herkamen. Bei der Bündnisdemo waren es fast ausschließlich Rostocker oder Leute aus dem Umland, während die Leute von außerhalb – sprich die autonome Antifa – sich am Steintor getroffen haben. Aber es war natürlich trotzdem nur die Hälfte von dem was die Veranstalter erwartet haben.Von daher hatte ich nicht nur das Gefühl, daß es jetzt ganz Rostock gezeigt hätte.
Aber das ist natürlich Quatsch zu behaupten, die Stadt hatte sich mit dem Friedensfest usw. reingewaschen von der „Schande in Lichtenhagen“. Das war auch nur ein ganz kleiner Prozentsatz von den Leuten, die 1992 Beifall geklatscht haben und auch jetzt, zur Antifa-Demo Beifall geklatscht haben. Die meisten haben sich das, genau wie damals, aus dem Fenster angeguckt.
Zur Aufgabe der eigenen Positionen im Bündnis ist es auch wichtig, zu sagen, daß für uns die eigenen Ansprüche im Bündnis nicht im Vordergrund standen. Das erfordert natürlich enormes Fingerspitzengefühl, die Entscheidung, mit welcher Radikalität man im Bündnis auftritt. Am Anfang, als das Bündnis noch kleiner war, ist es Konsens gewesen: das Ziel ist die Verhinderung des Naziaufmarsches mit politischen, sowie auch allen anderen möglichen Aktionen. Im Laufe der Vorbereitung hat sich dieses Ziel auf den Anspruch ein Zeichen zu setzen, zurückgeschraubt. Persönlich bin ich der Meinung, daß das auch daran lag, daß wir nicht präsent genug waren. Es waren eben nur zwei Leute, die fit und anerkannt waren, die aber ein bißchen vorsichtig sein mußten, wenn sie an den Positionen im Bündnis arbeiten wollten und sollten, da sie ja an einer längerfristigen Arbeit interessiert waren und diese nicht gefährden wollten. Da haben mehr Leute von uns gefehlt, die mit in dem Bündnis sitzen und unsere Position mit einbringen. Da hat ein bißchen der Wille und auch das Engagement gefehlt, weil viel drum herum los war, da gab es einfach auch personelle Grenzen. Daneben wurde viel zu wenig darüber diskutiert, was
mit zivilem Ungehorsam erreichen kann, mit Sitzblockaden und so weiter, etwas zu verhindern. Da wurde am Anfang kurz drüber diskutiert und das wurde leider nicht weiter verfolgt.
Erfurt: Das ist für mich der Knackpunkt. Wenn es Naziaktionen gibt, steht immer die Frage im Raum, wo wir demonstrieren, da wo die Nazis sind oder an einem Platz, den wir bestimmen. Dran scheiden sich ganz oft die Geister in den Bündnissen. Da stehen dann in den allermeisten Fällen die autonomen Kräfte isoliert da und sagen „Wir sind da wo die Nazis sind, weil wir konkret verhindern wollen“. Dieser Punkt ist einer der spannendsten überhaupt in Bündnissen – die Leute in den Bündnissen für eine Position zu gewinnen, die ziviler Ungehorsam heißen kann. Und wenn es darum geht, die Leute dafür zu begeistern, dann ist ganz klar, daß wir da nicht rein gehen und sagen können „den Nazis keinen Millimeter!“ Aber wo man sagen kann: Wir blockieren alle zusammen (wie in Passau) diese Halle, in der jedes Jahr die große Versammlung der DVU stattfindet und große Teile des Bündnisses, des bürgerlichen Lagers, gesagt haben „Wir wollen das verhindern! Wir behindern das mit einer Sitzblockade!“, dann ist das für mich Ausdruck dafür, was in Bündnissen möglich ist. Viel mehr kann man eben von den Gewerkschaften, der PDS und den meisten Grünen auch nicht erwarten. Finde ich auch akzeptabel, weil sie ein ganz anderes Spektrum vertreten, als wir. Die müssen sich an bestimmte Spielregeln halten.
Wo es nicht gelungen ist und das ist eine Diskussion wert, war der 1.Mai in Leipzig. Was da passiert ist, ist politisch eine Katastrophe. Daß es also rund um die Nazikundgebung zu Straßenschlachten kommt, daß das Bündnis irgendwo weitab eine Kundgebung macht und dann vereinzelt Leute dahingehen und sich rundherum die Autonomen mit der Polizei kleinere Geplänkel liefern. Ich fände das völlig legitim in dem Moment, wo gesagt wird „das Bündnis ist an einem Ort, an dem wir nicht sein wollen, wir versuchen die Nazis zu behindern“. Aber mit dem Bündnis – wenn man sich einmal darauf eingelassen hat – hätte versucht werden müssen zu klären, was an Aktionen möglich ist. Der Verzicht auf solche Auseinandersetzungen ist letztendlich der Verzicht auf politisches Agieren oder aber Zeugnis für ein absolut taktisches Verhältnis zu solcher Zusammenarbeit.
telegraph: Aber diese Ersatzbefriedigung ist doch ein generelles Problem, daß an Stelle der unmittelbaren Auseinandersetzung – einem funktionalen Verhältnis zur Verhinderung von Naziveranstaltungen – dann Auseinandersetzungen mit der Polizei laufen. Das sagt ja auch viel über das Verhältnis zur Militanz, wenn man nicht bis zu den Nazis kommt, dann werden eben die Bullen genommen…
Erfurt: Das Problem liegt vorher, nämlich da, wo autonome Leute oder Gruppen, nicht bereit sind, sich mit Bündnissen so auseinanderzusetzen, daß man einen gemeinsamen Punkt findet. Das an dieser Frage der Gewalt einfach alles abgebrochen wird. Wenn aus dem Bündnis gesagt wird, wir wollen keine militanten Auseinandersetzungen, dann wird sich verabschiedet, anstatt danach zu suchen, was man gemeinsam an Aktionen im Bereich zivilen Ungehorsams machen kann.
telegraph: Dahinter steht doch ein völlig taktisches Verhältnis zu Bündnissen, es geht um ein ergebnisfixiertes Abwägen: „Wenn man sich in einem Bündnis soweit ideologisch zurücknimmt, mit einem riesigen Kraftaufwand zu allen Treffen geht und den ganzen Refor
mismus dort ertragen muß… und das Ergebnis sind sechstausend Leute, dann kann man doch auch sagen, scheiß auf die Bündnissülze, wir sind stark genug, „Antifa heißt Angriff“, wir machen die Geschichten für uns alleine und wenn wir uns ein halbes Jahr vorbereiten, kriegen wir auch 6000 Leute zusammen, aber mit unseren Inhalten“. Das ist ja auch genau das, was gewisse Organisationen vielleicht vorziehen würden….
Erfurt: Was heißt denn von Inhalten verabschieden? Nach meinem Dafürhalten werden die militanten Teile in solchen Bündnissen sogar politisiert. Diese Szene, die wir auf den Demos, in Saalfeld oder Erfurt haben, ist nicht per se politisch, sondern eben ein lebenskultureller Abschnitt und die Selbstverständlichkeit des Ratschlages, bei dem es jedes Jahr mehr als zehn Arbeitsgruppen gibt, führt dahin, daß diese Szene aus der wir kommen, Diskussionen führt, politisiert wird, also nicht nur in diese Institutionen hinein sondern vor allem in die Szene hinein.
Aber es kann natürlich Punkte geben, an denen die Politik von Bündnissen, nicht mehr unsere Politik sein kann. Wir hatten das bei der ersten Saalfeld Demo. Das Bündnis hat sich dafür entschieden, daß es wegen des Verbotes keine Demos geben soll. Das war eine Entscheidung, die führende Leute in dem Bündnis gefällt haben. Bis zu dem Tag, an dem das Verbot faktisch durch die Polizei durchgesetzt wurde. Dann haben Leute aus dem autonomen Spektrum entschieden, gut das mag Position des Bündnisses sein, wir versuchen trotzdem wo wir können Demos zu machen. Und das ist auch passiert. Das ist in Leipzig, in Jena und in Erfurt gemacht worden, gegen den Aufruf von Leuten aus dem Bündnis.
telegraph: Woran liegt das? Brauchen jugendliche Antifarebellen immer ein militantes Abenteuer oder ist es die mangelnde Kommunikation zwischen den meist jüngeren „Praktikern“ und den gesetzteren Bündnisantifas?
Erfurt: Das Konzept „haut die Nazis aus der Innenstadt“ hat es bei uns nicht gegeben. Kann sein, daß das in Berlin anders war und ist. Die Auseinandersetzungen waren nicht auf dem Niveau. Die jetzt aufgemachte Trennung kann man bei uns einfach nicht machen. Für mich ist es vielmehr eine Frage von Kontinuität. Diese hätte sich eigentlich in längerfristigen Strukturen wie Infoläden und Zentren niederschlagen müssen. Diese Zentren jedoch entstehen und gehen wieder – meistens scheitern sie an der Eigendynamik solcher Projekte und gehen an sich selber kaputt. Gleichzeitig sehen wir, daß die Bündnisse, bei uns also z.B. die Zeitung „Zonennachrichten“, was sehr viel ist, aber nicht ausreichen, Jugendliche zu politisieren. Diese Treffen bieten keine allgemeine Möglichkeiten für Jugendliche sich einzubringen. Für Einzelne ist das eine Möglichkeit, aber nie für viele, also für alle die, die bei Aktionen und Demonstrationen gebraucht werden. Dafür müßte es weiterhin Zentren geben.
Dabei tritt für mich auch das Problem des Älterwerdens auf. Es ist klar, daß 28jährige nur noch sehr begrenzt mit 16jährigen kommunikationsfähig sind. Ich kann zwar in einem Seminar irgend etwas referieren, aber die Erfahrungen liegen doch weit auseinander. Bestimmte Aktionen mache ich nicht mehr und bestimmte Sachen, die ich machen will, macht ein 16jähriger nicht mit. In der Antifa-Arbeit müssen also Aktionen, Zentrumsarbeit, Bildungsarbeit, Bündnisgeschichten zusammenstehen. Die Frage ist nur „was gewährleistet darin die Kontinuität?“ – damit es nicht nur dieser kulturelle Lebensabschnitt, von 16-22 ist.
Da bieten sich natürlich diese Organisationen an, die nach meinem Geschmack einen sehr autoritären Stil der Politisierung von Jugendlichen fahren. Wir haben im Gegensatz dazu aber keine stabile Szene mehr. Die Erfahrungs- und Diskussionsorte sind nicht vorhanden. Das sind im positiven Sinne die Sachen, die Organisationen bieten müssen: die Möglichkeit sich über einen sehr langen Zeitraum zu betätigen, sich zu bilden, Positionen zu gewinnen. Das ist auch die Stärke der Organisationen. Ich sehe das mit den Organisationen vielleicht auch deshalb unverkrampfter, weil es sie bei uns nicht gibt.
telegraph: Stellt sich da nicht die Frage nach einer Organisation oder einer Klammer, die diese drei Seiten Zentrum/Bündnis/Bildungsarbeit zusammenhält?
Erfurt: Ich glaube, es sind die Einzelpersonen, die auch in Zukunft dafür sorgen werden, daß bestimmte Dinge möglich sind und andere verunmöglicht werden. Das es eine ähnliche Generation gibt – von 24 bis 28 – sage ich mal, die mittlerweile bei der PDS sind, oder beim DGB. Das ist für mich die Klammer, die, zusammen mit den immer wieder neu entstehenden Grüppchen, Politik machen wird. Da werden Dinge ermöglicht, die so Anfang der 90er nicht möglich gewesen wären. Mittlerweile muß man also sehen, daß das nicht nur Leute sind, die sich anpassen, sondern daß die individuellen Wege und Erfahrungen bestimmte Dinge dann irgendwann ausschließen.
Das Problem bei den bestehenden Organisationen ist, daß sie sich an Mythen abarbeiten und sich an ihnen identifizieren, die wir dann mit dem schwarzen Block und „meine Hassi ist mir das wichtigste bei einer Demo“ wiederfinden.
telegraph: Gut, das sind die Leute, die zumindest kulturell in den 80ern steckengeblieben sind. Aber im Gegensatz zu Anfang der 90er, was ist denn notwendig, was ist möglich – und ist das eine zufriedenstellende Perspektive?
Erfurt: Zufriedenheit ist doch das Schlimmste, was revolutionärer Politik passieren kann.
Es ist mittlerweile möglich, daß Autonome zusammen mit dem DGB, und zwar per Beschlußlage desselben, demonstrieren können, in Bündnissen sitzen können, Zeitungen erstellen, es ist möglich für Projekte, zum Beispiel Hausbesetzungen, Unterstützung zu bekommen, so man das will. Es ist möglich, Anfragen zu stellen und zu bestimmen, ohne sich groß durchzuarbeiten und Vertrauen schaffen zu müssen – jahrelange Arbeit ist da die Basis. Es ist möglich, Finanzen zu bekommen und der mediale Rahmen, der dir geboten wird, wenn du aus einem Bündnis mit DGB, PDS und Grünen heraus Presseerklärungen machst, ist natürlich um einiges größer als wenn du es als Grüppchen machst.
Der gesellschaftliche Einfluß, der zu jetzigen Zeiten relativ begrenzt ist, ist in solchen Zusammenhängen einfach größer. Das gilt dann auch absolut für andere Themen. Das alles heißt aber überhaupt nicht, das wir eine Massenbasis haben, oder so.
telegraph: Heißt das,
daß es um eine Professionalisierung der verschiedenen Einzelbereiche, also den Bereichen offensiver Antifaschismus, politische Arbeit oder Bündnisarbeit und in dem Bereich der kulturellen Arbeit/Bildungsarbeit geht?
Erfurt: Professionalisierung auf jeden Fall, aber die findet ihre Grenzen da, wo es um autonome Jugendarbeit geht. Das funktioniert nicht, sondern läßt sich offenbar nur mit einem autoritären Stil organisieren.
Rostock: Erstmal sehe ich das genauso. Das ist in Rostock wirklich genauso. Da ist sicher sehr viel mehr machbar, als jetzt an Einzelpersonen hängt. Die Jugendarbeit ist die Grenze. Organisationen gibt es nicht und wenn die kommen, hört man sich das an und schüttelt nur noch mit dem Kopf darüber, was die Leute sich so vorstellen. Das hat mit autonomer Politik nichts mehr zu tun. Ihre Stärke ist, daß sie viel Erlebnispädagogik machen, was jüngere Leute einfach zieht. Das ist auch nachvollziehbar. Also wenn ich mir meine Geschichte ansehe, na klar, Demos und bumm. Das war das, was am Anfang dazu geführt hat, daß ich öfter hingegangen bin und mich dann intensiver mit Sachen beschäftigt habe. Ich habe zwar immer eine antifaschistische Grundhaltung gehabt, weil ich so erzogen wurde – autoritärer Osten, ihr kennt das ja alle … ne, aber – das war wichtig und da werden die Leute rangeholt, indem erst einmal was passiert. Da muß man dann ansetzen und fragen, wie bekommt man die Leute zum selber Handeln.
Erfurt: Nur wenn diese Leute anfangen, selber zu denken, also auch nach den Widersprüchen ihres eigenen Handelns sehen, oder des Handelns der Organisationen, wenn sie diesen Schritt machen, der für mich dazu gehört – also das selber Denken nicht der Organisation überlassen – dann werden sie sich von der Organisation verabschieden…
Rostock:… und werden dann vielleicht oder hoffentlich richtig aktiv. Aber ein gewisser Prozentsatz ist dann für immer draußen. Organisationen verschleißen häufig auch, aber stimmt schon, wer übrig bleibt hat `ne ganz gute Schule hinter sich.
telegraph: Wäre jetzt also dem Erfurter Modell, Bündnis-Zentrum-Bildungsarbeit noch der Aspekt der Erlebnispädagogik – als Teil eines offensiven Antifaschismus – hinzu zu stellen?
Erfurt: Das trifft nur irgendwann an individuelle Grenzen. Ich weiß nicht wie es euch geht, ob ihr auf so etwas noch Lust habt?
Rostock: Die Lust ist da, auf jeden Fall. Wo das aufhört ist, daß offensiver Antifaschismus für uns schon lange nicht mehr heißt, sich mit den Bullen zu prügeln. Und das war etwas in Rostock, um nochmal auf die NPD-Demo und das Bündnis zurück zu kommen, was wir absolut verhindern wollten. Wir wollten keinen Streß mit Bullen. Was natürlich nicht heißt, sie nicht mehr als Gegner zu sehen. Wir haben gesagt, daß es an solchen Tagen einfach völliger Blödsinn ist, Streß mit ihnen anzufangen – das war nicht das Ziel, sondern Ziel war es, die Nazikundgebung zu verhindern. Da muß man noch ein bißchen Arbeit leisten, bei anderen
Gruppen, die dann trotz Warnungen in Riesen-Bullensperren fahren, wo der Ärger vorprogrammiert ist. Da gibt es ganz offensichtlich keinen Blick mehr für das Ziel.
Erfurt: Ohne Bullensperren? Da reduziert ihr aber unzulässigerweise die Erlebnissqualität, wenn ihr das nicht wollt.
Rostock: Bei der Geschichte die ich jetzt angesprochen habe, geht es um Leute mit Erfahrung, in unserem Alter … aber aus Westdeutschland! (Gelächter) … ich hab´s gesagt, jetzt ist es raus … es ist wirklich so. Das sind so die Leute, die zu einer Demo noch, oder wieder, ganz in schwarz kommen und die einfach immer die Sixpacks (gemeint sind Polizeifahrzeuge, Anm. Red.) hintendran haben. Man kommt mit solchen Leuten einfach nie bis zu den Nazis.
telegraph: Professionalisierung muß da also heißen, eben nicht so aufzutreten, sich nicht so zu bewegen, sondern etwas zielorientierter vorzugehen, was sicher nicht heißen muß, die Erlebnisqualität, wohl aber die Verhaftungsquote zu senken.
Rostock: Was zu wünschen wäre.
Erfurt: Man könnte provokant sagen, daß wenn diese Leute jedesmal in die Bullensperren fahren und ich will es nicht allen von ihnen unterstellen, aber es scheint doch dazu zu gehören, zur Erlebnispädagogik.
Rostock: Für die vielleicht. Aber wenn wir außerhalb dieser Organisationen Jugendpolitik machen, dann denke ich, sollten wir das nicht so tun, daß wir die Leute verheizen. Vor allem wenn die erst das erste oder zweite mal mitkommen. Da muß man sich wirklich etwas anderes einfallen lassen. Das läuft dann auf eine gute Kombination aus Erlebnis und nicht zu vergessenden Zielen hinaus. Antifa darf nicht als die Wiederholung von bestimmten Mythen enden.
Und für mich ist das einfach nur ein Teil, weil ich sehe, daß in Rostock, vor allem durch diesen Bruch fast ein ganzes Jahr nichts passiert ist. Da gab es keinen Anlaufpunkt, wo vorher ein ganz normaler Prozeß war, um irgendwie dazuzukommen. Da waren Leute, die zum Teil organisiert waren, da gab es den Infoladen, das Cafe, da waren immer Ansprechpartner, da waren Jugendliche aus dem Ghetto (Neubausiedlungen Rostocks, Anm. Red.), aus den Schulen. Weil dort auch Kultur lief, sind die dahin gekommen, haben Kontakte geknüpft und sind dann zum Teil auch dabei geblieben. Nach diesem Bruch ist das nicht mehr passiert und das ist bis heute ziemlich schwierig. Da muß einfach auch inhaltlich gearbeitet werden. Man kann die nicht nur auf die Straße jagen, um Nazis zu verkloppen, immer mit der Gefahr, daß sie auch verhaftet werden können und das dann aushalten müssen.
telegraph: Heißt Antifa dann nicht vor allem, eine neue sozialpolitische Basis unter den Jugendlichen zu entwickeln, damit die keine Nazis werden, oder gibt es noch darüber hinaus gehende gesellschaftliche Perspektiven?
Rostock: Nein, die Jugendarbeit kann nur einer von mehreren Schwerpunkten sein, aber sie sollte es auch bewußt sein. Gerade in der Jugend ist aber auch das Potential an Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Veränderungen am größten. Das ist natürlich sehr langfristig.
telegraph: Werden diese Möglichkeiten da mit dem Thema Antifa überhaupt ausgeschöpft, oder ist Antifa einfach die beste Einstiegsdroge?
Rostock: Weiß ich nicht, ob das auch mit anderen Sachen geht. Da muß man vielleicht sehen, daß die Bedrohung von den Nazis kam und kommt und da kann man erstmal nicht mit Lateinamerika kommen. Das sind Schritte die später sicher stattfinden, als Teil von einer politischen Arbeit. Das sind aber immer nur wenige, die über ein gewisses gegenkulturelles Engagement verfügen.
Erfurt: Das war auch beim Castor so. Nix3 und Nix4 (bundesweite Kampagnen gegen die Atommülltransporte nach Gorleben, Anm. Red.) haben bei uns eine ähnliche Wirkung gehabt wie Antifaaktionen. Das war auch ein ähnliches Spektrum. Nach dem Nix3 hat es die Gründung des Thüringer Antiatomplenums gegeben. Dieses Plenum hat es in der kurzen Zeit, von einem halben Jahr geschafft, auch mit so einer Professionalisierung, etwa 150 Leute von Thüringen nach Gorleben zu bringen. Das könnte man also auch unter Erlebnispädagogik subsumieren. Aber letztendlich geht es ja nicht so sehr um das Heranlocken, sondern darum, was wir zu bieten haben, welche politischen Konflikte wir führen wollen und was dabei am Ende für die Leute rausspringt, die da mitmachen. Und genau in diesem Bereich haben wir wohl noch am meisten zu tun.
telegraph: Danke für das Gespräch.
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