Interview mit einem polnischen Antifaschisten

(Aus telegraph 3/4 1998)

Begreift man den Braunen Osten als eine Folge des tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandels seit 1989, so stellt sich die Frage, welche Rolle nationalistische Entwicklungen in den anderen ehemaligen Ostblock-Staaten spielen. In Polen sorgten Nationalisten mit Überfällen auf deutsche Fernfahrer und mit einer Demonstration durch den Ort Auschwitz für internationale Schlagzeilen.

Folgendes Gespräch entstand im Juni diesen Jahres im Anschluß an eine Veranstaltung mit polnischen Antifas in Berlin. Rafal Pankowski, Mitglied der Organisation ‚Nigdy Wiecej‘ und Redakteur der gleichnamigen Zeitschrift, spricht über Faschisten in Polen, die Rolle der katholischen Kirche und der ehemaligen Kommunisten.

telegraph: Welche faschistischen Strukturen gibt es in Polen?

Pankowski: Rechtsextreme Parteien außerhalb des Parlamentes haben in Polen nur eine geringe Akzeptanz. Nichtsdestotrotz sind diese Parteien trotzdem gefährlich. Wir stehen aber viel mehr vor dem Problem, daß in der Regierung nationalistische Parteien mitarbeiten. Dazu zählt das Aktionsbündnis Solidarnosc, das im September 1997 die Wahlen gewann. Das Aktionsbündnis setzt sich aus vielen verschiedenen Gruppen zusammen. Darunter sind viele rechtskonservative, nationalistische und antikommunistische Gruppen, wie die Nationale Rechte (PN) oder die Gruppierungen um das Radio Maria.

Das Aktionsbündnis ist von der gleichnamigen Gewerkschaft inhaltlich scharf zu trennen. Solidarnosc war in den achtziger Jahren eine Massenorganisation mit 10 Millionen Mitgliedern. Nationalistische Tendenzen waren damals noch nicht sichtbar, einfach weil in der Gewerkschaft sehr unterschiedliche Spektren vereinigt waren. Momentan hat die Gewerkschaft Solidarnoscnoch 1 Million Mitglieder und es macht sich dort ein gewisser Nationalismus bemerkbar. Die führenden Mitglieder von damals sind in andere Parteien gegangen.

Das Aktionsbündnis Solidarnosc ist etwas Neues. In dem Bündnis sammelten sich, um ihre Wahlchancen zu erhöhen, die verschiedenen zersplitterten rechten Parteien, mit teilweise sehr unterschiedlichen politischen Zielrichtungen.

Insgesamt gehen wir davon aus, daß schätzungsweise 20.000 Menschen in rechtsradikalen Gruppen organisiert sind. Seit 1990 sind etwa 20 Menschen Opfer faschistischer Gewalt geworden. Das größte Gewaltpotential liegt bei den Gruppen Gemeinschaft zur nationalen Wiedergeburt Polens (NOP), Polnische Nationale Gemeinschaft (PFN) und Polnische Nationale Front (PWN). Ein Beispiel macht diese konkrete Bedrohung deutlich: Jugendliche aus Legionowo, in der Nähe von Warschau, fuhren in ein von der PFN organisiertes Wehrsportlager. Anschließend setzten sie ihre dort erworbenen Kenntnisse in die Praxis um und terrorisierten die Stadt. Diesem Terror fielen 3 Menschen zum Opfer. Die rechtsradikalen Gruppierungen begannen ihre Aktivitäten in Großstädten wie Warschau oder Krakow. Nun ist aber festzustellen, daß sie ihre Tätigkeit mehr in kleinere Städte und in die Provinz verlagern. So ist auch der Kampf gegen sie zunehmend schwieriger. Zudem existiert eine rechte Musikszene, deren Erzeugnisse auch überall erhältlich sind.

Die Aktivitäten von Gruppen wie der PFN verstoßen dabei ausdrücklich gegen den Artikel 13 der polnischen Verfassung. Daß es überhaupt zu der Aufnahme dieses Artikels in die Verfassung kam, ist Verdienst des Engagements antifaschistischer Gruppen. Allerdings kommt es kaum zu einer Umsetzung dieses Artikels. So bleibt es eine Hauptaufgabe polnischer Antifaschisten, auf ein Verbot dieser Organisationen hinzuwirken.

telegraph: Wie erklärt Ihr den polnischen Nationalismus, zumal es ja nur sehr wenige Ausländer in Polen gibt?

Pankowski: In Polen hat ein rasanter gesellschaftlicher Wandel stattgefunden. Die Leute suchen also nach Sachen, die dauerhafter erscheinen und gewissen Halt geben. Im Nationalismus suchen viele Leute einen solchen Halt. Man kann so in der gesamten polnischen Gesellschaft einen gewissen Nationalismus beobachten. Auch aus der Geschichte entwickelte sich in Polen ein starkes Nationalbewußtsein, das aber nicht immer in Nationalismus umschlagen mußte.

Die polnischen Nationalisten begreifen dabei die polnische Tradition, auf die sie sich immer berufen, überhaupt nicht. Diese polnische Tradition war immer multikulturell und hat mit dem heutigen polnischen Nationalismus nichts gemein. Erst nach dem Krieg kam es dazu, daß in Polen nur wenig nationale Minderheiten leben. Davor war Polen eine Art Schmelztiegel verschiedener Kulturen. Ein „ethnisch reines“ Polen, wie es die Nationalisten fordern, hat es in der Geschichte nie gegeben.

telegraph: Also polnische Arbeitsplätze zuerst für Polen?

Pankowski: Es geht mehr darum, daß sie nicht wollen, daß Ausländer polnische Fabriken kaufen – also eher eine Frage des Eigentums. Die Privatisierungen sind, anders als in der ehemaligen DDR, noch im vollen Gange und die Diskussion darum zur Zeit sehr aktuell. Der entscheidende Fehler der Gewerkschaften, aber auch anderer gesellschaftlicher Kräfte ist, daß nationalistische Forderungen geduldet werden. Rechtsextreme Organisationen werden, obwohl sie zahlenmäßig klein sind, nicht isoliert, sondern sind eben auch in der Regierungskoalition. Wir haben die Hoffnung, daß durch Polens Bemühungen, Mitglied der EU zu werden, die Normalität von rechtsradikaler Politik zu einem Image-Problem für die polnische Regierung wird.

telegraph: Warum setzt Ihr darauf Hoffnung? In Frankreich gibt es zum Beispiel auch eine starke extreme Rechte.Pankowski: Zumindest wird die Front National in Frankreich so isoliert, daß niemand mit ihr zusammenarbeiten will.

telegraph: Wie ist die Haltung der polnischen Rechten zur EU-Integration Polens und einem möglichen NATO-Beitritt? Inwieweit können sie in der Bevölkerung vorhandene Stimmungen aufgreifen?

Pankowski: Generell läßt sich feststellen, daß eine Mehrheit in Polen für diese Beitritte ist. Je näher der Termin dafür rückt, desto mehr bröckelt dieser Konsens jedoch. Demzufolge nutzen die Rechten dieses Thema. Wir denken, daß es in den nächsten Jahren zu ihrem Hauptthema werden wird.

telegraph: Kommt es dennoch zu einer Zusammenarbeit von polnischen und westeuropäischen Rechten?

Pankowski: Bislang war es so, daß polnische Faschisten mehr Kontakte mit dem Osten pflegten, beispielsweise mit Rußland. Die beiden Organisationen PFN und PWN haben gute Kontakte zu Shirinowskis Partei. Nun läßt sich erkennen, daß sich die Kontakte mehr in den Westen verlagern. Besonders die stärker werdende NOP bemüht sich darum sehr stark.

telegraph: Wie kam es dazu, daß sich polnische Faschisten nach 1989 zuerst an Gruppierungen im Osten und jetzt mehr an denen im Westen orientieren?

Pankowski: Generell läßt sich sagen, daß sich die polnische Gesellschaft verstärkt am Westen orientiert, die polnischen Faschisten inklusive. Es gibt jedoch eine pro-russische Strömung unter den polnischen Faschisten. In der Geschichte der polnischen Rechten wurde Deutschland schon immer als größerer Feind im Vergleich mit Rußland gesehen. Dazu kommen die gemeinsamen slawischen Wurzeln. Schon Anfang des Jahrhunderts bildete sich diese Strömung namens Endecja. Heutzutage kann Rußland kaum noch Anregungen bieten, während die französischen Rechtsextremen um Le Pen eine größere Anziehungskraft ausüben.

telegraph: Woher erhalten polnische Faschisten Unterstützung?Pankowski: Es kam in Polen zur Gründung einer Nationalsozialistischen Front, die jetzt aber in der NOP aufgegangen ist. Es gibt eine Gruppe Pologna in den USA, die speziell die NOP finanziell unterstützt. Die NOP ist zudem in dem internationalen Zusammenschluß Third Position organisiert.

telegraph: In Rußland gibt es eine nationalbolschewistische Bewegung. Gibt es derartige Strömungen auch in Polen?

Pankowski: 1968 kam es bei einer antisemitischen Kampagne, die zu dem Pogrom in Grunwald führte, zu einer Kopplung von Nationalismus und Kommunismus. Die kommunistische Regierung unterstützte diese antisemitische Kampagne. Nach dem Pogrom verließen viele Juden Polen. In den 80er Jahren gründete sich mit Genehmigung der Behörden eine Patriotische Vereinigung Grunwald. Diese Gruppe war nationalkommunistisch und antisemitisch eingestellt und kämpfte auch gegen die Gewerkschaft Solidarnosc. Führende Ideologen der Grunwald-Vereinigung sind heute in der PFN zu finden. Die Chefs von PFN und PWN waren früher kommunistische Funktionäre, was sie gern verschweigen. Gegenwärtig gibt es keine ausgesprochen nationalbolschewistische Strömung innerhalb der polnischen Rechten.

telegraph: An der deutsch-polnischen Grenze kommt es durch die Propaganda des BGS zu einer rassistischen Stimmungsmache gegen Flüchtlinge, die versuchen über die Grenze zu kommen. Wie sieht es auf der polnischen Seite der Grenze aus?

Pankowski: Bisher ist das bei der Bevölkerung noch kein Thema, weil Polen nur ein Transitland für die Flüchtlinge ist. Andererseits sind Antifas darauf vorbereitet, daß dort in den nächsten Jahren viel Arbeit auf sie zukommen wird. Die Flüchtlingspolitik der Regierung ist momentan sehr chaotisch.

Rechte Politiker fordern verstärkt eine sichere Grenze zu Rußland und zur Ukraine. So wurde kürzlich der Grenzverkehr von der Regierung erschwert.

telegraph: Welche Rolle spielt die katholische Kirche? Gibt es neben Radio Maria noch weitere Beispiele für eine Zusammenarbeit mit Rechtsextremen?Pankowski: Ganz wesentlich ist, daß die meisten Faschisten ihren Katholizismus stark betonen, um ihr Prestige in der Bevölkerung zu erhöhen. Beispielsweise versuchte die NOP zusammen mit der Jugendorganisation Allpolnische Jugend (MW), den Papst bei seinem Besuch in Wroclaw zu begrüßen, was glücklicherweise nicht gelang. Die Kirche freut sich, daß es Jugendliche gibt, die so religiös sind. In dem landesweit ausgestrahlten Radio Maria kann man oft nationalistische Politiker hören. Der Direktor der Radiostation, der gleichzeitig Priester ist, nimmt als Personenschutz Mitglieder der Altpolnischen Jugend. In der Kirche gibt es viele Diskussionen zum Thema Nationalismus. Einige Bischöfe und auch der Papst sind vehement gegen Radio Maria, während andere damit sympathisieren. Dieser Konflikt wird wohl noch eine Weile andauern und sein Ausgang ist für die gesamte Gesellschaft von großer Bedeutung. Es wird angestrebt, von Radio Maria aus parteiähnliche Organisationen zu gründen, und demnächst plant Radio Maria einen Fernsehsender.

telegraph: Ist dies eine Fortsetzung des Konflikts Anfang der Neunziger Jahre, als ein Teil der katholischen Kirche die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus einforderte, während ein anderer Teil jede Verantwortung strikt ablehnte?

Pankowski: Dieses Thema wird nach wie vor kontrovers diskutiert. In bestimmten Millieus ist Antisemitismus in Polen immer noch ein Tabu.

telegraph: Welche Aktionen gehen von der antifaschistischen Bewegung in Polen aus und welche Möglichkeiten hat sie?

Pankowski: Die antifaschistische Bewegung in Polen ist noch sehr jung. Die ersten Gruppen entstanden erst 1992 in Städten wie Bydgoszcz und Wroclaw als Reaktion auf die zunehmenden faschistischen Übergriffe. Zu dieser Zeit wurden einige Innenstädte komplett von Faschisten kontrolliert. Die Haupttätigkeit der Antifas bestand darin, die Innenstädte wieder zurückzuerobern. Doch Faschismus ist ein gesellschaftliches Problem, das sich nicht nur auf der Straße widerspiegelt. So wurde es notwendig, die antifaschistischen Aktivitäten nicht nur auf Verteidigungskämpfe zu beschränken, sondern auch auf anderen Feldern aktiv zu werden. Die Aufgabe von Nigdy Wiecej ist es, Informationen über rechtsextreme Organisationen zu liefern und so Aufmerksamkeit für diese Problematik zu schaffen.

telegraph: Gibt es Kontakte und Zusammenarbeit mit den ehemaligen Kommunisten?

Pankowski: Teilweise ist es schwierig, da viele ältere ehemalige Kommunisten auch an der antisemitischen Kampagne 1968 beteiligt waren. Doch es gibt auch Beispiele von Zusammenarbeit, wie bei der Durchsetzung des Artikels 13. Ehemalige Aktivisten der Gewerkschaft Solidarnosc stehen antifaschistischer Politik jedoch aufgeschlossener gegenüber.

telegraph: In einem Film sahen wir eine Antifa-Demo in Warschau skandieren: Nieder mit dem Faschismus, Nieder mit dem Kommunismus! – Wie ist in der Antifa-Szene das Verhältnis zu sozialistischen Perspektiven und welche Rolle spielt dabei die realsozialistische Erfahrung?

Pankowski: In dem Film waren Anarchisten zu sehen, die jedoch nicht die gesamte Antifa-Bewegung repräsentieren. Die ideologische Ausrichtung ist sehr unterschiedlich. Bei Nigdy Wiecej arbeiten Leute mit unterschiedlichen Weltanschauungen mit. Das Verbindende zwischen den verschiedenen Einstellungen ist der Antifaschismus. Wir verstehen Antifaschismus als Plattform für unterschiedliche Menschen, die gegen Faschisten aktiv werden wollen.

Dabei sind wir gegen jede Art von totalitärem System, denn es wäre einfach nicht ehrlich, gegen Faschismus vorzugehen und gleichzeitig dem Stalinismus zu huldigen.

telegraph: Spielen demzufolge neostalinistische, maoistische oder trotzkistische Sek
ten in der Antifa-Bewegung keine Rolle?

Pankowski: Ich habe noch nie einen Maoisten in Polen getroffen. Es gibt trotzkistische Gruppen, die Antifaschismus als Instrument für ihre eigene Propaganda verwenden.

telegraph: Steht Nigdy Wiecej nun für eine breite Front bürgerlich-demokratischer Kräfte, die für die bürgerliche Demokratie eintreten?

Pankowski: Wir sehen die bürgerliche Demokratie als einzige Alternative zum Faschismus. Diese Meinung wird nicht von allen bei Nigdy Wiecej geteilt, aber ich sehe zur bürgerlichen Demokratie im Moment keine Alternative.

Stowarzysnenie `Nigdy Wiecej‘,
PO Box 6,
03700 Warszawa 4,
Polen,
http://www.zigzag.pl/rafalpan

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