Neues aus der Bücherwelt

von Knobi
(Aus telegraph 3/4 1998)

Schier unüberschaubare Bücherberge wurden in Frankfurt/M. zur diesjährigen Buchmesse aufgetürmt. Nur ein Bruchteil von dem, was einen so interessieren könnte, wäre schon nicht mehr bezahlbar.

Da die Jahreszeit jetzt wieder mehr den Aufenthalt in geschlossenen Räumen gebietet, hier nun in gedrängter Form einige Hinweise auf Neuerscheinungen: „Als Nachfolgeblatt der Umweltblätter erschien am 9. Oktober 1989 erstmals der telegraph.“ So stehts geschrieben bei Bernd Drücke; Zwischen Schreibtisch und Straßenschlacht? – Anarchismus und libertäre Presse in Ost- und Westdeutschland (Verlag Klemm und Oelschläger / 640 S. / 59,80 DM) auf S. 123, damit Ihr Euch schon mal für das nächste Jahr einen Eintrag in den Kalender machen könnt für das 10jährige Jubiläum dieser Zeitschrift. Diese Dissertation des Münsteraners Bernd Drücke zeigt die Entwicklung von ca. 21 libertären Untergrund-Blättern aus der Ex-DDR (ab 1983) und ca. 457 BRD-Blättern (ab 1968). Gut zu lesen und von hohem Informationswert.

Aber nichts ist (eigentlich) so spannend wie ein Krimi: Luis Sepúlveda schrieb mit seinem Roman Die Spur nach Feuerland (Verlag der Buchläden Schwarze Risse / Rote Straße & Verlag libertäre Assoziation / 198 S. / 26,-DM) einen eigenwilligen Krimi über einen chilenischen Ex-Guerillero, de in Hamburg lebt und von seiner Vergangenheit eingeholt wird. Sein Gegner, ein „abgehalfterter ehemaliger DDR-Agent“ verfolgt ihn bis nach Feuerland usw. usw.

Vom fiktiven Krimi zum wahren Leben. Von einer treuen Fan-Gemeinde heiß erwartet: Fritz Mierau; Das Verschwinden von Franz Jung – Stationen einer Biographie (Edition Nautilus / 336 S. / 58,-DM). Jung, der wohl zu einer der interessantesten Figuren in der deutschen Literaturgeschichte gezählt werden muß und ein exemplarisches Leben in diesem Jahrhundert führte, bekommt hier sein Denkmal gesetzt. Müßte eigentlich ein Bestseller werden.

Ebenfalls eine Biographie eines Literaten mit vielen Brüchen ist das prachtvolle Buch: Franz Fühmann – Eine Biographie in Bildern, Dokumenten und Briefen (Hinstorff Verlag / Großformat / 400 S. / 68,-DM). Literaten, die in Deutschland nach „Wahrheiten“ suchen sind rar geworden. Dieser fast ausschließlich aus Dokumenten bestehende Band wurde vonBarbara Heinze herausgegeben, die den Fühmann-Nachlass in der Akademie der Künste Berlin verwaltet. Ich wünschte mir, daß vielleicht noch zwei, drei andere Literaten das Glück hätten, in einem so schönen (durchaus auch kritischen) Band geehrt zu werden.

Literatur und Philosophie liegen ja doch (bei einigen zumindest) dicht beieinander. Ein Mann von hoher Moral war sicherlich Albert Camus (1913-1960). Im Verlag Graswurzelrevolution erschien jetzt Lou Marin; Ursprung der Revolte – Albert Camus und der Anarchismus (326 S. / 39,80 DM). Camus, Literaturnobelpreisträger, Kulturgänger zwischen Afrika und Europa, war sich nicht zu schade, auch für kleine libertäre Blätter zu schreiben oder vehement libertäre Positionen öffentlich zu beziehen. Dieses kenntnisreiche Buch zeigt die verschiedenen Facetten des Dichters und Philosophen Camus, wenngleich auch immer vom bedingungslos gewaltfreien Standpunkt.

In diesem Jahr wurde der ID-Verlag 10 Jahre alt. Aus diesem Anlass erschien jetzt der Subversionsreader – Texte zu Politik und Kultur (264 S. / 20,-DM). Die Texte stammen aus z.T. inzwischen vergriffenen Büchern des Verlages, die aber weiterhin als wichtig erachtet werden. Herausgeber Martin Hoffmann war von Anfang an dabei, und kommentiert dann auch im Anhang die Bibliographie seiner 10jährigen Verlegertätigkeit. Witzig ist noch, daß im Anhang auch jene Bücher kommentiert werden, die zwar mal angekündigt worden sind, aber aus diversen Gründen nie erschienen sind: „Die Bibliographie der imaginären Bücher“. Es soll wohl Leute geben, die darauf beharren, sie hätten das eine oder andere Buch gesehen.

Ähnlich rückblickend, ohne nostalgisch zu wirken, aus dem selben Verlag: Zwischenberichte – Zur Diskussion über die Politik der bewaffneten und militanten Linken in der BRD, Italien und der Schweiz. (247 S. / 24,-DM). Eine Dokumentation der gleichnamigen Veranstaltung vom Mai 1997 in der „Roten Fabrik“ Zürich. Erstmals diskutierten öffentlich ehemalige Militante aus verschiedenen Ländern das Konzept „Stadtguerilla“. Im Buch befinden sich außerdem noch zusätzliche Texte, wie z.B. die vollständige „Auflösungserklärung der RAF“.

Ebenfalls aus einem Kongreß enstand das Buch: Diedrich Diedrichsen (Hg.); Loving the Alien – Science Fiction, Diaspora, Multikultur (ID-Verlag / 216 S. / 36,-DM). Der Kongreß fand im November 1997 mit internationaler Beteiligung in der Berliner Volksbühne statt. Nach dem Motto: Wenn Außerirdische die Feinde der Herrschenden sind (sprich: der Weißen), dann müßten sie eigentlich unsere Freunde sein (die der Schwarzen z.B.). Was es also damit auf sich hat, wenn schwarze Musiker wie Lee Peery oder Sun Ra über den Weltraum philosophieren, kann man hier nachlesen. Interessant.

Selbst das Feiern von Gedenktagen muß man inzwischen den Staatsträgern streitig machen. Nun, selbst wenn 1848 eben „nur“ eine bürgerliche Revolution war, so sollten doch auch die linken Töne darin zu hören sein. Der Unrast-Verlag hat nun seinen zweiten Band in der Reihe Klassiker der Sozialrevolte vorgelegt: Otto Rühle; 1848 – Revolution in Deutschland (111 S. / ca. 14,-DM). Dieser Reprint aus dem dreibändigen Werk Rühles über „Die Revolutionen Europas“ soll einen Einblick in Zeit und Verhältnisse vermitteln. Durchaus ein lesbares Stück Geschichte.

Periodische Erscheinungsweise gibt es nicht nur bei Zeitschriften sondern auch bei wissenschaftlichen Sammelwerken. So gibt z.B. das „Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit“ in Bochum seit 1980 eine gleichnamige Schriftenreihe heraus. Band 15 ist nun gerade erschienen und mit 672 Seiten die umfangreichste Ausgabe, die je erschienen ist(Germinal Verlag / 36,-DM). Neben zahlreichen Beiträgen zur linken Geschichte und Politik (im möglichst breiten Spektrum), enthält dieser Band ca. 91 (!) Buchrezensionen und Hinweise. Ansonsten von und über Castoriadis, über Marx und Bakunin in der ersten Internationale, über und von Fritz Gross (Franz Jung-Fans wissen Bescheid), Manifest der tschechischen Anarchisten von 1896, über 1968, über die Goldhagen-Kontroverse uvm.

Wie schon im letzten telegraph erläutert erscheint Die Beute (Neue Folge Heft 2) jetzt nur noch halbjährlich, dafür mit mehr Seiten (225 S. / 28,-DM / ID-Verlag). Diesmal ist der Schwerpunkt: Der kurze Sommer der Kritik: Die Linke nach `68. – Allerdings immer wieder bezogen auf die Jetztzeit.

Von der Politik zur Literatur wandelte sich – ohne Reibungsverluste – das Magazin Papillon, ehemals Molli. Nennt sich jetzt halt „politische Zeit-Schrift für Literatur“. Hier erschien das Heft zwei mit dem Themenschwerpunkt: Frauenliteratur (Bezug: Vapet-Vlg., Grottenstr. 14 in 44789 Bochum / Einzelheft: 48 S. / 5,80 DM). Das Heft hat wirklich das Zeug, zum Sprachrohr der Klein-u. Sub-Literatur-Szene zu werden.

Ob man das noch periodisch nennen kann? Nach 15 Jahren gibt Klaus Schmitt eine neue Ausgabe der legendären 883 (26 S. / 4,-DM / Bezug: Klaus Schmitt, Apostel-Paulus-Str. 26 in 10823 Berlin) heraus, die in West-Berlin ein wichtiges Blatt der Anarcho-Szene war. Im berühmten (unhandlichen) A-3-Format sind hier alte und neue Redakteure versammelt, die zum Thema 1968 und die Folgen schreiben. Mit Beiträgen von Andreas Hansen, Bernd Kramer, Bernd Rabehl, Uwe Timm, Bernd Senf u.a.

Tja, das muß erstmal alles gelesen werden. Und dabei ist ein neuer P.M. im Verlag Paranoia City Zürich angekündigt, den es sogar schon geben soll, und ich habe den noch nicht, her damit, her damit …

© telegraph. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des telegraph