Wagenburg auf dem Todesstreifen

aus telegraph 4/1990
von Wolfgang Rüddenklau

Und Franz Joseph lacht, denn,
das weiß selbst er,
gegen eine solche Linke
hat er es nicht schwer.

Wir haben in den vergangenen Nummern von verschiedenen Initiativen zur Begrünung des Berliner Mauerstreifens berichtet und eine Veranstaltung in der UB-Galerie am 15. Februar zur Koordinierung dieser Initiativen angekündigt. Leider kam es bei dieser Veranstaltung zu heftigen Auseinandersetzungen um den Inhalt der Aktion. Während die Mehrheit der Versammelten höchst verschieden motiviert war, von Ökologen bis zu Anwohnern im Kiez, versuchten einige Westberliner Autonome lautstark den anderen ihr Konzept aufzudrängen: Eine Besetzung des Mauerstreifens müsse als Protest gegen die Wiedervereinigung durchgeführt werden. Nachdem ein Großteil der Versammelten gegangen war, verließen auch die Westberliner Revolutionäre türenschlagend den Raum: es ging ihnen zu gemäßigt zu. Einigen Vertrauten hatten sie mitgeteilt, daß sie auf eigene Faust eine Besetzung des Mauerstreifens durchführen würden.

Die Aktivisten haben sich mittlerweile als Einwohner der Wagenburg erwiesen – Wohnwagen, die von Autonomen als Protest gegen die Mietpolitik von Hausbesetzern und Senat im Niemandsland in der Nähe des Übergangs Heinrich-Heine-Straße bewohnt werden. Vier der Wagen wurden über die mittlerweile von Mauerspechten zertrümmerte Mauer auf den ehemaligen Todesstreifen gezogen. Zu den Besetzern gehörten auch Ostberliner Autonome. Die DDR-Grenzer reagierten ratlos: Der Mauerstreifen sei schließlich immer noch Sperrzone. Immerhin bildeten sie eine Kette zum Schutz der Wagen, als die Westberliner Polizei in den Mauerstreifen vordrang, um die Besetzer zu räumen.

Diese verrückte Situation wurde möglich, nachdem in der vorigen Woche der Ost- und der Westberliner Polizeipräsident gegenseitige Unterstützung bei Veranstaltungen in Grenznähe vereinbart hatten sowie Maßnahmen bei Störungen „durch militante oder radikale, extremistische Gruppen“ abgemacht hatten, was unter anderem bedeutet, daß die Westberliner Polizei bei der Verfolgung von Straftätern auch im Grenzstreifen agieren darf – ein Opfer von Souveränitätsrechten der DDR, das schon an Selbstaufgabe grenzt. Entsprechend der inzwischen bewährten Zusammenarbeit beider Obrigkeiten verlief auch der Rest: Den Besetzern wurde am zweiten Tag die Räumung durch die Westberliner Polizei um 6 Uhr früh angekündigt. Die Wagenburg-Leute gaben auf: Sie sahen die Gefahr, daß die Westberliner Polizei die Gelegenheit nutzt, auch die hinter der Mauer verbliebenen Wagen wegzuräumen. Noch in der Nacht wurde die Besetzung aufgegeben.

Was bleibt ist Katzenjammer. Wieder einmal wurde von selbsternannten Superrevolutionären die Chance zu einem breiten Bündnis verpatzt, um sich selbst als Vortrupp und Märtyrer zu profilieren. Bleibt zu hoffen, daß die anderen Initiativen nicht aufgeben und einen neuen Anlauf für eine gemeinsame Inbesitznahme des ehemaligen Todesstreifens durch Ost- und Westberliner Bürger finden.

r.l.