Highlights der Geschichte: Alle rede(te)n von Entmilitarisierung

aus telegraph 5/1990
vom 15. März 1990

Pfarrer Eppelmann wird Staatsminister und begrüßt die Notwendigkeit des Militärs, wogegen eine SED-Nachfolgepartei Abschaffung der Wehrpflicht und totale Entmilitarisierung einfordert. Hätte dies zu Zeiten des „Berliner Appells“ 1982 jemand prophezeit, er wäre mit Sicherheit als von einer besonders perversen Phantasie gepeinigt bemitleidet worden. Und hätte Robert Havemann dies geahnt, vielleicht hätte er den Friedensappell lieber doch nur mit Gerd Poppe verfasst und den damaligen Anwalt Gysi um Unterschrift gebeten?

Allerdings scheint es nur um wahlkampfwirksames Kalkül zu gehen. Der eine verabschiedet sich jetzt völlig von der Basis und möchte sich möglichst kohlgerecht verhalten, dabei nach Stimmen von denjenigen gierend, bei denen stalinistische Erziehung und System zuzüglich eines wabernden Nationalismus ein übersteigertes Autoritäts- und Sicherheitsbedürfnis und eine rechtskonservative Grundeinstellung erzeugte.

Die anderen scheinen die gerade in letzter Zeit zunehmenden Basisaktivitäten für ihre Zwecke ummünzen zu wollen, um wenigstens ein paar Stimmen über ihre ohnehin schwindende Mitgliederzahl hinaus zu erhalten. Wieder andere, so z.B. die Leistungs-Liberalen wollen
eine Berufsarmee, kompatibel mit der Bundeswehr, dabei auf Existenz-Ängste der bereits existierenden Berufsmilitärs spekulierend. Aber selbst Vertreter des Verbandes der Berufssoldaten sprachen sich am Militär-Runden Tisch für Selbstauflösung der NVA und zumindest „Angriffsunwilligkeit“ aus, wofür sie eine Unterschriftensammlung
versprachen.

Und die vielen autonomen Friedenskreise? Sie fordern sofortige Abschaffung der Wehrpflicht (Unterschriftensammlung der Behindertenkommune Hartroda seit November) bzw. erklären sie einfach als abgeschafft, wie die konsequenten Antimilitaristen – der Freundeskreis Wehrdiensttotalverweigerer, der aus diesem Anlass ein Volksfest veranstaltete, bei dem ca. 120 Wehrpflichtige ihren Wehrpass zum eingießen in Kunstharz freigaben. Auch das Recht auf Militärsteuer-Verweigerung wird eingefordert, – praktisch ist eine Militärsteuer-Verweigerung bisher nur bei Ausstieg aus jeglicher Gewerbetätigkeit möglich. Frauengruppen machen aufmerksam auf ihre Kriegsdiensteinplanung und protestieren. Unter der Überschrift „Der
Storch bringt keine Kinder – die Armee keinen Frieden“ veranstalteten verschiedene Altenburger Friedenskreise einen Aktionstag mit dem Ziel Armeeabschaffung. Ähnlich lautende Appelle mit unterschiedlichem Zeitmaß kommen aus Rostock, Halle, Dresden („Wolfspelz“ und „Pax“),
Cottbus (Anarchopazifisten IV), von der Initiative Frieden und Menschenrechte Berlin und Leipzig und von Prominenten der Appell 89.

Derweil streiken die Soldaten von Hagenow, Schwerin, Beelitz, Boxberg, Dresden… Ehemalige Bausoldaten drohten gar, die Volkskammer zu blockieren, falls diese das Zivildienstgesetz in der
ursprünglich vorgesehenen Form abgesegnet hätte.

Sie alle haben die Absurdität einer militärischen Okkupation der DDR seitens der Bundeswehr erkannt – die „deutsche Einheit“ wäre danach passé. So wie die öffentliche Zerstörung von Abhörtechnik wäre die von Militärtechnik ein grenzüberschreitender vertrauensschaffender Akt – mit dem Signal: Wir stehen für Militärbündnisse nicht mehr zur Verfügung.

g.h.

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