Subcomandante Insurgente Marcos an das EUROPÄISCHE TREFFEN FÜR DIE MENSCHHEIT UND GEGEN DEN NEOLIBERALISMUS.

aus telegraph 6/1996

Nachrichten und Informationen – Solidarität schaffen!
¡TIERRA Y LIBERTAD!
Land und Freiheit
Sonderblätter der Zeitschrift Die Aktion zur Solidarität mit den
Aufständischen in Chiapas
Hamburg, 24. Juni 1996, Nr. 25 / 2. Jahrgang

An das EUROPÄISCHE TREFFEN FÜR DIE MENSCHHEIT UND GEGEN DEN NEOLIBERALISMUS.
Berlin. Deutschland.

Brüder und Schwestern:

ich begrüße Euch und die Anstrengung, die Euch heute versammelt. Wir hoffen, daß dieses europäische Treffen zur Vorbereitung des Interkontinentalen Treffens für die Menschheit und gegen den Neoliberalismus ein Erfolg sein wird. Wir alle wissen, daß „Neoliberalismus“ auf deutsch „Scheiße“ heißt und deshalb müssen wir uns ihm entgegenstellen, damit die „Menschlichkeit“ den Platz einnehmen kann, den sie in der Geschichte verdient.

Wir wissen, daß Ihr viele Zweifel habt, was das Intergalaktische Treffen in Mexiko betrifft. Zusammen mit diesem Brief hier findet ihr die Einladung, den Aufruf und die Hinweise für die Delegationen aus den europäischen Ländern. Wir hoffen, daß diese Dokumente helfen, das Wesentliche zu lösen.

Während ich dies schreibe, läßt ein Nachtflugzeug des Militärs die Nacht der Berge des mexikanischen Südosten nicht schlafen. Minute für Minute wächst der militärische Druck auf die Indianergemeinden, die Kräfte der Regierung haben die Positionierung ihrer Sturmabteiluingen abgeschlossen, und die Funktionäre füllen die Nachrichtenplätze mit Lügen über Frieden und Dialog. Unschuldige Bürger werden gefangengehalten und dazu benutzt, uns, durch sie, zu einer Zukunft der Verfolgung und des Todes zu verurteilen.

Aber, inmitten all des Graus, gibt es Farbfunken, die Tage und Nächte erleichtern. Funken wie die Solidaritätsbotschaften, die Menschen aus aller Welt nach Mexiko geschickt haben, um von der Regierung Friedensakte zu verlangen. Dank dafür an alle.

Wie auch immer der Ausgang dieser Todesungewißheit sein wird, wißt, daß Ihr auf dem Interkontinentalen Treffen für die Menschheit und gegen den Neoliberalismus gut empfangen werdet von uns oder was von uns übrigbleiben wird. Im Frieden oder im Krieg, kämpfend oder verhandelnd, in Angst oder in Ruhe, werden wir euch empfangen und wir werden uns mit Euch treffen, um weiter zu suchen. Und nichts soll die Durchführung dieses Treffens aufhalten.

Macht’s gut. Grüße und daß die Hoffnung die Zeit haben wird, die sie verdient, das heißt alle Zeit.

Aus den Bergen des mexikanischen Südostens
Subcomandante Insurgente Marcos

HINWEISE FÜR DIE EUROPÄISCHEN DELEGIERTEN

Brüder und Schwestern des alten Europa:

Das Interkontinentale Treffen für die Menschheit und gegen den Neoliberalismus, das „Intergalaktische“, steht kurz bevor. Wegen der Kriegsbedingungen, unter denen wir uns treffen, brauchen wir eine genaue Organisation des Treffens. Deshalb fordern-bitten-erflehen-ersuchen-legen wir euch nahe, die folgenden Hinweise wörtlich zu erfüllen:

1. Innerhalb von 14 Tagen nach dem Ende des Europäischen Treffens soll in jedem Land eine Nationale Versammlung für das Interkontinentale Treffen stattfinden, an der Vertreter aller Komitees, Kollektive oder Solidaritätsgruppen des jeweiligen Landes teilnehmen.

2. In jeder Nationalen Versammlung wird im Konsens eine Nationale Komission für das Internationale Treffen für die Menschheit und gegen den Neoliberalismus ernannt, in der die verschiedenen Tendenzen der Komitees vertreten sind. Diese Nationale Komission wird die Akkreditierungsarbeit für das Treffen in Chiapas übernehmen, in Koordination mit der Internationalen Verbindungskomission in Mexiko, vertreten durch Paulina Fernández C.

3. Jedes Komitee, Kollektiv oder Plattform soll dieser Nationalen Versammlung die Anzahl der Leute nennen, die am Interkontinentalen Treffen für die Menschheit und gegen den Neoliberalismus teilnehmen möchten. Die Nationale Komission sammelt diese Daten, um die Gesamtzahl der Einladungen zu ermitteln, welche sie von der EZLN anfordern wird.

4. Eine oder mehrere Personen jeder Landeskomission – oder eine Komission in Vertretung mehrerer Länder – soll sich zwischen dem 20. und 25. Juni mit der Internationalen Verbindungskomission in Mexiko (Paulina Fernández C.) in Verbindung setzen, um die Teilnehmerlisten jenes Landes – oder Länder – abzuklären. Über diesen Kontakt, werden die von ihrem Land angeforderten Einladungen sowie die zusätzlichen Unterlagen übermittelt, damit die nationale Komission die am Treffen Interessierten akkreditieren kann.

5. Die Nationalen Komissionen sollen die Akkreditierung ihrer jeweiligen Länder spätestens bis zum 7. Juli abgeschlossen haben.

6. Jede Person soll sich bei der Akkreditierung in eine der fünf Arbeitsgruppen einschreiben.

7. Die Nationalen Komissionen sind die einzigen Akkreditierungsinstanzen für alle europäischen Komitees, Kollektive oder Solidaritätsgruppen. Sie werden auch gesellschaftliche, politische und Nicht-Regierungs-Organisationen akkreditieren, sowie Persönlichkeiten ihrer jeweiligen Länder.

8. Der letzte Termin, bis zu dem jede Nationale Komission ihren Akkreditierungsbericht schicken kann, ist der 10. Juli. Dieser Bericht soll an die Internationale Verbindungskomission in Mexiko, z. Hd. Paulina Fernández C. geschickt werden und bestehen aus:

– Gesamtzahl der Akkreditierten
– namentliche Listen der Akkreditierten nach Arbeitsgruppen
– beigefügte Dokumente, die von der Internationalen Verbindungskomission ersucht werden.

9. Jede Nationale Komission übernimmt die volle Verantwortung für alle Personen, die sie akkreditiert, um die Infiltration von Provokateuren oder von Personen zu verhindern, welche die Sicherheit und den guten Ablauf des Treffens verletzen könnten. Die Sicherheit (oder das Wohlergehen) der gastgebenden Indianergemeinden und der Mitglieder der EZLN muß das Hauptkriterium der Akkreditierung sein.

10. Nach Ablauf der Frist werden keine weiteren Gäste zugelassen. Es gibt keine Ausnahmen.

11. Jede Nationale Komission soll in jeder der fünf zapatistischen „Aguascalientes“, wo es Arbeitsgruppen gibt, ein Übersetzungssystem für ihre Landsleute organisieren, die kein Spanisch sprechen. Bei der Akkreditierung sollen sie verlangen, daß alle Redebeiträge in einer spanischen Kopie und in einer Zusammenfassung von höchstens zwei Seiten in dieser Sprache vorgelegt werden.

12. Jede nationale Komission jedes Landes übernimmt die Koordinierung ihrer nationalen Delegation während der Zeit des Treffens. Dafür wird eine nationale verantwortliche Gruppe für jedes zapatistische Aguascalientes ernannt, die Vermittler zwischen ihrer Delegation und den lokalen Organisatoren sein werden. Jede verantwortliche Gruppe wird zu jedem Zeitpunkt die namentliche Liste der Leute in ihrer Verantwortlichkeit mit sich tragen und mit der Kulturkomission, falls berabsichtigt, die Beteiligung ihrer Delegation regeln.

13. Es fällt in die Verantwortung der Nationalen Komissionen, die alternativen Medien ihrer jeweiligen Länder zu akkreditieren, nach vorheriger Bestätigung der wirklichen Existenz derselben.

14. Die Nationalen Komissionen werden auf jeden Fall nach dem Ende des Interkontinentalen Treffens für die Menschheit und gegen den Neoliberalismus aufgelöst. Das ist alles. Grüße.

Aus den Bergen des mexikanischen Südostens
Subcomandante Insurgente Marcos

Anleitung zum Lesen der Einladung-Aufruf zum Internationalen Treffen für eine menschliche Gesellschaft und gegen den Neoliberalismus.

Erstens – Markieren Sie mit einem Blümchen das Einladungs-Aufrufs-Modell, welches Ihnen am besten gefällt:

Modell A: Einladung-Aufruf mit (relativ) theoretischer Strenge (für diejenigen, die Argumente und Gründe verlangen);

Modell B: Ernste und formelle Einladung-Aufruf (für selbige Personen);

Modell C: Konfuse Einladung-Aufruf (um den Feind zu täuschen);

Modell D: Verkürzte Einladung-Aufruf (für Schmarotzer, Bullen, Spitzel und ihren Troß).

Zweitens – Lesen Sie die Einladung-Aufruf, die dem gewählten Modell entspricht.

Drittens – Kringeln Sie mit einem Wölkchen die gewählte Antwort zu den folgenden Fragen ein:

1. Akzeptieren Sie die Einladung-Aufruf?

Ja __ Nein __ Weiß nicht __ Andere __

2. Haben Sie vor, an dem Treffen teilzunehmen?

Ja __ Nein __ Weiß nicht __ Andere __

3. Meinen Sie, daß wir es verdienen zu gewinnen?

Ja __ Nein __ Weiß nicht __ Andere __

Viertens – Nachdem Sie das vorgenannte gemacht haben, falten Sie mit Vorsicht die Einladung-Aufruf und machen Sie sich einen witzigen Hut, schenken Sie ihn einem Kind oder stülpen Sie ihn sich auf den Kopf und träumen Sie, was Ihnen am meisten gefällt.

Fünftens – Eigentlich ist die Anleitung zu Ende, den Punkt fünftens führen wir nur auf, um die geraden Zahlen zu brechen und der Asymmetrie eine stille Ehre zu erweisen.

Das war’s. Gute Reise.
Hochachtungsvoll.

Für die Oberste, Zufällige, Intergalaktische und Hypernationale Kommission der Ersten Einladung und der Anderen (OZIHKEEUDA).

El SupMarcos

ANMERKUNG: In der Folge die verschiedenen Einladungs-Aufrufs-Modellchen. Wählen Sie dasjenige aus, das am ehesten ihrem Geschmack, Interesse oder Budget entspricht.

MODELL A

Einladung-Aufruf von relativer theoretischer Strenge (für diejenigen, die Argumente und Gründe verlangen):

Wir sehen jetzt, daß die Macht sich weigert, daß ihr Kurs benannt wird. Für die Macht haben die unter ihr Leidenden kein Recht darauf zu wissen, welches Ziel ihnen bestimmt ist, noch darauf, den tödlichen Gang zu benennen, der sie dahin führt. Die Macht denkt, daß, wenn sie benannt wird, die als Gegenwart angebotene Lethargie ihre Wirkung einbüßt. Die Macht verfügt über ihre weisen Magiere, über ihre gebildeten Gefolgsleute, um die Benennungen mit Taschenspielertricks wegzuzaubern. Wenn sie benannt wird, dann haben die Verbrechen Verantwortliche und sind nicht mehr ein reiner geschichtlicher Unfall. „Den Neoliberalismus gibt es nicht, erklären die verrohten Weisen, „er ist eine Erfindung der überholten Linken, die in dieser Bezeichnung einen bequemen Ersatz für alte Begrifflichkeiten findet. Die Bezeichnung Neoliberalismus ist auf ethische und moralische Bedeutungen reduziert“, wiederholen sie immer wieder, „und ist keine wissenschaftlich exakte Bestimmung, die hilft, einzuordnen, zu messen, abzugrenzen, zu definieren … und die Begriffe nutzlos werden zu lassen“. Der Neoliberalismus sollte nicht auf das Terrain der Moral und ethischen Werte gebracht werden, nicht nur deshalb, weil er auf dieser Ebene alles zu verlieren hat, sondern eben deshalb, weil der Neoliberalismus die Abschaffung jeglicher Moral und jeglichen ethischen Wertes bedeutet.

Die großen Weisen schreien, verzweifeln und raufen ihr edles Haupthaar (bzw. den Ort, den es einmal eingenommen hat): „Hört auf mit diesen Kindereien wie Hoffnung, hört auf mit Zimperlichkeiten wie Verteidigung des Lebens, hört auf mit Dummheiten wie Demokratie, hört auf mit Anachronismen wie Freiheit, hört auf mit „diesen wehmütigen Erinnerungen an die Vergangenheit“ wie Kampf um Veränderung, hört auf mit Absurditäten wie Gerechtigkeit. Der Neoliberalismus ist ein Erfolg, da die Macht ein Erfolg ist“. „Hier, nehmt das Kleid, das wir euch anbieten“, verkündigen sie,“ akzeptiert den euch zugewiesenen Ort, seid nicht unbequem, weigert euch nicht, eingeordnet zu werden. Alles was nicht eingeordnet werden kann, zählt nicht, existiert nicht, ist nicht. Wir bieten euch zwar nur Brosamen, aber das ist wenigstens etwas. Akzeptiert die Parzelle der Macht, die meine Barmherzigkeit euch anbietet. Ich bin die beste aller Religionen, in mir vereint sich der neue Gott und der Kult, das Mysterium und der Glaubensakt, der Priester und das Pfarrkind, das heilige Abbild und der Tempel, ich brauche den anderen noch nicht einmal dazu, damit er mich verehrt, dazu dient mir der Spiegel, den die Statistiken meines Sieges darstellen.“

„Rebellen der Welt! Vereint euch in euren Niederlagen! In eurem Gestern ist kein einziger Sieg zu finden! Eure sehnsüchtige Erinnerung nährt sich lediglich aus dem, was hätte sein können! Ich bin der, der ich bin, die ewige Wiederholung. Ergreift das wiederaufbereitete Alte, ahmt mich nach, ich bin der, der ich schon immer war, indem ich nichts als Anpassungsmaßnahmen zulasse, ich bin das erneuerte Alte, der ewige Alptraum, aber mit dem Vorteil, globalisiert zu sein. Ich akzeptiere euch als Gegner unter der Voraussetzung, daß ihr die Waffen benutzt, die gestern schon nutzlos waren, ich toleriere euch, wenn ihr eure gestrigen Niederlagen neuauflegt. Ich akzeptiere dies als eine bescheidene Huldigung an meine Siege in der Vergangenheit. Versucht nicht das Neue, wiederholt das Alte, verlaßt nicht meine Logik, ich kann euch nicht verdauen, wenn ihr so unbequem bleibt, akzeptiert euren alten Wahlspruch: „Reue oder Tod! Wir werden verlieren!“

Für die Macht teilt sich das Menschenalter in Kindheit und Reife. Erwachsen ist die Macht, Kinder sind alle Beherrschten. Die Macht erklärt uns, daß wir danach trachten sollen, erwachsen zu werden, Teil der Macht zu werden, um die Kindheit hinter uns zu lassen. „Haltet euch an die Regeln, laßt die Sentimentalitäten und Aufsässigkeit bleiben, akzeptiert meine Existenz, hinterfragt sie nicht“, flüstert die Macht aus dem Mund der bitteren Skepsis der Reuigen, die die Niederlage der Dissidenz bestätigen, der Überlebenden des historischen Schiffbruches, die den Wunsch, besser zu sein, auf sentimentales Nachäffen reduzieren.

In den Bergen des mexikanischen Südostens, am Längengrad 91 und Breitengrad 16 der Koordinaten des Weltsupermarktes, hat eine Rebellion mit mehrheitlich indigenem Blut die gegenwärtige Enttäuschung herausgefordert, indem sie einen Fuß in die Vergangenheit und den anderen in die Zukunft gesetzt hat. Die Weisen der Macht haben überstürzt Mäntelchen und Etiketten präsentiert: das sind Millenaristen, anachronistische Marxanhänger, wiederauferstandene Trümmer der Berliner Mauer, Fundamentalisten, die die Uhr der Geschichte zurückdrehen wollen, Ignoranten des Fortschritts, verständlicher Rückstand der Dauerkampagne zur Beseitigung der Ausgeschlossenen.

Aber die Mäntelchen reißen und die Etiketten befriedigen nicht. Die „Denker“ fragen sich:

„Wer sind denn diese Indigenen, die nichts verkaufen und kaufen? Wen kümmern sie denn? Warum sollte man sich überhaupt die Mühe machen, sie zu beseitigen? Wird es nicht die schöne Maschine der Macht mit dem Namen Fortschritt übernehmen, sie auszulöschen? Was machen diese Ureinwohner auf dem Datenhighway mit ihrem Gerede von Würde? Was soll das eigentlich sein: „Würde“? An welchem Wertpapierindex wird sie notiert? Wie sieht ihre Handelsbilanz aus? Warum soviel Aufregung im Ausland? Was sehen die Menschen aus Australien, Japan, Nordamerika, Argentinien, England, Afrika, Italien, Equator, Frankreich, Chile, Palästina, Spanien, Israel, Kanada, Schweden, Peru, Deutschland, Dominikanische Republik, Baskenland, Kurdistan, Dänemark, Brasilien, Holland, Griechenland, Kolumbien, Irland, Katalonien, Venezuela, Schottland, Guatemala, Thailand und sogar aus Mexiko in dieser verschwindend kleinen Revolte? Was hat es mit dieser „Internationalen der Hoffnung“ auf sich? Wieviel Kampfflugzeuge, Kriegsschiffe, Panzer, nukleare Sprengköpfe besitzt sie? Welche Finanzmärkte beherrscht sie? Wer befiehlt ihnen? Und, das wichtigste: Wieviel kostet das?“

Die zapatistische Rebellion ist ein unbequemer Störfaktor auf dem schwindelerregenden Weg der Modernität, die jede Regierung zu einem Hausmeister werden läßt, jeden nationalen Reichtum zu einer Ware im Regal der Wertpapierbörsen, jede Würde zu einem Ladenhüter und jede Geschichte zu einem nutzlosen Fortsetzungsroman zum Sammeln.

Es ist notwendig, eine neue politische Kultur aufzubauen. Diese neue politische Kultur kann aus einer neuen Form des Verständnisses der Macht entstehen. Es geht nicht darum, die Macht zu erobern, sondern die Beziehung zwischen denen umzustürzen, die sie ausüben und denen, die unter ihr leiden.

Der Zapatismus ist weder eine neue politische Ideologie noch ein Aufguß alter Ideologien. Der Zapatismus ist nicht, er existiert nicht. Er dient nur zu etwas, so wie die Brücken dazu dienen, von einer Seite auf die andere zu kommen. Deshalb haben im Zapatismus alle einen Raum, alle, die von einer Seite auf die andere gelangen wollen. Jeder hat seine eine und seine andere Seite. Es gibt keine Rezepte, Linien, Strategien, Taktiken, Gesetze, Reglements oder universelle Parolen. Es gibt nur eine Sehnsucht: eine bessere Welt zu schaffen, das heißt, eine neue.

Zusammengefaßt: der Zapatismus gehört keinem und damit gehört er allen.

Dies sind die zentralen Vorstellungen, auf denen der Aufruf zum Internationalen Treffen für die Menschheit und gegen den Neoliberalismus beruht. Es ist ein Treffen und kein Kongreß. Wir werden uns treffen und sehen was zum Teufel dabei herauskommt. Es ist nicht nur ein Treffen der Zapatisten und der Sympathisanten des Zapatismus. Es ist ein Treffen zwischen denjenigen, die ihr jeweiliges „Ya Basta“ zu ihren jeweiligen Alpträumen sagen oder sagen wollen.

So liegen die Dinge, packen Sie also Ihr „Ya Basta“ in Ihren Koffer und sagen Sie denen Bescheid, die es angeht, daß Sie sich vom 27. Juli bis zum 3. August 1996 in den Bergen des mexikanischen Südostens befinden werden und dort mit anderen „Ya Basta“ zusammentreffen werden, um herauszufinden, wie die Geschichte erneut in Bewegung gesetzt werden kann.

Vale.

* * *

MODELL B

Ernste und Formelle Einladung-Aufruf (für selbige Personen)

Wir haben unser „Ya Basta!“ gesagt und möchten uns mit Ihrem „Ya Basta!“ treffen. Kümmern Sie sich nicht um diese plumpen Intellektuellen und die verbitterten Reuigen, achten Sie nicht auf ihre Empfehlungen und Spötteleien. Ein Treffen ist ein Fest. So können Sie also auf der Arbeit, zu Hause, in der Schule oder auf dem Arbeitsamt sagen, daß Sie auf ein Fest eingeladen worden sind und daß es nicht lange dauern wird, nur einige Tage (diejenigen, in denen der Juli und August sich in ihrer Nässe umarmen), daß Sie die Einladung unmöglich zurückweisen können (denn so ist es nunmal, oder?), und daß Sie unbedingt dahin müssen, da Sie sich ja dort mit…. mit…. mit anderen! treffen werden.

Und die Gastgeber sagen, daß es sich nicht um ein Treffen handelt, auf dem festgestellt werden soll, wer gewinnt und verliert oder wer der stärkste und der schwächste ist oder wer mehr und wer weniger weiß oder wer mehr das eine ist und wer mehr das andere. Es ist ein Treffen, sagen die Gastgeber, ein Treffen, um… um…, nun gut, die Gastgeber sagen, daß man am Treffen teilnehmen müsse, um herauszufinden, was wir treffen werden. Man muß also zum Treffen gehen, das ganz klar sagt, daß es für die Menschheit ist, und diese Dame verdient alles, und gegen den Neoliberalismus, und diese Ausgeburt verdient auch alles.

Und so müssen Sie lediglich Ihre Zahnbürste, einen Kamm und Pantoffeln nehmen, und die Person, die Sie verabschiedet, wird Sie fragen, wofür denn die Zahnbürste, der Kamm und die Pantoffeln gut seien, und Sie werden ganz ernst erklären, daß auf der Einladung klar und deutlich stand, daß man Zahnbürste, Kamm und Pantoffeln mitbringen sollte und daß es schon einen Grund dafür geben würde, warum das in der Einladung steht, und es ist ja auch ganz deutlich, daß es sich um eine sehr ernste Einladung handelt, und damit keine Zweifel aufkommen, überprüfen Sie Ihr Gepäck, um sicherzustellen, daß Sie die Zahnbürste, den Kamm und die Pantoffeln eingepackt haben, und Sie werden sich sicher fragen, für was zum Teufel Sie eine Zahnbürste, einen Kamm und Hausschuhe in den Bergen des mexikanischen Südostens benötigen, und hüten Sie sich davor, die Frage laut auszusprechen, und beeilen Sie sich lieber, da Ihr Schiff-Flugzeug-Bus-Fahrrad-Dreirad-Rollschuhe-oder-was-auch-immer in Kürze abfährt, und es wäre schade, wenn Sie dieses Treffen verpassen würden, nicht nur weil es absurd ist, ein Treffen zu verpassen, das dazu dient, sich zu treffen, sondern weil Sie dann auch niemals erfahren werden, wofür zum Teufel Sie eine Zahnbürste, einen Kamm und Pantoffeln in den Bergen des mexikanischen Südostens benötigen, und Sie erinnern sich ja daran, daß diese Zapatisten darum gebeten hatten, zum kontinentalen Treffen buntes Papier und einen Bindfaden mitzubringen, aber man sieht, daß dieses Treffen interkontinental und ernster ist, denn jetzt verlangen sie eine Zahnbürste, einen Kamm und Pantoffeln, und die militärischen und polizeilichen Informationsdienste (die in der Regel durch ihren Mangel an Informiertsein glänzen) untersuchen bereits, welche Waffen- und Sprengstoffarten mit Tausenden von Zahnbürsten, Kämmen und Pantoffeln und… gebaut werden können.

„Einen Augenblick! Haben Sie gesagt ,Tausende'“?

„Ja, Tausende, vielleicht haben die Zapatisten vor, die Finanzmärkte der Zahnbürsten, Kämme und Pantoffeln in die Krise zu stürzen oder…“

„Einen Augenblick! Wollen Sie damit sagen, daß die Zapatisten Tausende von Leuten zum interkontinentalen Treffen undsoweiter einladen?“

„Natürlich nicht! In Wirklichkeit laden die Zapatisten Millionen von Leuten ein, aber ihre Popularität hat nachgelassen, so daß eine geringe Teilnahme erwartet wird…“

Es ist verständlich, daß in Ihnen eine gewisse Unruhe aufkommt, wenn Sie das von den „Tausenden“ lesen, aber Sie reisen ja bereits in Ihrem Schiff-Flugzeug-Bus-Fahrrad-Dreirad-Rollschuhe-oder-was-auch-immer, und der Himmel über Ihnen scheint Ihnen zu sagen, daß es vielleicht doch ein Morgen gibt…

Dafür haben Sie ja auch schon nachgesehen, daß Sie Ihren Vortrag dabeihaben, den Sie für einen der 5 Tische vorbereitet haben, die, das besagt die Einladung ganz klar, lauten müßten…

Bescheidene Vorschläge, um die Welt zu verändern

oder wie ein für alle Mal mit dem Neoliberalismus Schluß gemacht wird, an fünf interkontinentalen Arbeitstischen.

Tisch 1. Welche Politik bestimmt uns und welche Politik brauchen wir?

An diesem Arbeitstisch können Themen behandelt werden wie Die globale Macht – was kann sie und was kann sie nicht?, oder das, das lautet „Eine weite Welt voller kleiner Wir’s“. Es gibt Platz für Ideen wie Gegen die Diktatur – Politische Parteien, Wahlkämpfe, andere Kampfformen? Und auch: Die Mauern, die der Fall der Berliner Mauer errichtete, oder was wir noch alles lernen müssen?, oder

Was soll man mit den Ideologien machen? Vorschläge, um sie zu ordnen, abzuheften, wegzupacken und zu erneuern. Beerdigungsservice. Sie können sich dort fragen Vom Widerstand zum Widerstand, unter uns gesprochen. Wie können wir alle gegen den Neoliberalismus Widerstand leisten? Und Sie können nachdenken über Die Macht, dieses Problem. Für eine Welt, in der gehorchend befohlen wird, was Sie zu der Diskussion führen wird Der selbstorganisierte Kampf, die sich organisierende Gesellschaft und zu dem sehr wichtigen Thema Neue Formen, Politik zu machen und eine neue Bedeutung der Politik. Man könnte sogar eine Umfrage machen: Wirkliche Demokratie bedeutet Freiheit zu wählen, zu kaufen?

Oder bedeutet sie Gewissensfreiheit, Meinungsfreiheit? Oder wer trifft die Entscheidungen?

Tisch 2. Die ökonomische Frage: Geschichten des Grauens

Dieser Arbeitstisch ist tatsächlich ein Tisch des Grauens. Denn hier können wir auf die Frage antworten Wenn der Neoliberalismus unser gemeinsamer Feind ist, wie leiden wir persönlich darunter? Hier können möglicherweise Nützliche Erklärungen darüber, was der Neoliberalismus ist und wie wir zusammen seine vielen Gesichter entlarven können herauskommen, oder zum Beispiel Des Kaisers neue Kleider oder die entblößte Macht. Und da dieser Tisch von der Wirtschaft handelt, muß das Problem behandelt werden Die Verschuldung. Wer schuldet wem? Wann werden die Großunternehmen, Banken und Regierungen die Reichtümer bezahlen, die auf dem ganzen Planeten den zum Verlieren verdammten Völkern geraubt worden sind? An Greueln mangelt es nicht, da haben Sie zum Beispiel Den Freihandel – der Ketten? Die Ausbeutung des Exports, oder Die Diktatur des freien Marktes: die neoliberale Barbarei. Und gibt es ein besseres Grauen als Einen Rundgang durch die Geschäftswelt: Die Kriegsindustrie und ihre Märkte. Drogenhandel: Die Macht, die ist. (Die Legalität als Blendwerk der virtuellen Realität). Die von Kriminellen verwaltete Legalität. Raub der natürlichen Ressourcen (Erdöl, Uran, Wasser, Licht, Urwälder, Wüsten, Pole, Flüsse, Seen, Ozeane, Menschen). Das Geschäft mit der Gesundheit. Die Korruption als höchstes wirtschaftliches Instrument. In der Ökonomie gibt es auch eine virtuelle Realität, hier haben Sie zum Beispiel: Die makroökonomischen Indikatoren – geniale Mythen der Technokratie? Außerdem: Was tun mit dem Geld? Wir können beispielsweise untersuchen: Die Tragfähigkeit von Entwicklung? Alternative Wege der Produktion, des Handels und andere Formen des Austauschs, der Steuerpolitik und des Humanismus. Es ist von wesentlicher Bedeutung herauszufinden Wer für die gegenwärtige Armut im Großteil der Welt verantwortlich ist (vielleicht Das Finanzkapital, das Königreich des Wuchers) und es ist zu überlegen Wie kann erreicht werden, daß die Wirtschaftspolitiken die menschliche Würde einbeziehen, so könnten wir uns Strategien für den entscheidenden Kampf gegen die Zollschranken des Denkens ausdenken und mit Der Gier: die Mutter aller Versklavungen Schluß machen. Man wird sich die Frage stellen müssen: Liegt die Lösung in Der Optimierung der Armut – der Reichtum reicht also nicht für alle?, und wir dürfen auch nicht Den Sturz Osteuropas in die Marktwirtschaft und die neuen Mauern der Armut vergessen. Wir werden natürlich eine Umfrage machen: Die Wirtschaftspolitik im Dienst der Völker, und nicht umgekehrt. Vielleicht ist es ja doch richtig, dieses Little is beautiful: Neuer Besuch bei den alten Begriffen.

Thema 3. Alle Kulturen für alle. Und die Medien? Von den Wandsprüchen zum Cyberspace.

Und wenn die Kulturen für alle sind, dann ist die Freiheit der Worte notwendig und der Ruf, warum kein Langes und glückliches Leben für alle Sprachen der Welt!, was eine andere Art und Weise ist, eine Brücke zwischen Poesie und Revolution zu schlagen. Und da wir nunmal schon bei Brücken und Regenbögen sind, lassen Sie uns von Farben sprechen und herausfinden, ob der Spruch stimmt: Black is beautiful. Wir wissen schon, daß Sie nun an Jazz und Blues denken, aber wir wollen sprechen über: Die Musik aller. Die Klänge des Planeten. Die Rockindustrie und die zahlreichen Wege, ihn zu befreien, und wir wollen eine große Spezialbühne für die schönen Klänge welcher Musik auch immer, solange es Musik ist und unser Herz erfreut aufbauen. Tänze, Trancen und Konzerte. Alle natürlichen Instrumente, die gut klingen, sind hierzu eingeladen. Aber die Kultur ist nicht nur Musik und Worte, dazu gehören auch Die visuellen Darstellungen der Wirklichkeit. Feste und bewegliche bildende Künste. Stiche und Video, Malerei und Kino, Skulpturen und interaktive Darstellung. Dabei darf natürlich nicht Das große Welttheater und die kleinen Theater, die es umgeben vergessen werden. Berücksichtigt werden muß Die Philosophie und die Völker und selbstverständlich die Themen bezüglich Wissenschaft, Wachstum und Freiheit: das Knowhow für den Frieden aller; die Wissenschaft ist keine Religion; alle Wege, die zu allgemeiner und persönlicher Gesundheit führen, sind gut; der wissenschaftliche Fortschritt muß den Bedürfnissen der Völker dienen. Die Existenz von Kreativen Widerständen gegen die kulturelle Unterwerfung – Backsteine, um die Hegemonien zu steinigen (alternative Medien) muß anerkannt werden und das Recht auf Genuß, auf freie Arbeit, auf Faulheit, auf ergiebigen und großzügigen geistigen Diebstahl muß gefordert werden. Ein weiteres Thema ist: Die Intellektuellenan/vor/unter/innerhalb/mit/gegen/der/aus/in/zwischen/hin zur/mittels/für/durch/je nach/ohne/über/hinter der Macht. Natürlich ist das nicht alles. Wir müssen uns unbedingt den Medien und dem Thema der Kommunikation zuwenden, was eine gewaltig große Angelegenheiten ist. Sie werden damit einverstanden sein, daß ein wichtiger Punkt die Beziehung ist zwischen Den Medien und der Information: Wenn die Wirklichkeit rentabel ist, dann ist sie. Die Wahrheit als Ware. Bereiten Sie also Ihren Geldbeutel vor, um sich zum Supermarkt der Kommunikation – Wieviel Wahrheit und wieviel Lüge kaufen Sie heute? zu begeben. Aber es geht nicht nur ums Ausgeben: Lernen wir, Räume zu erobern. Die Medien können nicht alles. Eine tausendmal wiederholte Lüge bleibt eine Lüge. Suchen wir unsre Technologie und Macht: Der Superhighway der Information als Weg der Freiheit. Maschinen, die die Völker lieben können (Wissen ist Macht, aber Macht für die Leute). Wir wollen sehen, ob es möglich ist, an Die Massenmedien im Dienste der Künste und nicht umgekehrt zu denken, über ein Fernsehen zu verfügen, daß sich auf der Höhe des Geistes befindet, zu sehen, daß die Scheinwerfer angehen und folgendes beleuchten: Die Gesellschaft des Spektakels: Manipulation oder Befreiung.

Eine Welt, in der sich alle vergnügen. Dies wird natürlich bequemer sein im Haus des Mannes und der Frau: Architektur und Städtebau. Ach, und vergessen Sie auch nicht Die sprechenden Wände: Graffiti, Wandmalerei. Viele werden denken, daß dies alles nichts weiter ist als Science-fiction oder futuristische Intuition. Wir werden zweifellos eine Umfrage unter dem Titel veranstalten: Die Globalisierung der Kultur: Vereinheitlichung oder Harmonie der Differenzen? Alle Kulturen für alle, und außerdem eröffnen wir einen Besonderen Schalter für die Sprachaufnahme und -vorführung: alle geschriebenen und gesprochenen Sprachen sind dazu eingeladen. Wenn die Sprechenden der Sprachen nicht persönlich kommen, können sie Briefe oder Kassetten schicken oder den E-Mail überschwemmen. Die Befreiung von Babel.

Thema 4 – Welche Gesellschaft ist oder ist nicht zivil?

Also: warum soll sie nicht besser von den Zivilisten als von den Politikern oder Militärs organisiert werden? Deshalb: Nie mehr eine Welt ohne Menschenrechte. Eine Gesellschaft, die das Recht auf Lust und das Recht auf Differenz, auf „liebe wie du willst“ garantiert, in der alle Befreiungen ihren Platz haben: Schwule und Lesben, und auch natürlich Die Frauen und der Feminismus, Kämpfe, die nicht aufhören. Frau sein: Lust und Schmerz? Ein würdiges Leben mit gleichen Möglichkeiten in der Arbeit, der Politik und im Alltag? Was vereint die Frauen der Welt? Vielfache Unterdrückung und vielfache Rebellion. Vergessen wir nicht den Anachronismus von Macht und Patriarchat. Geben wir dem Neuen, der Hoffnung und den Kindersachen ihren Platz. Wir müssen davon reden, wie beschissen es ist, als Jugendliche in den Städten und auf dem Land zu leben, und auch vom Dritten Alter: ihren Altersrechten, Respekt vor den Älteren. Der moderne Terror vereint uns mit denen ohne Land, ohne Wohnung. Erfahrungen von Invasion, Enteignung und Wiederaneignung. Wie man das verlorene Terrain wiederaneignen kann, auf allen Gebieten. Und mit allen wollen wir Eine Welt mit Bildung für alle. Bildung als Praxis der Befreiung. Schule in allen Sprachen. Und man muß allen zuhören, den Religionen, Fanatismus und Herrschaft, Toleranz und Befreiung, von der Erhaltung der Natur sprechen, oder ohne sie wird in der Zukunft ausgelöscht. Man wird schmerzhafte Themen berühren müssen, wie Die Erfahrung des politischen oder wirtschaftlichen Exils. Das innere Exil. Auch von Politischen Gefangenen, Gefängnissen, Psychiatrien und anderen Kastrationen, von Frauen, Männern und Kindern auf dem Sex-Markt, ohne Aids und andere Epidemien des Neoliberalismus zu vergessen. Die HIV-Positiven, die neuen Ausgeschlossenen. Und von hier kommen wir zu Gesundheit und Ernährung, Wohltaten und Groll des menschlischen Körpers. Eine Diskussionsrunde über neue Formen ziviler Organisation wäre sehr gut.

Thema 5. In diese Welt passen viele Welten

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