Editorial – telegraph 7/1990 (#17)

aus telegraph telegraph 7/1990

Kontinuierliche Leser werden bemerkt haben, daß wir in letzter Zeit ständig an der Aufmachung des „telegraph“ herumbasteln. Das wird wohl noch einige Nummern dauern. Im Endeffekt haben wir vor, auf der Titelseite ein Bild unterzubringen. Wir versuchen damit der gestiegenen Reizschwelle der Leser angesichts der bunten Blätterflut gerecht zu werden und die einzelnen Nummern unterscheidbar zu machen. Mehr an
Zugeständnissen wird es aber nicht geben.

„Liebe Leute“, schreibt ein Leser, „bei allem Verständnis für Schwierigkeiten! 10 Tage nach Redaktionsschluß erst das Heft zu bekommen, ist blamabel. Wenn Ihr nicht schneller werdet, ist das sehr
schade. Kalter Kaffee wird gerade in dieser Zeit nicht mehr heiß, auch wenn man ihn nun drucken läßt.“

Die Beschwerde ist schon berechtigt und durchaus kein Sonderfall. Es gab bisher ein Gruppenvertriebssystem, das nach der „Wende“ in sich zusammengebrochen ist, wie so vieles Schöne und weniger Schöne. Der Neuaufbau eines regulären Vertriebssystems bereitet uns organisatorisch einige Schwierigkeiten. Mal abgesehen von hoffentlich bewältigten Problemen mit der Druckerei und dem Buchbinder: Der Vertrieb wurde bisher vor allem durch zwei Mitarbeiterinnen bewältigt, die schon als hauptberufliche Krankenschwestern genügend Streß haben. Und mittlerweile sind es halt an die 1.000 Briefumschläge, die „ehrenamtlich“ gekauft (wo denn!), frankiert und abgeschickt werden wollen. Auf den Postzeitungsvertrieb, der derzeitig von westlichen Medienkonzernen unterminiert wird (siehe dazu unseren Bericht und Kommentar) können und wollen wir uns nicht verlassen. Wir müssen also die Leser um etwas Geduld bitten, bis wir eine Lösung gefunden haben.

Auf einen grundsätzlicheren Kommentar haben wir diesmal verzichtet. Es gäbe natürlich einiges zu sagen, zum Schnur-Artikel des Stern, zum Fall Böhme, zum Fall der Mark (auch wir möchten 1:0 vorschlagen), zu den Koalitionsverhandlungen, zur SPD („Warum heißt die SPD eigentlich SPD…?“) und vieles mehr. Die Ostberliner TAZ brachte neulich den Satz in Erinnerung, mit dem Liebermann den Einmarsch der Nazis durchs Brandenburger Tor kommentierte: „Ich kann gar nicht so viel essen wie ich kotzen muß!“ Die paradiesisch-chaotische Zwischenzeit vom einem Herrschaftssystem zum anderen nähert sich halt ihrem Ende. Über Grundsätzliches also beim nächsten mal mehr, für diesmal hat uns das neuerschienene Blatt „Anzeiger“ aus dem Herzen gesprochen.
Die Redaktion