Nur ein neutralisiertes, entmilitarisiertes Deutschland kann eine Alternative werden
aus telegraph 8/1990, von Wolfgang Rüddenklau
Seit der Staatsgründung vor 40 Jahren wurde es geleugnet und erwies sich doch immer wieder in entscheidenden Momenten: Die DDR ist ein besetztes Land. Letzten Endes hat hier die sowjetische Besatzungs- macht das entscheidende Wort. Dieser Teil Deutschlands war seit Beginn ein Entwurf Moskaus, ebenso wie die BRD ein Entwurf der Amis war und ist. 1945 wurde die Gruppe Ulbricht in die sowjetische Besatzungszone eingeflogen und gestaltete hier die Verhältnisse nach dem Willen Stalins: Bodenreform, Vereinigung von KPD und SPD, DDR- Gründung. Gut und böse wurde in Moskau bestimmt: „Es muß demokratisch aussehen“, sagte Ulbricht, „aber wir müssen die Dinge in der Hand haben.“ Auf diesem fremdbestimmten Boden reiften unsere so oder so bestimmten Ideale, und entstand eine breite Volksbewegung. Daß es ihr gelang, die SED-Herrschaft zu beseitigen, enthüllt sich jetzt als Pyrrhussieg. In Wirklichkeit haben wir nicht das Regime besiegt, wir haben nur den wirklichen Machthabern im fernen Moskau gezeigt, daß die SED-Herrschaft mit ihren neuen Regierungsprinzipien, der Perestroika, nicht zu vereinbaren war. Die Moskauer Machthaber sahen sich – immerhin – gezwungen (und nur soviel ist unser Verdienst), zu überlegen, ob der Gouverneur, den sie jahrzehntelang das Land verwalten ließen, wirklich der richtige wäre. Sie kamen zu dem Schluß, daß das nicht der Fall sei und plötzlich räumten sie ihre Souveränitätsbeteuerungen für die DDR mit einem Federstrich zur Seite. Der sowjetische Hochkommissar Kotschemassow erschien in Ostberlin und berief sich schlicht wieder auf ein altes Kontrollratsgesetz.
Natürlich ist das ansich nicht verwunderlich und manche von uns wußten auch früher schon, daß politische Souveränität unseres Landes nur nach einem Friedensvertrag der Alliierten mit den beiden deutschen Staaten und in einer zweckentsprechenden Pufferzone zwischen den Mächten möglich ist. Das war einer der Gründe, warum viele von einem geeinten oder geteilten neutralen Deutschland träumten. Aber auch der andere Grund, die Phantasie von einem pazifistischen, sozialistischen, jedenfalls aber gerechteren Deutschland, das eine historische Chance wahrnimmt, um den anderen ein Modell vorzuleben, – auch diese andere Argumentation enthüllt sich jetzt als Schimäre. Nicht nur, weil die Bevölkerung der DDR in ihrer Abstimmungsmehrheit einer „marktwirtschaftlichen“ und damit eben kapitalistischen und wohl auch militaristischen Variante den Vorzug gegeben hat.
Viel entscheidender ist der andere Punkt: Die Sowjetunion scheint wirtschaftlich soweit geschwächt zu sein, daß sie zunehmend darauf verzichtet, einen neuen Entwurf für ihre deutsche Besatzungszone zu machen und durchzusetzen. Wenn man noch anfangs aus Moskau die Forderungen nach Neutralisierung und Entmilitarisierung Deutschlands hörte, scheint sich die UdSSR nach neuesten Verlautbarungen sogar mit einer NATO-Mitgliedschaft Gesamtdeutschlands zufrieden geben zu können. Offenbar ist die Sowjetunion gewillt, freiwillig ihre europäischen Positionen zu räumen und den USA zu überlassen.
Natürlich bedeutet das für uns eben nicht politische Selbstbestimmung, sondern nur eine neue Art von Fremdbestimmung. Es ist ja wahr, daß die russische Besatzung seit jeher „eine schwere Hand“ hatte. Es war eben eine dumme und rüpelhafte Art der Unterdrückung, die zwar demoralisierte, aber oft auch wider Willen den unterdrückten Völkern die Chance zur Solidarisierung und zum gemeinsamen Aufstand gegen den Usurpator ließ. Die neuen Herren, die USA und die ihr verbündeten Kapitalmächte, sind da wesentlich feiner, jedenfalls in ihrer Beherrschungsversion 1. Garnitur (die 2. und 3. Garnitur für die 3. Welt ist weniger fein gestrickt). Mit seidenen Fäden werden uns die Herren des internationalen Finanzkapitals umstricken, bis wir gefesselt sind und zum Überfluß noch glauben, diese Art von Leben, Maximalausbeutung von Mensch und Natur bis zum nahen Ende, kompensiert durch MacDonnalds und Medienterror, wäre unsere freie Entscheidung.
Der Schlüssel zu einer wirklichen Selbstbestimmung ist eine mit den Großmächten vertraglich abgesicherte Pufferzone zwischen Ost und West. Dieser Schlüssel ist noch nicht ganz verlorengegangen. Er liegt nach wie vor in Moskau. Zum Überfluß entspräche es eben auch den tatsächlichen Lebensinteressen der Sowjetunion, sich jetzt noch einmal, vor dem endgültigen Absturz in eine Rolle als 3.Welt-Land, aufzuraffen und entschiedene Forderungen an die Westmächte zu stellen. Ein Neuanfang und ein erster Schritt für eine gerechte und friedliche Weltordnung kann nur in einem neutralisierten und entmilitarisierten Deutschland liegen!