Ein ehemaliger inoffizieller Mitarbeiter berichtet über seine Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit
aus telegraph 8/1990
Wann meine Tätigkeit für das MfS begann, kann ich nicht einmal mehr genau sagen – ich glaube, es war kurz nach meiner Entlassung aus der Armee. Plötzlich klingelte es und zwei Herren, die sich als Mitarbeiter des MfS auswiesen, baten mich – betont freundlich – um ein Gespräch. Ich fiel damals aus allen Wolken, weil mein erster Gedanke war, daß irgendeine meiner „Untaten“ bei der Armee der Grund sein müßte. So kam dann auch (die wohl obligatorische) Frage, was ich wohl als Grund für ihren Besuch ansehen würde. Allerdings war ich nicht so unvorsichtig, laut in meiner Vergangenheit zu kramen und sagte, daß ich nicht die geringste Ahnung hätte. Folgendes kam dann: Man hätte sich sehr intensiv mit mir befaßt („Keine Angst – es liegt nichts gegen Sie vor, sonst würden wir anders miteinander sprechen!“) und sei zu der Auffassung gekommen, daß ich ein zwar sehr kritischer aber ehrlicher Genosse sei, der zur Sache steht, auch gewisse Auseinandersetzungen mit dem Politoffizier bei der Armee sehe man unter diesem Gesichtspunkt. – Und genau solche kritischen, offenen Genossen, die sich nicht scheuen, ihre Meinung zu sagen, brauche man. So ähnlich (natürlich stark gekürzt – das Gespräch dauerte über zwei Stunden!) begann der Kontakt zum MfS. Ich mußte eine Verpflichtungserklärung unterschreiben, in der mein Deckname festgelegt wurde. Der Text lautete in etwa:
„Ich, XXX, verpflichte mich, alle mir in meiner inoffiziellen Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit bekanntgewordenen Tatsachen streng geheimzuhalten. Ich wähle für meine Tätigkeit den Decknamen XXX. – Ort, Datum, PKZ, Unterschrift -.“ Der Jüngere der beiden stellte sich nun als mein zukünftiger Führungsoffizier vor, der ältere verabschiedete sich, nachdem er den Zettel zu sich genommen hatte. – Erst jetzt wurde mir mein zukünftiges Arbeitsgebiet genau erklärt. Vorher hatte ich nur erfahren, daß ich künftig gegen Skinheads arbeiten solle. – Nun hatte ich allerdings mit Nazis aller Schattierungen nie etwas am Hut und sagte dies auch. Um es kurz zu machen, ich nutzte flüchtige Bekanntschaften im Jugendclub, um mich so indirekt an eine „Zielperson“ heranzutasten. Dies durfte auf keinen Fall direkt geschehen, alles wurde – über einen langen Zeitraum hin – so arrangiert, daß ich angesprochen wurde. Ich durfte nicht sofort Kontakte aufbauen, sollte zuerst Vorbehalte äußern. Wichtig dabei war, daß ich mich trotzdem gewissermaßen unentbehrlich machen, Ideen für Aktionen äußern sollte. Meine vorgegebene Haltung (Ausländerfeindlichkeit u.a.m.) sowie mein Äußeres trugen noch dazu bei, daß man schon fast ärgerlich wurde über mein Zögern. Damit war die Einschleusung perfekt. Über diese noch recht „zahme“ Gruppe tastete ich mich dann auf ähnliche Art und Weise an eine andere Gruppe heran, in der ein „harter Kern“ vermutet wurde. – Und der hatte es wirklich in sich, neben gelegentlichen Prügeleien stand hier die Nazi-Ideologie im Vordergrund. Es existierte ein regelrechtes „Führerhauptquartier“, ausgestattet mit Fahnen, Bildern von Nazi-Größen, Literatur usw.. Die Mitglieder dieser Gruppe waren nun nicht mehr den „kleinen Jungs“ zuzuordnen, intellegent waren fast alle, einige hatten sogar das Abitur, die Elternhäuser waren durchweg „ordentlich“. Einige hatten Väter, die Offiziere waren… Zu meinem Erstaunen ließ man die Gruppe aber nicht auffliegen, sondern täuschte einen Einbruch vor und verwüstete dabei die Wohnung (Ich wurde davon übrigens nicht in Kenntnis gesetzt!). In der Gruppe war man sich aber trotzdem darüber einig, daß die Stasi dabei die Finger im Spiel hatte. Ich trug noch zur Verhaftung eines Skinhead bei und erhielt dann endlich die Erlaubinis, mich aus der Gruppe zu lösen. – Den Vorwand dazu lieferte ein Studium in einer anderen Stadt.
Trotz der Beendigung meiner Arbeit in der Skinhead-Gruppe wurde der Kontakt zum MfS nicht abgebrochen. Immerhin wurde aber akzeptiert, daß ich nicht bereit war, Berichte über Komilitonen oder andere persönliche Bekannte zu schreiben. Nachdem ich klargestellt hatte, daß ich eine strikte Trennung zwischen meiner Privatsphäre und der inoffiziellen Tätigkeit wünschte, kam es auch zu keinen weiteren Forderungen in dieser Richtung. Einzige Ausnahme war, daß ich Empfehlungen für potentielle Anwerbungen für das MfS geben sollte (Wahrscheinlich wurde ich auch auf so eine Empfehlung hin geworben, nach gehöriger Überprüfung natürlich!). Während meines Studiums trafen wir uns nur an den Wochenenden, hier wurden meine Schulungen fortgesetzt, zum Teil aber auch weit außerhalb der Stadt. Hier ging es vor allem um die Verbesserung der Qualität der Berichte, Kriterium waren die „10 großen W“, also: WER hat WANN, WO, mit WEM WARUM WAS WIE WOMIT WOFÜR/WOGEGEN gemacht? Ein weiterer wichtiger Punkt war die Psychologie. Nachdem mir dann mein zukünftiges Aufgabengebiet zugewiesen wurde, erfuhr ich endlich Genaueres:
Ansatzpunkt war mein – zunächst atheistisches – Interesse für die Bibel und die christliche Lehre. Ohne konkret zu werden, wurde ich angewiesen, mich an eine bestimmte Kirche „heranzumachen“. Auch hier wurde wieder der indirekte Weg gewählt (- ich möchte hier nicht genauer werden, da nur ein sehr kleiner Kreis meiner jetzigen Freunde innerhalb der evangelischen Kirche den vollen Sachverhalt kennt und mir geraten wurde, mich nicht zu offenbaren).
Ideologisch wurde ich für diesen Einsatz folgendermaßen „ausgerüstet“: Innerhalb der Kirche bestehe ein Gruppe, die nach außen hin zwar den Sozialismus verbessern wolle, in Wirklichkeit aber von außen gesteuert würde und mit ihrer Tätigkeit eine Destabilisierung und letzten Endes den Sturz des Sozialismus betreibe. Man interessiere sich nicht für ehrliche Christen und solche, die den Sozialismus wirklich verbessern wollten, es wäre aber wichtig, herauszufinden, wer zu den „wirklichen Staatsfeinden“ zu zählen sei, außerdem, welche Westverbindungen vorhanden seien. – Welch ein Hohn, wenn man sich anschaut, was später von mir verlangt wurde!
In diesem Zusammenhang ist eine Äußerung meines Führungsoffizieres interessant: „Du wirst Deinen Bekanntenkreis völlig umstellen müssen, Dein Äußeres anpassen müssen, vielleicht berufliche Nachteile in Kauf nehmen – keine Angst, wir werden Dich nicht verheizen, solange wir zusammenarbeiten (?!) werden wir schon aufpassen, daß bestimmte Reaktionen von staatlicher Seite aus nicht passieren, aber paß auf, daß Du Dich nicht an irgendwelchen Aktionen beteiligst, halte Dich im Hintergrund… vielleicht wirst Du dort Leute treffen, die Dir sehr sympathisch sind, vielleicht wirst Du Dich verlieben, darüber mußt Du Dir im Klaren sein, wir werden uns deshalb öfter als vorher treffen…“
Der springende Punkt war aber doch der: Probleme, die in der Kirche angesprochen wurden, entsprachen genau denen, die ein „kritischer Genosse“ auch hatte, die Diskussionen waren genau die, die auch eine Parteiversammlung hätten ausmachen müssen, von unseren inhaltslosen Medien einmal völlig abgesehen. Ich möchte diesen ganzen Komplex hier nicht noch einmal auswälzen.
Es entstand bei mir zunächst einmal die schizophrene Situation, daß das, was ich dort sagte, genau meiner Meinung entsprach, ich aber andererseits weiter Informationen lieferte. Aus meinen Berichten, die natürlich genau analysiert wurden, war wahrscheinlich eine zunehmende Parteinahme herauszulesen und da ich auch bei den Treffs kein Blatt vor den Mund nahm, vermutete man wohl bei mir ein gewisses „Absacken“. Die Folge war, daß ich von meinem Führungsoffizier ziemlich scharf in die Mangel genommen wurde, zumal er mir in einigen Fällen nachweisen konnte, daß ich einige wesentliche Details in meinen Berichten weggelassen hatte. Ich kann hier nur vermuten, daß noch ein zweiter IM im Einsatz war bzw. irgendwelche anderen Quellen abgeschöpft wurden.
Durch meine heftige Reaktion alarmiert, versuchte er mich zu beruhigen, ich solle alles noch einmal alles überschlafen. Es wäre wichtig, sich am nächsten Tag noch einmal zu treffen. In meiner Wohnung ginge das wegen meiner Sicherheit sowieso nicht mehr, also schlage er mir einen Treff am S-Bahnhof… (es war irgendwo zwischen Birkenwerder und Oranienburg) vor. Am nächsten Tag mußte ich etwa eine halbe Stunde dort warten, ein Anruf in der Zentrale ergab, daß mein Führungsoffizier schon unterwegs sei. Er traf dann tatsächlich auch irgendwann ein, mit seinem Auto fuhren wir zu einer einsamen Stelle im Wald. Sein Verhalten war völlig verändert, freundlich und regelrecht aufgeschlossen – keine Spur mehr von dem scharfen Ton vom Vortage. Wie auch bei dem Treff am Tage zuvor wurde unser Gespräch auf Tonband aufgezeichnet. Ich mußte meine Schilderung noch einmal wiederholen, anschließend sagte er mir, man hätte noch einmal alles überprüft, – alles nicht so dramatisch und mein Bericht sei ausgezeichnet gewesen usw.. Nachdem der für mich offizielle Teil abgeschlossen war, tranken wir noch seinen mitgebrachten Kaffee aus und er lenkte das Gespräch auf persönliche Themen und erläuterte mir noch einmal die „Wichtigkeit“ und „Schwierigkeit“ meiner Arbeit. Anschließend fuhren wir mit dem Auto nach Berlin zurück.
– Ich habe diesen Treff deshalb so ausführlich geschildert, da ein zweiter, fast genauso ablaufender, stattfand. Sollte ich mich zu einem bestimmten Zeitpunkt ganz sicher nicht zu Hause aufhalten?! Der zweite Treff war unmittelbar vor dem 7. Oktober, seitdem waren vielleicht vier Wochen vergangen, dazwischen konnten wir uns merkwürdigerweise durchaus in der Stadt treffen. Bei diesem Treff ging es unmittelbar um den 7. Oktober. Ich wurde strikt angewiesen, mich von den zu erwartenden Demonstrationen fernzuhalten. Am Besten wäre, wenn ich irgendwohin fahren würde…
Ich fuhr nicht irgendwohin. Ich war mir zwar noch nicht völlig im Klaren, was für einem Unterdrückungsapparat ich gedient hatte, aber daß die Verhältnisse in der DDR kaum noch etwas mit Marx, Engels und Lenin zu tun hatten, im Gegenteil sogar alles niedergehalten wurde, was sich gegen den „Sozialismus in den Farben der DDR“ in seiner ganzen Entartung auflehnte, das war mir völlig klar geworden. Und die Ehrlichkeit, wer hätte das besser wissen können als ich, war ganz bestimmt nicht auf Seiten der SED-Führung zu suchen. So ging ich also am 7. Oktober mit auf die Straße. – Und solche Angst wie am 7. und 8. hatte ich mein ganzes Leben lang noch nicht. In der Dänenstraße entging ich knapp einer Verhaftung. Ich weiß nicht, wie ich dann reagiert hätte; wahrscheinlich hätte ich dem Untersuchungsführer alles ins Gesicht geschrien.
Nach der Demonstration am 8. Oktober brach ich dann zusammen. Freunde lasen auf, was von mir übriggeblieben war und ich erzählte, was ich wußte. Es war für sie natürlich ein ganz schöner Schock, zumal in mir niemals jemand einen Spitzel vermutet hätte. Nachdem ich – und vor allem meine Freunde – wieder einigermaßen klar denken konnten, berieten wir, was nun weiter geschehen sollte. Da die StasiMacht noch ungebrochen war und eine Verunsicherung unter uns nicht noch geschürt werden sollte, aber auch zu meiner eigenen Sicherheit, beschlossen wir, daß ich den Kontakt langsam einschlafen lassen sollte. Mein Führungsoffizier merkte wohl, daß irgend etwas nicht stimmte, ich überreichte ihm nur noch Zettel, die sowieso in jeder Kirche herumlagen und deutete an, daß ich die Arbeit beenden wollte. Was dann noch folgte, ist einfach zu widerlich, um es weiterzugeben, soll sich jeder seinen Teil denken.
Mit meinem Gewissen muß ich alleine klarkommen, eine Entschuldigung für das, was ich getan habe, gibt es nicht. Ich habe das große Glück, Freunde zu haben, die versuchen, mich zu verstehen. Das Ergebnis für mich: Große Gewissensbisse und heute noch Schlafstörungen, Alpträume und Konzentrationsstörungen. Das Ergebnis für Stasi und DDR: Beides in Auflösung. – Ich Idiot hatte an den alten Opa geglaubt, dem man ein Schauspiel liefert und der nicht weiß, was los ist. Aber die Lageberichte der Stasi beweisen es – die Führung hat alles gewußt, und wer da nicht einlenkt, der handelt nicht für, sondern gegen das Volk. Und wer so etwas macht, verdient es nicht anders, als Verbrecher genannt zu werden. Hier wurde nicht nur ein Staat, hier wurde das Ideal einer menschlichen Gesellschaft getötet…
(gekürzt) XXX
Selbstverständlich kann nicht allein aus diesem einen Fall eine Schlußfolgerung über Möglichkeiten gezogen werden, Spitzeln Zugang zu den Gruppen zu versperren. Stetiges Mißtrauen wird die öffentliche Wirkung von Gruppen vermindern und dient ebenfalls den Interessen der Geheimdienste. Das ganze Thema müßte bei Gelegenheit einmal differen- ziert erörtert werden.