Polizei-Ausbildungsleiter fühlt sich betrogen

aus telegraph 9/1989
vom 29. November 1989

Bürgerforum beim MdI in Dresden

Während eines Bürgerforums am 18. November in der Fachschule des Ministerium des Inneren in Radebeul (Ausbildungsstätte für Strafvollzugsbeamte) betonte der Ausbildungsleiter Meßner, daß es bei der Einschätzung der politischen Situation vom 4.-8. Oktober zu politischen Fehleinschätzungen gekommen sei, wofür sich die vorgesetzten Organe zu verantworten hätten (in einem „Offenen Brief“ wird eine Erklärung vom Chef der VP Dresden, Nyffenegger, gefordert). Die Vollzugsbeamten seien dazu erzogen, Befehle „abstrichlos“ (wörtlich!) zu erfüllen. Zur Motivation für die nicht geleugneten Ausschreitungen durch Vollzugsbeamte gefragt, erklärte Meßner, am 4.10.89 einen Lagebericht vom MdI und dem Chef der VP erhalten zu haben, der eindeutig die Gefahr konterrevolutionärer und sozialismusfeindlicher Kräfte, die den Sozialismus abschaffen und den Kapitalismus wieder errichten wollen, verwies, der weiter vor Demonstrationen unter dem Deckmantel von Reformern warnte und den Generalangriff des Imperialismus von Berlin bis Peking proklamierte. Diese Fehlmotivation erzeugte Überreaktionen, die Meßner bedauerte. Auch er fühle sich betrogen.

Zu Fragen nach Mißhandlungen von „Zugeführten“ wurde bedauert, daß dieser Einrichtung keine Namen vorlägen, bei denen man sich entschuldigen könne. Betroffenenberichte seien nicht bekannt.

Der Umgang mit dem Schlagstock gehöre zur Ausbildung, auch bestehe die Anweisung, daß nur auf muskulöse Körperpartien zu schlagen sei.

Polizeitaktische Stellungen und taktische Durchsuchungsstellungen können so lange aufrecht erhalten bleiben, bis deren Zweck erreicht ist! (5 Stunden aber waren selbst dem Oberstlutnant zu viel)

Die Frage, wieso der Strafvollzug der Regierung verpflichtet sei und nicht dem Volk, erhielt die Antwort, daß Völkerrecht im Rahmen des Staatsrechts verwirklicht werde.

Betont wurde, daß an einer Neufassung des Lehrprogramms für Strafvollzugsbeamte gearbeitet werden müsse (obwohl ein Offiziersschüler sein persönliches „Zeugnis“ ablegte und seine tiefen humanen Erfahrungen aus der Praxis schilderte – er habe in den Oktobertagen sogar Decken verteilt und sogar der Gang zur Toilette sei möglich gewesen!)

Meßner forderte die Bestrafung auf beiden Seiten. Eine unabhängige Untersuchungskommision hielt der Oberstleutnant nicht für erforderlich.

j.l., l.t.

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