Gedanken zu einer Aktion von Umwelt-Bibliothek Berlin und Robin Wood
aus telegraph 9/1990
Der November 89 hat auch für die DDR-Abfallwirtschaft einige Veränderungen gebracht. So die öffentliche Diskussion über den Müllimport, der Erfolg der Bürgerinitiativen in Ketzin und Schöneiche, die Nachrüstung der SVA Schöneiche, das offizielle Nennen von Zahlen undichter Deponien und Altlasten, die Erkenntnis der Notwendigkeit entsprechender Deponietechnik und die Erschwernis, Müll einfach irgendwo hinzukippen und neue Deponiestandorte zu finden. In Ost und West wurde vielen klar, dass Pfandsystem und Sekundärrohstofferfassung, geboren aus der Mangelwirtschaft, entscheidend zur Reduzierung des Müllberges und damit zum Umweltschutz beiträgt. Ein knappes halbes Jahr später ist das alles fast wieder vergessen. Man denkt marktwirtschaftlich, der Müll wird zum Geschäft, SERO nur ein Überbleibsel realsozialistischer Misswirtschaft. Westliche Verpackungsunkunst überflutet die DDR und die nicht vorgewärmte Mülltonne. Hat man sich mit dem eigenen Müllproblem schon nicht beschäftigt, bekommt man es jetzt mit der Dreifachen Menge erst recht nicht tun.
Aber die Lösung wird mitgeliefert vom großen Vorbild BRD: thermische Verwertung, Sondermüllverbrennung, Hausmülldeponie, Hochsicherheitsdeponie, Müllsortierung und -behandlung und der (natürlich nicht offizielle) Müllexport. Stark belastete Abwässer der Erzaufbereitung u.a. werden auch entfallen, man kauft besser die Halbprodukte in Lateinamerika und Südostasien. Schließlich stehen DDR und BRD in der Weltrangliste der industrialisierten Länder sehr dicht zusammen und sehr weit oben.
An die Entwicklung eines eigenen Müllkonzeptes denkt in der DDR niemand, man lernt schließlich gerade Marktwirtschaft. Und dazu passen eine Reglementierung der Verpackungsindustrie, Rücknahmepflicht, Verpackungssteuer, Werkstoffbegrenzung, Einfuhrzölle nicht. Reglementierung hatten wir ja schließlich 40 Jahre. Scheinbar logisch, doch für Entsorgungsanlagen gibt es Standards und Grenzwerte, an der DIN stößt sich in der Marktwirtschaft niemand. Warum sollte das auch nicht für die Hersteller von Müll zutreffen. Jeder, der Müll produziert (sei es ein Auto, ein Computer, eine Verpackung), sollte eine entsprechende Technologie zu seiner schadlosen Entsorgung bzw. Verwertung mitliefern bzw. umsetzen.
Bisher wird dieses Problem auf die öffentliche Hand abgewälzt und vom Steuerzahler finanziert (Aufgrund dieser momentanen Praxis ist mir auch der Umgang mit dem Kombinat SERO unverständlich. Entsorgung wird mit öffentlichen Mitteln gemacht, warum soll sich SERO dann in eine Kapitalgesellschaft umwandeln und auf Grund gestrichener Subventionen bankrott gehen, anstatt als öffentliche Einrichtung Teil eines Gesamtkonzeptes zu sein. ähnliche Einrichtungen müssen sowieso geschaffen werden, nur werden sie dann später in den Müllpfad eingreifen, von daher aufwendiger und noch teurer sein.). Vor allem für den Großraum Berlin wird es schwierig werden , ein Entsorgungskonzept zu erstellen. Deponiefläche in der Stadt selbst beziehungsweise in der näheren Umgebung gibt es nicht, die bisherigen Deponien Deetz, Vorketzin, Westmüll Deponie Schöneiche für den Westberliner Müll, Ostmülldeponie Schöneiche und Schwanebeck für den Ostberliner Müll, sind eine akute Gefahr für die Bevölkerung. Weiter entfernte Deponien verlagern nur die Gefährdung auf ein anderes Gebiet und stellen ein Transportproblem dar. Gerade hier könnte ein integriertes Vermeidungskonzept greifen, bietet der Müllnotstand genügend Ansatzpunkte. Stattdessen ist der Bau einer MVA in der Nähe von Potsdam im Gespräch, genauso, wie weitere Müllverbrennungsanlagen für die DDR geplant sind.
Aufgrund dieser Tatsachen wurde am Donnerstag den 3. Mai der Schornstein der MVA Lichtenberg für dreizehn Stunden besetzt. „Müll macht uns tot – Vermeidung tut Not“ stand auf einem Transparent, keine neuen MVA in der DDR, Stilllegung der MVA Lichtenberg, Eindämmung der Verpackungsflut durch gesetzliche Maßnahmen, Erhalt des DDR-Recycling -Kombinats SERO, integriertes Müllvermeidungskonzept für den Großraum Berlin, waren die Forderungen der Aktion.
Der Werksdirektor Niessen äußerte der BZA gegenüber, er hätte das Problem erkannt, die Anlage würde 1992 zum Einbau einer Rauchgaswaschanlage vorübergehend stillgelegt. Das war allerdings nicht Sinn der Aktion. Die Rauchgaswäsche hält nur Schadstoffe aus der Luft zurück, verringert jedoch nicht ihre Menge. Ich verzichte nicht auf den Tritt in den Hintern zugunsten eines Schlages auf den Kopf.
Die Diskussion über Müllvermeidung muss ernsthaft begonnen und mindestens gleichwertig der Diskussion über Entsorgungstechnologien geführt werden. Nur dann könnte sich eine Lösung des Müllproblems abzeichnen. Dazu wird es aber noch vieler Aktionen bedürfen.