Von der Grüppchenkultur zur Massenbasis
Aus „Bürgerrat“, Rostock und telegraph 9/1990, von Franziska Lauenstein
Nachdem die „Republikaner“ aus den Schlagzeilen der Presse verschwunden sind und ihre altvordere Werbebotschaft vom „einig Vaterland“ inklusive der Parole „Deutschland zuerst“ jetzt parteiübergreifend angestimmt wird und sogar die Grenzen von 1937 wieder in der Öffentlichkeit diskutabel geworden sind, scheint rechtsextremer Politik der Wind aus den Segeln genommen.
Wesen und Erscheinung eines Prozesses fallen aber auch hier auseinander. Die durch CDU, SPD, DSU und Liberale im Wahlkampf kultivierte Deutschlandeuphorie hat Emotionen und Erwartungshaltungen erzeugt.
Bei den zu erwartenden Modernisierungsverlierern wird das zu einem Gefühl des Betrogenseins führen, wobei an diesem für Modernisierungsvorgänge normale Phänomen allenfalls noch das Verhältnis von Verlierern und Gewinnern soziologisch interessant ist. Der für moderne Industriegesellschaften (Frankreich, Großbritannien, Bundesrepublik) erwiesene Anteil von über 10% ist länderspezifisch freilich recht verschieden, im Fall der Noch-DDR dürfte er erheblich überschritten werden. Die Tiefe der Umwälzung von der feudalsozialistischen Gesellschaft und ihr eruptives Tempo bedingen einen – zumindest zeitweise – enorm höheren Anteil an „Verlierern“. Hier liegt ein nicht zu unterschätzender Quell für eine Massenbasis rechtsextremer Auffassungen.
Als die „Republikaner“ in der Bundesrepublik zu einer wählbaren Partei für viele Wähler wurden, wirkte motivational auch soziale Verunsicherung oder materielle Bedrängnis mit. Anknüpfend an die Perspektivlosigkeit von Menschen appellieren die REPs an die sozial „zu kurz Gekommenen“ und bieten einfache Lösungen an. Zum Beispiel: Ausländer raus! Im Siegburger Manifest dieser Partei hiess es 1985: „Die nationale Lage erfüllt uns mit großer Sorge. Arbeitslosigkeit, Schulden, Ausverkauf deutscher Interessen und nicht zuletzt die Überfremdung bedrohen unser Land.“
Die Zielgruppe einer solchen Politik ist offensichtlich. Angesichts des in weitaus größeren Masse als in der Bundesrepublik zu erwartenden Problemdrucks, wird die Abwartehaltung der „Republikaner“ verständlich.
Man(n) wartet auf seine Stunde. Allerdings geschieht das keineswegs untätig, wie Leipziger Aktivitäten beweisen. In einem Bericht an den Programmparteitag der Partei in Rosenheim (14.1.1990) heißt es dann bezüglich der Reaktion von Montagsdemonstranten sogar: „Das Übermaß von Interesse und Zustimmung aus der Bevölkerung hatten wir in keiner Weise erwartet.“ Die Auflösung der DDR erzeugt sozial Schwache. Rechtsextreme Weltbilder erhalten mit der Verschärfung sozialer Probleme, der Möglichkeit nach, zum ersten Mal in der deutschen Nachkriegsgeschichte einen materiellen Nährboden bei Massen von Menschen, die entweder von starker sozialer Ungleichheit in einer insgesamt ihren materiellen Reichtum steigernden Wirtschaft betroffen sind, oder die im Zuge der wirtschaftlichen Angleichung der DDR an die Bundesrepublik ihren bisherigen sozialen Status bedroht sehen. Die Kapitalisierung der DDR wird einen beträchtlichen Zugewinn an Produktivität bringen. Die soziale Verträglichkeit ist jedoch Ergebnis, nicht aber Voraussetzung wirtschaftlicher Modernisierung. So ist zu erwarten, dass der wirtschaftliche Aufstieg der DDR als Chance dargestellt wird, die verwirklicht werden kann, wenn sozialer Ballast abgeworfen werde. Wer im verschärften Leistungskampf (Freiheit ist Leistung – FDP) keine Chance für sich sieht oder Angst hat, von dynamischeren „Leistungsträgern“ vom mühsam errungenen Platz verdrängt zu werden, wird dann wissen wollen, woher die Probleme kommen und wer die Schuld trägt. Wo Linke dann die Mehrwerttheorie in alter Manier vor sich hält, bleiben Rechtsextreme bei ihrem einfachen Interpretationsangebot:
Ausländer, PDS, Gewerkschaften, Homosexuelle und Grüne tragen die Schuld.
Rechtsradikalismus gewann historisch immer dort Terrain, wo eine unleugbar „rechts“ gerichtete Politik (der Vergleich von Brüning-Kabinett 1930 und großer Koalition von 1990 wäre jedoch unpassend) gleichzeitig schwach, inkonsequent und lavierend operiert, so dass jener Radikalismus die regierenden Rechten beim Wort nimmt. Dabei schwindet der Unterschied zwischen SPD und CDU auf den von Demokraten und Republikanern in den USA, wobei der deutsche Wähler Identifikationsprobleme mit diesen Wahlvereinen zum Machterwerb bekommt.
Er wird sich dann wohl nach einer tatkräftigen Alternative zum irgendwann akut werdenden europäischen Haus umsehen.
Deutschland über alles – da weiß Europa was es hat.