Umweltsituation im Bezirk Cottbus

„Der letzte dreckige Arsch“
aus telegraph 9/1990

Der Leiter der Abteilung Naturschutz, Umweltschutz, Wasserwirtschaft beim Rat des Bezirks Cottbus, Böttger, erklärte den Bezirk Cottbus zum ökologisch am schwersten geschädigten Bezirk der Republik – ein Ergebnis im „sozialistischen“ Wettbewerb, das den Lausitzern allenfalls einige grosschemiegeschädigte Hallenser oder Leipziger streitig machen werden. Besonders durch den Braunkohletagebau hat der Bezirk für die gesamte DDR bluten müssen. Zuletzt sind 140 Mill. t/Jahr gefördert worden, die in einer Vielzahl von Kraftwerken und Veredelungsanlagen smogwirksam verarbeitet wurden. Eine Steigerung der Produktion auf 200 Mill. t war vorgesehen, das Siedlungsgebiet der Sorben sollte weitgehend von Schaufelradbaggern umgepflügt werden, von der sorbische Kultur wäre nicht viel mehr als eine Folkloretanzgruppe übergebliebene. Jetzt muss – im Rahmen eines Gesamtenergiekonzeptes für die DDR – auch die Braunkohleförderung neu überdacht werden, und zwar, so Böttger, „nicht so überhastet“, wie das Energiekonzept der Regierung Modrow gezaubert wurde, für das der jetzige Umweltminister STEINBERG verantwortlich zeichnet. Dabei geht es jetzt darum, welche Tagebaue weitergetrieben, ob neue aufgeschlossen werden, welche geschlossen werden sollen. Fragen wie nach der Renaturierung von Tagebauflächen, der Grundwassersituation, Altlasten in den Tagebaurestlöchern müssten geklärt werden, um das ökologische Desaster nicht noch zu vergrößern.

In Spremberg ist das Desaster täglich zu riechen. Ein Pressspanwerk (Spela) und das Kombinat Schwarze Pumpe nebeln die Kreisstadt ein. Die SO2-Belastung liegt 14-fach über dem DDR-Schnitt, NOX sogar 20-fach. Schwefelwasserstoff, Ammoniak, Phenole und weitere organische Geruchsträger runden die Duftnote ab. Damals, im November, gingen die Spremberger wegen ihrer katastrophalen Umweltsituation auf die Straße. Eine Unterschriftensammlung, in der die Dringlichkeit der Verbesserung der Spremberger Umweltsituation gefordert wurde, nahm der stellvertretende Minister für Schwerindustrie im Januar nicht einmal zur Kenntnis. (Merke: Durch einen rauen Umgang mit Bürgerprotesten empfiehlt man sich für höhere Aufgaben: Der Mann hieß STEINBERG, gehört der CDU an und ist Umweltminister. Siehe dazu auch unseren Artikel „Den Bock zum Gärtner machen, den Gärtner entlassen“, S.).

Und dann noch der Cottbuser Müllberg: Reichen die Deponien heute schon nicht mehr aus – die Stadt Cottbus hat noch für ein Jahr Platz – wird das Problem noch durch den Zusammenbruch von SERO verschärft. Böttger rechnet mit einer Verdreifachung der Hausmüllberge. Für Sondermüll ist kein Platz mehr, nachdem die Schadstoffdeponie Dröbitz infolge Bürgerprotesten geschlossen wurde, ebenso wie alle Sondermülldeponien des Bezirks. Täglich gehen neue Meldungen über Altlasten ein, 1860 Flächen sind es jetzt. Bis zur Fertigstellung einer Deponie können locker 8 Jahre veranschlagt werden, zwei Mal vors Verwaltungsgericht inklusive. „Ein hoffnungsloser Rückstand“, so Böttger, der weiß, dass von der Entsorgungssituation die gesamte Zukunft des Bezirks abhängt, und „es ist Tempo angesagt“. Und es klingt schon fast etwas resigniert. „Wenn jetzt kein Geld kommt, wird die Lausitz der letzte dreckige Arsch Deutschlands“.