aus: „DAZ“ Magdeburg / telegraph 9/1990, von Torsten Boeck
Im Januar vergab der Runde Tisch der Stadt Magdeburg die Räumlichkeiten des ehemaligen Knasts an zwei Projekte zur Nutzung. Zum einen handelt es sich um den Versuch, im ehemaligen Vernehmertrakt Wohnraum für familiengelöste Bürger (ehemalige Strafgefangene) zu schaffen. Beim zweiten Projekt wollten Jugendliche, zum Teil Punks und Autonome, ein unabhängiges Jugendzentrum aufbauen…
Aber nach der Entscheidung des Runden Tisches setzte die Bürokratie der zuständigen Räte ihre ganze Schwerfälligkeit ein, um das Projekt des unabhängigen Jugendzentrums zeitlich hinauszuzögern…
Am Abend des 6. April reichte es den Jugendlichen. Sie besetzten den Knast und besprühten einige Wände. Um 1 Uhr in der Nacht zum Sonnabend befanden sich ungefähr 15 Besetzer im Knast. Gegen 3 Uhr tauchte eine Polizeistreife im Innenbereich des Gefängnisses auf. Erst gegen 10 Uhr erschien ein größeres Polizeiaufgebot und forderte die Jugendlichen zum Verlassen des Gebäudes auf. Inzwischen hatten sich 9 Leute auf das Dach des Vernehmergebäudes begeben, befestigten dort mit Ziegelsteinen ein Transparent. Nach einigen Verhandlungen mit der Polizei verließen alle Besetzer gegen 11.30 Uhr den Knast wieder. Eigentlich kein Grund zu besonderer Aufregung. Aber in den kommenden zwei Nächten wurde im Knast eingebrochen, die bereits eingerichteten Räume des Sozialamtes verwüstet. Die Empörung bei den Mitarbeitern des Sozialamtes war verständlicherweise gross, und auch die Polizei hatte schnell ihre Schuldigen gefunden.
In der Pressemitteilung vom 11. April hiess es, die Randalierer seien im Kreis der Besetzer zu finden. Erstaunlich ist schon, wie bereitwillig man diese Vorverurteilung sowohl beim Sozialamt als auch in manchen Zeitungen glaubte. Ein Beispiel nach wie vor vorhandener Intoleranz gegenüber Leuten, die eben nicht in den gutbürgerlichen Rahmen des deutschen Konsummasochismus passen wollen.
Im Nachhinein musste die Polizei erklären, voreilig den Untersuchungsergebnissen noch während eines laufenden Ermittlungsverfahrens vorgegriffen zu haben, denn bei den Randalierern handelte es sich um Jugendliche aus dem Stadtbezirk Nord, die mit den Besetzern nicht identisch sind…
Immerhin haben die Autonomen und Punks mit ihrer Aktion erreicht, endlich mit der Ausgestaltung ihres Jugendzentrums beginnen zu können. (gekürzt)