„Eine Zensur findet nicht statt“

Neue Aktion der deutschen Behörden zur Zensur des Internets

von Wolfgang Rüddenklau
aus telegraph 9/1996 ( #91 )

Wer sich im letzten „telegraph“ durch die schier unendlichen Artikel bis zu den Meldungen durchgekämpft hat, führte sich vielleicht den Aufruf einer US-amerikanischen Online-Bürgerrechtsorganisation zu Gemüte. Während des letzten G7-Gipfels, der dem Kampf gegen den Terrorismus galt, sei, hieß es dort, eine neue Initiative zur Zensur des Internets beschlossen worden und jeder möge in seinem Land auf neue einschlägige Maßnahmen seiner Regierung achten. In Deutschland ließ man mit einer solchen Aktionen auch nicht lange auf sich warten, nachdem schon mit dem neuen Telekommunikationsgesetz die nötigen Folterwerkzeuge bereitgestellt worden waren. Während noch der letzte telegraph gedruckt wurde, konnte man aus manchen Tageszeitungen, die sich noch mit solchen lächerlichen Sachen wie Politik beschäftigen, erfahren, daß die Bundesanwaltschaft wegen einer Anleitung zur Störung des Bahnverkehrs die Internet-Ausgabe ihres Lieblingsfeindes, der linksradikalen Zeitung „radikal“ aus dem deutschen Internet verbannen will. Dummerweise befindet sich der Träger dieses Internet-Dokuments in Holland und ist dem direkten Zugriff der deutschen Jurisdiktion nicht zugänglich.

Stattdessen wendete sich die Bundesanwaltschaft am 30.8. an die Internet Task Force (ICTF), einer privaten Zensurbehörde, die vom sogenannten Internet-Medienrat gegründet wurde, der wiederum eine Gründung der ECO (Electronic Commerce Forum e. V.), einem Lobbyistenclub von in Deutschland “ führenden Internet-Service Provider“ ist. Die Staatsanwälte stellten sich einfach und dumm auf den Standpunkt, daß jeder lokale Provider des Internets für alle Inhalte verantwortlich sei, die er aus dem weltweiten Netz seinen Kunden zur Verfügung stellt. Andererseits aber hatte die ECO, um sich gegenüber den Ansprüchen des Telekommunikationsgesetzes abzusichern, bereits eine Art Erfüllungspolitik entwickelt: Indem sie alle technisch möglichen Arten von Zensur unterstützt, will sie zeigen, was möglich ist und was andererseits unverhältnismäßig und zudem ohne öffentliche Akzeptanz ist.

Die Zensuragentur der ECO, die ICTF, stellte, wie es in einer Presseerklärung der ECO vom 5. Juni 1996 (http://www.eco.de/im_rat3.htm) heißt, „am DE-CIX, dem nationalen Datenausstauschpunkt der Internet Service Provider, einen speziell für die Aufgabe der Selbstkontrolle konfigurierten News-Server zur Verfügung. Die Herkunftsnachweise kritischer Inhalte werden durch den Server ausgewertet, unter Beachtung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen in einer Datenbank archiviert und an zentraler Stelle hinterlegt. Weiterhin werden News-Artikel stichprobenartig einer juristischen Detailprüfung unterzogen.“ Unter anderem sollen ganze Newsgroups gesperrt werden, das nachträgliche sogenannte „Canceln“ bereits übermittelter Nachrichten veranlaßt werden oder strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet werden.

So fühlte sich die ICTF auch mächtig gebauchpinselt, daß sie, die bisher durchaus im rechtsfreien Raum und auf unsicherem Verfassungsgrund agierte, jetzt höchstamtlich zu polizeilichen Aufgaben herangezogen wurde. Mit ihrem in Hamburg stehenden nach außen völlig abgeschirmten Server, einem sogenannten „Firewall“, fing sie sämtliche Anfragen an den niederländischen Provider der „radikal“, die XS4all-Box ab und leitete sie nicht mehr weiter. Zugleich ging den an die ECO angeschlossenen lokalen deutschen Providern folgende E-Mail zu:

„Aufgrund eines Ermittlungsverfahrens der Generalbundesanwaltschaft (strafbares Werben für eine terroristische Vereinigung über das Internet) haben wir uns heute in Abstimmung mit dem ECO e.V. leider gezwungen gesehen, den Zugang zu den beiden Hosts www.serve.com und www.xs4all.nl zu sperren, da andernfalls weitergehende polizeiliche Maßnahmen nicht ausgeschlossen wären. Die vorgenommene Sperrung hat auch in ihrem Interesse stattgefunden, da auch sie sich als (lokaler) Provider bei einer Verbreitung der betroffenen Inhalte ebenfalls des oben beschriebenen Tatbestands schuldig machen können. Die beschriebene Maßnahme ist vorerst auf 28 Tage beschränkt. Wir werden sie über das weitere Vorgehen informieren.“

In der Tat war zunächst seitdem auf Grund der Marktmacht der ECO ein direkter Zugriff auf eine mit „http://www.xs4all.nl/“ beginnenden Internetadresse in Deutschland nur noch bei einigen unabhängigen Providern, über Universitäten und Leitungen der Telekom AG möglich. Allerdings war die Adresse nur in den sogenannten Proxies gesperrt, sodaß mit dem Ausschalten der Proxies die ganze schöne Zensurmaßnahme im Eimer war. Die Zeitschrift Lokus gab den Rat, die die Hilfe des US-Providers Anomynizer (http://www.anonymizer.com/) zu nehmen, dessen Adresse einfach einer gesperrten Netzadresse vorangestellt werden kann. Eine Reihe von Möglichkeiten bietet auch die FITUG unter „http://www.fitug.de/archiv/dokus/allgemeines/anonymizer.html“. Zudem fand der Provider XS4all eine geeignete technische Gegenwehr, indem er, wie die ICTF bedauernd feststellt „einen kontinuierlichen Wechsel der Abbildung des Namens `www.xs4all.nl´ auf IP-Nummern implementiert.“ Damit sei die inkriminierte Homepage weiter zu erhalten und leider sei das nicht zu verhindern, ohne die zensierenden Provider auf deutscher Seite so lahm zu legen, daß sie nicht mehr wirtschaftlich funktionieren könnten. Vollends illusionär wurden die Anstrengungen der Internetzensoren, als die Gegenwehr der internationalen Netzgemeinde einsetzte und die „radikal“-Seiten von zahlreichen Servern übernommen wurden, „gespiegelt“, wie es heißt.

Die Amsterdamer „Solidariteitsgroep Politieke Gevangenen“ (SPG), veröffentlichte die ‚radikal‘-Seiten auf ihrer Webseite „als Maßnahme, den freien und unzensurierten Austausch und Diskussion zwischen linken Gruppen und Personen zu gewährleisten, ohne dabei vom deutschen Staat gehindert zu werden“. Sie rief dazu auf, die Seiten weltweit über andere Server zu vertreiben: „Unser Ziel ist es, daß Deutschland in kürzester Zeit von allem Internet-Verkehr aus dem Ausland abgeschnitten ist … und sie so ihren eigenen „digitalen Highway“ isolieren und schädigen. Helft Deutschland, sich selbst zu isolieren. Ladet diese Seite und spiegelt sie:… „ Es sei, heißt es in der Erklärung weiter, nicht das erste Mal, daß eine Organisation versucht auf Xs4all angebotene Webseiten zu verbieten. Vor ein Jahr hat die Scientology-Kirche versucht „Geheimdokumente“ aus dem Xs4all-Computer zu verbieten. Aus Protest hat ein großes Teil der Xs4all-Kundschaft damals diese Seiten auf Computer durch die ganze Welt verbreiten lassen.

In einer Mitteilung ICTF an die Bundesanwaltschaft vom 16.9. wird der Erfolg der deutschen Internet-Zensur glatt und schön resümiert: „Die bisher ergriffenen Maßnahmen sind wirkungslos. Die Radikal-Ausgabe, die Gegenstand Ihrer Ermittlungen ist, wurde inzwischen so weit gestreut, daß es de facto unmöglich ist, zu verhindern, daß Kunden eines Internet-Service-Providers Zugriff darauf erhalten. Täglich werden neue sogenannte „Mirror-Sites“ eingerichtet (zur Zeit sind es mindestens 20); die Radikal wurde und wird wohl auch weiterhin mehrfach in den News geposted und die Anbieter im Internet haben inzwischen mehrere Ansätze entwickelt, um eine eindeutige Identifizierung von Servern, welche die Radikal beherbergen, zu verhindern. (Anonymous-Server, automatisierter Wechsel von Adressen). … Die von uns vertretenen Provider sehen sich inzwischen einem öffentlichen Druck ausgesetzt, der in keinem Verhältnis zu dem Erfolg steht, den die Bundesanwaltschaft durch die Sperrung der maßgeblichen Hosts erreicht haben kann.“

Am Abend des 24.9.sah sich die ECO schließlich zu einer Aufhebung der Sperre gezwungen. Inzwischen hat sich aus Angst vor weiteren Aktionen der Bundesanwaltschaft gegen die deutsche Onlinewirtschaft und zur Verübung neuer Zensurtaten ein Medienrat gebildet. Die Teilnahme an diesem hätten allerdings, wie die Zeitschrift „Lokus“ berichtet, sowohl die Telekom, die Onlinedienste CompuServe und AOL, als auch Verlegerverbände und Multimediaverband abgelehnt.

Die Frage ist also, was das Ganze nun eigentlich bewirken sollte. Herausgekommen ist doch zunächst einmal eine große Gratis-Werbeaktion für eine Zeitschrift, über deren inhaltlichen Wert durchaus Zweifel angebracht sind. Die Bundesanwaltschaft hat sich dahingehend geäußert, daß sie sich abwartend verhalten und beobachten werde. Witzig ist ja tatsächlich, daß es bis zur Stunde in dieser Angelegenheit weder offizielle Anfragen von deutschen Stellen noch von der holländischen Regierung an den XS4ALL-Server gibt, sondern einzig und allein der vorauseilende Gehorsam von feigen Online-Unternehmern das möglich zu machen versuchte, was technisch möglich ist. Und möglich scheint einiges zu sein, obwohl Hacker die mystische Behauptung in die Welt gesetzt haben, das Internet interpretiere Zensur als Störung und beseitige sie. Das weltweite Netz hat natürlich aus seiner Zeit im Dienste des Pentagon die Aufgabe, Störungen zu umgehen, aber als Netz im Dienste von Regierungen und Kapital wird es im Laufe der Zeit an die neuen Aufgaben angepaßt werden können.

Der zweite Teil der Aktionen der Bundesanwaltschaft war denn durchaus rational im Sinne der Kujonierung der innerdeutschen Öffentlichkeit. Unter die Paragraphen 129a Abs. 3 StGB (strafbares öffentliches Werben für eine terroristische Vereinigung), 140 Nr. 2 StGB (strafbare öffentliche Billigung von Straftaten) und 130a Abs. 1 StGB (Anleitung zu Straftaten) sollen nun nämlich auch sogenannte Hyperlinks zu der inkriminierten Zeitschrift fallen, eine im Internet übliche und mögliche sehr komfortable Art von Verweisen, die über Anklicken eine Kenntnisnahme der zitierten Seite möglich machen. Und dies obwohl die Bundesregierung in einer Anfrage erklärt hatte, das solche Links nicht im Sinne der Verbreitung einer Zeitschrift interpretiert werden könnten. Aber offenbar will die Bundesanwaltschaft Tatsachen schaffen. Und wieder einmal ließ sich der Online-Riese Compuserve unter Druck setzen und sperrte die Homepage der PDS-Prominenten Angela Marqardt wegen eines Links zur „radikal“. Und zwar auf einer Seite, die die Verfolgung der Zeitschrift thematisierte aber sich durchaus nicht identifizierte. Frau Marquardt mußte zu einem englischen Server umziehen, wo ihre diesbezügliche Presseerklärung zu finden ist. Eigentümlich an dieser Sache ist, daß, wie uns Frau Marquardt mitteilte, die Sperrung gar nicht in Deutschland, sondern von den USA aus erfolgte. Nach erfolglosen Rücksprachen meldete sich schließlich am 24.9.ein Herr Roberto Kauffmann (Compuserve GmbH – Produktmarketing) bei Angela Marquardt und teilte mit: „Wir sind der Meinung, daß dieser Link nicht den CompuServe Mitglieds -und OurWorld-Bestimmungen entspricht. Sollten Sie sich dazu entscheiden, den Link aus Ihrer Homepage zu entfernen, schalten wir Ihre Homepage gerne wieder frei.“ Eine rechtliche Verfolgung des „radikal“-Hyperlinks gibt es es, laut Aussage der Bundesstaatsanwaltschaft im Moment nicht, wird aber nicht ausgeschlossen. Offenbar scheut man den unsicheren rechtlichen Boden noch und will stattdessen vorerst ein Klima von Angst und Hysterie erzeugen

Nach einem offenbar mißglückten Vorgehen in Halle, von dem wir leider keine nähere Kenntnis haben, stießen die bundesdeutschen Gesetzeshüter in Thüringen auf willfährigere Ohren. Der Tolstoianer und Träger der Anarchistischen Internet-Zeitung Jena hatte ein Link zur Zeitschrift „radikal und soll nicht nur deshalb, sondern auch wegen seiner anarchopazifistischen Wühltätigkeiten jetzt von der Universität relegiert werden. Näheres dazu unter http://www.minet.uni-jena.de/~thinc/aiz3/verbot.html. „Die Friedrich-Schiller-Universität Jena“, heißt es in einer Meldung der „Thüringer Landeszeitung, „will schärfer gegen den Mißbrauch des Internet durch anarchistische Gruppen vorgehen. Innenminister Richard Dewes (SPD) sagte, die Hochschulleitung prüfe schärfere Sanktionen bis hin zur Exmatrikulation. Er bestätigte, daß bisher drei Ausgaben einer ‚Anarchistischen Internet Zeitung‘ erschienen sind. Dabei wurde das Rechenzentrum der Uni genutzt.“

Der Clou an der Angelegenheit ist aber die Reaktion der Zeitschrift „radikal“, ganz in der sektierischen Manier der westdeutschen Linken. Statt die unerwartete Situation zu nutzen, sich, wenn nicht an die Spitze, so doch jedenfalls in die Reihen einer Bewegung für die Verteidigung der Rede- und Pressefreiheit zu setzen, führt sie in dogmatisch-marxistischem Kauderwelsch aus, Pressefreiheit sei nur eine bürgerliche Ideologie, so daß sich in der Tat der Verdacht nahe legt, in der von dieser Zeitschrift erträumten Zukunft werde es Pressefreiheit nicht geben können.

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