Orte deutscher Kultur

von M. Meinicke
aus telegraph 9/1996 ( #91 )

Schiller-Institute. Wer kann sich noch daran erinnern? Weltweit wurden sie geschlossen. Goethe-Institute. Die noch geöffneten arbeiten mit Mitteln, die Verbreitung kultureller Belange kaum zulassen. Und doch, einige Stätten deutscher Kultur werden niemals verschwinden. Wie zum Beispiel in der italienischen Stadt Triest, zwischen Meer und Karstgebirge gelegen. Pulsierend, aus geschichtlichen Bezügen einer europäischen Grenzregion gewachsen, regionale und nationale Eigenheiten verbindend. Wer mit dem Bus Richtung Muggia, einem Vorort fährt, gelangt zur Haltestelle „Stadio Nuovo Di Valmaura“. Von hier aus sind es zu Fuß fünf Minuten bis zum „Civico Museo della Risiera di San Sabba“. Hinter den klangvollen Worten verbirgt sich der Begriff „Reisfabrik“. Die Gebäudereste dieser Fabrik sind heute von elf Meter hohen Mauern umgeben. Der Zugang ist düster gestaltet und läßt den blauen Himmel vergessen. Der Innenhof hat die Form einer nicht überdachten Basilika. Der Präsident der Republik Italien erließ 1965 das Dekret Nummer 193. Damit wurde die Risiera zum Nationalmonument erklärt. Die Begründung lautete, somit das einzige nationalsozialistische Lager auf italienischem Boden zu erhalten.

„Morte al Fascismo! Liberta ai Popoli!“

Italien löste sich am 8.September 1943 aus dem faschistischen Kampfbündnis mit Deutschland. Das Gebiet um Triest blieb aus verschiedenen Gründen dabei unter deutscher Besetzung. Die 1913 erbaute Reisfabrik wurde sofort in ein KZ umgebaut. Italienische Soldaten wurden hier zuerst eingesperrt. Schnell folgten Juden, Partisanen, politische Gefangene. Es waren Triestiner, Friulaner, Istrianer, Slowenen und Kroaten. Auffallend darunter die Zahl der Mütter mit Kleinkindern. Wer nicht ermordet wurde, kam nach Deutschland in die Vernichtungslager. Vom Oktober 1943 bis zum April 1945 waren es weit über fünftausend Menschen. Die Ermordeten wurden im Reistrockenofen verbrannt. Die Kapazität war begrenzt. So kam aus Deutschland der Spezialist Erwin Lambert. Er hatte die Öfen in Polen entworfen. Nun baute er den Reisofen um. Am 4.April 1944 lief die erste Testverbrennung. Siebzig Geiseln wurden im idyllischen Vorort Opicina erschossen. Sie konnten dank der neuen Qualität in einem Schub verbrannt werden.

Links neben dem Eingang befand sich die Todeszelle. Bis zum Heizhaus ging es nur wenige Schritte über den Innenhof, dann die kurze Treppe hinunter zum Ofen. Hier stand Globocnik, ein Freund Himmlers. Er holte mit dem Schlagstock aus. Ein Todesgerät, perfekt entwickelt. Der rutschfeste, mit fingerbreiten Rillen versehene Griff aus schwarzem Baggelit. Ein dicker, sich verjüngender Riemen. Am Ende das starke, in Genickform gerundete Metallteil. Noch lebend wurden die Menschen in das Feuer geworfen. Auf dem Hof liefen die Motoren der Fahrzeuge. Laute Marschmusik dröhnte aus Rundfunkgeräten. Auch das Gebell der gereizten, deutschen Schäferhunde übertönte die Schreie. Wer nicht mit Genickschlag betäubt wurde, kam in schwarze Kasten-LKWs. Ins Innere gelegte Abgasschläuche bereiteten einen qualvollen Erstickungstod. In einer Halle sind nebeneinandergereiht siebzehn Kästen aus Lehm, Trümmergestein und Beton zu sehen. Aufrechtes Stehen ist nicht möglich. Die Kästen sind 1,80 Meter lang. Neben zwei über-einanderliegeriden Bettkojen aus rohen Brettern ein schulterbreiter Gang. Keine Fenster. Kein Licht. Jeweils sechs Menschen wurden in einen Kasten gesperrt. Die beiden ersten Kästen enthalten Betontische mit Abflußrinnen. Hier wurde gefoltert. Auch Pino Robusti, Student der Architektur, zweiundzwanzig Jahre alt. Auf dem heute ausgestellten Foto ein gutaussehender Mann im Maßanzug, hoffnungsvoll in eine Zukunft lächelnd. Er wurde bei einer der üblichen Razzien verhaftet.

Am 29.April 1945 flohen die deutschen Faschisten. Vorher sprengten sie das Haus mit dem Ofen. Nach dem Krieg wurden die Trümmer beseitigt. In drei Papierzementsäcken wurden Knochen und Asche gesammelt. Erhaltene Kleidungsstücke wurden durchgesehen. In der Seitentasche eines Jacketts der Abschiedsbrief an eine junge Frau. Die Braut des Pino Robusti.

Das Adriatische Küstenland

So wurde das Gebiet um Triest genannt. Die letzte Eroberung der faschistischen Imperialisten. Hier waren erstklassige „Fachleute“ nötig. Die Bedeutung für „das Reich“ war enorm. Es ging geografisch um die Verknüpfung zwischen Balkan, Süddeutschland und der Front zu Italien. Beauftragt war Franz Stangi, der Henker von Treblinka. Selbst ein bundesdeutsches Gericht hatte erklären müssen, daß er für die Ermordung von 900.000 !! Menschen verantwortlich war. Die Hauptverwaltung übernahm Friedrich Rainer, ein Faschist aus Österreich. Globocnik traf mit Zweiundneunzig „Experten“ ein. Bewährt und ausgewählt in Treblinka, Sobibor, Belzec und anderen Lagern. Christian Wirth brachte ebenfalls „Fachleute“ mit. Sie hatten die „Aktion Tiergarten 4“ durchgeführt. Einhunderttausend sogenannter unwerter Leben wurden ausgelöscht. Bis die Kritik der Kirchen zur Beendigung des furchtbaren Programms führten.

In dieser Gruppe befanden sich auch Joseph Oberhauser und August Dietrich Allers. Der erste war Kommandeur der Risiera. der zweite sein direkter Vorgesetzter. Oberhauser starb 1979 als erfolgrei­cher Bierbrauer in München. Zwar hatte er in Italien eine lebenslängliche Strafe erhalten, eine Auslieferung wurde jedoch abgelehnt. Allers starb 1975 in Hamburg. Ein begehrter und gut bezahlter Rechtsanwalt. Nach diesem bundesdeutschen Recht wird immerfort gerichtet. Auch das Bier wird weiter getrunken. Lückenlos werden die Renten gezahlt und die Ehrungen eines erfüllten Lebens bewahrt. Die Handlung eines Soldaten bleibt immer Recht im bestehenden, deutschen Machtsystem.

Verbrechen aber werden nicht vergessen. Nicht in fünfzig, nicht in hundert Jahren. Und wenn die Inschriften an den Wänden der Folterzellen verblassen, dann müssen sie Bestandteil einer Kultur werden, die grenzenlos und menschlich ist. Bavcar Zorko aus Slowenien wurde am 5.April 1945 in der Risiera ermordet. Unter diesem Datum kratzte er in den Beton:

Cara Mama
ti comunico ehe oggi / mi hanno chiamato per
fucilarrni. Addio per sempre.
Cara Mama addio / Cara Sorella addio
Caro Papa addio

„Jetzo fühlt er,wie geheimer Mord an seinen Händen klebt. Jetzt straft Empörung stündlich seinen Treuebruch; die er befehligt, folgen auf Befehl, aus Liebe nicht,“
(aus Macbeth‘)

 

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