„Das Schlimmste ist, wenn man von Freiheit redet, und ich kann nicht 30 km aus Leipzig raus “

Anja T. Ahmed führte ein Gespräch mit Sadiq
(Aus telegraph #100)

Wie bist du eigentlich in die DDR gekommen?
Sadiq: Ich kam am 4. Oktober 1985 über den Weg des Studiums in die DDR, am 5. Oktober 1985 war ich in Berlin-Schönefeld, und danach sind wir mit dem Zug nach Leipzig gefahren. Danach wohnte ich in der Straße des 18. Oktober (Studentenwohnheim) und war zwei Jahre am Herder-Institut (Deutsch als Fremdsprache), weil ich in einem Jahr die Sprache nicht schaffen konnte. Das wurde dann noch für ein Jahr verlängert, in der Zeit habe ich auch in der Straße des 18. Oktober gewohnt. 1987 habe ich mit meinem Studium angefangen, Geschichte. Eigentlich sollte ich 1992 mit dem Diplom fertig werden, aber wegen der politischen Ereignisse in Afghanistan habe ich das verschoben, weil ich über Politik und Islam in Afghanistan geschrieben habe. 1995 habe ich das Diplom verteidigt.

Bist du von jemandem delegiert worden?
Ich bin von unserer Partei delegiert worden, von der Demokratischen Volkspartei Afghanistans.

Gab es viele Afghanen, die zum Studium in die DDR kamen?
Als wir in Berlin ankamen, waren wir über hundert Menschen. Dann wurden wir von Berlin in die verschiedenen Städte verteilt, einige sind in Berlin geblieben, einige sind nach Zwickau gekommen, einige auch nach Leipzig.

Hast Du noch Kontakte zu den Leuten?
Zu einigen. Zu anderen nicht. Einige sind noch in Leipzig. Nach dem Studium haben sie sich hier niedergelassen, kann man sagen.

Wie hat sich die DDR-Bevölkerung dir gegenüber verhalten?

Eigentlich waren wir nicht so viele Ausländer. Wir haben nie etwas Schlimmes erlebt, das habe ich nie erlebt, wirklich. Wenn die Leute auch nicht der Meinung sind, daß die DDR gut war, ich glaube aber, dass jeder Ausländer bezeugen kann, daß er nie etwas Negatives erlebt hat.

Wie war das Leben in der DDR für dich? Wie habt ihr gewohnt? Hattet ihr Kontakte zu Deutschen?
Im Herder-Institut hatten wir keine Kontakte zu Deutschen, in diesem Heim waren alle vom Herder-Institut, alle waren Ausländer, aber es war für uns nicht verboten, mit Deutschen Kontakt zu haben. Auch Kontakte mit unseren Nachbarn. Es waren vier Häuser, die Studentenwohnheime, hier habe ich zum Beispiel meine Freundin kennengelernt, meine spätere Frau. Natürlich hatten wir Kontakte. Als ich an der Uni war, wohnte ich mit Deutschen in einem Zimmer. Wir waren vier Leute, und ich hatte einen Betreuer, der mich unterstützt hat, wegen Sprachschwierigkeiten oder um die Vorlesungen zu verarbeiten, weil es so schwer war. Wir hatten immer Kontakte zu Deutschen.

Wer war Dein Betreuer?
Es war ein Student, der auch Geschichte studiert hat. Das war besonders wichtig für die Studenten, die wirklich Unterstützung brauchten.

Wie verlief das Studium?
Das war unterschiedlich. Besonders schlimm war, dass die Seminare manchmal um halb acht früh begannen, aber eigentlich war es angenehm, das Studium, nur manchmal ein bißchen schwer.

Habt Ihr Kontakte zur FDJ gehabt, habt Ihr dort offizielle Abende oder sowas gemacht?

Ja. Haben wir gemacht. Die meisten in unserer Seminargruppe waren FDJ-Mitglieder, sie haben mich manchmal zu Versammlungen eingeladen, zum Beispiel haben sie mir auch gesagt, dass ich zum Pfingsttreffen nach Berlin mitfahren kann …

Aber ihr wart nicht in der FDJ?
Nein.

Ausländer waren generell nicht in der FDJ, oder?
Ich glaube nicht. Wir gehören zu unserer Partei, und unsere Partei war der FDJ gegenüber freundschaftlich eingestellt …

Gab es eigentlich Diskussionen über die Ereignisse in Afghanistan unter den Studenten?

Es war wirklich so, und ich muss sagen, dass ich darüber auch wirklich überrascht war, in unseren Seminaren war es so, dass man wirklich diskutieren konnte. Die drei Leute in meinen Zimmer, einer davon ist jetzt Sozialdemokrat geworden, die anderen beiden habe ich sehr lange nicht gesehen; nur den einen kenne ich noch, der jetzt Sozialdemokrat geworden ist, aber früher war er nicht so … er hatte eine ganz andere Meinung, wir haben auch manchmal über Afghanistan diskutiert, über den Einmarsch der sowjetischen Truppen, über die Entwicklung des Sozialismus, manchmal haben wir auch kontrovers diskutiert, wenn wir ein bißchen Bier getrunken hatten.

Wie würdest du das Leben in der DDR beurteilen?
Eigentlich war die DDR-Zeit für mich ein Traum, weil wir wirklich die gleichen Rechte wie die Deutschen hatten. Man dachte, dass wir hier allein sind und dass wir deswegen Unterstützung bekommen sollten.

Wer hat euer Studium eigentlich finanziert?
Es war von der DDR finanziert. Am Herder-Institut waren Studenten aus über 80 Ländern, sie bekamen alle ein kostenloses Studium und 320 Mark Stipendium, und davon 10 Mark für Miete im Studentenwohnheim, eigentlich war das genug für uns.

War das soviel Stipendium, wie die Deutschen auch bekommen haben?
Ich weiß nicht, wieviel die Deutschen bekommen haben. Aber man konnte gut damit leben. Was unsere Konsumwelt anbetrifft, das war ausgezeichnet; wir kamen nicht aus einem Land, wo alles toll ist …

… und das Essen …?
Wir konnten selber kochen, wir haben eine Küche gehabt, und man konnte in der Kaufhalle alles billig kaufen. In der Studentenmensa war auch alles billig. Für 80 Pfennig Mittag zu essen, das bleibt ein Traum für viele Leute. Eigentlich haben wir uns wohl gefühlt, das muß ich sagen.

War das bei allen ausländischen Studenten so, was denkst du?
Bei den meisten. Einige Menschen, die wirklich nicht zufrieden waren, man kann unterschiedliche Gründe dafür haben, aber ich weiß nicht, vielleicht sollten diese Leute selber darüber reden.

Wie war die Atmosphäre am Herder-Institut?
Die meisten waren Studenten aus Ländern der dritten Welt, die nach dem Studium am Herder-Institut an die Uni kamen. Wir hatten dort viele Programme, wir haben Ferienlager besucht, ich war einmal in Biebelstein bei Obergruna, und im Erzgebirge war ich auch, in unterschiedliche Gebiete wurden wir eingeladen, Landeskunde der DDR gehörte zum Programm, damit wir alles kennenlernen.

Kommen wir jetzt mal ganz plötzlich zur Wende in der DDR. Gab es vorher unter den Studenten Diskussionen darüber, dass sich etwas verändert, oder habt ihr davon nichts mitbekommen?

Im Sommer 89 hat man gemerkt, dass etwas los ist. Ich habe auch einige aus der Seminargruppe gefragt, was in Ungarn los ist, daß die DDR-Leute von dort wegwollten. Und dann, als die Montagsdemonstrationen angefangen haben, wusste jeder davon. Die Mensa der Universität war ja das Zentrum der ganzen Ereignisse. Die Leute sind nachmittags dort hingekommen und haben von da aus die Demo organisiert. Und am 7. Oktober habe ich eine Erinnerung, dass ich mit meinem Sohn zur russischen Mensa gehen wollte, das war ein Sonnabend, der 7. Oktober, und dann habe ich Leute rennen sehen und dahinter Polizisten auf dem Karl-Marx-Platz, so etwas hatte ich hier noch nie gesehen, obwohl ich auch einmal auf dem Turn- und Sportfest 1986 etwas gesehen habe, wo Ausländer verprügelt worden waren auf dem Bayrischen Platz. Die offiziellen Stellen haben gesagt, die wären aus Westberlin gekommen. Es war eine Schlägerei mit den Ausländern, und ich habe sehr viele Polizisten gesehen, die uns geschützt haben … und dann habe ich wieder Polizisten gesehen, das war die Wende, man weiß es doch, wie sie sich entwickelt hat, sehr radikal, und was sich alles geändert hat, was sich für mich persönlich auch seitdem im negativen Sinne geändert hat.

Was gab es für Diskussionen unter den ausländischen Studenten? Waren die Ereignisse überraschend für Euch?
Viele waren überrascht. Die Demonstrationen … wir haben hier genauso Demonstrationen zum 1. Mai gesehen, da waren soviel Leute auf die Straße gekommen, jeden ersten Mai waren große Demonstrationen in Leipzig und in anderen Städten, auch am 7. Oktober noch ein Jahr vorher, 1988, waren viele Leute auf der Straße … ich weiß nicht, wie man einen Menschen oder eine Partei dafür verantwortlich machen kann.

Gab es auch ausländische Studenten, die die Veränderungen gut fanden?
Es gab einige Menschen, die mit Leuten in Kontakt waren, und ich war auch mit Leuten in Kontakt, ich muss respektieren, was die Leute wollten, man kann nicht sagen, dass das nicht der Wille der Menschen gewesen wäre; die Menschen auf der Straße haben ja etwas gefordert…

Und die Wiedervereinigung?
Am Anfang habe ich geglaubt, es gäbe eine ganz andere Entwicklung. Ich hätte nie geglaubt, dass es hier einmal so viele Arbeitslose geben würde. Und für die ausländischen Studenten im negativen Sinne, dass sich da alles so radikal ändern kann, das habe ich nicht gedacht. Aber es ist so.

Was hat sich in bezug auf Eure Situation denn geändert?
Das Stipendium wurde 1993 bei mir gestoppt, ich durfte keine Sozialhilfe bekommen, weil ich Student war, und ich durfte auch nicht arbeiten, und manchmal habe ich die Leute gefragt, wie soll ich leben, soll ich eine Bank überfallen oder wie? Sie haben nie daran gedacht, daß ich mein Studium anders regeln mußte, weil ich seit 1988 zu einem Thema geforscht habe, mit dem ich keine Chance hatte. Das war Geschichtswissenschaft, und da mußte ich nochmal weiter forschen. Das Akademische Auslandsamt und der Deutsche Akademische Auslandsdienst haben daran nicht gedacht. Dann habe ich gesagt, dann erlauben Sie mir, dass ich irgendwo arbeite, damit ich irgendwie leben kann, Miete zahlen kann, aber sie haben mir die Arbeitserlaubnis nicht gegeben, und die Ausländerbehörde wollte mir den Aufenthalt nicht verlängern, und dann habe ich einen Rechtsstreit angefangen 1995.

Hättest du als Student nicht arbeiten können?
Wenn wir zur Jobvermittlung gegangen sind, haben die Frauen dort gesagt, dass wir ohne Arbeitserlaubnis keinen Job bekämen, dann sind wir zum Arbeitsamt gegangen, und das Arbeitsamt hat gesagt, du bekommst keine Arbeitserlaubnis. Für Sie gibt es keine Arbeitserlaubnis. Dann habe ich gesagt, wovon soll ich denn leben? Ich war im Mietrückstand von einem Jahr im Studentenwohnheim, ich mußte das Zimmer wechseln und in einem Trockenraum leben, weil ich das nicht bezahlen konnte. Wenn ich nicht manchmal schwarz gearbeitet hätte oder wenn ich nicht gute Freunde hätte, wäre ich vielleicht jetzt verhungert.

Wie ist denn deine jetzige Situation, erstens was machst du jetzt, und zweitens, wie kommst du mit dem neuen Staat zurecht?
Mit dem neuen Staat komme ich überhaupt nicht zurecht. Den sogenannten Humanismus und die Menschenrechte haben sie nur auf die Fahne geschrieben, aber in der Realität gibt es das nicht für uns. Ein deutlicher Beweis dafür ist, dass, als ich meinen Rechtsstreit wegen einer Aufenthaltsgenehmigung hatte, weil die Machtverhältnisse in Afghanistan sich geändert hatten und die Mullahs die Macht genommen haben, ich gesagt habe, ich bin ein Mitglied der Demokratischen Volkspartei Afghanistans und ich habe über Politik und Islam in Afghanistan geschrieben, ich kann nicht nach Hause zurück, und es gab auch Repressionen dort gegen meine Familie, gegen unser Haus in Kabul. Die Ausländerbehörde hat mir trotzdem keine Aufenthaltsgenehmigung erteilt, und da musste ich einen Rechtsstreit anfangen und vors Verwaltungsgericht Leipzig gehen. Das Verwaltungsgericht ist ungerecht und einseitig und hat entschieden, dass ich Asyl beantragen muß, weil solche Themen zum Asylverfahren gehören; bloß, dass ich seit langem hier lebte, hat niemanden interessiert. Eigentlich sollten sie mir aufgrund dessen, was die Leute hier täglich von Menschenrechten reden, eine Aufenthaltsgenehmigung erteilen. Aber so habe ich dann doch Asyl beantragen müssen.

Wann war das?
Im Juli 1995. Dann habe ich Asyl beantragt, ich habe gesagt, dass ich ein Kind hier habe, das elf Jahre alt ist, ich habe auch Verantwortung für ihn und ich will auch mein Kind besuchen. Obwohl ich dem Bundesamt (für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge) das alles gesagt habe, haben sie mich nach Niesky umverteilt, das ist bei Görlitz, ganz weit von hier. Von Chemnitz wurde ich umverteilt, als hätte ich keine guten Freunde, und wenn der Flüchtlingsrat in Leipzig sich nicht für mich eingesetzt hätte, wäre ich vielleicht jetzt noch dort. Dann haben sie mich nach Leipzig umverteilt von dort, ich habe ein Jahr in der Torgauer Straße gelebt (Erstaufnahmeeinrichtung), ein Asylbewerberheim, wo wirklich Sklaverei praktiziert wird, wie die Leute dort leben … sie kriegen fertige Speise … die Bedingungen dort sind wie in einem Gefängnis … man hält die Leute dort wie in einem Ghetto. Nach einem Jahr wurde ich dann in die Raschwitzer Straße umverteilt, und dort lebe ich bis jetzt in einem Container. Mein Sohn kann mich dort nicht besuchen, er will dort nicht hingehen.

Nachdem du also schon viele Jahre hier in Leipzig gelebt hattest, musstest du dann also ein ganz normales Asylverfahren durchlaufen?
Ich habe diese Argumente auch gesagt, dass ich seit langem hier lebe, verdammt noch mal. Jetzt lebe ich seit 15 Jahren in Leipzig, und mein Asylverfahren ist immer noch nicht entschieden, das Verwaltungsgericht Leipzig verschiebt den Termin immer wieder: Es gibt keinen Staat in Afghanistan, deswegen gibt es auch keine politische Verfolgung … diese Analyse ist in meiner Akte zu finden. Dann habe ich ein Angebot zur Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis bekommen, und ich habe gesagt, ich bin doch politisch verfolgt, warum haben sie mir 1995 die Aufenthaltsbefugnis nicht gegeben? Ich war zu der Zeit doch genauso dazu berechtigt wie jetzt, deshalb habe ich darüber auch einen Rechtsstreit angefangen. Und jetzt darf ich nicht arbeiten, ich darf nicht 30 km weit von Leipzig, ach, was heißt 30 km, ich kann nicht bis Markleeberg oder Taucha, und wenn man mich erwischt, dann muß ich Strafe zahlen, weil ich die Grenzen, die ausländerrechtlich festgeschrieben sind, überschritten habe.

Hast Du, bevor du selbst Asylbewerber wurdest, Kontakte zu Flüchtlingen in Leipzig gehabt, hast du gewusst, wie sie leben?
Im Fernsehen habe ich gesehen, wie die erste Gruppe Afghanen in Rostock ankam. Ich wusste nicht in diesem Maße etwas darüber, bevor ich selber dort war. Ich habe gedacht, sie reden doch von Menschlichkeit, und ich glaubte, dass Menschen auch als Menschen betrachtet werden, aber das Schlimmste habe ich dann mit meinen Augen gesehen.

Was ist denn für Dich das Schlimmste an dem neuen System?
Keine Würde, Diskriminierungen, Beleidigungen, die man täglich erlebt. Ich glaube, das Schlimmste ist, wenn man von Freiheit redet, und ich kann nicht 30 km aus Leipzig rausfahren. In der DDR-Zeit war ich doch frei. Ich konnte doch die ganze DDR bereisen, von rechts nach links, von Süd nach Nord, und jetzt kann ich nicht 30 km weit von Leipzig reisen.

Konntest du zu DDR-Zeiten eigentlich in die BRD oder andere westliche Länder reisen?

Nein, ich konnte das nicht. Aber ich hatte ein Dienstvisum von unserer Botschaft, und mit Zustimmung der Botschaft hätte ich gekonnt, und die Botschaft wäre wohl nicht dagegen gewesen, die Zustimmung zu geben.

Wolltest Du…?
Eigentlich nicht. Als ich nach der Wende einen Tag in Westberlin war, das war so: ich hatte hundert DDR-Mark gehabt, mittags habe ich das dann in Westberlin getauscht und habe 8 DM dafür bekommen, ich habe dann Hunger bekommen und zwei Döner dafür gegessen, und danach hatte ich kein Geld mehr, und als ich in der DDR zurück war, habe ich gedacht, das war doch viel Geld, davon hätte ich doch viele Sachen kaufen können. Das war 1990.

Warum bist du dorthin gefahren?
Ich wollte gucken, was eigentlich in Westberlin los war. Ich bin Historiker, ich wollte aus der Nähe sehen, wie es überhaupt dort aussieht. Ich bin mit dem Zug am Zoologischen Garten gelandet. Dann hat mir jemand gesagt – ich habe einen Afghanen dort gesehen – dass ich Glück gehabt hätte, daß mich die Kontrolle im Zug nicht erwischt hat. Dann bin ich zu Fuß vom Zoologischen Garten bis zur Grenze zurückgekommen, das war ungefähr drei Stunden zu Fuß. Da habe ich das erste Mal Westberlin gesehen. Ansonsten war ich von ganz Westeuropa bisher nur in Gießen und in Frankfurt.

Hast Du eigentlich ein Reisedoku­ment … doch sicher keinen afghanischen Paß…?
Nein, der wurde mir entzogen. Ich habe nur eine Aufenthaltsgestattung, die jeweils um 6 Monate verlängert wird, keine Arbeitserlaubnis, keine Möglichkeit zu grenzüberschreitenden Reisen…

Also hast du die Aufenthaltsbefugnis nicht angenommen, sondern du war­test auf deine Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht, weil du Asyl bekommen möchtest?
Ich habe gesagt, ich nehme die Aufenthaltsbefugnis unter der Bedingung, dass ich mein Asylverfahren fortsetzen kann. Diese Möglichkeit gibt es gesetzlich. Ich habe einen Rechtsanspruch darauf.

Ist auf diese Bedingung eingegangen worden?
Ich hoffe das, ich hoffe, dass sie moralisch analysieren und sagen, dieser Mensch ist seit langem hier, er ist wirklich politisch verfolgt. Sie wissen das und deshalb verschieben sie meine Akte. Ich habe das Recht auf ein menschenwürdiges Leben, das ist nicht menschenwürdig, wie ich jetzt lebe.

Gibt es momentan überhaupt Entscheidungen in Klageverfahren zu Afghanistan?
Momentan analysieren sie die politischen Verhältnisse; ob sich in Afghanistan ein Staat herausgebildet hat oder nicht. Sie sagen, es gibt keine Staatsmacht, und deshalb können sie nicht entscheiden, weil die politische Verfolgung durch den Staat stattfinden muß. Sie wissen das doch, dass in Afghanistan Tausende Verbrechen begangen werden: Amputationen, Steinigungen und Hinrichtungen stehen auf der Tagesordnung. Deutschland ist das einzige Land, das so handelt. Andere Länder haben in Bezug auf Afghanistan die Genfer Flüchtlingskonvention durchgesetzt, aber Deutschland macht das nicht. Genauso ist es mit den Kosovo-Albanern: Vor zwei, drei, vier Monaten haben sie gesagt, das ist keine politische Verfolgung, die Kosovo-Albanern in Jugoslawien droht, und jetzt sieht man, was dabei rauskommt.

Wie lebst du eigentlich momentan?
Eigentlich bin ich ehrenamtlich tätig. Ich habe mich mit Ausländerrecht beschäftigt und versuche, die Ausländer zu unterstützen, die in unserem Heim sind. Nicht nur Afghanen, auch andere versuche ich zu unterstützen. Außerhalb des Heimes habe ich Kontakt mit meinen Freunden aus der Studienzeit, Deutsche, Ausländer, auch Afghanen. Wir treffen uns regelmäßig.

Gibt es einen Vertrauensverlust Deinerseits gegenüber der deutschen Bevölkerung wegen der Wende?
Jeder kann seine Auffassung haben. Ich will dazu sagen, dass die Menschen sich geändert haben. So wie ich die Menschen in der DDR-Zeit erlebt habe, so erlebe ich sie jetzt kaum, auf der Straße auch.

Was denkst du, warum das so ist?
Das kann unterschiedliche Gründe haben. Es gab sicher viel Druck auf diese Menschen, es gibt hohe Arbeitslosigkeit, manchmal gehe ich als Dolmetscher mit Leuten zum Arbeitsamt, um dort eine Arbeitserlaubnis zu beantragen … die Leute dort sehen mich manchmal komisch an.

Man hat dich vorher nicht komisch angeguckt?
Nein, eigentlich nicht. Das kann unterschiedliche Gründe haben, psychische, ökonomische … die Menschen haben sich wirklich geändert.

Was hältst du von der gegenwärtig diskutierten These, daß im Osten der Neofaschismus deswegen so stark ist, weil das DDR-System autoritär war und gehorsame Menschen herangezogen hat?
Ich weiß nicht. In der DDR-Zeit habe ich nie erlebt, dass jemand rechtsradikale Gedanken vertreten hat. Ja, jetzt vertreten viele Leute solche Gedanken, das konzentriert sich in bestimmten Gebieten, zum Beispiel Grünau, Paunsdorf … Wenn es wirklich an dem autoritären Staat DDR liegen würde, warum sind die Nazis dann jetzt gerade in diesen Gebieten so stark und nicht überall gleich? Im Leipziger Süden z.B. können sie nicht Fuß fassen, da leben auch Jugendliche, die in der DDR gelebt haben. Und ich kann nicht sagen, daß auf dem gesamten Gebiet der DDR der Faschismus so stark ist … ich glaube nicht. Manchmal, wenn ich ganz weit weg von Leipzig bin, habe ich viele Menschen getroffen, die faschistisches Gedankengut haben, das kann unterschiedliche Gründe haben, in der DDR-Zeit gab es viele Jugendclubs, die Leute haben viele interessante Hobbys gehabt, die Kinder. Es ist besonders schmerzhaft, wenn die Kinder in diese Richtung gehen. Man muss auch sagen, dass faschistische Gedanken unter Jugendlichen sehr stark verbreitet sind. Aber man kann doch nicht behaupten, dass diese faschistischen Gedanken von der DDR produziert worden sind. Am Karl-Marx-Platz, als die Wende war, sind doch die Republikaner und andere Rechtsradikale von drüben gekommen … manchmal wirkt die Propaganda, besonders bei Jugendlichen. Es gibt auch sehr extreme Faschisten, das kann man auch nicht verschweigen, was in Hoyerswerda oder in Rostock geschah, aber man muss sehr tief analysieren, wie sich das entwickelt hat. Diese faschistischen Gedanken werden durch andere Menschen vorbereitet, das kann man auch bremsen.

Zum Abschluß wollte ich noch fragen, was du in der Zukunft vorhast.
Mein Hauptziel ist, dass in meinem Land eine demokratische, menschliche Regierung an die Macht kommt, dass zumindest die Menschenrechte dort akzeptiert werden und Menschen als Menschen akzeptiert werden, daß man sich frei fühlen kann. Dann werde ich sofort wieder dorthin zurückgehen.

Gibt es eine Exilorganisation deiner Partei?
Es gibt viele Exilorganisationen, die unterschiedliche Meinungen haben, sie haben früher gegeneinander gekämpft, aber alle sind der Meinung, dass die Mullahs, die in Kabul gegenwärtig an der Macht sind, unser Land zerstören. Wir werden erstmal gemeinsam gegen die Taleban kämpfen. Gibt es politische Aktivitäten in Deutschland von seiten dieser Organisationen? Ja, es gibt überall solche Aktivitäten. In Leipzig haben wir zum Beispiel zum 8. März, zum Frauentag, etwas organisiert. Wir haben gegen die Politik der Bundesregierung protestiert, dass zumindest die afghanischen Frauen das Recht auf Asylanerkennung haben, weil die Frauen in Afghanistan nicht als Menschen betrachtet werden.

Willst du noch irgendwas sagen?
Nö, alles gesagt.

Danke!

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