aus telegraph #101
von Matthias Bernt
Mit der bei „Westfälisches Dampfboot“ veröffentlichten Publikation „…das war doch nicht unsere Alternative“ haben Bernd Gehrke und Wolfgang Rüddenklau endlich einen Sammelband vorgelegt, der schon lange fällig war. Er vereint so ungefähr alles, was es noch an linken ehemaligen DDR-Oppositionellen gibt und beleuchtet Themen, die von der DDR-Frauenbewegung, über die Ostberliner Vorbereitungen zum Anti-IWF-Kongreß, Räteversuche in den Betrieben 1989/90, politökonomische Analysen des DDR-Systems bis hin zu Thesen über die historische Bedeutung von 1989 reichen. Auf insgesamt fast 450 Seiten wird dabei überzeugend mit den konservativen Mythen aufgeräumt, nach denen die Übernahme des westdeutschen Gesellschaftssystems das geradezu naturwüchsige Ziel der „Bürgerrechtsbewegung“ gewesen sei. Damit wird endlich auch eine wichtige Seite der Geschichte vorgestellt, die in der gesäuberten öffentlichen Meinung über die „Bürgerrechtler“ kaum noch vorkommt. Darüber hinaus wird – leider aber nur in einigen Beiträgen – auch der Versuch unternommen, Fehler und Grenzen der Opposition zu beleuchten und Schlussfolgerungen für die heutige Praxis zu ziehen. Insbesondere hervorzuheben ist dabei der Beitrag von Bernd Gehrke, der meines Wissens erstmals öffentlich versucht, die heutige Misere auch aus dem jämmerlichen Versagen der innerparteilichen („die Gorbatschowisten“) und außerparteilichen („die Dissidenz“) Opposition in der Schlussphase der DDR zu erklären.
Das Buch ist also etwas, das es so noch nicht gab. Es schließt eine wichtige Lücke in den Publikationen zu ´89 und hebt sich gleichzeitig wohltuend von dem Geseier der Neuberts und Janders ab. So weit, so gut.
Wenn man sich erfolgreich durch die 3,5 Zentimeter und sicher 500 Gramm Papier durchgekämpft hat, kann man sich trotzdem kaum der Frage erwehren, was das alles soll. Das man endlich weiß, wie es wirklich war, ist gut. Auch dass verschieden alte Männer und Frauen ihre Geschichte verteidigen, ist schön. Aber wo liegt der Nutzwert dieser Anstrengungen für heutige oppositionelle Praxis?
Bernd Gehrke prophezeit in seinem Beitrag: „Über 89 werden wir noch einmal sprechen müssen“ und dasselbe denken auch noch Klaus Wolfram, Renate und Stephanie Hürtgen, Thomas Klein und Hans Jochen Vogel. Wie sie darauf kommen, verraten sie leider kaum. Wo wird über ´89 zu sprechen sein? Von wem? Warum? Wenn man die Langeweile verfolgt hat, mit der die (sowohl ost-, als auch west-) deutsche Öffentlichkeit letzten Herbst das Zehnjahresjubiläum zur Kenntnis genommen hat, wird da wohl etwas Skepsis erlaubt sein. Obwohl fast alle Autoren heute noch politisch aktiv sind und mit Sicherheit auch zum intellektuell und moralisch Besten gehören, was von der DDR-Opposition übrig geblieben ist, warten sie kaum mit Argumenten auf, die dieser Skepsis entgegen treten könnten. Im Vergleich zu den zum Teil brillianten historischen Analysen verliert sich die Antwort auf Fragen der heutigen Zeit – wo sie überhaupt versucht wird, was selten genug passiert – leider oft ins philosophisch Diffuse.
Auch dass die Beiträge so wenig aufeinander Bezug nehmen ist merkwürdig. Obwohl sich die Mehrzahl der Autoren seit Jahren kennt und zumindest der Berliner Teil von ihnen sich regelmäßig in derselben Kneipe die Kante gibt, hat man den Eindruck, dass zwar jeder irgendwie sein Scherflein zum Sammelband beigetragen hat – aber für eine gemeinsame Diskussion scheint wohl keine Zeit gewesen zu sein. Auf jeden Fall stehen die Beiträge unvermittelt nebeneinander und jeder Autor bearbeitet eben das, was ihm/ ihr auf der Seele brennt. Redet die Opposition etwa nicht mehr miteinander?
Man ist also leicht enttäuscht und die Gesamteinschätzung für das Buch fällt entsprechend ambivalent aus: ein guter Sammelband, aber mit nur wenig politischem Gebrauchswert. Etwas mehr Heutigkeit wäre schon zu erwarten gewesen.
„…das war doch nicht unser Alternative“
Hrsg. Bernd Gehrke, Wolfgang Rüddenklau
Verlag: Westfälische Dampfboot
S. 447, ISBN 3896914669
DM 58,-
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