In flauen Zeiten braucht Widerstand Phantasie – und die hat die neue telegraph-Redaktion. […]
Doch letztlich reicht schon ein Blick auf das Titelbild des ersten neuen Heftes, um festzustellen, daß hier mal wieder alter Wein in neuen Schläuchen kredenzt wird. Da wird ein nationaler Befreiungstheoretiker (Fanon) auf BRD-Format zurecht gestutzt, mit etwas Praxis-Gramsci angereichert und dann an die lange Tradition antikolonialen Kampfes von links angeknüpft, die hier vom Schlageter-Kurs der KPD über den Kampf der SED gegen Adenauers „Regime des nationalen Verrats“ geht […] Im Fall der Ex-DDR aber zu behaupten, der westdeutsche Kolonialherr und sein Anhang rassifizierten die Autochthonen Ost, ist schlicht Mumpitz. Schließlich erfolgte die Vereinigung nicht umsonst unter der Parole `Wir sind ein Volk‘.[…]
Der Kolonialisierungsdiskurs legt aber nicht nur solchen Unfug wie den vom in der Verelendungsspirale rumkurvenden Ostvolk geradezu nahe, sondern hat für seine Protagonisten und so auch für den telegraph auch die strategische Funktion, sich und seine Klientel zu doppelt und dreifach Unterdrückten, ja gar `Schwarzen‘ zu stilisieren. Auch und gerade in innerlinken Debatten wird gern auf Machtressourcen wie die des `Opfers des Kolonialismus‘ zurückgegriffen, um sich eine beeindruckende Identität/Autorität zu basteln und eine
Position einzunehmen, von der aus sich gewichtig, weil schön marginalisiert sprechen läßt.[…] Und da folglich etwaige nationalistische und rassistische Subjektentwürfe im Osten selbst bei steigender Tendenz nicht nur nicht wirklich authentisch und damit sicher sehr fragil sind, sondern auch auf einen antikolonialen Reflex verweisen könnten, bleibt uns ja noch genug Zeit, diesmal rechtzeitig die neue Version des schon von Old Dimitroff schön skizzierten „Programms der sozialen und nationalen Befreiung“ anzuwenden: Wir distanzieren uns von jedem nationalen Nihilismus, der in der Bevölkerung eh nur potentielle Faschisten sieht, rufen die Ostdeutschen bei ihrer (sub)nationalen Identität an, … , stellen unsere Analysen und Forderungen in einen separatistischen Kontext, damit sie auch ja zuhören, und singen ihnen dann so lange „soziale Frage, soziale Frage“ auf ostdeutsch vor, bis sie ihrer eigentlichen Interessen wieder gewahr werden und sich revolutionär entfalten. […] Entgegen der sozialisationshypothetischen Revolutionsmetaphysik des telegraphs stellt die Erfindung einer sich `ostdeutsch‘ definierenden Spezies vielmehr eine spezifische Reaktion auf die Folgen des Vereinigungsprozesses dar – und setzte just in dem Moment ein, in dem die sich nunmehr als `Ostdeutsche‘ entwerfenden vormaligen `Volksdeutschen‘ mit
bekamen, daß der Einzug ins Wirtschaftswunderland wohl nicht erwartungsgemäß verlaufen werde und sie angesichts des eher peripheren Status der Ex-DDR auf längere Zeit dazu verurteilt sein könnten, `Deutsche 2. Klasse‘ zu bleiben . […] Und hier liegt der Hase im Pfeffer: `Ostidentität‘ stellte und stellt keinen Bruch mit der `deutschen Identität‘ dar, sondern einen Appell an die Volkssolidarität.[…]
Aber vielleicht gelingt es ihm (dem telegraph) ja, statt dessen die Konstitution einer `ostdeutschen‘ Linken voranzutreiben, die das alles für bare Münze nimmt, in das Kolonialisierungs- und Fremdherrschaftsgerede einfällt, Gesellschaftskritik durch Herkunftskritik ersetzt und die `Ostdeutschen‘ solange begriffebesetzend umgarnt, bis sie entweder alles progressive hinwegartikuliert hat und zu einer kruden Mischung aus Heimatschutzbund, Ostmittelstandslobby und IG Rächer der Beleidigten und Enterbten mutiert ist […]
Ralf Peters
Selbst libertäre Kreise sind für … Ost-Mythologiesierung anfällig. In der ehemaligen DDR-„Oppositionszeitschrift“ telegraph war im April diesen Jahres ebenfalls von „Kolonialisierung“ die Rede. Als besonders gelungen wurde folgender Witz charakterisiert: „Wann ist die deutsche Einheit vollendet? Wenn der letzte Ossi aus dem Grundbuch gestrichen ist.“ Bei diesem „Witz“ geht es nicht darum, daß der Westler ein böser Kapitalist ist und deshalb hassenswert. Hier wird die pure Angst des „Ossis“ vor der Überfremdung unterstützt. Fremdheit wird nicht in einem Unterdrückungsverhältnis ausgemacht, sondern in der fehlenden Heimatverbundenheit oder kulturellen Unterschiedlichkeit. Das ist der Boden, auf dem die DVU im quasi ausländerfreien Sachsen-Anhalt ihren Wahlkampf führt, auf dem die NPD den deutschen Arbeiter mobilisiert.[…]
Ivo Bozic in der taz.
„Nationale Befreiungsbewegung Ost“
… Während Ostlinke in den letzten Jahren hauptsächlich dadurch (nicht) aufgefallen sind, daß sie sich fast ausschließlich mit der Vergangenheit beschäftigen, ist der Vorteil dieses Ansatzes, daß er versucht, Perspektiven zu entwickeln.[…] In Bezug auf die Transformation der Eigentumsverhältnisse ist ihrer Argumentation nichts entgegenzusetzen, doch der politische Prozeß, der die soziale Transformation in Ostdeutschland ermöglichte, hat nichts mit einer „Kolonie“ oder einem „Anschluß“ zu tun. Es war schließlich die überwältigende Mehrheit der DDR-BürgerInnen, die das Volkseigentum so schnell als möglich loswerden wollte.[…]
Die Volkssolidarität ist .. ausschließend, nicht
einschließend und deshalb potentiell gefährlich- für alle, die keine OstlerInnen sind. Sie stellt nicht die Klassenfrage, sondern „ethnisiert“ eine Differenz auf eine Weise, die nicht zu ihrer emanzipatorischer Überwindung beiträgt. Ein Bezug auf „Ostidentität“ birgt für linke Politik die Gefahr – ungewollt- zu Rassismen und Fremdenfeindlichkeit beizutragen.[…] „Nationale Befreiungsbewegungen“ können nur dann emanzipatorisches Potential entfalten, wenn sie eine universale Vision von Befreiung entwickeln und nicht, wenn sie sich aus der Vergangenheit eines autoritären Staates speisen. Natürlich ist es wichtig, ostspezifische Probleme und Diskriminierungen, die als solche durchaus existent sind, als Ausgangspunkte linksradikaler Politik zu nehmen, aber nur verbunden mit einer klaren internationalistischen, antirassistischen, antipatriachalen Perspektive und ohne den Klassenbezug zu verlieren. […]
B.K. in der ARRANCA! /15, Berlin
Matthias Bernt suggeriert nicht zuletzt durch die Architektur seines Textes, daß er Ostidentität für eine potente Quelle sozialistischer Politik hält. An dieser Stelle erscheint der Spruch: „So schnell schießen die Preußen doch nicht“ in völlig neuem Licht. Den Potenzen von Ostidentität für reaktionäre, sexistische und rassistische Politik sollte mehr als nur ein Konditionalsatz gewidmet werden.[…]
Wie bereits oben skizziert sind die sozialen Konflikte in der DDR kein Unterklassenproblem, wie M.B. uns glauben machen will. Sie sind vielmehr ein Problem der Unterprivilegierung in einem kolonialen Kontext.[…]
Wie aus dem Gesagten zu entnehmen, ist auch unser Verhältnis zu „Ostidentität“ durchaus ambivalent. Denn wie andere kollektive Identitäten ist „Ostidentität“ nicht nur Ausdruck gemeinsamer sozial-ökonomischer Interessen, sondern folgt der Logik der Ausgrenzung in Situationen von Konkurrenz und Kampf. Jedoch gilt unser besonderes (keinesfalls jedoch ausschließliches) Interesse Ostdeutschland aus zwei Gründen:
1. weil die Zone das Versuchsfeld für Projekte der neoliberalen und konservativen Modernisierung darstellt und daher für die gesamtdeutsche Entwicklung der nächsten Jahre interessant sein dürfte und
2.weil die PDS (nicht unbedingt aufgrund ihrer tatsächlichen Politik, sondern zunächst nur aufgrund ihres politischen Vokabulars) sich im Widerspruch zum herrschenden Bewußtseins des endgültigen Sieges des Kapitalismus befindet.
In diesem Sinne: Freundschaft!
FM in der Zeitschrift KlaroFix, Leipzig
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