Rock als Unterhaltungstektonik und Überlebensstrategie im Landesinneren

von Bert Papenfuß
(Aus telegraph #100)

Arabesken zum notgedrungenen Umgang mit dem Fels’n’ Wulst als Bedienungsanleitung für die Opera semiseria RUMBALOTTE

Für Günter Spalda, wo auch immer – der Hammer hängt, und Homer in sein’ komischet Koma mit seine Koksoma – und Mark Farner, falls der sich schon oder noch selber kennt, und wenn auch bloß von früher, wenn er überhaupt noch lebt, heutzutage weiß ja keiner so genau, wie’s weiter geht, außer Barbara Schurz und Alexander Brener, an die ich verweise.

Anf.-Schn.
Zerstreute Spezialisten, Marodeure im Dornicht, die wir die Abwinde des Unterhaltungsorganismus atmen, sind wir sowohl Konspirateure des Arbeiter- und Literatenrates auf der einen Seite, als auch des Musikanten-Stadls und anderer Motorradklubs auf der anderen. Die versprengten Aktivisten werden lediglich durch den Überbau zusammengehalten, der im Forum Hotel Hof hält. Neulich im Hauptquartier herrschte mich eine der zahlreichen ondulierten und durchgerödelten Unterscharführerinnen an, die immer als Sprecherinnen der Tschistka vorgeschickt werden, und zwar in barschem Ton: „Gehen Sie bitte runter zur Rezeption und lassen sich einen Hinrichtungstermin geben. Das Kamerateam wartet schon.“

Ausgesprochen spontan, jedoch in einer konzertierten Aktion überzogenen Spaßverständnisses und schnöder Selbstbehauptung stürmten die Band und ich den Salon. Modellfall atypische Geiselnahme, Aktionsbeispiele 2 f und 8 u – ohne Forderungen zu stellen. Siehe „Handbuch der Rockguerilla“ (Ediert von einem Autorenkollektiv unter der Leitung von Stefan Ret, BasisDruck Verlag, Berlin, 2000), S. 1919 ff., ich zitiere aus dem Gedächtnis: „Seinen Willen kenntlich zu machen, zeugt immer von Schwäche. Wahrer Terror kommt am besten pur. Nur der Bewegte bewegt.“

Also schnappten wir uns die Führungsriege und zogen runter ins Foyer, Schranzen bildeten Spalier mit vollen Hosen. In den Rabatten formierte sich der Kordon, im Hintergrund großes Besteck. Wir wurden mit Pomp, Trara, Kugelhagel und allem Schnickschnack empfangen. Darunter wären wir auch unterfordert gewesen und hätten den Auftritt höchstwahrscheinlich abgebrochen.

Rock ist eine panzerbrechende Waffe. Wollen doch mal sehen, ob wir als Sieger hervorgehen werden, oder als Helden zusammengeklaubt, dachte ich noch bei mir, dann setzte sich der Apparat in Bewegung, und ein seltsames Beben hub an. Wer wissen will, wie es weiterging, liest folgenden Text jetzt.

I. Rocks ahead!
Der Proto-Pop des Wiederaufbaus und Wirtschaftswunders war eine Vermengung von verhältnismäßig hingerotztem R’n’B, Dixieland, Skiffle, abgetrotztem Jazz, dieser und jener Kunstmusik unter aller Kritik, und gestelztem europäischen Liedgut – und zwar am Arsch vorbei hielt die Wohlstandsproblematik dank Heuss und Neuss, Müller-Stahl und Quetzalcoatl ratzbatz Einzug in die Nachkriegstanzwut mit einem steil geschraubten Satz. Wie ein geölter Blitz wurde die Kommerzmelange auf die Massen losgelassen, Possenreißer rissen die Backen breit, Klassenbeste die Kassen auf und zabadak lösten sich die Beatles auf, zabadagora. Die livrierten Pagenköpfe waren bei aller Liebe zur Biorhythmik der gedrechselten Lebensfreude ein Disziplinierungskommando des kalten Kriegergewürms, und legten Deixels wegen im Laufe ihrer eigenen Dekomposition an Leichtmetall zu. Die Kulturrevolution kam in desaströsen Schwung und enervierte den imperialistischen Urbanismus bis ins letzte Kuhdorf längsseits. Selbst im seligen John Lennon schlummerte ungeahnt Schrott, Plastic Ono lüpfte das Visier ohne die Kurve zu kriegen, und die Plastic People of the Universe spielten Schild und Schwert damit, da waren schon längst die pomadisierten Rostfresser drin, und schwupps Showaddywaddy im Anzug mit der Mennige. Dutschke und Rabehl hielten den Fahnenschwengel hoch, wenn auch dwars und höchstens auf Untermars. Wer stand, hielt punktum stand.
Schlücke Wasser wedelten verdrossen mit ihren Flossen. Aluminiumbuletten wurden jedenfalls nicht verschossen. War schwer wat los inne sechziger Jahre, die Krume kam so richtig in die Gare. Rock war nie zimperlich, geschweige denn jungfräulich, Rock war von Anfang an rockistisch und amerikanistisch bzw. antiamerikanistisch, was aufs selbe hinausläuft, in den seltensten Fällen hausbacken unamerikanisch, was immer daneben ging, höre auch „Ich will nicht werden, was mein Alter ist“, „Wichtig sind Tage, die unbekannt sind“ und „Zwischen Liebe und Zorn“, durch die Bank burschikose Lieder, bei aller Gewagtheit schon im Ansatz mißlungen – wegen Untermüpfigkeit und Verzagtheit in Tateinheit mit Kläglichkeit vor dem Herren, der sich ins Fäustchen lachte, dass die Schwarte krachte. Gewimmer statt Gewummer, Kammer statt Kummer, Knarzer statt Harzer, wat zugegeben kein großen Unterschied macht, worauf es aber ankommt, wenn man die Faxen dick hat. Muss ja nich jeder. Zwingt ein’ aber auch keiner, so zu tun.

II. „Worstwards Ho!“
Als Mark V über den Hügel rollte, war alles zu spät und der Anfang nahm seinen Lauf. Der Nu des kulturellen Entsetzens angesichts des maschinellen Tötens war der Zeugungsmoment des Rock. Matrix und Patrize hielten sich in der Schwebe der Geschichte bedeckt. Unbekannte Soldaten haben keine Eltern. Dann folgte die faschistische Inkubation, die infolge vertuscht, entnazifiziert, rehabilitiert und honoriert wurde. Die Ausgeburt platzte mitten ins substanzengeschwängerte „Nachkriegs“-Nord-Amerika und wurde gnadenlos mit Amphetaminen aufgepäppelt; ihr Name war übrigens Patrice, Patrick oder Paddy, auf deutsch: Petöfi. Fragt Lemmy Kilmister und Thomas Kling, die waren dabei, das kann ich bezeugen. Petöfi hatte keine Kindheit, sondern kam gleich als Mure über uns – seither tobt die Schlammschlacht. Die Kruste kocht.

Was kann es schöneres geben,
als ein markerweichendes Seebeben –
nu ma schön auf dem Teppich geblieben
mit Körper, Geist und Arsch und Seele,
hier gibt Admiral Rock die Befehle,
der hat’s faustdick in der Kehle.

Der 51. Staat, auch enigmatisch der „empirische“ genannt, hat hierbei lediglich als Unterhändler der Ausschlachtung die Fäden zum Kontinent gezogen, der notgedrungen auf der Kohle saß und sitzenblieb, auf dass sich Kaukasien öffne und das Öl Abhilfe schaffe, womit das jeweilige Staatsgepränge oft bluffte. Erinnert sei andersrum, der Stimmungen und Reaktionen der Bevölkerung wegen, an den Generalstreik in Wales, als das Volksdemokratische Polen Abhilfe schuf, und an den Streik bei Springer, als das Neue Deutschland, dem Setzerlehrling Anderson sei Dank, in die Bresche sprang, der in den Sack haute, als man Beate Uhse durchkaute, da könnse ruich bei Holger Kulick nachhaken, der wird se wat leuchten mit sein Boulevard-Stil und sein Anti-Atom-Strom.

Der Dünger der Rockkultur war die unglückliche, um nicht zu sagen missglückte Gründungsgeschichte der Vereinigten Staaten – eine gutgemeinte Perversion des europäischen Freiheitsgedankens auf Groschenheftniveau ohne Ficken. Rock was born bad. Pearls before Swine – Perlen vor die Säue. Hochkompliziert und rotzfrech, oder vereinfacht und nett – groß ist die Auswahl nicht, Wahlen ändern daran nichts, außer man hat eine oder zieht Leine. General Lebed wird, sobald er die Fäden in der Hand hat, der Vollstrecker sein mit seiner Bauernschläue, und den Kohlismus-Putinismus im Keim ersticken, oder untergehen, wenn die Punkrocker wider Erwarten den Spieß umdrehen sollten, was die Letzten wollen. Bemme nochmal, Semmel und Schnitte, Brötchen sowohl als Rundstück – Rock ist immer auch Staatsrock, und das ist das Problem.
Apropos, als Grand Funk Railroad berühmt wurden und ernsthaft als gut galten, wähnten wir in Häme, dass die Amis nichts Besseres verdient hätten, und nahmen mit Amon Düül II vorlieb – ein rocktypischer Trugschluss, den es gelegentlich zu bereuen gilt. Heute, mitten im Limbus der dritten christlichen, und somit chronischen, chtonischen Geschmacksverirrung ergreife ich die Gelegenheit und finde Grand Funk vergleichsweise gut. Angehörs rechnergesteuerten Unterhaltungsgeräuschs haben wir nichts Besseres verdient, oder aber Rammstein. Im Gekröse pfeift ein Sturm. Der eurasische Gleichheitsgedanke ist mit Ostbrot niedergekommen, wenn auch noch verschwommommen. Hoch die Trommel „Rommel“. Ergötzen is’ wat für Plötzen. Wer ausposaunt, dass er inner Band is, schützt unbeholfen Torheit vor, die aber auch echt sein kann – protzt ja schließlich auch keiner mit der Bau-Union. Von Post-Rock, Reichsbahn-Pop und son Schrott will ich an dieser Stelle schweigen, weil mir die Worte fehlen. Kleiner Scherz am Rande, paar sind doch noch über. Denn werden wir jetzt erst mal die Rohrdommel schröpfen, Zitterbacke kreuzigen und die Prollbacke weghängen. Irgendwat ham wa gegen jeden Geschmäckler, Mäkler und Makler. Je nach dem, wer wem näh’r stand. Jetzt wird’s persönlich. Genau genommen.

„Sachsmatratzen,
Sachsenlatzheit,
Sachsenplemp und -höhnerei
tarren in dem Zund behegen
ihre zuckre Klingelei,
uns zu grimmer Maß beruachen
unser hackel Heißchen mei.“

III. Va banque
Der Rockmusiker selber ist bestenfalls eine berüchtigte Kirchenmaus. Ab mittlerem Bekanntheitsgrad und gehobenem Taschengeld gibt es keine Rockmusik mehr. Dann herrscht New Wave mit Zimperlichkeit und Stulle, inklusive Bundesverdienstkreuz. Ausnahmen bestätigen die Regel, je nach Rheinpegel. Ein bisschen Loreley ist immer dabei. Die Toten sprechen Bände. G.G. Allin kann keiner. Blöd genug muss man natürlich auch sein, sonst geht die Zutraulichkeit flöten in die ohnehin knappen Inspirationsquellen, und man beginnt am Buch der Bücher zu zweifeln und an den Bildergeschichten antikommunistischen Inhalts. Nicht der Rockmusiker ist blöd, sondern der Bildungsnotstand respektive Lehrstand, der ihn prägt.

Der Gebrauchsgrafiker Kozik und der Schmutzgitarrist Crider sind Leuchtürme der Rockkultur der 90er Jahre, nahezu so geradezu und aufgeschlossen wie Günter Spalda im Schwerin der Mittsiebziger und Holger Zeppelin nach ihm. Estrus, was Crider schmeißt bzw. hingeschmissen hat, bringt Protorock in die Postrockära und somit Sterben in die Bude, was ja erst mal verdienstvoll ist. Der Totenkult darf nicht aus dem Lot geraten, sonst muss wieder Lanzelot los und die Königin zurückholen, die er dann aber nicht rausrücken will, und dann wird Gawain nachgeschickt und der ganze Hof verrückt – dann kommt der Gral ins Spiel und schon ist wieder Weltkrieg, und das wollen wir ja nicht – außer Polen, Frankreich sollen sich die Korsen teilen, aber die Bretonen schonen, sonst komm ich mit dem Bohner. Den Rest können sich die Basken holen, die haben sowieso Hausrecht, genau wie die Lappen im Norden, die ruhig mal auf ethnische Vergeltung und Fußbodenheizung pochen sollten, bei der Kälte. Denn könnse sich schön nach Feierabend paar Reifriesen auftaun und inne Pfanne haun. Der verdienstreiche Kap’talistensack Kozik hingegen bringt mit Man’s Ruin wieder Hässlichkeit, Schwerfälligkeit und schnippischen Anblick in den gefallsüchtigen Rockapparat, und stärkt somit das durchgeschrubbte Selbstvertrauen der Blindgänger und Griffbrettlahmen. Ohne Erbarmen übertreibt er Herstellung, Einstellung, Ausrüstung und klopft an die Schallmauer mit gierigem Griffel.
Leichtfertige Schulabgänger reißt er vom Rechner und schleift sie in Schallplattenbörsen, auf dass sie das Digitale sausen lassen. Richtig, Elektronik dient entweder der Sache, oder gehört ins Finanzamt, ob es jetzt hochkant oder quer stand – und das in die Luft in fünf Minuten.

Sogenannte Tiefe allerdings, nach der konsternierte Heranwachsende, sinnlos Arbeit und Unterhaltung Suchende im ökonomisch planierten Laurasia dürsten, schürfen Trolle wie Burzum im paganistisch-nationalistischen Souterrain, und Idole wie Letow im anarcho-kommunistischen Unterbau. Recht hat natürlich Letow, schon allein nach dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik, und wo er Recht hat, hat er Rock und tatsächliche Tiefe bis in Unergründlichkeit, die wir nach Abschluss der Lektüre explorieren werden. Versprochen ist versprochen, und wer es hat zuerst gerochen …

Bleibt das Problem mit den Gören und Tölen, dem Rumgepröle und Vollgenöle. Morgen ist ja auch noch ein Tag, der rumgebracht sein will, oder auf die Rechnung gesetzt, wenn der Wirt überhaupt noch mitspielt. Parasiten heutzutage machen pausenlos auf Strukturanpassungsmaßnahme ohne Gnade. Wat ausn Radio kommt, ist kondensierte Feigheit vor dem Staat, das zusammengemanschte Dilemma der Rebellion. In Gondwana sollen die Sachsen schmoren. Das ist fast mein Ernst.

„Gleichering und
Din und Fremdheit
für den Sachsen-Altlatzolm“

IV. Umwertung und Ausblick
Na ja, Rock ist eine Konvulsion, an Rock muss man glauben, oder einen Iren fragen, der wird erwartungsgemäß sagen: „The Rock is my lord“, bibelbeschlagen von Haus aus – die Sau raus, je mehr man über Rockschweine weiß, desto beschissener – „kannste glauben“; und dir die syntaktische Auflösung stauben. Das war bei den Likedeelern auch nicht anders, und bei der Französischen Revolution inklusive Konterrevolution auch nicht, und bei der Russischen, und bei der Chinesischen, und bei der Chilenischen, und bei der Landnahme vor 10 Jahren auch nicht – und bei Kyuss, Queens of the Stone Age, Desert Sessions, Earthlings?, Green Monarchs, Eagles of Deathmetal, Fu Manchu, Nebula und Unida auch nicht.

Warum Stoner? Wegen Grand Funk. Warum Boner? Wegen den Hard-Ons. Wat’n Dreckrock. Warum rumsauen, und denn auch noch abferkeln? Wegen Leben. Warum leben? Wegen den Melvins ihre Sparbüchse etwa? Nun nicht mehr. Später vielleicht. Eben, die Antwort ist gegeben. Darum ja der ganze Stunk um irgendson Runxen. Wo ich bin, bin ich auch gegen. Schließt Gitarrenbrüderschaft! Rührt euch! Das Böse ist gut. Liegt gut in der Hand. Demokratie ist gerecht. The Worst is the Best. Das geloben wir. Jetzt erst recht! Bildet Geheimbands! Ree! Wendet, wenn überhaupt, Überraschungsgriffe an! Dummheit muss wohltemperiert sein, wenn sie durchgreifen und nachhaltig ziehen soll. Scheißt zusammen, schmeißt zusammen, wachst zusammen ohne Ih und Äh. Die Lithosphäre muss zusammenhalten. Bloß nich’ noch weiter abdriften, begriffen? Zuschustern oder abmustern! Felsenfest wirft Schollentreu griffige Wülste. Willkür, Allüre und Würfel sind gültige Motive.

Makel ist kein Mangel,
aber das Mäklige mangelhaft –
mangelt die Makler
gut durch. Gedankenstrich.
Bleisatz und Lötzinn
dem Patrizier und Mandarin.

Noch ist Pangäa nicht verloren. Venceremos!

Schl.-Schn.
An den Schluss des Anfangsschnörkels anknüpfend, kann ich nur vermelden, dass die Schlacht tobt, der Schauplatz sich ausweitet und eine militärische Entscheidung nicht abzusehen ist. Da ich, zumal als Betroffener und Kombattant, nicht der geborene Kriegsberichterstatter bin, und ohnehin die Reihen verlassen habe, geht mir der Quatsch erstens über die Hutschnur und zweitens am Arsch vorbei. Das Leben ist keine Seifenoper und hat keine Handlung. Trost bietet lediglich Trost, Trotz allerdings auch.

Dank gilt Samuel Beckett, Dank ebenfalls Hoffmann von Fallersleben in der Übertragung von Günter Puchner. Hingewiesen sei auf den Leitfaden „Was tun? 54 Technologien kulturellen Widerstandes“ von Alexander Brener und Barbara Schurz, edition selene, Wien, 1999.

Produkte der in den Arabesken erwähnten Rockisten kann man sich über die kommerzielle Schiene besorgen, und dabei noch sparen – solange die Devisen reichen. Nach dem Landrutsch allerdings ist kein Platz mehr für Inflation und Überproduktion, Rezession und Rezension, dann werden die Ionen überhaupt knapp und es gelten wieder realistische Preise, so ab 100 Währungseinheiten, oder wie die Dinger heißen, empor.

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