Eine proletarische linke

Es ist schon deprimierend, dass der Ostler mit seinem Anspruch nach sozialer Sicherheit wieder auf westdeutsche Versprechungen hereinfällt, wie bei den blühenden Landschaften, die nach 1989 versprochen wurden. Eine Generation lässt sich zum zweiten Mal verarschen, und zwar mit dem selben Trick. Ein kurzer Blick in die wirtschaftspolitischen Grundsätze der AfD und auf die geographische, wie soziale Herkunft ihres Führungspersonals, sollte eigentlich ausreichen, damit Realismus an die Stelle einer trunkenen Deutschtümelei tritt.

Von Micha B.

Der gegenwärtige gesellschaftliche Einfluss der Linken in Deutschland ist, wie im gesamten Westen, marginal. Obwohl die objektiven Zustände, siehe die weltweite Finanzkrise und das sich weitere Öffnen der Schere zwischen Arm und Reich etc., die besten Voraussetzungen dafür bieten würden. In Deutschland und dort vor allem im angeschlossenen Osten gibt es auf der Straße und bei Wahlen einen relevanten Teil der Bevölkerung, der mit der etablierten Politik nicht zufrieden ist. Die Tragik liegt darin, dass die Linke es nicht schafft, in solch einer Situation ein Angebot zu formulieren, das den Menschen die Zusammenhänge für ihren Unmut erklärt und ihnen Möglichkeiten zur Veränderungen anbietet, das zusammen mit realpolitischem Agieren eine Zukunft jenseits des Kapitalismus beschreibt, dass was man früher Sozialismus genannt hat, und heute auch wieder so nennen sollte. Sie überlässt das Feld der extremen politischen Rechten, die aus ihrer eigenen Geschichte gelernt hat, und mit teils antikapitalistischer Rhetorik rassistische Lösungen für die sozialen Alltagsprobleme der Menschen anbietet. Das dahinter nur eine autoritäre Spielart des Kapitalismus in der Krise steckt, sollte einer Linken, die vieles nicht macht, aber eines umso mehr, nämlich Analysen gesellschaftlicher Verhältnisse, eigentlich bekannt sein. Sie ist die eine Kapitalfraktion, die mit der anderen, die weiter auf internationale Deregulierung und Neoliberalismus setzt, um die Vorherrschaft kämpft.

Der Osten – Der Realsozialismus

Das der Zuspruch zum Rechtsaußen-Flügel besonders im Osten zu beobachten ist, liegt nicht etwa daran, dass der gemeine Ostler noch nie einen Ausländer gesehen hätte und der Realsozialismus wegen seines Rassismus und Nationalismus deshalb keiner war, nur zwei von vielen Anmaßungen
einer westdeutschen Linken, sondern daran, dass seit der Wiedervereinigung die Lage der Menschen dort, wo es eigentlich keine eigene Oberschicht gibt, so prekär war und bis heute geblieben ist, dass auf eine potentielle Verschlechterung materieller Einkommensmöglichkeiten, mit Unruhe reagiert wird. Denn im Gegensatz zum Westen des Landes gibt es hier keine wohlsituierte Mittelschicht, die noch ein paar zehntausend Euro übrig hat, die den Kindern für den Start ins Leben mitgegeben werden können, bei eigener auskömmlicher Rente. Das Ost-Kind muss die eigene Region verlassen, denn dort gibt es für eine berufliche Zukunft keine Industrie oder einen Mittelstand, die mit ihren Steuern, heute immer mehr Sponsorengeld, das Gemeinwesen unterhalten. Zurück bleiben die Rentner, die Wende-Verlierer und die Wenigen, die sich nach der Deindustrialisierung unter Schwierigkeiten eine Existenz aufgebaut haben. Dazu wenige bis gar keine Aussagen aus der West-Ecke, die ansonsten mit ganz viel gefährlichem Halbwissen die Öffentlichkeit beglückt.
Es ist schon deprimierend, dass der Reflex der Ostler nach sozialer Sicherheit wieder auf westdeutsche Versprechungen hereinfällt, wie bei den blühenden Landschaften, die nach 1989 versprochen wurden. Eine Generation lässt sich zum zweiten Mal verarschen, und zwar mit dem selben Trick. Wie war das mit der Naivität, wenn man immer dasselbe tut und auf ein anderes Ergebnis hofft, oder der Geschichte und der Farce, wenn sie sich wiederholt. Das ist aber keine Entschuldigung dafür, dass man sich wie ein Rassist benimmt. Ein kurzer Blick in die wirtschaftspolitischen Grundsätze der AfD und auf die geographische, wie soziale Herkunft ihres Führungspersonals, sollte eigentlich ausreichen, damit Realismus an die Stelle einer trunkenen Deutschtümelei tritt.
Hilfreich wäre ein Blick zurück, so 30 Jahre, wenn es um soziale Sicherheit für jeden und damit Gleichheit geht. Vielleicht würde man wahrnehmen, dass, neben allen wirklichen und vermeintlichen Unzulänglichkeiten, der Realsozialismus eines geschafft hatte, alle Gesellschaftsmitglieder gegen Lebensrisiken abzusichern, und sie im Allgemeinen zu minimieren. Jeder konnte etwas zum Gedeihen des Gemeinwesens beitragen, wurde dafür wertgeschätzt und entsprechend, relativ gleich, aus dem gesellschaftlichen Gesamtprodukt entlohnt, eben Bedürfnisse befriedigt. Gleichzeitig gab es eine Politik, die bei Arbeitskräftebedarf versuchte, mit anderen weniger industriell entwickelten Ländern zum gegenseitigen Vorteil zu kooperieren. Ausbildung zu Fachkräften und Einsatz über einen bestimmten Zeitraum in der DDR-Industrie, bei späterer Rückkehr beim Aufbau in den Heimatländern. Also nicht Ausbeutung durch unqualifizierte Beschäftigung, bei gleichzeitiger folkloristischer Staffage für eine moralisierende Mittelschicht, die sich zur Beruhigung des eigenen Gewissens, rein skandalisierend, wenn überhaupt, für die soziale Lage der Arbeitsmigranten und, in weit geringerem Maße, für die der einheimischen Armen interessiert.

Die West-Prägung der Linken

Dieser Zustand spiegelt sich natürlich in der institutionalisierten und Szene-Linken im Westen und heute damit in Gesamtdeutschland wieder. In Gegenstand, Politikverständnis, Theorie, Analyse und Personal ist sie von der Mittelschicht dominiert, früher hätte man Kleinbürgertum gesagt, dass die für sie relevanten Probleme verhandelt. Die Ursprünge einer Arbeiterbewegung, deren Ansatz die katastrophale soziale Lage ihrer Klientel und damit Armut und Reichtum, Kapital und Arbeit, waren, spielen wenn überhaupt nur eine untergeordnete Rolle. Obwohl nach dem Ende des Systemkonflikts, genau diese Fragen wieder mit Vehemenz Einzug in den Alltag der Unterschicht, des Proletariats, und immer größer werdender Teile der Mittelschicht, Stichwort Prekariat, halten. Doch wenn man niemals selbst solch ein Leben gelebt, oder anderweitig Empathie für die Probleme dieser Menschen entwickelt hat, redet man lieber über Rassismus und Sexismus, ohne darüber nachzudenken, warum eigentlich 8 Stunden Arbeit im Supermarkt an der Kasse um soviel exorbitant weniger entlohnt wird, als die eines Bankmanagers, deren gesellschaftlicher Nutzen, in seiner heutigen Form, nicht nachweisbar ist. Nicht das Rassismus und Sexismus keine Probleme wären, die gesellschaftliche Relevanz haben und die es zu bekämpfen gilt, doch ihre Rolle im kapitalistischen Gefüge wird nur entsprechend der eigenen gesellschaftlichen Stellung wahrgenommen.
An Marx kommt man bei der Analyse intellektuell zwar nicht vorbei. Doch aus seiner aus einem bestimmten Zweck heraus betriebenen politischen Ökonomie, nimmt man sich das, was einem in sein subjektiv geprägtes Bild vom Kapitalismus passt. Das der Charakter einer Wirtschaft die Basis bildet, die gesellschaftliche Prozesse im Überbau, und damit auch Geschlechterfragen und das Verhältnis von Ethnien untereinander, prägen, was sich wiederum auf die Basis der Gesellschaft auswirkt, stört beim Blick auf die alltäglichen Erscheinungen doch eher. Rassismus und Sexismus werden mit dem Gegensatz von Arm und Reich, Kapital und Arbeit, einfach auf eine Stufe gestellt. Dieses unterkomplexe Bild, das nie zum Wesen vordringen kann und will, ist damit Ausdruck des eigenen guten materiellen Leben im Falschen.
Das der Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur die existentielle Voraussetzung von Leben überhaupt ist, sollte jedem als biologische Binsenweisheit bekannt sein. Genauso, dass dies in einer modernen Gesellschaft über die Produktion von Gütern und Dienstleistungen gewährleistet wird. Die Erkenntnis, dass das Wie, also die Produktionsweise, Gesellschaft in Gänze prägt, ist mit dem Klagen über das Eindringen des Neoliberalismus in immer mehr Bereiche menschlicher Existenz, schon in der Mainstream-Linken angekommen. Das daraus keine Konsequenzen gezogen werden, hat seine Gründe.

Entsprechendes Agieren

Die West-Linke hat scheinbar kein Interesse an einer Diskussion über gleiche ökonomische Verhältnisse für jedes Gesellschaftsmitglied und versteckt sich in Bezug auf einen eigenen Vorschlag seit fast 30 Jahren hinter dem untergegangenen Realsozialismus. Der Grund ist zum einen ein vermeintlich übermächtiges Kapital und eine soziale Situation, die einen noch hoffen lassen kann, die eigene moralisierende Nische im Falschen zu finden. Man präferiert eine Mosaiklinke, an der jeder, der sich selbst zu dieser politischen Richtung zähle, teilhaben kann, weil man ist ja in der Defensive, und in solch einer Lage ist es besser die Reihen zu schließen, die letzten Reste zusammenzukehren, um überhaupt noch wahrnehmbar zu sein. Das in solch einer Situation die eigene Kritikunfähigkeit den Zustand nur noch verschlimmert, könnte man als historische Lehre aus dem Untergang des Ostblocks ziehen. Doch den Erfahrungsschatz aus den 70 Jahren einer Gesellschaft jenseits des Kapitalismus nutzt man ja sowieso nicht, weil sie vielleicht ja gar nicht das Ziel ist. Viel lieber kopiert man die Sozialdemokratie in einer Zeit, in der der momentane Kapitalismus sie gar nicht mehr braucht, oder kritisiert die Zustände, ohne eine eigene Idee für das Neue. Da macht dann auch ein Bilderverbot Sinn, einer konkreten, wissenschaftlich fundierten Vorstellung einer sozialistischen Gesellschaft, das in manchen Zirkeln der akademischen Linken vertreten wird, unter dem Vorwand, man würde zukünftige Handlungsmöglichkeiten einschränken. Wie will man Menschen von etwas überzeugen, wenn man ihnen nicht sagt, was es sein könnte?
Das der beklagenswerte Zustand der Linken mit ihrem Charakter als Mittelschichtsveranstaltung zu tun hat, will man, wenn man in solch einem Milieu politisch sozialisiert wurde, natürlich nicht gelten lassen. Doch die Praxis, der reale Zustand, ist der Maßstab dafür, ob man Dinge richtig oder falsch macht, entsprechend den Interessen, die man verfolgt.
Will man eine Gesellschaft, in der jedes Mitglied die gleichen Rechte, Pflichten und materiellen, und damit sozialen, Voraussetzungen hat, dann muss man ökonomische Verhältnisse verändern wollen, und das als Lösung der Probleme der Gegenwart vermitteln. Vor allem den Mehrheiten, die davon betroffen sind. Die können dann entscheiden, ob sie das so wollen oder nicht.
Keine Angst vor ihrer Entscheidung, man ist lieber ein empathischer Mensch, der mit anderen auf gleicher Augenhöhe agiert, als ein Rassist, der nach unten tritt und die eigentlich Verantwortlichen weitermachen lässt, soviel zum eigenen Menschenbild. So können gesellschaftliche Mehrheiten entstehen. Sie entstehen nicht, wenn man sich als moralisches Gewissen aufspielt, das durch Überbetonung der eigenen Sichtweise, absurde Lösungen gesellschaftlicher Fragen produziert, die als arrogant und belehrend empfunden werden und am eigentlichen Kern des Problems vorbeigehen.

Die Wurzeln als Aufbruch – eine proletarische Linke

Eine proletarische Linke stellt die Frage von Armut und Reichtum, Kapital und Arbeit wieder in den Mittelpunkt von Politik, das was das Proletariat schon immer betroffen hat, und das Kleinbürgertum in kapitalistischen Krisenzeiten. Weil sie nicht die Besitzer von Produktionsmittel sind, oder nur in solch geringem Maße, als das sie im einem Kapitalismus ohne Korrektiv, in der gegenwärtigen Form als Globalisierung, unter die Räder geraten. Steht schon bei Marx, ist deshalb nicht orthodox aber auch nichts Neues. Arithmetisch gesehen ist das eine Mehrheit, auch bei Wahlen, die aber praktisch umgesetzt werden muss. Es war schon immer Aufgabe einer politischen Linken, den Angesprochenen ihre kollektiven Interessen ins Bewusstsein zu holen. Dass die Gegenseite das natürlich verhindern will, ist zwar zu beklagen aber schlicht und ergreifend ihr Job. Die sportliche Herausforderung besteht nun darin, besser zu sein als sie. Und da sind wir wieder bei Rassismus und Sexismus und ihrer Rolle im Kapitalismus. Sie sind die prominentesten Herrschaftsmechanismen, die es in jeder bisherigen Ausbeutungsgesellschaft gab, die auch heute den Zweck haben, die Produzenten der riesigen Waren- und Dienstleistungsberge in unterschiedlich definierte Gruppen zu teilen, um die ungerechtfertigte Aneignung durch die Produktionsmittelbesitzer, weiter reibungslos gewährleisten zu können. Nur in einer Gesellschaft in der das nicht mehr der Fall ist, sind die Voraussetzungen gegeben, das Herrschaftsmechanismen beseitigt werden können, weil sie keine Funktion mehr haben, keinen Sinn mehr machen. Im Kapitalismus sind sie zweckmäßig für die, die sich in Konkurrenzverhältnissen befinden, also für alle, um daraus Vorteile für sich selbst oder für die eigene Gruppe zu ziehen. Darum ist die Hoffnung, heute mit moralischen Teilbereichskämpfen substantielle Fortschritte zu erzielen, zwar sympathisch, gesellschaftswissenschaftlich gesehen aber leider naiv. Aber natürlich kämpft eine proletarische Linke auch weiterhin gegen Rassismus und Sexismus und verweist nicht auf die große, lichte Zukunft, ist doch ihr Klientel am meisten davon betroffen.
Die Nachwende-Linken sollten sich von der Vorstellung trennen, erst eine undogmatische, emanzipative, moderne Generation hätte Rassismus und Sexismus in die Wahrnehmung des traditionellen Marxismus geholt. Beim Blick in die Literatur der Arbeiterbewegung und das Stichwortverzeichnis der Marx-Engels-Werke wird man wahrscheinlich eine Überraschung erleben. Genauso oberflächlich ist aber auch die Annahme, dass diese Phänomene im Sozialismus schlagartig verschwinden würden. Sie können im Überbau einer Gesellschaft ein Eigenleben entwickeln, das in bestimmten Situationen wieder Reflexe aktiviert, denen, obwohl sie keine Relevanz mehr im Zusammenleben haben, auch präventiv begegnet werden muss. Eine Erkenntnis aus dem Realsozialismus, der notwendigerweise Übergangsgesellschaft, und deshalb nicht perfekt, in Bezug auf Rassismus schon gar nicht Resultat eines vermeintlich verordneten Antifaschismus.
Träger einer solch proletarischen Linken, ist wie der Name schon sagt, das Proletariat, die die keine Produktionsmittel besitzen, zusammen mit einer verarmten Mittelschicht. Im Westen wird sie sich in digitalen Gesellschaften immer mehr von der Industriearbeiterschaft der Arbeiterbewegung
unterscheiden, hin zu einer nur zeitweisen Beschäftigung vor allem in Dienstleistungsbereich, denn die menschliche Arbeitskraft wird immer weniger im Produktionsprozess benötigt. Eine hochspezialisierte Arbeiter-Aristokratie, die dort verbleiben wird, ist dann wohl eher der Mittelschicht zuzurechnen, die sich, wie schon immer in der Geschichte, für oben oder unten entscheiden muss.
Die Aktivisten werden weiterhin aus der verarmten Mittelschicht kommen, weil nur sie über die Bildungsressourcen verfügt, um ein reales Bild des Kapitalismus zeichnen und Auswege anbieten zu können. Daraus spricht keine Arroganz gegenüber der Arbeiterklasse, sondern der Realismus der Analyse. Die Mittelschicht muss ihrer Verantwortung, die sich aus ihrer privilegierten Stellung ableitet, nachkommen, für das Proletariat, für sich selbst und, wenn man den Planeten retten will, für die menschliche Zivilisation. Die natürlichen Ressourcen sind nur zu erhalten, wenn nicht das kapitalistische Gewinnstreben in einem ressourcenverschwendenden Prozess die Produktion materieller Güter und die Bereitstellung von Dienstleistungen bestimmt, sondern die Befriedigung gleicher Bedürfnisse für alle, über die in demokratischer Form entschieden wird. Diese herausgehobene Stellung der Mittelschicht, die sie heute schon besetzt, führt nur dann nicht zur Beschäftigung mit der eigenen Sichtweise, wenn man Rahmenbedingungen schafft, die das Proletariat in die Lage versetzt, als aktiver Teil am politischen Prozess teilzunehmen, sprich Basisorganisierung.

Bleibt nur noch die Utopie: Ein digitaler Sozialismus, der die neuen technischen Möglichkeiten für seine Zwecke nutzt, als Antwort auf die kapitalistische Spielart. Die Produktivkräfte entwickeln sich, nun müssen sich, nach Marx, die Produktionsverhältnisse anders gestalten. Aber auch darauf gibt es bereits Antworten, sie müssen nur unter die Leute gebracht werden.

Micha B. ist Aktivist und lebt in Berlin.