Mein Abschied von alten Freunden aus der DDR-Opposition
Von Thomas Klein
1. Vorspruch
30 Jahre nach der Herbstrevolution des Jahres 1989 lohnt der Versuch einer Bilanz der damaligen Ereignisse – mit Blick auf die Entwicklung der 90er Jahre in Deutschland und danach.
Wie kann eine solche Bilanz zustande kommen? Und welche Art Bilanz? Eine historisierende Bilanz wird die politische Prädisposition des Bilanzierenden nie verleugnen können. Die Offenlegung dieser Prädisposition ist daher ein Gebot der Redlichkeit. Der hier unternommene Versuch eines bilanzierenden Rückblicks soll aus der Perspektive eines zeitgenössischen Linken erfolgen, dessen Sozialisation in der DDR im Geist einer oppositionellen antistalinistischen Linken stattfand.
„Die“ oppositionelle antistalinistische Linke in der DDR? Jene Linke war ebenso facettenreich und widersprüchlich wie ihre politische Praxis. „Eine“ Perspektive dieser Linken dürfte ebenso wenig ableitbar sein, wie eine konsistente linke historisierende Bilanz der Umbruchjahre.
Was also tun? Es liegt auf der Hand, dass Linke ihre vielfältigen Sichtweisen auf die Herbstrevolution und ihre erfahrungsgesättigten Bilanzbilder vom Ausgang der nominalsozialistischen Systemkrise miteinander in den Austausch und in die Konfrontation bringen sollten. So kann es vielleicht gelingen, Abstand von Legenden und verklärenden Selbstbildern zu gewinnen und eine der Hauptanforderungen linken Erfahrungslernens, nämlich sich von niemandem in kompromissloser Selbstkritik eigenen Handelns übertreffen zu lassen, erfüllen helfen.
Der Autor unternimmt hier (für ihn erstmals) den Versuch, einen sehr persönlichen Blick auf die Ereignisse des Herbstes 1989 und seine Folgen zu riskieren. Dies geht nochmals einen weiteren Schritt hinter den Anspruch gerade empfohlener „linker Bilanzarbeit“ zurück: Ein solcher individueller Rückblick wird nie mehr sein können als eine Facette kollektiver Erinnerungsarbeit. Andererseits erlaubt diese Reflexion dem Leser einen konkreteren und lebendigeren Einblick in die Verarbeitung der Erlebnisse durch einen teilnehmenden Zeitzeugen bis hin zum Versuch einer verallgemeinernden Verdichtung dessen in einem persönlichen Bilanzbild.
Ist ein solcher persönlicher Rückblick nicht eitel und anmaßend? Wie kann er frei bleiben von Selbstgerechtigkeit und der Überhöhung der eigenen Perspektive?
Angesichts der Fülle inzwischen vorliegender biographischer Selbstzeugnisse, die häufig eher der Rechtfertigung eigenen Tuns oder dem Transport einer politischen Botschaft dienen, als dass sie sich beschränken und kenntlich bleiben als individueller Blick zurück auf Zeitgeschichte, war bisher mein Widerwille gegenüber solchen Experimenten erheblich. Diesen Rückblick hier trotzdem zu versuchen bedeutet, sich bewusst der Gefahr des Scheiterns auszusetzen. Denn es wird auch mir kaum möglich sein, den hier beschriebenen Risiken erfolgreich auszuweichen. Und: Im Scheitern haben wir Linke ja wirklich Übung.
2. Die „Initiative für eine Vereinigte Linke“ und die Herbstrevolution 1989
Damals in der DDR: Wir wollten den Sturz dieser Politbürokratie – niemand von uns dachte, dies selbst noch zu erleben. Wir gehörten zum linken Flügel dieser kleinen, isolierten und von den Sicherheitsorganen ziemlich entschlossen verfolgten antistalinistischen Opposition, die in den 60er und 70er Jahren vorzugsweise in kleinen konspirativen Gruppen arbeitete, um die kargen und riskanten Gelegenheiten, sich öffentlich zu äußern, auch zu nutzen. Dann, in den 80er Jahren, trafen Akteure der inzwischen weitgehend zerschlagenen linken Gruppen, die nicht in den Westen vertrieben werden konnten, auf ein Geflecht pazifistischer systemkritischer Aktivisten im Umkreis der Halböffentlichkeit evangelischer Gemeindearbeitskreise und verbündeten sich mit ihnen. Es war die Zeit einer sich politisierenden Friedensbewegung in der DDR mit ihren sich erweiternden Arbeitsfeldern ökologischer, menschenrechtlicher und systemalternativer Gruppen gegen die lähmende „Normalität“ politbürokratischer Despotie im Osten, die zerstörerische Dynamik kapitalistischer Lebenswelten im Westen und das Elend in der „Zweidrittelwelt“. Dann im Herbst 1989 bahnten die Massendemonstrationen den Weg: Wir wollten die Revolution, waren in den drei Monaten von Oktober bis Dezember 1989, jener Zeit, in der die DDR das freieste Land der Welt geworden war, dem Traum von einem Land jenseits von Stalinismus und Kapitalismus verhaftet – und sahen uns dann, 1990, ausgangs dieser erfolgreichen demokratischen Herbstrevolution als Verlierer im Getümmel einer kapitalistischen Restauration des Anschlussgebiets politisch untergehen. Aus einem Aufbruch zur Befreiung war die regressive Befriedung in den Grenzen neudeutscher bürgerlicher „Normalzustände“ geworden.
Waren wir größenwahnsinnig, realitätsblind oder einfach nur anmaßende Träumer?
Die Initiatoren der „Initiative für eine Vereinigte Linke“ (IVL) waren im Vorherbst eher realistisch als größenwahnsinnig: Anfang September 1989, noch vor den großen Herbstdemonstrationen, war in ihrem „Böhlener Appell“ davon die Rede, dass die in der DDR Herrschenden mit ihrem nominalsozialistischen Etikettenschwindel die Perspektive eines Sozialismus der Freiheit und Demokratie in der Bevölkerung massiv diskreditiert hatten und so aus der Krise heraus sich die Gefahren eines Ausverkaufs an den Kapitalismus ganz real abzeichneten.
Für die IVL als damals einzige explizit sozialistische Programmgruppe unter den neuen oppositionellen politischen Vereinigungen bedeutete das quasi: „Wir haben keine Chance, also nutzen wir sie.“
2.1. Kritik des Agierens der „Vereinigten Linken“ während der Herbstrevolution
Dass die IVL sich im Oktober anders als die anderen Oppositionsgruppen für einen Runden Tisch der Opposition aussprach, von dem aus sie die SED und die sich langsam von ihr emanzipierenden Satelliten-Blockparteien herausfordern konnten, anstatt sich mit ihnen an einem großen Runden Tisch zu verständigen, ist rückblickend kaum zu kritisieren.
Dass die hier unterlegene IVL später trotzdem auch am zentralen runden Tisch Platz nahm, anstatt ihn zu boykottieren, war angesichts ihrer Schwäche richtig. Denn der Runde Tisch erwies sich dann häufig als erfolgreiche Kontroll- und Mobilisierungsinstanz angesichts fragwürdigen Regierungshandelns insbesondere beim Umgang mit den Sicherheitsorganen und als Instrument, für alle Krisenbereiche Öffentlichkeit zu erzwingen.
Ebenso war die Reaktion der IVL vom 12. Oktober auf das Dialogangebot des Politbüros vom 11. Oktober 1989 situationsgerecht: Die IVL forderte den sofortigen Rücktritt des SED-Politbüros und der Regierung. Die IVL-Forderung der Ausschaltung des bestehenden Machtzentrums und die Orientierung auf die Bildung einer Übergangs-Reformregierung sowie auf einen landesweiten politischen Kongress von Betriebsdelegierten war eine deutliche Absage an die „Dialogpolitik von oben“ und ein Aufruf zur Gestaltung einer Gegenmacht von unten. Dass daraufhin das Neue Forum Leipzig am 13. Oktober die IVL-Erklärung öffentlich als „geradezu staatsfeindliche“ Provokation denunzierte, ist nicht nur ein bizarres Momentum inneroppositioneller Konkurrenz in einem Polizeistaat, sondern vor allem Ausdruck unterschiedlicher Lageeinschätzung: Während die IVL schon die Machtfrage formulierte, weil sie die herrschende SED bereits am Ende ihres Durchsetzungsvermögens sah, wollten die anderen oppositionellen Vereinigungen wie im Vorherbst weiter um ihre Anerkennung als Dialogpartner der (noch) Herrschenden ringen. Dies fand letztlich am zentralen runden Tisch auch seinen Ausdruck, während die SED schon längst ihren Sinkflug angetreten hatte. Ohne Not blieb die Oppositionsmehrheit hinter den Entwicklungen zurück, während die IVL allein viel zu schwach war, die anhängige Machtfrage zu stellen.
Große Teile der Bevölkerung artikulierten inzwischen in aller Klarheit und mit großem Selbstbewusstsein auf der Berliner Großkundgebung am 4. November ihren Protest gegen das politbürokratische SED-Regime. Erstmals (und letztmalig) manifestierte der Schulterschluss von Oppositionellen, SED-Reformern, Basisdemokraten und Bevölkerung für einen von Grund auf erneuerten und demokratischen Sozialismus eine Perspektive, die vor kurzem noch völlig ausgeschlossen schien. Vielen Zeitzeugen ist diese Massendemonstration der Hunderttausende noch heute als das zentrale Ereignis der Herbstrevolution in Erinnerung. Dagegen ist dieser „Traum von einem dritten Weg“ heute als öffentlicher Erinnerungsort der Zeitgeschichte gänzlich verschwunden. Heute ist die öffentliche Erinnerung an die Herbstrevolution konnotiert mit dem Pathos von Maueröffnung und Wiedervereinigung. Nicht der 4. November 1989, sondern der 9. November und der 3. Oktober 1990 sind als ihre Merkmale verordnet. Von den Ursachen dieser „Entmachtung einer Utopie“ soll im Weiteren die Rede sein.
Die Angst der Bürokratie vor dem Volkszorn war stets größer, als vor dem westlichen Systemkonkurrenten: Am 8. November hatte die Bundesregierung die Erfüllung von Kreditwünschen der verzweifelten SED-Bürokraten von bundesdeutschen Maßstäben gehorchenden politischen und wirtschaftlichen Veränderungen in der DDR abhängig gemacht. Am 9. November kapitulierten Politbüro und Regierung und öffneten die Mauer. Innenpolitisch ergab sich im Dezember für die SED die Chance, am Zentralen Runden Tisch unter dem neuen Signum SED-PDS als vermeintlich erneuerte und geläuterte Partei Punkte zu machen. Für die SED-geführte Regierung bestand der Nutzen des Runden Tisches darin, die Legitimationsdefizite von Volkskammer und Regierung durch eine veritablere Dialogeinrichtung zu kaschieren. Die seit November amtierende Modrow-Koalitionsregierung aus SED und Blockparteien versuchte anfangs alle Chancen zu nutzen, die oppositionellen Vertreter über diesen Runden Tisch zu ziehen oder sie einfach zu ignorieren. Modrow lernte dann im Januar 1990 angesichts der ultimativen Drohungen der Opposition in den Auseinandersetzungen über die „Geheimdienst-Frage“, die am Runden Tisch geleimten Bürgerbewegungen genau dann wieder ernster zu nehmen, wenn sie auf Unterstützung durch Demonstrationen rechnen konnten. Sein Gegenultimatum vom 28. Januar 1990 an die Adresse der kooperationsunwilligen Opposition am Runden Tisch, umgehend in die Regierung einzutreten, um den Leim noch dicker anzurühren, fußte auf der alarmistischen Lagebeschreibung eines drohenden Kollapses der DDR. Alle Bürgerbewegungen fielen um – zuletzt auch die Vereinigte Linke – und erklärten ihre Zustimmung zu einer dubiosen „Regierung der nationalen Verantwortung“. Die oppositionellen Gruppierungen und Parteien waren faktisch in Regierungsfunktionen eingetreten; sie „hingen mit drin“, konnten aber weniger als zuvor bewegen. Sie waren nun perfekt eingewickelt.
Der Regierungseintritt war der erste schwere Fehler der IVL, für den der Autor dieses Textes eine Hauptverantwortung trägt. Der sofortige Rückzug der IVL aus dieser Regierung wegen Modrows wortbrüchigem Alleingang „Deutschland einig Vaterland“ machte die Sache auch nicht besser. Während das konservative Wahlbündnis Allianz für Deutschland von CDU, Demokratischem Aufbruch und Deutscher Sozialer Union unter Schirmherrschaft von Kohls West-CDU im Entstehen begriffen war und auch die anderen Blockparteien um geeignete Westpartner dealten, hatte sich das „Bündnis der Bürgerbewegungen“, Bündnis 90, nach links abgegrenzt und sich auf das Neue Forum, die Initiative für Frieden und Menschenrechte und Demokratie Jetzt reduziert.
So unstrittig das Ziel eines demokratischen und freiheitlichen Sozialismus in allen sich im Herbst ´89 zu neuen politischen Vereinigungen formierenden oppositionellen Gruppierungen auch (noch) war – ausweislich ihrer Gründungspapiere fand sich nur bei der IVL ein Zielkatalog ziemlich konkreter Vorschläge für eine Umwälzung hin zu einem Gemeinwesen sozialistischer Assoziation auf dem Wege basisdemokratischer Selbsttätigkeit. Solche Vorschläge für die Verwandlung von Staatseigentum in Volkseigentum, für die Wiederaneignung politischer Gestaltungsfreiheit des Volkes und für die Sicherung sozialer Gerechtigkeit schlossen eine Wiederherstellung kapitalistischer Gesellschaftlichkeit gänzlich aus. Damit war die Handlungsperspektive der IVL klar bestimmt durch das Ziel einer zu revolutionierenden DDR mittels Sturz der herrschenden Politbürokratie und als wirkliche Alternative auch zum real existierenden Kapitalismus. So war es logisch, dass die IVL nicht allein für die sozialistische Umgestaltung des Landes, sondern auch für die Souveränität einer revolutionierten DDR insbesondere in ihren Beziehungen zur BRD votierte. Und dabei blieb die IVL, auch als das Blatt sich wendete. Unser Verein war blind für die mit der Maueröffnung eskalierende Dynamik, dass jene im Herbst ´89 in gesamter gesellschaftlicher Breite begonnene Diskussion über selbstgestaltete Alternativen zu den Verhältnissen nominalsozialistischer Despotie rasch eine Metamorphose durchlief: Nämlich hin zur trügerischen Hoffnung eines raschen Auswegs aus der Misere durch die „Lösung der nationalen Frage“. Statt Souveränität und revolutionärer Umgestaltung – die „Wiedervereinigung“ und die D-Mark. Aus „Wir sind das Volk“ wurde „Wir sind ein Volk“. Die IVL war während ihres Entstehungsprozesses unfähig, diese Entwicklung zu antizipieren und nicht imstande, die von ihr propagierte Alternative dazu glaubwürdig zu kommunizieren. Die IVL warb in Reaktion auf die sich abzeichnende Entwicklung für einen „Volkskongress“, deren Gebietsausschüsse ihre Angelegenheiten selbst in die Hände nehmen sollten. Dies geschah in der Hoffnung, so von unten mit einer sich entwickelnden „Inbesitznahme“ mit Merkmalen einer sozialistischen Assoziation gegensteuern zu können. Zutreffend beschrieb der Berliner VL´ler Sebastian Gerhard die Problemlage:
„Tatsächlich hatten sich nicht nur Bürgerkomitees zur Kontrolle der
Auflösung der Staatssicherheit, sondern an verschiedenen Stellen
basisdemokratische Selbstverwaltungsorgane gebildet. Nicht alle
lokalen Runden Tische beschränkten sich auf die Kontrolle, manche
griffen auch in das Handeln der Verwaltung ein. In einigen Kasernen
wurden Soldatenräte gegründet. Und in einer ganzen Reihe von
Betrieben entstanden Betriebsräte oder machten die Belegschaften
über die Gewerkschaftsorganisationen ihren Einfluss geltend. Es gab
eine breite basisdemokratische Bewegung, in der auch rätedemokrati-
sche Ideen von radikalen Linken in Halle oder Berlin oder Rostock
aufgenommen wurden. Nur hatte diese Bewegung … keine weitrei-
chenden sozialistischen Ziele. Vielmehr ging es darum, angesichts
unübersehbarer Veränderungen wenigsten einen Fuß in die Tür zu
kriegen. Gerade in den Betrieben begann der Aufschwung der
Demokratiebewegung erst nach dem 9. November, oftmals befördert
durch Ängste, die vormals „sozialistischen Leiter“ würden nun bei
westlichen Geschäftspartnern auf Kosten der Beschäftigten ihren
Vorteil sichern.“
Dass die spezifisch deutsche Option einer Wiedervereinigung als Sofortlösung der nominalsozialistischen Systemkrise eine Massenbasis bekommen hatte, zeigte sich am 18. März 1990 bei den Volkskammerwahlen. Die enorme moralische Autorität der Bürgerbewegungen vom Herbst ´89 als „Opposition der ersten Stunde“ gegen die Politbürokratie war wie weggeblasen – obwohl sie wie die SED-PDS inzwischen mehrheitlich (bis auf die IVL) auf den „Zug der Einheit“ aufgesprungen waren bzw. nur noch gegen den Weg der Wiedervereinigung in Gestalt des „Anschlusses“ opponierten. Es nützte ihnen nichts. Ebenso wenig nützte es der IVL, dass sie punktgenau in ihren Erklärungen und Verlautbarungen voraussagten, was dieser Weg für fatale Konsequenzen zeitigen würde. Sie landete am Ende der Wählergunst-Statistik. Am besten fuhren noch jene neuen politischen Vereinigungen, welche in die Stallungen westdeutscher „Bruderparteien“ einzogen. Ihre opportunistische „Wende in der Wende“ machte sie zu Handlangern oder Zaungästen kapitalistischer Rekonstruktion. Der „Anschluss“ vollzog sich als von der politischen Klasse des Westens dirigierte markt- und profitgesteuerte Transformation der Wirtschaft und der Lebenswelt des Ostens. Die Treuhand-Politik wurde zum Sinnbild dieses Prozesses. Die politischen und ökonomischen Konsequenzen daraus resultierender eingefrorener und eskalierender Widersprüche sind heute zu besichtigen.
Die Vereinigte Linke hat mit ihren Kernpositionen „Volkssouveränität, Selbstorganisation und Schwerpunkt Betriebe“ auf die „Selbsttätigkeit der Massen“ gesetzt, die nicht durch Stellvertreterpolitik kanalisiert werden sollte. Tatsächlich hat sie sich aber vor allem als ihr eigenes Sprachrohr am Runden Tisch produziert. Obwohl sie es besser wusste, hat sie es nicht besser gemacht, als ihre (damals noch) basisdemokratisch orientierten bürgerbewegten Partner.
Was die IVL betrifft, so kann hinsichtlich ihres strategischen Konzepts und ihres Politikhandelns von einem weitgehenden Versagen gesprochen werden. Auch der Hinweis auf die enorme Zeitverdichtung der Ereignisse und die interessengeleitete Einflussnahme westdeutscher politischer und wirtschaftlicher
Akteure ist hier nicht entlastend. Alles Jammern über die „Dummheit eines Volkes von Bananenwählern“ oder verschwörungstheoretische Deutungen des Anschlusses der DDR als erfolgreiche „operative Kombination“ westdeutscher Politikstrategen lenkt von der erforderlichen Selbstkritik linken Politikhandelns ab. Die „Selbsttätigkeit der Massen“ in Gestalt ihres Wählerverhaltens sah eben anders aus, als die neuen politischen Vereinigungen es sich wünschten. Die IVL hat die in der nominalsozialistischen Krisendynamik sich entfaltende soziale Frage nicht zu erkennen geschweige denn zu beantworten gewusst. In Worten war zum Beispiel bei der Vereinigte Linken die Einsicht vorhanden, dass nur neue und konkrete Erfahrungen genau derer, die auf der Straße waren, bei der Ausübung der ihnen zukommenden Macht die entscheidende Rolle spielen würden, und nicht bloß Programme und Konzepte für betriebliche, gewerkschaftliche und politische Selbstorganisation. Anstatt an diesem Erfahrungsprozess teilzunehmen oder diese Teilnahme zu organisieren, hat aber die Vereinigte Linke tatsächlich vor allem darauf orientiert, politisch dafür zu werben – wahrscheinlich im Bewusstsein der Schwäche dieses Ansatzes in der DDR-Realität und ihrer eigenen Schwäche. Ein Beispiel: Als die Macht der Politbürokraten über die Betriebe wankte, installierte die Modrow-Regierung die Betriebsleiter als neue Herrscher und ließ Wirtschaftsministerin Luft deren vermeintliche Integrität verherrlichen. Und die Vereinigte Linke hat darauf vorrangig mit Pamphleten reagiert, anstatt die Bildung einer souveränen gewerkschaftlichen Gegenmacht oder die schnelle Schaffung von Betriebsräten mit aller Kraft zu unterstützen. Der Runde Tisch war nicht der Ort, dies zu vollbringen. Allerdings hat die Berliner „Gruppe Betriebsarbeit“ der IVL intensive Anstrengungen unternommen, im Sinne dieser Aufgabe zu wirken – trotz aller Vergeblichkeit ist dies einer der Pluspunkte dieser „VL-Bilanz“.
Das Wahlergebnis vom 18. März hatte eine aufschlussreiche Vorgeschichte. Diese Vorgeschichte spielte sich entgegen den Augenschein vornehmlich unter dem Runden Tisch ab, auf dessen Tischplatte die Zukunft der DDR zu liegen schien. Tatsächlich war der Runde Tisch ein basisdemokratisch gemäßigtes Prélude zum Volkskammerspiel der deutschen Einheit, das die parlamentarische Stellvertreterpolitik vollendete und westdeutsche Verhältnisse durch den Anschluss an die BRD herstellte. Während noch der Runde Tisch tagte, wurden außerhalb seiner Reichweite die neuen Koalitionen geschmiedet.
Nach dem Kurswechsel der SPD-West gegenüber den Ost-Sozialdemokraten wurde der SDP sehr schnell klar, dass ihre bisherige Option für ein Wahlbündnis mit den Bürgerbewegungen aufzugeben war – nämlich zugunsten einer nun selbständigen politischen Positionierung mittels Hilfestellung durch die SPD. Ich erinnere mich noch sehr gut an die unglückliche Rolle, die Martin Gutzeit gegenüber den abgeschriebenen ehemaligen Bündnispartnern spielen musste, als er in seiner Rolle als „Verbindungsmann“ diese bereits gefallene Entscheidung noch nicht offen vertreten konnte: Sobald Näheres hinsichtlich der zuvor vereinbarten Teilnahme seiner Partei am Bündnis 90 der Bürgerbewegungen besprochen werden sollte, musste er lavieren. Inzwischen setzten die mit ihrer Westheirat zur SPD konvertierte SDP, die Allianz von Demokratischem Aufbruch, „geläuterter“ CDU-Ost und DSU für Deutschland, welche sich an Kohls CDU hängte, und der Bund Freier Demokraten aus LDPD, Deutscher Forumpartei und der neu gegründeten FDP-Ost auf die „West-Connection“. In dieser für alle Zuschauer offensichtlichen Festlegung konnte nur die Koalition am erfolgreichsten sein, welche ihr Bündnis zugleich am entschlossensten auch mit einer Favorisierung der deutschen Wiedervereinigung verband. Der Zuschauer war inzwischen zum Wähler geworden. Für ihn war nun auch sichtbar, dass ansonsten nur noch ein Bündnis 90 aus oppositionellen Gruppen der ersten Stunde übrig war, das sich auf die Feier des Sieges eines bürgerlich-demokratischen Parlamentarismus beschränkte und ein exotisches Bündnis der Grünen Partei in der DDR mit dem Unabhängigen Frauenverband. Schließlich gab es eine Reihe noch exotischerer Vereinigungen, unter ihnen die Vereinigte Linke, welche mit ihren sozialistischen Zielprojektionen sich schließlich der Wiedervereinigung und dem bürgerlichen Parlamentarismus zu beugen gezwungen, sie aber nicht zu bejubeln bereit war. Obwohl zuvor am 3. Januar 1990 auch die Unterschrift der Vereinigten Linken unter einer gemeinsamen Erklärung mit den Vertretern von SDP, Demokratischem Aufbruch, Neuem Forum, Demokratie Jetzt und Initiative für Frieden und Menschenrechte für ein Bündnis 90 zur bevorstehenden Volkskammerwahl erschien, war die Positionierung der Vereinigten Linken für einen demokratischen und freiheitlichen Sozialismus in der DDR maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Ausgrenzungstendenzen ihr gegenüber massiv anwuchsen. Die Unvereinbarkeit der Positionen der Vereinigten Linken mit den gewendeten Verlautbarungen der anderen Gruppierungen, die sich von ihren Basiserklärungen des Herbstes mehr und mehr entfernten, wurde immer offensichtlicher. Am 7. Januar zog die Vereinigte Linke auf Beschluss ihres Sprecherrats diese Unterschrift als voreilig zurück. Eigentlich war klar, dass die Allianz für Deutschland den Zuschlag bekommen musste. Den Standpunkt der Vereinigten Linken teilte im Sinne der basisdemokratischen und betrieblichen Schwerpunktsetzung, jedoch von ihr unabhängig und mit anderem Akzent, nur noch die Initiative für Unabhängige Gewerkschaften (IUG). Die Nähe beider zu den oppositionellen Basisbewegungen der DDR, die nicht den Weg der Gründung politischer Vereinigungen nebst ihrer Absorbierung in ordentlichen bundesdeutschen Parteien gingen, blieb erhalten.
Die Geschichte ist über die eindeutige Minderheitenposition der basisdemokratischen und sozialistisch-antistalinistischen Konzeptionen hinweggegangen. Der Umbruch in der DDR war kein Produkt der Opposition. Die Opposition wurde vielmehr durch die Massenproteste und die Ausreisewelle kurzzeitig zum politischen Akteur, der die Unzufriedenheit der Bevölkerung zu bündeln vermochte. Bevölkerung und Opposition waren einig in ihrer Ablehnung des Regimes, ohne dass die oppositionellen Akteure ihre Ziele trotz der gemeinsamen Protestparolen der frühen Demonstrationen wirklich in der Bevölkerung aufgehoben sehen konnten. Diese Ziele der Opposition in Richtung einer emanzipatorischen Neukonstituierung des gesellschaftlichen Systems in der DDR, entwickelt in der Zeit des Booms informeller Gruppen vor dem Herbst 1989, waren im Jahre 1990 nicht mehr mehrheitsfähig. Der Wandel der Massenlosungen weg von den oppositionellen Forderungen des Herbstes hin zur Losung der raschen Wiedervereinigung entwickelte sich in hohem Tempo: Dies, weil schnell klar wurde, dass die Mehrheit der in den neuen politischen Vereinigungen organisierten Opposition weder für die Verwirklichung ihrer eigenen Forderungen, noch für den schnöden Anschluss der DDR an die BRD ernsthaft zur Verfügung stand.
Doch nicht nur die begrenzte Konfliktfähigkeit der Gesellschaft, sondern das Zusammenspiel interner und externer Einflussfaktoren erwies sich für die politische „Entmachtung“ eines eigenen Wegs jenseits von Politbürokratismus und Kapitalismus, der auch in der Bevölkerung nicht einfach bloß eine Minderheitenposition war, als konstituierend. Das Ende der DDR und ihrer Opposition ist das Resultat weltpolitischer Umbrüche, der Politik der bundesdeutschen Parteien und der Bundesregierung, des Agierens der Modrow- und de Maizière-Regierungen, der westdeutschen Medien und schließlich der machtpolitischen Selbstblockade eines Teils der Opposition. Letzteres wurde von der Bevölkerung als deren mangelnde Durchsetzungsfähigkeit bei den Wahlen im März 1990 entsprechend quittiert. Es war das Scheitern des Versuchs dieser Opposition, in der Bevölkerung für diskurs- und konsensorientierte Politikmodelle einer zivilen Gesellschaft in der DDR als Alternative zur machtorientierten parteiförmigen Durchsetzung von Interessen zu werben. Das alte politbürokratische System scheiterte in den achtziger Jahren an den selbst gesetzten (sozialökonomischen) Maßstäben. Es verlor die zuvor erfolgreich erhaltene passive Massenloyalität, welche auf materieller Kompensation statt politischer Identifikation beruhte. 1990 erwies sich die Disparität der Zielprojektionen des dissidenten subkulturellen und linksintellektuellen Minderheitsmilieus einerseits und des verinnerlichten konservativen Werteensembles der Bevölkerungsmehrheit andererseits: Man kann einschätzen, dass die vom Regime erfolgreich erzeugte Entpolitisierung und kompensatorisch-privatistische Umlenkung der Bedürfnisse auf materielle Werte eine Ursache für die nun folgende Niederlage der alternativen politischen Kultur nach dem Zusammenbruch des Nominalsozialismus war. Die erzeugten vermeintlich loyalitätsstiftenden Werte des bürokratischen Systems selbst waren die Springpunkte für die Beerdigung der DDR zugunsten der authentischen bürgerlichen Werte und des politischen Systems der alten Bundesrepublik. Mit dem Scheitern eines eigenständigen Wegs brachen die „subkutanen“ Differenzen innerhalb der Opposition unübersehbar auf und die „gewendeten“ Positionen der neuen politischen Vereinigung Demokratischer Aufbruch innerhalb der „Allianz“ mit der CDU „für Deutschland“ erhielt als erfolgreichste, weil mehrheitsfähige, konservative Fundamentalopposition gegen die SED den Zuschlag, da sie nun gegen „Sozialismus“ (der mit der SED identifiziert wurde) und für die Vereinigung mit der Bundesrepublik eintrat.
Man kommt also letztendlich zum Befund einer doppelten Isolation des oppositionellen Basisgruppenmilieus der achtziger Jahre und einer dieser Isolation entspringenden Niederlage der neuen politischen Bewegungen des Herbstes 1989 im Jahre 1990: Die weitgehend erfolgreiche SED-Herrschaftstechnik der Ghettoisierung dieser Basisgruppen funktionierte bis in die achtziger Jahre hinein und verhinderte deren Hineinwirken in die Gesellschaft. Als diese Ghettoisierung in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts endlich durchbrochen werden konnte, traf die Opposition auf die Fernwirkungen des herrschaftstechnisch ebenfalls bis in die achtziger Jahre hinein erfolgreichen entpolitisierenden „Sozialvertrags“, der seit den siebziger Jahren die Bevölkerung ruhigstellte. Die „Kündigung“ dieses Sozialvertrags durch die Bevölkerung erfolgte nicht auf der Grundlage oppositioneller politischer Forderungen des Basisgruppenmilieus. Sie erfolgte wegen der Unfähigkeit der Einlösung von anderweitigen (materiellen) Verheißungen, die von den Herrschenden (und nicht von der Opposition) erzeugt und die für die Bevölkerung, welche diesen Sozialvertrag zuvor auch angenommen hatte, orientierungsbestimmend waren. Die Opposition ihrerseits war mehrheitlich unfähig, den „Sinn“ der hier aufscheinenden sozialen Frage zu begreifen – namentlich bei der IVL fällt dies besonders ins Gewicht. Da sich der Bevölkerungsprotest nun auch politisch artikulieren und an die Adresse der Herrschenden richten ließ, gab es ein sich kurzzeitig „öffnendes Fenster“ vermeintlicher Identität von Oppositions- und Bevölkerungsprotest: Die oppositionellen Minderheiten hatten anders als die entpolitisierte Bevölkerungsmehrheit solcherart Artikulationen einüben können und waren deshalb imstande, sich kurzzeitig an die Spitze des Protests zu stellen, der durch eben diese politische Dimension zur Revolte wurde. Diese kurze Verbindung der die öffentlichen Räume erobernden politischen Opposition mit der protestierenden Bevölkerung war trotzdem nur äußerlich, da sich hier ganz verschiedene Präferenzen ausdrückten: Die oppositionellen Präferenzen der 80er-Jahre-Gruppen waren die Herstellung von Presse-, Versammlungs- und Organisationsfreiheit innerhalb eines Prozesses umfassender Demokratisierung und Ökologisierung der Gesellschaft sowie die Solidarität mit der Zweidrittel-Welt. In der Mehrheitsbevölkerung hatten Versorgungssicherheit und Reisefreiheit den Vorrang. Die Auflösung dieser Fremdheit wäre nur durch eine rechtzeitige opportunistische „Wende“ eines Teils des oppositionellen Spektrums mehr oder weniger weit weg von der Substanz alter oppositioneller Positionierungen hin zum (von den SED-Bürokraten erzeugten) konservativen Werteensemble der Bevölkerungs-Mehrheitsströmung zu haben gewesen: Die alten konsumistischen Verheißungen der Bürokratie wurden dann zu neuen materiellen Verheißungen im Gewand einer „Allianz für Deutschland“ und ihren blühenden Landschaften, in denen es allen besser und niemandem schlechter gehen solle.
Dies alles berücksichtigend, ist es natürlich hochgradig lächerlich, die Ursache für die „Entmachtung des Dritten Wegs“ im „Verrat opportunistischer Herbstrevolutionäre“ zu sehen, wie es viele besonders prinzipiengestählte zeitgenössische Linke häufig sehen. Der reaktive Opportunismus der Mehrheit der Neuen Politischen Vereinigungen des Herbstes ´89 im Frühjahr 1990 war vielmehr die Folge unhintergehbarer Widersprüche zwischen ihren „Herbstprojektionen“ und dem Interessenensemble der Mehrheitsbevölkerung sowie Folge des Versagens der oppositionellen Gruppen im Oktober 1989. In ihrem Bestreben, das sich auflösende Einvernehmen mit den Massen wieder herzustellen, haben sie einen fraglos besonders unappetitlichen Weg gewählt – nun erstmals und verspätet die „Machtoption“ ins Kalkül ziehend, worauf sie im Herbst 1989 noch verzichtet hatten.
2.2. Organisationspolitische Verortung der „Vereinigten Linken“
Es war von vornherein klar, dass ein derart breites Bündnis linker Antistalinisten angesichts der Bedrohung der sozialistischen Perspektive in der DDR durch die Politik der SED-Politbürokraten mit der von ihr herbeigeführten Krisensituation dringend notwendig und wegen der Schwäche der linken Kräfte im Land unbedingt erforderlich für die Herstellung ihrer Handlungsfähigkeit war. Der Vorschlag für einen Minimalkonsens einer breiten unabhängigen sozialistischen Opposition im „Böhlener Appell“ setzte logischerweise auf die Bereitschaft potentieller Bündnispartner, Vorstellungen anderer Strömungen im Bündnis zu respektieren, ohne sie teilen zu müssen und die eigenen Überzeugungen nicht zum Kriterium ihrer Teilnahme am Bündnis zu machen, sondern sie bei der Konsensbildung mit einzubringen. Die jahrzehntelange Verfolgung der antistalinistischen oppositionellen Linken in der SBZ/DDR hatte eine langzeitige Verstetigung solcher „innerlinken“ Diskurse unmöglich gemacht. So stand 1989 dieser Versuch im Osten an seinem Anfang. Die „Westlinke“ war damals am Ende.
Wie sah nun die organisationspolitische Bilanz der Konstitutionsphase jenes angestrebten „Bündnisses der verschiedenen Strömungen sozialistischer Tendenz“ aus? Bereits das erste Arbeitstreffen der entstehenden IVL am 25. November 1989 offenbarte die komplexe Problemlage: Eine Frage war, wie man organisationsseitig die Vernetzung und Kommunikation sowie die Entscheidungs- und vor allem die Handlungsfähigkeit so unterschiedlicher Formationen sozialistischer, anarchistischer, autonomer, christlicher, rätekommunistischer, antifaschistischer, marxistischer und syndikalistischer Prägung erreichen könnte. Eine andere Aufgabe des Arbeitstreffens war eine erste Sammlung der verschiedenen Ideen für die sozialistische Umwälzung.
Es zeigte sich rasch, dass Gruppierungen zweier sehr unterschiedlicher Strömungen auf ihren strömungsspezifischen politischen Maximalpositionen beharrten. Auch im Diskurs über die künftige organisationspolitische Aufstellung der IVL hielten sie ihre Bedingungen den anderen Strömungsvertretern auf mitunter aggressive Weise entgegen. Das eine Strömungsspektrum, nämlich teilnehmende anarchistische, autonome und antifaschistische Gruppen, lehnte alle über Informationsverbindungen der anwesenden Gruppierungen hinausgehenden koordinierenden, organisierenden oder beschließenden Organe in der IVL ab. Ihren Argwohn einer drohender zentralistischer Okkupation angesichts von Vorschlägen seitens der Befürworter basisdemokratischer Gremien in der IVL feierten sie nachträglich als erfolgreichen „Eklat“, so als ob der Erfolg ihrer Obstruktion ein Sieg über eine virtuelle SED in der IVL gewesen sei. Ausgerechnet die oppositionellen Marxisten in der IVL mit diesem Verdacht zu überziehen, schloss nahtlos an die bürgerliche Legende an, der Marxismus sei der Geburtshelfer politbürokratischen Despotismus. Der ultimative organisationspolitische Minimalismus jener antizentralistischen Strömung führte später dazu, dass diese Gruppen sich der IVL gegenüber nur als assoziiert definierten und kaum noch am politischen Diskurs im Bündnis teilnahmen, obwohl sie sich weiterhin solidarisch verhielten. Dies hat die IVL erheblich an Reichweite, Handlungskapazität und Diskursqualität einbüßen lassen. Dass die „Antizentralisten“ zugleich ihrem antiparlamentarischen Impetus folgend die Teilnahme der IVL an Wahlen ablehnten, ist nachvollziehbar. Allerdings engagierten sich die Anhänger dieser Strömung tatkräftig und solidarisch am Wahlkampf der IVL, was angesichts ihrer skeptischen Haltung hoch einzuschätzen ist.
Im Nachhinein betrachtet ist zu konzedieren, dass sie mit ihrer Skepsis gegenüber verschleißenden Wahlkämpfen letztlich Recht behalten haben.
Das andere Spektrum bestand aus jenen, welche die basisdemokratische Grundausrichtung der IVL zugunsten einer parteiförmigen Organisierung verwarfen. Ihr Begriff von Handlungsfähigkeit definierte sich weniger über politische Inhalte, als über das Organisationsprofil als Partei – so jene, die sich später in der Partei „Die Nelken“ zusammenfanden und zur Volkskammerwahl 1990 eine Listenverbindung mit der IVL eingingen.
Die pure Gegensätzlichkeit jener beiden zur IVL auf Abstand gehenden Spektren ist weniger auffällig, als deren gleichartige Fixiertheit auf die organisationspolitische Selbstverortung. Aufeinander losgelassen würde ihnen ihre Ähnlichkeit gar nicht bewusst werden. Es konnte angesichts dieser Konfliktlagen der Eindruck entstehen, die endlich erkämpfte Freiheit zur Selbstorganisation entfaltete sich im linken Spektrum vielerorts als Demonstration der Bündnisunfähigkeit. Die sich gerade konstituierende ostdeutsche Linke hatte ausgerechnet während ihres ersten Arbeitstreffens die sektiererische Borniertheit von Gästen aus westlinken Kleingruppen mitsamt ihrem missionarischen Eifer aus nächster Nähe kennenlernen können, obwohl es dieser Anschauung gar nicht bedurfte: Die lange tragische Geschichte innerlinker Sektenkriege und Selbstblockaden transportiert eine eigene Botschaft. Die Feindbildproduktion in solchen Milieus führte nicht selten dazu, dass der Hass auf den Sektenkonkurrenten gewichtiger wurde als das Bestreben, dem eigentlichen politischen Antagonisten entgegenzutreten. Gerade die ostdeutsche Antifa-Szene sollte die enormen politischen Unkosten solch beziehungsgeschichtlichen Verschleißes im Vereinigungsversuch mit der westdeutschen Antifa noch durchleben.
Dass sich die IVL 1991 ein basisdemokratisches Statut mit weitgehender Autonomie der Regionalverbände gab und ihre Ablehnung einer parteiförmigen Struktur bekräftigte, ermöglichte es ihren Mitgliedern auch künftig, bei anstehenden Wahlen sich an offenen Listen der Bürgerbewegungen (wo dies noch möglich war) oder auf solchen der SED/PDS zu beteiligen. Meine eigene Fehlentscheidung, mich als VLer zur Bundestagswahl Dezember 1990 an der offenen Liste der PDS zu beteiligen, fußte auf dem von Anfang an verfehlten Vorsatz, im Bündnis mit den Linken innerhalb und außerhalb der PDS dazu beizutragen, die demokratischen Sozialisten in der PDS von den Zwängen in dieser Partei zu emanzipieren. Ich denke rückblickend, so die Glaubwürdigkeit der VL deutlich geschwächt zu haben.
3. Erinnerungen an eine Revolution und was aus ihr wurde
Was wir 1990 gelernt haben: Wir erlebten die Entfremdung von der Mehrheitsbevölkerung, sahen unsere Unfähigkeit zur mehrheitsfähigen Vermittlung unserer politischen Alternativen, verzögerten den Aufbau einer adäquaten Handlungsstruktur und quittierten die Isolierung der VL auch innerhalb der „alten Opposition“. Mit der saßen wir seit Dezember 1989 in unserem „Haus der Demokratie“ in der Friedrichstraße (zuvor Sitz der SED-Kreisleitung Mitte) – bald ohne die Gruppe der sich zu Parteien konvertierenden oder organisierenden ehemaligen Bürgerbewegungen. Ich erinnere mich: Als Ausdruck von „Wertschätzung“ hörten wir bald nach unserem Einzug die Empfehlung eines Mitglieds von Demokratie jetzt (DJ), vor weiteren Gesprächen im Haus sollten wir erst mal umgehend die rote Fahne von unserem Bürofenster entfernen. Wie der Zug der Zeit pfiff, hatte man bei DJ sehr schnell registriert. Auch wenn uns solche demonstrativen Anwürfe seitens unserer ehemaligen Partner und Verbündeten aus der alten DDR-Opposition eher zusätzlich motivierten als deprimierten, waren das Vorzeichen einer Entwicklung, die sich in den folgenden Jahren fortsetzen und noch erheblich verstärken sollte.
Hier sei die Anmerkung erlaubt, dass bekanntlich auch schon früher, in den 80er Jahren, sich im oppositionellen Spektrum erhebliche Differenzen über die Ziele, Motive und die Arbeitsweisen oppositioneller und widerständiger Tätigkeiten entfalteten. Trotzdem dominierte im Alltag von staatlicher Repressionen, Zersetzungstechniken und operativen Kombinationen der Sicherheitsorgane immer die Solidarität untereinander und mit allen ins Visier der Staatsmacht geratenen Personen oder Gruppen – eine notwendige und dem Behauptungswillen der oppositionellen Gruppen gegenüber den gemeinsamen Antagonisten entsprechende alternativlose Verhaltensweise.
Nun allerdings, mit der nachrevolutionären Wiederkehr deutscher „Normalzustände“, änderte sich das Bild: Mit der überaus disparaten Beurteilung der heutigen Verhältnisse des real existierenden Kapitalismus durch Akteure aus der ehemaligen DDR-Opposition (ob diesen Verhältnissen affirmativ, kritisch oder sogar systemkritisch gegenüberstehend) rückte bei den sich ins westdeutsche Parteienspektrum integrierenden bzw. absorbierten ehemaligen ostdeutschen Bürgerbewegungen die politische Abgrenzung nach links an die erste Stelle. Bevorzugte Zielscheibe war in den Jahren 1991-1996 natürlich die PDS. Was das ehemalige Bündnis der Bürgerbewegungen betrifft, so war die Tendenz besonders makaber, dass mit der Abkehr von damals in der DDR-Opposition gemeinsamen Zielvorstellungen retrospektiv auch die Beurteilung ehemaliger linker Bündnispartner radikal revidiert wurde und zuweilen in denunziatorischer Abwertung gipfelte. Umgekehrt gerieten häufig jene „Konvertiten“ bei denen, die weiterhin an den uneingelösten oppositionellen Forderungen aus DDR-Zeiten festhalten, in den Verdacht der berechnenden opportunistischen „Wendehalsigkeit“ im Dienste ihrer neudeutschen Karrierepläne. Die „Szene“ zerlegte sich und bestenfalls ersetzte nun unter den „Wendehälsen“ Konkurrenz die Solidarität. Besonders bizarr gestaltete sich der Weg jener, die in ihrem Bedürfnis, endlich anerkannt mitzugestalten, ihren Standort in der Mitte der heutigen Gesellschaft suchten, aber wieder nur am Rand dieser Mitte statt in ihrem Zentrum gelandet sind – und diesmal an ihrem rechten Rand (vgl. Kapitel 4). Weiter konnte man sich nicht vom oppositionellen Zielhorizont aus DDR-Zeiten entfernen.
3.1. Ereignisgeschichtliche Momente von Differenzierung, Distanzierung und Solidarisierung
Meine Entfremdung von vielen früheren Freunden und Verbündeten resultiert vor allem aus den Erfahrungen des hier angedeuteten Dissoziierungsprozess. Andererseits gab es für mich auch viele neue Assoziierungs-, Bündnis- und Solidaritätsmomente. Es lohnt sich durchaus, mit den „Erinnerungen an eine Revolution“ einen (Rück)blick auf solche klärenden Ereignisse zu werfen. Meine Organisation, die IVL, hatte bereits im Frühjahr 1990 beträchtlich von ihrer politischen Handlungsfähigkeit eingebüßt und war von nun an auf dem absteigenden Ast. Dies traf keineswegs auf gewisse regionale Basisverbände (etwa Halle und Leipzig), der VL nahestehende Initiativen (freie Radios) und die unermüdlichen autonomen Antifa-Aktivisten zu. Ihre politische Arbeit blieb außerordentlich wichtig und sie waren und sind dem Spektrum einer linken Opposition gegen den real existierenden Kapitalismus zugehörig. Mit der IVL hatte das allerdings nicht mehr viel zu tun.
Die zentrifugalen Kräfte im Spektrum der Ex-DDR-Opposition nahmen Anfang der 90er rapide zu. Der verwirrende Startschuss für eine bürgerbewegte Intimturbulenz war am 23. August 1995 im Vorfeld der Berliner Abgeordnetenhauswahlen das Treffen des Kanzlers Kohl mit Bärbel Bohley, Katja Havemann, Freya Klier, Ehrhart Neubert, Günter Nooke, Wolfgang Templin und Konrad Weiß. Dem Protest vom 12. September 1995 seitens ehemaliger Bündnispartner, unter anderem von Ingrid Köppe, Reinhard Schult und Wolfgang Rüddenklau, war zu entnehmen:
„Wir distanzieren uns von Leuten, die diesem Kanzler im Tausch gegen
ein paar vage Versprechungen die Legitimation der DDR-Bürgerbe-
wegung verschaffen wollen. Wir stehen für die politisch Entrechteten
und sozial Schwachen, ob sie nun Verfolgte der DDR, der politischen
und wirtschaftlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland oder
der kapitalistischen Neuen Weltordnung sind.“
Die Gemeinsamkeiten waren restlos aufgebraucht. Der Wechsel u. a. von Vera Lengsfeld, Angelika Barbe, Günter Nooke und Ehrhart Neubert zur CDU im August 1996 war ganz und gar folgerichtig. Dagegen war die Teilhabe von Heino Falcke, Hans-Jürgen Fischbeck, Heiko Lietz, Edelbert Richter und Friedrich Schorlemmer an der „Erfurter Erklärung“ vom Januar 1997 ein Signal an ihre abdriftenden ehemaligen Partner aus den Bürgerbewegungen, die nun bei Bündnis90/Die Grünen und in der CDU Politik machten. Die Erfurter Erklärung rügte den in diesen Parteien anhebenden Kalten Krieg gegen den Sozialstaat, rief in diesem Sinne zu einer neuen außerparlamentarischen Opposition auf und verlangte von der SPD, wieder „mehr Demokratie zu wagen“. Dies alles war vergeblich, wie die rot-grüne Politik unter dem SPD-Kanzler Schröder bald zeigen sollte. Zunächst aber zeigte eine Diskussionsveranstaltung am 17. Juni 1997 zur Geschichte und dem Vermächtnis der 89er Bürgerbewegungen den unheilbaren Bruch zwischen den arrivierten prominenten Parteiarbeitern und den sehr viel weniger prominenten bockigen Verteidigern der alten Forderungen der DDR-Opposition.
Was von den nun „bündnis-grünen“ Ex-DDR-Oppositionellen und ihren zur CDU übergetretenen Kollegen so alles zu erwarten war, zeigte sich erstmals 1998 beim Kampf um das „Haus der Demokratie“ (HdD) in der Berliner Friedrichstraße. Dem Treuhandnachfolger „Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben“ schien nun die Zeit reif, den im Haus verbliebenen parteiunabhängigen Initiativen aus der alten DDR-Opposition und einer Vielzahl von neuen NGO´s als Nutzer des Hauses diese der SED 1990 abgerungene Immobilie wieder zu entziehen und dem Deutschen Beamtenbund zuzuschanzen. Dem trat die „Stiftung Haus der Demokratie“, das basisdemokratische Selbstverwaltungsorgan der Nutzer, entschlossen entgegen und pochte auf ihren Eigentumsanspruch. Die „Unabhängige Kommission zur Überprüfung des DDR-Parteienvermögens“ (UK) hatte sich noch nicht festgelegt. Mitten in dieser Auseinandersetzung und hinter dem Rücken der Stiftung Haus der Demokratie verfassten Günter Nooke, Gerd Poppe, Konrad Weiß, Wolfgang Ullmann, Ehrhart Neubert und Ulrike Poppe einen Brief an die UK und votierten für den Erwerb des Hauses durch die Bundesregierung zugunsten einer damals noch zu gründenden Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Begründet wurde dies damit, dass inzwischen im Haus ein „antikapitalistisches linkes Spektrum“ arbeite, das jenseits des wirklichen Spektrums der DDR-Bürgerbewegung zu verorten sei. Diesen netten Hinweis auf die Selbstverortung der Briefschreiber verbanden Nooke & Co. mit der wohlgemeinten Warnung an die UK, dass „mit Widerstand aus den Reihen einiger Vertreter der jetzigen Stiftung Haus der Demokratie zu rechnen ist“, wenn das Haus in einen „authentischen Ort der Erinnerung an die friedliche Revolution des Herbstes 1989“ verwandelt werde. Tatsächlich wehrten sich die nicht in Bundesparteien domestizierten Gründungsorganisationen des HdD prompt gegen diesen als Anschlag auf ihre Stiftung interpretierten Vorstoß der Parteipolitiker: „Statt Selbstverwaltung durch heutige Bürgerbewegungen soll es eine politische Flurbereinigung und parteienzentrierte Fremdverwaltung eines Bürgerrechtsmuseums geben.“ Nach der Steilvorlage von Nooke & Co. für die Verwandlung des HdD in eine unter Staatskuratell stehende Bundesstiftung Aufarbeitung legte sich nun die UK dahingehend fest, dass die Stiftung Haus der Demokratie keinesfalls die Immobilie übereignet bekäme. Trotz dieser deprimierenden Entwicklung sollte das HdD ausgangs des Konflikts als „Haus der Demokratie und Menschenrechte“ an anderem Ort weiterbestehen, was der Verbund der ex-oppositionellen Parteipolitiker nun doch nicht verhindern konnte. Dies war allein dem Behauptungswillen der HdD-Nutzer zu verdanken, welche mit der Besetzung des Hauses in der Friedrichstraße drohten. Was aber von den ehemals bürgerbewegten Ordnungsstrategen hinsichtlich ihrer Wertschätzung aktueller Bürgerbewegungen zu erwarten ist, war nochmals klargestellt worden. Von solchen Konflikten ist die Geschichte der Grünen – jetzt „Bündnis 90/Grüne“ – überaus reich, wobei nun ins Gewicht fällt, dass ihre prominenten Bündnis 90-Zugänge aus dem Osten vornehmlich den Realo-Flügel stärken sollten.
Ehrhart Neubert schrieb 1999: „Heute stehe ich den kapitalismuskritischen protestantischen Revolutionären sehr kritisch gegenüber. Für mich sind sie immer noch nicht angekommen und schleppen die achtziger Jahre mit sich herum.“ Was daraus gemacht werden konnte, sollte sich unverzüglich zeigen. Denn die nächste Gelegenheit einer Kollision alter DDR-Oppositioneller mit einem Ost-Vertreter der neuen staatlichen Funktionselite ergab sich sofort: Der DDR-Oppositionelle letzter Stunde, Joachim Gauck, Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen (BStU), ließ die Leser des Tagesspiegel am 7. November 1999 wissen, nun sei in Deutschland erreicht, wofür damals die Opposition in der DDR und die Bürgerbewegungen des Herbstes 1989 gekämpft haben. Nur sei es schade, dass das noch nicht alle verstanden haben. In einem offenen Brief erinnerten einige solcherart gerügten Oppositionelle den Bundesbeauftragten an die tatsächlichen Forderungen der Bürgerbewegungen des Herbstes: Auflösung aller Geheimdienste, keine Militärblöcke mehr und stattdessen ein kollektives umfassendes Sicherheitssystem; weder Waffenexporte, noch Unterstützung von Diktaturen, eine humane Flüchtlingspolitik und anderes mehr. Es folgte die Empfehlung an Gauck, zu prüfen, was vom Verfassungsentwurf des Runden Tisches und seiner Sozialcharta heute Wirklichkeit sei. Schließlich hieß es:
Nur wer die Neigung zur Anpassung und das Vertrauen in Parteien
und Ministerien, die unsere Angelegenheiten zu unserem Schaden
verwalten, überwindet, wird etwas verändern. Auf Sie und viele unserer
alten Mitstreiter, die in Amt oder Mandat ihren Frieden mit dem Be-
stehenden gemacht haben, müssen wir wohl verzichten. Vorerst aber
sprechen wir Ihnen das Recht ab, sich auf uns zu berufen, wenn Sie
über die Opposition in der DDR sprechen.“
Gauck bekräftigte ebenso wie Vera Lengsfeld später sein Unverständnis für die Benennung der Massenproteste gegen Hartz IV als „Montagsdemonstrationen“, in denen er nicht die geringste Parallele zu den gleichnamigen Massenkundgebungen des Jahres 1989 in der DDR sah. Die aufgeschreckte SPD als für den größten Sozialabbau in der Geschichte der Bundesrepublik hauptverantwortlich, ließ durch Wirtschaftsminister Clement sogar verlauten, es handele sich um eine „Beleidigung der ostdeutschen Zivilcourage von 1989“. Wodurch aber hatte sich Joachim Gauck hervorgetan? Der spätere Bundespräsident Gauck missbilligt es, „wenn das Geschehen des deutschen Judenmordes in eine Einzigartigkeit überhöht wird“, besteht darauf, dass der Kommunismus „mit ausdrücklichem Bezug auf die DDR als ebenso totalitär eingestuft werden muss wie der Nationalsozialismus“ und trägt es den SED-Kommunisten nach, das Unrecht der Vertreibung „zementiert“ zu haben, indem „sie die Oder-Neiße-Grenze als neue deutsch-polnische Staatsgrenze anerkannten“. Was dem Journalisten Deniz Yücel erst 2012 auffiel, signalisierte Gauck schon 2008 mit seiner Zeichnung der Prager „Erklärung zum Gewissen Europas und zum Kommunismus“. Der gastgebende Senator Martin Mejstřík erklärte damals: „Solange Europa den Gedanken nicht akzeptieren wird, dass der Nationalsozialismus und der Kommunismus völlig gleichwertige verbrecherische Regime sind, wird es nicht einheitlich sein.“ Damit teilt Gauck den erinnerungspolitischen Kurs rechtskonservativer CDU-Kreise, welcher in Sachsen während der „Gedenkstättendebatte“ zu erheblichen Turbulenzen führte (vgl. Kapitel 4).
Mein Abschied von einem „Bürgerrechtler“ Joachim „Freiheit“ Gauck, der die Occupy-Bewegung für „albern“ hält und deshalb gern gesehenes Mitglied der internationalen Industriekonzern- und Bankenlobby „Atlantik-Brücke“ ist, deren Vorsitzender Friedrich Merz „mehr Kapitalismus wagen“ will und sich auch über die Mitgliedschaft der Grünen Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckhardt freuen darf – dieser Abschied fiel wirklich nicht schwer. Für die „Junge Freiheit“ dagegen war dann „die Nominierung Joachim Gaucks [als Bundespräsident] … ein Glücksgriff“ – nicht zuletzt deshalb, weil „Gauck von seiner Haltung und seinen politischen Positionen her für Teile des linksliberalen Spektrums eine erhebliche Zumutung“ war. So waren dann auch Ulrich Schacht, Siegmar Faust und Vera Lengsfeld von Gaucks Nominierung zum Bundespräsidenten begeistert. Joachim Gauck als „größten deutschen Antikommunisten“ zu bezeichnen, wie im „Tagesspiegel“ zu lesen war, ist sicherlich übertrieben.
Diesbezüglich hat das Spektrum noch viel mehr aufzubieten. Eher war sein systemübergreifender Opportunismus Quelle umfänglicher Kritik aus seinem ehemaligen bürgerbewegten Umfeld. Der von mir außerordentlich geschätzte bündnisgrüne Hans-Jochen Tschiche wies damals darauf hin, wie interessant es sei, dass die westdeutsche politische Klasse es als optimal einschätzte, mit Gauck und Merkel „nun zwei Ostdeutsche, die gelernt hatten, sich in der DDR anzupassen, nun als Trümmermann und Trümmerfrau“ für den Westen zu verwenden.
2001 schien es, als rückte ein erweitertes Spektrum „Alt-Oppositioneller“ der Ex-DDR wieder enger zusammen: Am 13. Dezember 2001 erschien ein Appell unter dem Titel „Wir haben es satt“, der in vielerlei Hinsicht dem Basispapier des „Neuen Forums“ von 1989 ähnelte, nun aber an die Bürger des vereinigten Deutschland gerichtet war. Die enorme Breite des Spektrums der alten DDR-Bürgerbewegungen, denen die 40 Erstunterzeichner der Erklärung angehörten und der sich später über 600 Menschen anschlossen, veranschaulichte die entstandene Kluft dieser Bewegungsbasis zu den ihren Ursprungsvereinigungen entwachsenen Berufspolitikern und neuen staatspolitischen Funktionsdienstleistern. Der Aufruf distanzierte sich von der praktizierten Stellvertreterpolitik linientreuer Parteisoldaten hinter der Fassade der repräsentativen Demokratie, verurteilte den aufblühenden Waffenhandel, die Rehabilitierung des Krieges als bevorzugte politische Option, den Ausbau des Überwachungsstaates im Rahmen des Terrorismus-Bekämpfungsgesetzes (der „Otto-Katalog“ des Innenministers Schily) und die Aushöhlung des Rechtsstaates. Der Appel formulierte praktisch eine brachiale Verurteilung rot-grüner Regierungspolitik, an der nicht wenige ehemalige Mitstreiter der Ankläger nun verantwortlich teilnahmen. Deren Reaktion war einschlägig: Für die SPD warf Richard Schröder der Mehrheit der Erstunterzeichner vor, sie hätten 1989 „eine kleine, antikapitalistische, pazifistische, basisdemokratische und gerechte DDR“ gewollt und 1990 gegen Beitritt und Einigungsvertrag gestimmt. Aus seiner Sicht dagegen vorbildlich:
„Andere Oppositionelle des Herbstes übernahmen Regierungsverantwortung in der einzigen frei gewählten DDR-Regierung, wie die SPD, der Demokratische Aufbruch und die liberale Forumspartei.“ Nach dieser prinzipiellen Disqualifikation der Erstunterzeichner hielt er eine Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Appells offenbar für entbehrlich – bis auf seine Beschwerde, die Unterzeichner würden in Übertragung ihrer einstigen Aversion gegen sowjetische Machtpolitik jetzt völlig unbegründet eine Solidarisierung mit der verbliebenen Großmacht USA überkritisch bewerten. Für die CDU riet Arnold Vaatz den Unterzeichnern, sie „haben die Möglichkeit, für den Bundestag zu kandidieren und die Dinge zu ändern, die ihnen nicht passen.“ „Abenteuerlich, fast unredlich“, sei die Erklärung der Bürgerrechtler, hieß es aus der Grünen-Parteizentrale. Solche Reaktionen bekräftigten unwillkürlich die Botschaft des Aufrufs. Die IVL verbreitete ihn emsig und verteidigte ihn öffentlich, auch wenn sie nicht alle Formulierungen teilte.
Die schon erwähnten Protesterklärungen und -aktionen des Jahres 2004 gegen die rot-grüne Agenda-2010-Politik von Gerhard Schröder seitens der Mitglieder von Vereinigungen Ex-DDR-Oppositioneller hatten eine noch größere Spannweite, als im Falle des Aufrufs von 2001. Im ersten Hartz IV-Protest von Angehörigen ehemaliger DDR-Oppositionsgruppen vom 29. August 2004 erklärten die Unterzeichner zum Ärger von Gauck und Lengsfeld ausdrücklich ihr Einverständnis mit der Wiederbelebung der Montagsdemonstrationen, denn „es ging und geht um Gerechtigkeit, Selbstbestimmung, Mündigkeit, Menschenwürde und Freiheit. Verhältnisse, in denen der Mensch nur verstaatlichtes Objekt einer politischen Partei wie der SED, oder für Siemens, Daimler und
Co. und armseliger Bittsteller ist, müssen bekämpft werden.“ Die zweite Erklärung von Angehörigen ehemaliger DDR-Oppositionsgruppen am 17. September 2004 richtete sich an die Mitglieder, Vertrauensleute, Betriebsräte, Angestellten und Vorstände der Gewerkschaften der zehn alten Bundesländer:
„Seit sechs Wochen versammeln sich im Osten jeden Montag Zehn-
tausende auf den Straßen … Liebe Kolleginnen und Kollegen, der
Osten ist zu einem Versuchslabor für soziale Demontage gemacht
worden, was hier ausprobiert worden ist, wird nach und nach auch
Euch erreichen. Billiglohnsektoren werden weiter ausgedehnt, die
Tarife gedrückt, Zwangsarbeit wird eingeführt, der Datenschutz
ausgehebelt, die Wochenarbeitsstunden werden erhöht. Solidarisiert
Euch mit den Demonstrationen und Protesten in Eurem eigenen
Interesse. Der Osten wird es allein nicht schaffen.“
Der rot-grüne Anschlag auf den Sozialstaat, auch von dem Häuflein Ex-DDR-Oppositioneller massiv kritisiert, fand bei der CDU/CSU (Angela Merkel, Roland Koch, Friedrich Merz) umgehend Beifall, so dass die ganz große SPD/Grüne/CDU/CSU-„Koalition“ im Schatten der Passivität der Gewerkschaften die Massenproteste einfach ins Leere laufen lassen konnte. Die CDU hätte die Hartz IV-„Sozialreform“ niemals gegen die SPD durchsetzen können – dafür war die SPD selbst gefragt, wobei sie sich des Beifalls des bürgerlichen Lagers sicher sein durfte. Die „Spätfolgen“ für die SPD sind inzwischen immerhin mittelfristig in den Wahlergebnissen sichtbar geworden.
Die Absorptionskapazität des zum real existierenden Kapitalismus gehörenden politischen Systems war eben erheblich größer, als jene des starren despotischen Regimes der späten DDR, welche uns prägte.
3.2. Schlaglichter der Entsolidarisierung
Seit 1992 gab das Berliner Bürgerkomitee 15. Januar die Zeitschrift „Horch und Guck“ heraus. Neben dem Schwerpunkt der Aufarbeitung von Tätigkeit und Geschichte des MfS sowie der DDR- Geschichte widmete sich die Zeitschrift thematisch auch osteuropäischer Zeitgeschichte und problematisierte ebenso zeitgenössische Umtriebe von Geheimdiensten und Militär. Sie entwickelte sich zu einer in Fachkreisen anerkannten und geschätzten Zeitschrift der „Geschichtsaufarbeitung von unten“, welche die politische und soziale DDR-Konfliktarchitektur abbildete. Gefördert von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur berichtete die Zeitschrift auch sehr plural über Verlautbarungen und Aktivitäten bürgerbewegter Aktivisten und damit zusammenhängende Konfliktlagen im zeitgenössischen politischen Meinungsstreit. Gleichermaßen erfuhr der Leser beispielsweise 2004 von den Versuchen nationalkonservativer CDU/CSU-Kreise, im Rahmen der Diskussion über die Neuordnung der Gedenkstättenlandschaft die Gleichsetzung nationalsozialistischer Ausrottungs- und Vernichtungspolitik mit den Repressionen in SBZ und DDR erinnerungspolitisch durchzusetzen. Der sehr kritische Blick in der Zeitschrift auf diese Versuche und auf Aufarbeitungsinitiativen, die sich dem inhaltlich anschlossen sowie die Thematisierung sozialer und politischer Spannungszustände der Gegenwart (etwa die Hartz IV-Gesetzgebung oder die Bürgerproteste gegen die Widerbelebung des brandenburgischen Truppenübungsplatzes Wittstock durch die Bundeswehr als „Bombodrom“) beeinflussten offensichtlich Ende 2005 das Ergebnis der turnusmäßigen Begutachtung im Auftrag der fördernden Stiftung Aufarbeitung. Die Gutachter formulierten nun einen unspezifischen „Qualitätsvorbehalt“, entdeckten Autoren, denen sie die „fehlende Zugehörigkeit zum wissenschaftlichen und publizistischen Diskurs“ attestierten und rügten den Abdruck „politischer Aufrufe oder Polemiken, die für eine ´historisch-literarische Zeitschrift´ eher untypisch“ seien. Daraufhin machte die Stiftung in ihrem Bescheid für 2006 die Weiterförderung der Publikation von der Installierung eines Redaktionsbeirats abhängig, der die Heftthemen festlegen, jeweils einen verantwortlichen „externen“ Redakteur pro Themenheft bestimmen und mit ihm gleich auch noch die Auswahl und Begutachtung der Autorenbeiträge übernehmen solle.
Der fassungslosen Redaktion wurde trotz Nachfragen der genaue Inhalt des Gutachtens vorenthalten. In der Ablehnung der bisherigen Redaktionsarbeit nahm die Bundesstiftung immer wieder auf ein für 2007 geplantes Themenheft Bezug, in dem erkundet werden sollte:
„Wie politisch ist die DDR-Geschichtsschreibung?“. Ganz klar handelte es sich hier um den Versuch einer Entmündigung der offenbar missliebig gewordenen Redaktion und um die Beschneidung der Pressefreiheit kraft Verfügungsgewalt über Fördermittel. Nach vergeblichem Widerspruch des Bürgerkomitee-Vorstands und der Redaktion wurde der geforderte Beirat dann schließlich in abgeschwächter Kompetenz installiert. In der Beiratssitzung vom 27. Juni 2006 bezweifelte Edda Ahrberg (bis 2005 Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen in Sachsen-Anhalt), ob die Problematisierung des Weiterbestehens von Geheimdiensten dem Stiftungszweck entspreche und förderungsfähig sei. Ehrhart Neubert schlug für die Projektkonzeption eine Formulierung vor, die die Differenz zwischen Geheimdiensten in einem kommunistischen und einem demokratischen System deutlich mache. Allein diese Interventionen machten schlaglichtartig deutlich, was sich in Zukunft ändern solle – und dies vor dem Hintergrund der alten Forderungen der Bürgerbewegungen des Herbstes 1989! Zum Ärger des neuen Beirats machte aber im Sommer 2006 die Zeitschrift „Publik-Forum“ die Versuche einer Einflussnahme der Stiftung auf die Zeitschrift „Horch und Guck“ öffentlich und informierte insbesondere über die Missbilligung des Stiftungsvertreters im Beirat angesichts einer satirischen Glosse über die hässlichste Briefmarke des Jahres 2005 zum Thema „50 Jahre Bundeswehr“. Nun verlangte eine Beiratsmehrheit von der Redaktion die Distanzierung vom „Geheimnisverrat“ des Redakteurs Weinholz gegenüber dem „Publik-Forum“-Autor Thomas Moser und von Mosers Stiftungskritik. Als dies nicht erfolgte, trat diese Beiratsmehrheit zurück – wohl wissend, dass sie damit der Stiftung eine Steilvorlage für den dann auch vollzogenen kompletten Förderentzug für 2007 lieferte. Die Rücktrittserklärung der Beiratsmehrheit gipfelte in der Einschätzung, die amtierende Redaktion würde eine „politische Kampfschrift“ produzieren.
Dass die Bundesstiftung ihr Förderprivileg als Zensurinstrument gegenüber einer zeitkritischen politisch-historischen Zeitschrift ausnutzte, kann nicht
überraschen. Wie dann ihren Förderrichtlinien für die Jahre 2008 bis 2010 zu entnehmen war, befand sie sich längst auf dem Weg, Projektvorhaben zu bevorzugen, welche die „Bedeutung der friedlichen Revolution in der DDR“ in der „Wiederherstellung der deutschen Einheit“ sahen. Das traf nun definitiv nicht für die Bürgerbewegungen des Herbstes ´89 und ebenso wenig für die Zeitschrift Hoch und Guck zu, die sich den DDR-Bürgerbewegungen verpflichtet sah. Zutreffend war dies jedoch für die „Vertreter der DDR-Opposition“ in den Gremien der Stiftung Aufarbeitung. Was die Unterschiede ausmachte, war in den zurückliegenden Jahren mehr als deutlich geworden. Die Bundesstiftung war mit ihren Funktionsbürokraten längst ein Instrument hegemonialer Geschichtspolitik geworden.
Wirklich überraschend aber war das, was sich Anfang 2007 nun im Trägerverein der Zeitschrift und ihrem Umfeld abspielte: Eine Mehrheit der Mitglieder des „Bürgerkomitee 15. Januar“ billigte in ihrer Versammlung im Mai nunmehr eine Reihe von Maßnahmen eines neu gewählten Vorstands, die augenscheinlich einem erfolgreichen Förderneuantrag bei der Stiftung für 2008 dienen sollten. Die Mitgliederversammlung setzte auf Vorschlag Reinhard Schults das Redaktionsstatut außer Kraft. Zwischen Mai und Juni ersetzte der neue Vorstand die bei der Stiftung in Verruf geratene alte Redaktion in einem zweifelhaften Schnellverfahren durch eine neue Redaktion und bemühte sich um den Ausgleich mit den zurückgetretenen Beiratsmitgliedern, welche die alte Redaktion so massiv angegriffen hatten. Verein und Vorstand hatten zugunsten einer in Aussicht stehenden Neuförderung vor der politischen Dimension des Konflikts mit der Stiftung kapituliert und die alte Redaktion desavouiert.
Die Mitgliederversammlung im Mai 2007 fand das lange vorbereitete Thema eines Heftes „Wie politisch ist die DDR-Geschichtsschreibung?“ angesichts der darin wahrscheinlich enthaltenen Kritik an der Stiftungspolitik nicht opportun. In der Mitgliederversammlung vom Juni 2007 erklärte Edda Ahrberg unter Hinweis auf zwei frühere kritische Artikel in der Zeitschrift zu den Hartz IV-Praktiken, bei einem solchen Zeitschriftenprofil stünde sie als künftiges Beiratsmitglied nicht zur Verfügung. Tobias Hollitzer erklärte „Also, Kapitalismuskritik muss nun wirklich nicht in die Zeitschrift Horch & Guck rein.“ Es zeichnete sich klar ab, dass die neue „Horch und Guck“ ein deutlich verändertes Profil haben würde, welches den Erwartungen der Bundesstiftung eher entsprechen konnte – nämlich jene Teile der DDR-Bürgerbewegung auszuschließen, welche sich durchaus mit kapitalismus- oder staatskritischen Beiträgen in der Zeitschrift bisher vertreten sahen. Aus der Solidarität von Bürgerkomitee-Vorstand und Redaktion vom Frühjahr 2006 war ein Jahr später (im Juni 2007) der Kniefall des Bürgerkomitees vor der Bundesstiftung geworden, wobei zu vermuten ist, dass einige Mitglieder des Vereins (und mindestens ein Mitglied des neuen Vorstands) die Tragweite des politischen Offenbarungseids, den sie hier leisteten, gar nicht begriffen. Meine persönliche Enttäuschung über die Mitwirkung meines Freundes Reinhard Schult an dieser Entwicklung war damals enorm. Denn gerade ihm konnte nicht nachgesagt werden, dass er sich nicht kritisch mit aktuell-politischen Entwicklungen auseinanderzusetzen bereit wäre…
Wie verfehlt die Erwartungen insbesondere in der IVL waren, dass die Gemeinschaft der (noch) nicht eingekauften DDR-Herbstrevolutionäre der alten Redaktion beispringen würden, erwies sich im Februar 2007 auf einer im Haus der Demokratie und Menschenrechte stattgefundenen öffentlichen Diskussion. Anwesend waren mehrheitlich Mitglieder des Bürgerkomitees und Personen aus ihrem Umfeld sowie Nutzer des Hauses der Demokratie und Menschenrechte. Die Bürgerkomitee-Mitglieder und ihr Umfeld distanzierten sich überwiegend von der alten Redaktion mittels teilweise rüder und denunziatorischer Attacken besonders auf den angestellten Redakteur Erhard Weinholz. Die anwesenden Mitarbeiter der Havemann-Gesellschaft, verpflichtet auf ihren Beschluss, als Institution in der Sache keine Stellung zu beziehen, schwiegen beharrlich. Denn die Solidarität mit der alten Horch und Guck-Redaktion hätte zwangsläufig eine Konfrontation mit der Bundesstiftung Aufarbeitung gezeitigt.
Die damals noch prekäre Existenz solcher Vereine wie der Havemann-Gesellschaft oder des Bürgerkomitees führte unmittelbar zur Frage, ob sie sich eine solche Konfrontation überhaupt leisten könnten. Von nun an sollte sich immer klarer zeigen, wie sie künftig beantwortet werden würde. Für ein Verhalten, das die institutionelle Förderbereitschaft stimuliert, war das verständnisvolle Antizipieren der Erwartungen der fördernden Einrichtung hilfreich. Ein Mitarbeiter der Havemann-Gesellschaft erklärte damals, dass ein staatlicher Geldgeber in seinem pflichtgemäßen Ermessen logischerweise Forderungen gestellt habe. Das sei doch wohl zu erwarten gewesen. Darauf müsse man sich einstellen. Eigentlich fehlte nur noch, er hätte gesagt: So war es doch schließlich auch in der DDR. Damals war der „Qualitätsvorbehalt“ die Fassade für den Druckgenehmigungsvorbehalt. „Eine Zensur findet nicht statt.“ Heute gibt es keine Druckgenehmigungen mehr. Heute ist in einer völlig veränderten Medienwelt vor allem Geld nötig, um mit einer Zeitung aufzuwarten. Jetzt ist der Qualitätsvorbehalt oft die Fassade für den Förderungsvorbehalt. „Eine Zensur findet nicht statt.“ Die Fortsetzung dieses Gedankens hätte aber lauten müssen: Wir haben damals, sofern wir solchen Zumutungen nicht nachgeben wollten, solidarisch Wege gesucht, um uns zu emanzipieren und gemeinsam unsere Zeitungen und deren Unabhängigkeit zu erhalten.
Doch die Zeiten hatten sich geändert. Fördergeld war im Traditionsverbund ehemals Bürgerbewegter inzwischen wichtiger als Solidarität geworden, Existenzsicherung gewichtiger als politische Integrität und Unabhängigkeit. Die Hoffnungen des Jahres der Hartz IV-Proteste 2004 auf eine sich stabilisierende Solidarisierung der außerhalb des Filzes verbliebenen Herbstrevolutionäre waren endgültig verflogen. Allein die Gremien des Hauses der Demokratie und Menschenrechte waren ebenso wie die IVL in diesem Konflikt mit der Bundesstiftung von Anfang an mit der ausgebooteten Redaktion solidarisch. Eine wichtige Randbedingung: Die Stiftung Haus der Demokratie und Menschenrechte hat ohne öffentliche Gelder in Berlin einen unabhängigen Ort demokratischer und solidarischer Einmischung aufgebaut. Sie war frei von den Zwängen der erwähnten Vereine. Diese waren nun auf dem Weg, den staatlichen Förderinstanzen zu deren Bedingungen ihre Förderwürdigkeit nachzuweisen.
In der öffentlichen Debatte um „Horch und Guck“ wurden aber noch ganz andere Töne angeschlagen. Im Deutschlandarchiv identifizierte Johannes Beleites die „politische Heimat des angestellten Redakteurs“ als Kern des Konfliktes: „Weinholz hatte 2005 … einen Aufruf zur Vereinigung von WASG und PDS ´zur Stärkung der Chancen linker Politik’ unterschrieben und sich dort als Mitglied der Vereinigten Linken bezeichnet. Das kam im Vorstand einer Stiftung, die sich der Aufarbeitung der SED-Diktatur verpflichtet sieht, sicher nicht gut an.“ Beleites, der mit diesem feinfühligen Hinweis recht haben könnte, sollte mit seiner Lesart von Pluralismus dann zusammen mit Peter Grimm vom neuen Bürgerkomitee-Vorstand in die neue Redaktion berufen werden.
Für mich persönlich war die Erfahrung der „Operation Horch & Guck“ tatsächlich eine bittere Steigerung der politischen Entfremdung von vielen meiner alten Verbündeten aus der DDR-Opposition. Damals wusste ich nicht, dass sich diese Fremdheit noch erheblich steigern sollte.
3.3. Von der Entsolidarisierung zur Distanzierung
Im April 2006 führte der Protest gegen die Passivität des Berliner Senats angesichts gehäufter konzertierter Agitation ehemaliger Mitarbeiter des MfS auf öffentlichen Veranstaltungen das gesamte Spektrum der ehemaligen DDR-Opposition noch einmal zusammen. Hier spiegelte sich der solidarische Behauptungswillen aller politisch alternativen Gruppen der 80er Jahre in der DDR angesichts der Breite damals auf sie alle gerichteter geheimdienstlicher Zersetzungsstrategien wider. Was im neuen Deutschland von dieser Gemeinsamkeit dann tatsächlich noch übrig geblieben war, erwies sich umgehend:
Im September 2006 hatte die Bundesanwaltschaft gegen den Stadtsoziologen Andrej Holm ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (§ 129a StGB) eingeleitet und ihn im Juli 2007 verhaftet. Der Anfangsverdacht fußte auf der abenteuerlichen Behauptung, die Wortwahl in seinen gentrifizierungskritischen wissenschaftlichen Publikationen deuteten auf ihn als „spiritus rector“ einer als terroristisch eingestuften antimilitaristischen „militanten Gruppe“ (mg) hin. Drei Antimilitaristen, denen diese Zugehörigkeit vorgeworfen wurde, stellten die Sicherheitsorgane am 30. Juli 2007 beim Versuch, Bundeswehrfahrzeuge in Brand zu setzen. Auf dem Fuße folgte Holms Verhaftung.
Zuvor war im Rahmen des Ermittlungsverfahrens bereits das volle Arsenal klandestiner Überwachung (Post- und Telefonkontrolle, geheime Video- und Bewegungsüberwachung etc.) gegen ihn in Gang gesetzt worden. Die Protestwelle in der nationalen und internationalen Wissenschaftler-Community gegen Holms Inhaftierung war enorm. Kraft Verfügung des Bundesgerichtshofs, der keinen dringenden Tatverdacht gegen Holm erkennen konnte und zudem die mg nicht als terroristische, sondern als kriminelle Vereinigung qualifizierte, musste der Haftbefehl im Oktober 2007 aufgehoben werden. Allerdings ließ sich die Bundesanwaltschaft bis zum Juli 2010 Zeit, auch das Ermittlungsverfahren gegen Holm einzustellen. Derweil waren im Oktober 2009 die drei Antimilitaristen zu drei bzw. dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Warum nun das weiter andauernde Ermittlungsverfahren gegen Holm? Hinter der Fassade des am Laufen gehaltenen Ermittlungsverfahrens gab es die Gelegenheit, ausführlich in die zeitgenössische linke Community und ihr Umfeld hineinzuleuchten. Zum Beispiel hatte Holm unter anderem auch in der Zeitschrift „telegraph“, Nachfolger der halblegalen DDR-Untergrundzeitschrift „Umweltblätter“, damals herausgegeben von der Umweltbibliothek (UB) in der Zionsgemeinde, publiziert. Folglich wurden die Redaktion und andere Autoren der Zeitschrift in die Ermittlungen und Überwachungsmaßnahmen einbezogen. Die Ermittlungsbehörden gingen sogar soweit, bei einem der ins Visier geratenen Ex-DDR-Oppositionellen und zeitgenössischen linken Aktivisten, Herbert Mißlitz, bei der BStU die Herausgabe der vom MfS gesammelten Informationen über dessen „staatsfeindliche Westverbindungen“ im Kontext der gemeinsamen grenzüberschreitenden Kampagne oppositioneller Gruppen in der DDR gegen den Westberliner IWF- und Weltbankgipfel 1988 zu beantragen und diese auszuwerten. Und die damalige Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, zu DDR-Zeiten unsere Verbündete aus der „Solidarischen Kirche“, ging soweit, dem auch noch stattzugeben. Jetzt war das „Geheimdienst-Paradigma“ gleich doppelt auf dem Tisch: Als Nachnutzung von MfS-Erkenntnissen und als Bestandteil der BKA-Ermittlungen, wo ebenfalls nachrichtendienstliche Methoden angewandt wurden. In welch krassem Gegensatz der enorme Ermittlungs- und Belastungseifer der Sicherheitsorgane im Falle der linken Szene schon damals zum Desinteresse staatlicher Organe an der Aufklärung rechtsextremer Netzwerke stand, sollte sich später noch am Beispiel des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ erweisen.
Im Unterschied zum Proteststurm in der Wissenschaftler-Community blieben Äußerungen seitens der Ex-DDR-Oppositionellen zu den exzessiven BKA-Ermittlungen in der linken Szene, insbesondere seitens der „telegraph-Geburtshelfer“ von der Umweltbibliothek, weitgehend aus. Im November 2007 feierte man dort gerade den 20. Jahrestag der erfolgreichen Verteidigung gegen den Überfall des MfS auf die Drucker der Umweltblätter und des „Grenzfalls“ anno 1987. 2007 fiel dort kein Wort der Solidarität mit den unter Druck stehenden Zielpersonen des BKA oder wenigstens mit den Redakteuren des „telegraph“. Diese feige Entsolidarisierung dürften aber nur jene Beobachter als skandalös und empörend empfunden haben, welche die vorausgegangene Entwicklung in der Szene der Ex-DDR-Oppositionellen nicht verfolgt hatten. Neuerlich protestierten allein die Gremien des Hauses der Demokratie und Menschenrechte zusammen mit den Wissenschaftlern gegen die Ermittlungsverfahren.
Das Jahr 2011 sollte für noch mehr Klarheit sorgen. Es näherte sich der 25. Jahrestag der Gründung der „Umweltbibliothek“. Im munteren Diskurs ehemaliger UBler über den Ablauf, Inhalt und die Modalitäten einer Jubiläumsveranstaltung sollten ursprünglich alle Mitarbeiter der Umweltbibliothek, der Umweltblätter und des telegraph, die vor und nach 1989 mitgewirkt hatten, an diesen Vorbereitungsanstrengungen und an der Jubiläumsfeier teilnehmen und auch Gäste des befreundeten Umfelds der UB eingeladen werden. Ziemlich schnell aber bemühte sich einer der Diskutanten den Nachweis zu führen, seit 1990 habe die Tätigkeit der bis 1997 von der UB herausgegebenen Zeitschrift „telegraph“ die Umweltbibliothek gespalten in eine „originäre UB“ und eine nachrevolutionäre „telegraph-Gruppe II“, wobei Letztere aus der Vorbereitung und der Teilnahme am Jubiläumstreffen auszugrenzen sei. Der Tonfall und die Begründung waren so zuvor nicht zu vernehmen: Beim diesen telegraphern handele es sich um „erklärte Gegner der demokratischen Ordnung, selbstgefällige Schreihals-Salon-Bolschewisten“ und „Krawallmacher“, welche die Mitwirkung eines ehemaligen MfS-Hauptamtlichen (Andrej Holm) zuließen und „das, was wir vor 1989 gemacht haben, beschädigt“ hätten. Eine Selbstverständnis-Diskussion mit diesen „totalitären Roten“ in der UB und des telegraph sei zu vermeiden. Der betreffende Diskutant, seit 2007 wissenschaftlicher Mitarbeiter der BStU, verwandte die Bezeichnung „totalitäre Rote“ absichtsvoll-denunziatorisch sowohl für die KPD- und SED-Stalinisten wie für telegraph-Redaktion. Ein anderer Diskutant bezeichnete die VL als „Plattform innerhalb und außerhalb der SED/ML“ und den telegraph als ihr
„Zentralorgan“. Dieser Diskutant war inzwischen Mitglied der Nachfolge-Redaktion jener vom neuen Bürgerkomitee-Vorstand abgesetzten „Horch und Guck“-Redaktion geworden (vgl. Kapitel 3.2) und wiederholte verständnisvoll, was schon ein Mitarbeiter der Havemann-Gesellschaft 2007 gesagt hatte: „Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur kann gar nicht Angelegenheiten fördern, die nicht mit ihrer Zweckbindung zu tun haben.“ Man hatte verstanden und wusste, was zu tun und wie zu reden war. Nach zaghafter Gegenwehr beugte sich der UB-Vorbereitungskreis und schloss die telegraph-Redakteure aus. Noch mitten im Diskussionsgetümmel machte ein Text von mir zur Geschichte der Geschichtspolitik die Runde, der gut zum Gegenstand dieses UB-internen Streites passte. Dieser Text war eigentlich mein Beitrag zu einer Veranstaltung der vom Berliner „Neuen Forum“ getragenen „Fliegenden Universität“ am 6. Juni 2011 mit Ilko Kowalczuk und Michael Beleites, dessen Abdruck in der „Horch und Guck“ von der Redaktion „aus Platzgründen“ für nicht möglich erachtet wurde. Die Redaktion hatte sensibel erkannt, dass dessen Inhalt nicht in das neue Profil der Zeitschrift passte. Prompt verteilte Reinhard Schult den hektographierten Text an die Besucher der Veranstaltung.
Ein so primitiver und aggressiver Denunziationsschub wie in der internen „UB-Jubiläumsdebatte“ war innerhalb der Ex-DDR-Oppositionsszene bisher beispiellos. Gerade in diesem Segment der DDR-Opposition galt, dass die UB in den 80er Jahren mit Akteuren, welche später die VL bildeten, über alle Unterschiede hinweg äußerst eng und solidarisch kooperierte. Unbegreiflich ist mir bis heute, was die Quelle des hier zutage tretenden Ausmaßes von Hass war, der sich ohne Not Bahn brach und von dem zu DDR-Zeiten nichts zu spüren war. Mehr noch: Auch in meinem unmittelbaren politischen Umfeld, der linken Opposition in der DDR, erlebte ich erstaunliche Neuorientierungen. Ich erinnere mich, dass ich einen alten Freund aus der Zeit meiner Tätigkeit am Zentralinstitut für Wirtschaftswissenschaften der DDR in den 70er Jahren, der in den 80ern auch zum UB-Kreis gehörte, 2011 ebenso fassungslos wie vergeblich fragte, wie er es tolerieren konnte, dass dort ein solcher Ton um sich greift. Mein Kollege gehörte zu einem linken, marxistisch orientierten konspirativen Kreis von Absolventen der politischen Ökonomie, der Solidaritätsaktionen für den ausgebürgerten Wolf Biermann und für die polnischen Arbeiter organisierte und 1977 aufflog. Hier waren Parteiausschlüsse und Berufsverbote die Folge.
2012 hörte ich ihn in einer Veranstaltung des Ossietzky-Diskussionskreises beim Friedenskreis Pankow sagen, man könne froh sein, dass sich die linken Flausen seines damaligen Oppositionskreises nicht durchgesetzt hätten. Nun war meine Frage doch beantwortet…
Gleichfalls erlebte ich die Wandlungen eines ehemaligen engen Mitstreiters aus den 80er Jahren, der einer seit 1972/73 in Berlin arbeitenden marxistischen illegalen Gruppe von Philosophiestudenten angehörte, die ab 1974 ebenfalls an konzeptionellen Alternativen zum politbürokratischen System in der DDR arbeitete und eine illegale Untergrundbibliothek aufbaute. 2010 disqualifizierte er die Erinnerung an dunkle Kapitel der Politik sozialdemokratischer Führungen als „übliches SPD-Bashing aus den ideologischen Wühltischen des Stalinismus“ und verband dies mit der Frage, „welche Gesellschaft die famose Luxemburg denn 1919 in Deutschland erreichen wollte: eine Demokratie sicher nicht“. Ich fragte mich damals, ob er wohl inzwischen die Mitwirkung von Ebert und Noske am Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht als sozialdemokratischen Beitrag zur Festigung der Demokratie im Nachwilhelminischen Deutschland ansah…
3.4. Die neue Krisendynamik und der Aufschwung des Rechtspopulismus
Die seit Jahrzehnten anhaltende neoliberale Neuordnung der Welt, der größte Sozialabbau seit Ende des 2. Weltkriegs nicht allein in Deutschland und die latenten sowie akuten Krisenerscheinungen weltweit haben die Klassen und sozialen Schichten überall dekonstruiert und verunsichert. Mit der Weltfinanzkrise ab 2007 und der Eurokrise ab 2009 verstärkten Nationalismus, Separatismus und Militarismus die zentrifugalen Kräfte im Weltkapitalismus. In der Neuaufteilung und Verteidigung von Einflusssphären ist militärische Gewalt längst wieder als Mittel zur Durchsetzung machtpolitischer Interessen rehabilitiert. Millionen Menschen werden durch Kriege in die Flucht gezwungen. Überall in Europa erleben völkisch-nationalistische Strömungen eine Renaissance, begleitet vom Aufwind rechtsradikaler und neofaschistischer Formationen. Mit dem Anwachsen der Flüchtlingsströme und der Zunahme islamistischen Terrorismus sah man in Deutschland seit Oktober 2014 den verunsicherten deutschen Kleinbürger auf der Straße – eine konservative außerparlamentarische Opposition PEGIDA protestiert gegen das politische Establishment, eine gelenkte „Lügenpresse“ und gegen die vermeintlich drohende „Islamisierung des christlichen Abendlands“. Die Attribute des Protests sind nationalistisch-völkisch, patriotisch und chauvinistisch („Wir sind das Volk – ihr nicht“), kulturalistisch-religiös und subkutan rassistisch/fremdenfeindlich. Das beschleunigte die Verwandlung der Euro- und EU-skeptischen „Alternative für Deutschland“ in eine rechtspopulistische Partei des völkischen Kapitalismus.
Einem Schmähgedicht auf PEGIDA aus Kreisen der Ex-DDR-Opposition vom Dezember 2014 schloss sich wieder ein breiter Kreis von Unterzeichnern aus dem Gruppenspektrum des Herbstes ´89 an. Dagegen kaprizierten sich Kritiker des Protestes interessanterweise auf die antikapitalistischen und systemkritischen Attitüden des Gedichts. Die wütende Reaktion der verbalradikalen bekennenden Antikommunistin Vera Lengsfeld spiegelte dies, wobei sie sich wunderte, dass ein solcher systemkritischer Inhalt nicht nur von der taz, sondern auch von den „nicht linksradikalen Medien“ verbreitet würde. In ihrer Erwartung, dass so etwas nicht durch die „Selbstzensur“ gehen möge, übersah sie, dass die „Qualitätsmedien“ (bis auf die taz) in ihrer Berichterstattung diese systemkritischen Passagen eben nicht publizierten. Das hätte eigentlich ihr Lob verdient…
Die nächsten Jahre sollten auch in Hinblick auf die Ex-DDR-Oppositionellen zeigen, welche Rolle der zeitgenössische Antikommunismus bei den Ausformungen des „antitotalitären Konsenses“ spielen würde.
4. Der „rechte Rand“ der DDR-Opposition
In den letzten vier Jahren wuchsen mit dem Aufschwung von Pegida und der AfD nicht allein bei den ratlosen linken politischen Kräften die Irritationen über den gesellschaftlichen Raumgewinn rechtsextremer, fremdenfeindlicher, rassistischer und chauvinistischer Strömungen. In Sonderheit konstatierte der publizistische Mainstream verwundert das vermehrte Abdriften prominenter ehemaliger DDR-Oppositioneller ins Zwielicht rechtslastiger Ideologeme und in die politische Nähe nationalistischer reaktionärer Bürgerbewegungen. Manchmal war deshalb schon von der Diskreditierung dieser DDR-Opposition in Gänze die Rede. Tatsächlich aber steht dieser kleinen Zahl prominenter „Rechtsausleger“ eine vielfach größere Zahl vorwiegend wenig bekannter ehemaliger DDR-Oppositioneller gegenüber, die sich über das ganze Spektrum ihrer differenzierten politischen Positionen hinweg in der Vergangenheit mehrfach entschlossen von diesen Rechtsauslegern und diversen seitens der Herrschenden zu verantwortenden politischen Obszönitäten öffentlich distanziert hatten (siehe Kapitel 3). Der Inhalt solcher Protesterklärungen waren immer auch dem politischen Mainstream suspekt und von geringer medialer Präsenz. Daher ist es viel interessanter, nach den Gründen für die privilegierte mediale Präsenz der neurechten ehemaligen „DDR-Bürgerrechtler“, der Entstehung solcher Privilegien und nach der Genesis ihrer Einbindung in die Netzwerke jener (geschichts)politischen Großkartelle zu suchen, in denen heute scheinheilig gefragt wird, „wie es dazu kommen konnte“.
Namentlich in der Historikerzunft fragen inzwischen selbst arrivierte Akteure der Gedenk- und Aufarbeitungsapparate besorgt, welche Konsequenzen dieser gesellschaftliche Rechtstrend und die übergewichtige öffentliche Aufmerksamkeit für die „rechten Dissidenten“ insbesondere auf dem Feld der „DDR-Aufarbeitung“ haben. Im Februar 2019 fand eine von der Antonio-Amadeu-Stiftung ausgerichtete Arbeitstagung zum Thema „Der rechte Rand der DDR-Aufarbeitung“ statt, auf der ein Teilnehmer schon sehr früh die Frage stellte, wie die Institutionen der DDR-Aufarbeitung selbst zur „Schärfung“ dieses rechten Rands beigetragen hatten. Schließlich hätten die neurechten ehemaligen DDR-Oppositionellen dort einen enormen Diskursraum in Anspruch nehmen können. Ein anderer Teilnehmer ergänzte, die anhaltende Super-Institutionalisierung und -Ausstattung der DDR/MfS-Forschung habe die DDR-Diktatur auf die Ebene der NS-Verbrechen hochgestemmt, und dies vielfach auf der Grundlage einer banalisierten Totalitarismustheorie. Die dort dominierende Gleichordnung von NS und DDR-Diktatur sei genau die Agenda von Hubertus Knabe gewesen, der die Gedenkstätte der ehemaligen zentralen Untersuchungshaftanstalt des MfS zu einer Schule des Antikommunismus formte und das Dogma einer Gleichsetzung von Stalinismus und Kommunismus propagierte. Diese Agenda Knabes sei schon vor seiner Berufung 2000 als Gedenkstättenleiter angesichts seiner umstrittenen Veröffentlichungen als Mitarbeiter in der BStU bekannt gewesen. Seine Berufung erfolgte damals gegen das Votum der Berufungskommission auf Veranlassung des von der CDU bestellten Berliner Kultursenators Christoph Stölzl zur Zeit der Berliner Großen Koalition. Trotz anhaltender Kritik habe der Beirat der Gedenkstätte über Jahre seine Ablösung gescheut. Der Treppenwitz seiner Abberufung bestünde darin, dass dafür nicht die angehäuften Zweifel an seinem auf Überwältigung fußenden Gedenkstättenkonzept und seine medialen Kreuzzüge gegen Marx, Linkspartei und Kommunismus ausschlaggebend waren, sondern letztlich ein #metoo-Skandal.
Ich erinnere daran, dass Knabe 2005 darauf bestand, nicht der 8. Mai 1945, sondern nur der 9. November 1989 könne für Ostdeutschland als „Tag der Befreiung“ gelten. Die Öffnung der Mauer durch das wankende SED-Regime in diesen Rang zu erheben anstelle der Zerschlagung des Nazi-Regimes durch die alliierten Armeen, ist allein durch Knabes Gleichstellung von sowjetischer Besatzungspolitik mitsamt nachfolgendem Herrschaftssystem in der DDR einerseits und der Nazi-Schreckensherrschaft andererseits konstruiert. Knabe stützt sein Konstrukt wesentlich auch auf die Schilderung der Gewaltakte der Roten Armee bei ihrem Vormarsch. Die monokausale Indienststellung dieses „deutsche-Opfer-Paradigmas“ für seine These verzichtet auf jede Perspektiverweiterung und Differenzierung. Logischerweise müsste Knabe ähnlich argumentieren, wenn er den „Tag der Befreiung“ für jene (süd)osteuropäischen Länder datieren müsste, die mit Deutschland kriegsverbündet über die Sowjetunion herfielen und nach dem Sieg der Roten Armee im sowjetischen Block landeten. Noch prekärer wird es, wenn er in seiner Logik die Zerschlagung des deutschen Besatzungsregimes durch die Rote Armee in den von Deutschland überfallenen und versklavten Nationen bewerten soll. Indessen feiert im Mai ganz Europa den Tag der Befreiung von der Nazi-Diktatur.
Klar ist: Politische Verantwortungsträger, Medien und Aufarbeitungsinstitutionen haben jahrelang über bekannte Verzeichnungen und antikommunistisch konnotierte Falschdarstellungen in der Gedenkstättenarbeit absichtsvoll hinweggesehen. Man erinnere sich in diesem Zusammenhang auch an die Positionen CDU-dominierter rechtskonservativer Netzwerke in der langjährigen gedenkpolitischen Debatte besonders in Sachsen um die Ausgestaltung der Erinnerungsorte des NS und der DDR. Dieses rechtskonservative Klientel bediente sich des Öfteren der Rechtsausleger aus der DDR-Opposition – und umgekehrt.
Als dann in Berlin das Maß voll war, überschlugen sich diverse frühere Weggucker aus der CDU und SPD innerhalb und außerhalb des Stiftungsbeirats in wohlfeiler Empörung. Die politischen Verantwortlichen versuchen emsig, ihre Mitverantwortung zu verschleiern. Und die Partei DIE LINKE hatte sich in den Jahren zuvor fortwährend in der (berechtigten) Erwartung verkrochen, jede Kritik ihrerseits an der dubiosen Hohenschönhausener Gedenkstättenarbeit hätte sie seitens der hauptverantwortlichen CDU/SPD dem Vorwurf ausgesetzt, die Aufarbeitung der SED-Diktatur vorsätzlich und in klammheimlicher Harmonie mit den Attacken der ehemaligen Stasi-Obristen auf die Gedenkstätte schädigen zu wollen.
Diese Kampagne ließen sich Knabes Bündnispartner trotzdem nicht nehmen. Mit ihrer Legende von einer linken Verschwörung des Stiftungsrats gegen die DDR-Aufarbeitung setzten sie Knabe als Symbol dieser Aufarbeitung und den linken Kultursenator Klaus Lederer als Kopf der Verschwörer im Dienste der Verhinderung dieser Aufarbeitung ins Bild und gingen damit auch gleich in Konfrontation mit dem arrivierten Aufarbeitungskartell und den gedenkpolitischen Parteiarbeitern des gesamten Parteienspektrums bis auf die AfD. Ein anderer Tagungsteilnehmer erinnerte daran, dass Angelika Barbe und Vera Lengsfeld als ehemalige DDR-Oppositionelle heute mit der AfD das vertreten, was in den 50er Jahren in der BRD erinnerungspolitischer Mainstream war und deren Lesart des Antitotalitarismus ein rabiater Antikommunismus sei.
Es lohnt sich, an dieser Stelle die institutionelle Umfeld-Verflechtung dieses rechten Milieus und des heutigen politischen – insbesondere erinnerungspolitischen – Mainstreams unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsausleger aus der ehemaligen DDR-Opposition und deren mediale „Ermöglichungsräume“ zu betrachten. An dieser Stelle versage ich es mir, auf Vera Lengsfeld näher einzugehen. Was die CDU-Instanzen ihr an medialer Präsenz ermöglichten, bis sie in Ungnade fiel, ist bekannt. Eine Schlüsselinstanz staatlicher gedenk- und erinnerungspolitischer Weichenstellungen ist die „Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“. Wer hier im Stiftungsbeirat sitzt, nimmt maßgeblichen Einfluss. Die Bundesverdienstkreuzträgerin Vera Lengsfeld ist seit 1998 ununterbrochen auf Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion vom Bundestag gewähltes Mitglied im Stiftungsrat – auch gegenwärtig und weiterhin als Stellvertreterin von Manfred Wilke. Angelika Barbe hatte sich neben Vera Lengsfeld als besonders eifrige Verteidigerin von Knabe profiliert. Dazu passte es, dass sie im Februar 2019 höchstpersönlich auch die Protestdemonstration gegen die erwähnte Fachtagung zum „rechten Rand der DDR-Aufarbeitung“ anführte. In der Netzkampagne gegen diese Tagung wurde von Barbes und Lengsfelds Multiplikatoren genüsslich die IM-Vergangenheit der Leiterin der veranstaltenden Antonio-Amadeu-Stiftung sowie die Tatsache, dass der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes Mitglied deren Stiftungsbeirats ist, präsentiert. Der CDU-Überläuferin Angelika Barbe (ehemals SPD-Parteivorstandsmitglied) standen im Überfluss institutionelle Gelegenheiten zur politischen Einflussnahme zur Verfügung: sei es im Berliner Bürgerbüro zur Folgeschäden-Aufarbeitung der SED-Diktatur, im Vorstand der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft (unter anderem als stellvertretende Vorsitzende) oder in der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, wo sie als Referentin für das Thema „Aufarbeitung SED-Diktatur“ zuständig war. 2000 wurde sie von der CDU sogar für das Amt der sächsischen Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen nominiert. Heute ist Angelika Barbe Unterstützerin von PEGIDA, Referentin beim Thinktank „Institut für Staatspolitik“ der Neuen Rechten und Kuratorin der AfD-nahen Erasmus-Stiftung. Wie sich ein Zusammengehen von AfD und CDU anfühlt, kann man jetzt schon in Sachsen/Anhalt besichtigen: Dort ist 2018 einem Antrag der AfD folgend mit Unterstützung aus der CDU-Fraktion eine Enquete-Kommission berufen worden, die Handlungsempfehlungen „als Grundlage für eine erfolgreiche Bekämpfung von Linksextremismus in Sachsen-Anhalt“ erarbeiten soll.
Als Vorsitzender dieser Kommission war der Rechtsextremist Andreas Poggenburg, bis März 2018 AfD-Partei- und Fraktionsvorsitzender, vorgesehen. 2017 äußerte er im Magdeburger Landtag:
„Linksextreme Lumpen sollen und müssen von deutschen Hochschulen
verbannt und statt eines Studienplatzes lieber praktischer Arbeit
zugeführt werden. … Nehmen Sie die linksextreme Bedrohung ernst
und beteiligen Sie sich an allen möglichen Maßnahmen, um diese
Wucherung am deutschen Volkskörper endgültig loszuwerden.“
Das ist die Sprache der SA.
Zu den entschiedensten Knabe-Verteidigern gehört auch Arnold Vaatz, ehemaliger Sächsischer CDU-Staatsminister, Mitglied des CDU-Bundesvorstands und ehemaliges CDU-Präsidiumsmitglied. 1989 war er Pressesprecher des Neuen Forums, bevor er im Februar 1990 vor den Volkskammerwahlen in die CDU sprang. Dieser ehemalige DDR-Oppositionelle ist heute stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Kernenergiebefürworter, Gorleben-Endlagerverfechter, Skeptiker gegenüber erneuerbaren Energien, Energiewende-Kritiker und Gegner einer Ausgrenzung der AfD – praktisch ein Negativ ursprünglicher Essentials der oppositionellen DDR-Friedens-, Anti-AKW-, Ökologie- und Antifa-Bewegung. Für seine herbstrevolutionären Verdienste dekorierte man Vaatz gleich doppelt: mit dem Bundesverdienstkreuz und dem Sächsischen Verdienstorden. Unisono mit Lengsfeld und Barbe spricht er von krimineller Energie des Rechtsbrechers Kultursenator Lederer und von der in Sachen Knabe befangenen Vermittlerin und Berichterstatterin Marianne Birthler.
Angesichts solcher Töne rechtslastiger Kritik war das Erschrecken liberal gestimmter Historiker des Aufarbeitungskartells und ehemaliger „Bürgerrechtler“ (wie sich die früheren DDR-Oppositionellen in ihrer Erklärung vom Dezember 2018 nennen) groß:
Jede Kritik an Knabe vermeidend beschwören sie dort allein die Autorität des Rechtsstaats gegen die rechtspopulistischen Angriffe der Knabe-Verteidiger auf den Stiftungsrat. Kurioserweise befürchten sowohl die Verteidiger des Stiftungsrats als auch die Verteidiger Knabes beide das Gleiche: Die Beschädigung des Ansehens der DDR-Aufarbeitung durch das Agieren der jeweils
anderen Seite. Zu fragen, welchen Schaden diese Geschichtsarbeit durch das
Agieren von Altparteien und Rechtspopulismus genommen hat, fällt beiden Seiten nicht ein.
Das Ausmaß der Heuchelei vieler „neugeborener“ arrivierter Kritiker Knabes ist schon bemerkenswert. Der Bundesverdienstkreuzträger Knabe war bis 2010 Fachbeirat für Wissenschaft und seither ununterbrochen „Fachbeirat Gesellschaftliche Aufarbeitung/Opfer und Gedenken“ in der Bundesstiftung Aufarbeitung. Dass der ehemalige DDR-Oppositionelle Siegmar Faust ausgerechnet in Knabes Gedenkstätte bei seinen Führungen seinem antikommunistischen Sendungsauftrag sowie seiner Linkspartei-Phobie nachgehen konnte, war in Kenntnis von Knabes Agenda nur zu verständlich. Immerhin war Faust Vorstandsvorsitzender im Verband politisch Verfolgter des Kommunismus. Als Fördervereinsmitglied der Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Stalinismus (ab 2011 dem Zeitgeist folgend „Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Kommunismus“) war er in die Beihilfe zur rechtswidrigen Anerkennung einer vormaligen KZ-Aufseherin als rechtsstaatswidrig Verfolgte in der SBZ/DDR verwickelt, weshalb er 1994 auch seinen Job beim Berliner Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen verlor. Faust begann seinen neuen Anlauf 1996 nun gleich selbst als Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen – nämlich in Sachsen. Diese Berufung war nach solcher Vorgeschichte schon erstaunlich. Die CDU stützte Faust bis 1999 gegen alle Abwahlanträge der Opposition. Die von ihm 2013 in der „Jungen Freiheit“ abgesonderten Europa-Positionierungen nahmen die PEGIDA-Agitation von 2014 vorweg. Den Artikel zeichnete er mit seiner Funktion als Kurator der Gedenkstätte Zuchthaus Cottbus. Als fortgesetzter Autor in der rechtsextremen „Jungen Freiheit“ und Mitverfasser einer Gedenkschrift für den Querfront-Autor Wolfgang Venor, ehemaliges Mitglied der Waffen-SS, durfte man von Faust noch einiges erwarten.
Und tatsächlich: Neben einigem hier nicht weiter kommentierten Unfug in Richtung einer angeblichen Übergewichtung der NS-Aufarbeitung artikulierte er 2018 seine antiislamischen Stereotype und seine Sympathien für die AfD auch innerhalb der Gedenkstätte bei einem Interview und während seiner Rundgänge mit den Besuchern. Hier sah sich selbst Knabe veranlasst, Faust zu kündigen.
Die von der CDU betriebene langjährige Privilegierung von Akteuren der sich nun vernetzenden neurechten Minderheit insbesondere von Ex-DDR-Oppositionellen, begünstigt durch die Untätigkeit der SPD, sei es durch Ämter, Posten im Aufarbeitungskartell oder Verdienstkreuze, ist keine „Panne“, selbst wenn sich diese Praxis nun als schädlich für die Glaubwürdigkeit des erinnerungspolitischen Manövrierens dieser Parteien herausstellt und ihren Ruf schädigt. Diese Praxis war durchaus kompatibel mit manchen strategischen Essentials des bisherigen geschichtspolitischen Agierens nicht nur der CDU, auch wenn sich die Erwartungen der Parteistrategen an die Geförderten nun als verfehlt herausstellen. Die Zunft der Hofhistoriker ist gleich mit beschädigt. Diesem Debakel mitsamt dem Ausmaß an Heuchelei könnte man auch komische Züge abgewinnen, wenn die Sache nicht so gefährlich wäre.
Es gibt einen gemeinsamen Nenner rechtslastiger erinnerungspolitischer Spielarten und des Durchschnitts staatspolitischer Normen von Geschichtsaneignung: Dieser Nenner heißt „Antikommunismus“. Er evoziert ein Distanzgebot „rechtgläubiger Demokraten“ zu allen Varianten linker politischer Gesinnung. Im rechten Lager bedeutet das hinsichtlich des Agierens ihrer Anhänger, dass jedweder linker Strömung mit einem rabiaten verbalen Exterminismus zu begegnen ist, der sich zumeist auf eine tendenziöse Totalitarismustheorie-Auslegung stützt. Leider ähnelt er häufig in Sprache und Botschaft dem verbalen Exterminismus einiger durchgeknallter „linksradikaler“ Splittergruppen gegenüber allen des „Faschismus“ auch nur verdächtigen Akteuren.
5. Epilog
Mein Nachdenken über die unvollendete (oder abgebrochene) Revolution von 1989 und der Rückblick auf die vielfältigen Metamorphosen damaliger Verbündeter aus der DDR-Opposition und der Herbstrevolution während der nachfolgenden kapitalistischen Rekonstruktion spiegelt meinen politischen Abschied von vielen alten Freunden und auch meinen persönlichen Abschied von einigen wenigen. Vielleich war es auch ihr Abschied von mir. Es darf aber nicht unerwähnt bleiben, dass mir viele meiner alten Freunde politisch und persönlich erhalten blieben und ich in den letzten fast 30 Jahren viele neue Verbündete finden konnte. Die jungen Linken unter ihnen machen vieles anders als wir, und es scheint, dass einige es sehr viel besser machen könnten. Zum Rückblick gehört auch eine radikale Selbstkritik der Dummheiten, Irrtümer und Halbheiten, die wir (insbesondere ich) zu verantworten haben. Ob diese Selbstkritik radikal genug ist, darf natürlich bezweifelt werden. Insbesondere werden es die bezweifeln, welche inzwischen auf die andere Seite der Barrikade gesprungen sind. „Nur wer sich ändert, bleibt sich treu“ (Wolf Biermann). Und ob meine Kritik womöglich vor allem selbstgerecht ausgefallen ist, werden vielleicht nicht nur die Kritisierten meinen.
In der DDR gebot bereits die Selbstachtung, dem Druck zur Anpassung und den Denkverboten zu widerstehen. Die angesetzten Kosten für jene, die auch handelnd als Opposition und Widerstand die Konsequenzen zogen, waren relativ hoch (Haft, Berufsverbote, soziale Ausgrenzung). So verschieden die Techniken sozialer Kontrolle und der Stellenwert von Sanktionen in den Ordnungssystemen der beiden deutschen Staaten auch waren – Knechtseeligkeit ist eine systemübergreifende Erscheinung. Im heutigen Deutschland sind manche akrobatischen Anpassungsanstrengungen einiger meiner alten Gefährten aus DDR-Zeiten im Kontext ihrer Neuorientierungen für mich ebenso befremdlich, wie die rechte Dissidenz jener, deren Anstrengungen, endlich einmal in der Mitte der Gesellschaft zu ankern, gescheitert sind, für mich abstoßend bleiben.
Den Gestus der Enttäuschung, der in manchen Passagen mitschwingen mag, habe ich im Rückraum zu halten versucht. Die Freude über das Erleben, wie viele der „Alten“ doch noch gegen den affirmativen Sog mitzuziehen entschlossen sind und die Befriedigung darüber, wie viele „Neue“ hinzukommen, überwiegt deutlich, auch wenn sich dies dem Leser meines Textes nicht besonders vordergründig aufdrängt. Jedoch ähnelt mein gegenwärtiges Gefühl, dass die Überwindung der Obszönitäten und Gewaltpotentiale des real existierenden Kapitalismus wohl noch sehr lange auf sich warten lassen wird, meinem Gefühl in der DDR hinsichtlich der Erwartung, diese Despotie endlich loszuwerden. Dieses Gefühl der „Unmöglichkeit“, der eigenen Schwäche und Vergeblichkeit – manchmal auch der Ratlosigkeit – teilte ich mit vielen meiner oppositionellen Genossen damals in der DDR und teile es mit Vielen wohl auch heute im Erleben bürgerlicher Normalzustände. Der Ekel und die Wut angesichts damals und angesichts heute herrschender Widerwärtigkeiten waren und sind immer stärker (gewesen) als das resignative Moment der Vergeblichkeit.
Die Kräfte waren gering. Das Ziel
Lag in großer Ferne
Es war deutlich sichtbar, wenn auch für mich
Kaum zu erreichen.
So verging meine Zeit
[b. b., AN DIE NACHGEBORENEN]
Den Lesern wird nicht entgangen sein, dass der Titel meines Textes auf ein Theaterstück von Heiner Müller verweist. Tatsächlich ist mir beim Schreiben meiner Erinnerungen seine geniale Improvisation „Der Auftrag – Erinnerung an eine Revolution“ aus dem Jahre 1979 immer wieder durch den Kopf geschossen. Sein Nachdenken über die Verbindung der Ideale und des Scheiterns der französischen Revolution vor dem Hintergrund denkbarer revolutionärer Umbrüche zum Ende des 20. Jahrhunderts war damals in der DDR ebenso wie Volker Brauns „Übergangsgesellschaft“ von 1982 mehr als nur ein Theaterereignis. Heiner Müllers Stück beginnt mit dem Ende: Die Revolution ist gescheitert, der „Auftrag“ wurde zurückgegeben. Der Auftrag, das war ein im Namen der französischen Revolution geplanter Sklavenaufstand auf Jamaika gegen die Herrschaft der britischen Krone, der mit Napoleons Machtübernahme jedoch hinfällig geworden ist. Der Anführer ist zum Verräter geworden. Auftraggeber Antoine verleugnet sich und die Revolution und hat sich zum Hedonisten gehen lassen. Ohne Revolution sind die Revolutionäre nun arbeitslos und streiten über Sinn und Unsinn des Weitermachens auch ohne Auftrag. Wohin nun aber mit der Utopie? Der ehemalige Sklave Sasportas und der bretonische Bauer Galloudec ignorieren die veränderte Lage und treiben weiterhin den Aufstand voran. Sie halten fest an ihrer Überzeugung, solange es Sklaven gäbe, seien sie aus ihrem Auftrag nicht entlassen. Sie zahlen mit ihrem Leben, während Antoine der „Engel der Verzweiflung“ erscheint. Eine Kritikerin fragte: „Das Scheitern der linken Utopien, die Krise des Kapitalismus, ach, die Krise aller denkbaren Systeme, die Schere zwischen oben und unten – ist diese unsere nicht Müllers Welt?“
Ein „politischer Abschied“ meinerseits von den erwähnten neugewendeten Rechtsauslegern aus der ehemaligen DDR-Opposition ist nicht von Nöten: Sie sind mir heute so fremd und suspekt wie ehedem die stalinistischen Kopflanger, Zyniker und machtarroganten Bonzen aus der Phalanx der SED-Systemsachwalter in der DDR. Diese und jene standen und stehen für mich „auf der anderen Seite der Barrikade“. Doch bei mir persönlich bekannten neurechten früheren DDR-Oppositioneller kommt nun auch ein „persönlicher Abschied“ hinzu – und der ist wegen vieler gemeinsamer Erfahrungen und
Erlebnisse teilweise schmerzlich. Namentlich bei Vera Lengsfeld, die ich 1979 während unserer Unterschriftensammlung gegen den politischen Ausschluss von Berliner Schriftstellern aus ihrem Berufsverband kennen lernte, die sich als Öko- und Umwelt-Aktivistin profilierte, sich in der Friedensbewegung engagierte, die 1986 unsere Flugschrift gegen die internationale Atomlobby anlässlich des Tschernobyl-GAUs verteilte und in der linken Gruppe „Gegenstimmen“ mitarbeitete, ist dieser Abschied begleitet von einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Empörung. Wirklich schmerzlich für mich persönlich war es auch, als ich jenen oben schon erwähnten alten Kumpel und Verbündeten aus der Umweltbibliothek, zu DDR-Zeiten Aktivist der Wehrdienstverweigerer-Bewegung, Herbstrevolutionär und Hausbesetzer, schlussendlich in Knabes Gedenkstätte nun Schulungsseminare über die Gefährlichkeit des Linksextremismus abhalten sah, wobei getreu der Knabe-Agenda selbst die Linkspartei als „linksextremistisch“ rubriziert wird. Auch das ist nur auf den ersten Blick komisch, auf den zweiten Blick eher tragisch. Ebenso bei dem mir immer sehr sympathischen DDR-Umwelt-Aktivisten Michael Beleites, dessen wacher Blick zurück mit dem Ende seiner Tätigkeit als sächsischer Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen meinen Beobachtungen von 2011 sehr nahe kam (siehe Kapitel 3). Was ihn dazu veranlasste, 2018 beim neurechten Institut für Staatspolitik vorzutragen und in deren Zeitschrift „Sezession“ zu publizieren, ist mir unbegreiflich – so unbegreiflich, wie ich es 1994 fand, meinen alten Mitstreiter und Disputkontrahenten aus DDR-Zeiten Wolfgang Templin in der „Jungen Freiheit“ über das neue Paradigma des Nationalen räsonieren zu sehen – in einer Zeit, wo gerade das Asylrecht ausgehöhlt wurde – und seinen Namen mit dem von Freya Klier unter dem alarmistischen Berliner Appell aus der Neuen Rechten vom September 1994 gegen die „Wiederkehr des Sozialismus in Deutschland“ vorzufinden. Friedrich Schorlemmer: „Ich erlebe eine Kritik am Kommunismus, die sich der rationalen Diskussion stellt, und einen neurotisierten Antikommunismus. Davon sind besonders einige ehemalige Kommunisten stark befallen. … Die kriegt aber in diesem vereinten Lande Stimme in der Öffentlichkeit, weil es in der Bundesrepublik einen latenten und auch offenen Antikommunismus gibt, der sich am Leben erhalten möchte …
Ich habe den Eindruck, dass Leute wie Templin, Klier und Biermann inzwischen so verbohrt sind, dass sie Argumenten nicht mehr zugänglich sind. … Diese Feindbildabpanzerung haben die noch und meinen, damit in dieser Republik besser durchzukommen.“
Natürlich kann nicht jeder der prominenten neurechten ehemaligen DDR-Oppositionellen wegen solcher oft nur zeitweiligen Episoden eines Gleichklangs mit dezidierten Schrittmachern der Neuen Rechten wie Ulrich Schacht und Rainer Zitelmann gleich des Rechtsextremismus geziehen werden – wohl aber einer (manchmal temporären) „Türöffnerfunktion“ dorthin oder der Aufwertung
von Querfront-Tendenzen. Die Übergänge zwischen dem rechtskonservativen Milieu, der Neuen Rechten und dem Rechtsextremismus sind durchaus fließend. Ich kann das hektische Changieren eines Wolfgang Templin zwischen unkritischen rechtsnationalistischen geschichtspolitischen Attitüden und seiner „politisch korrekten“ Positionierung im Mainstream zeitgeschichtlicher Erinnerungspolitik durchaus unterscheiden von der Stetigkeit „neurechter Dissidenz“ bei Vera Lengsfeld. Wolfgang Templin hat sich immerhin glaubhaft von der Duldung US-amerikanischer Foltergefängnisse in Polen distanziert und die „soziale Frage“ während der Protestwelle gegen Schröders Agenda 2010 zeitweilig wiederentdeckt.
Manchmal kamen die staatlichen Ordensverteiler und politischen Systemintegrationsstrategen aber auch an die Falschen. Voller Respekt erinnere ich abschließend die anpassungsfreudigen Ex-DDR-Oppositionellen an die Rede der 2009 verstorbenen Erika Drees vom Neuen Forum, die sie vor Gericht am 26. September 2002 in Stuttgart hielt. Es ging um demonstrative Handlungen gegen das Atomwaffenlager Büchel:
„Die amerikanischen Atomwaffen, die in Büchel und Ramstein bei
Koblenz einsatzbereit gehalten werden, stehen unter dem Kommando
[von] US-Zentralen. Als Trägersysteme dienen deutsche Tornadoflug-
zeuge, die von deutschen Nato-Piloten und Besatzungen zu den
Einsatzorten geflogen werden, sobald das Kommando es befiehlt.
Diese indirekte Einbindung der Bundeswehr in die „nukleare Teil-
habe“ ist völkerrechts- und verfassungswidrig … Wir dulden nicht
länger diese eingezäunten Orte, die kein Zivilist betreten darf, von
deren Existenz die Öffentlichkeit nichts wissen soll – diese geheimen
Zentralen, die Atomschläge und Massenmord und Kollateralschäden
planen, üben und kommandieren. Hätten unsere Väter und Mütter früh-
zeitig die Geheimsphäre um die Ghettos und Konzentrationslager der
Nationalsozialisten durchbrochen und öffentlich bekannt gemacht,
so wäre der Holocaust nicht möglich geworden. Ein positives
Beispiel aus unserer Zeit ist die Stasi in der DDR. Meine Gene-
ration hat mit erlebt, wie sehr der Staatssicherheitsdienst stachel-
drahtumzäunt, geheimnisumwittert, angstmachend und demoralisie-
rend gewirkt hat. Als 1989 dieser Apparat mit seiner Arbeitsweise und
den ihm dienenden Personen öffentlich bekannt gemacht wurde, war
d er entschärft und entmachtet. Konzentrationslager, Geheimdienste,
militärische Anlagen, Atomstandorte sind immer vor der Öffentlichkeit
versteckt und dadurch vergiften sie die Atmosphäre in der Gesell-
schaft physisch und geistig … Die Verleihung des Bundesver-
dienstkreuzes im September 1991 für meinen Beitrag zur Wiederver-
einigung Deutschlands wies ich zurück, denn die überstürzte Vereinnah-
mung der DDR durch die Bundesrepublik mit dem verhängnisvollen
2+4-Vertrag und der D-Mark war nicht im Sinne der meisten DDR-
Bürgerrechtler. Nur wenige Wochen lang genossen wir die lange
erträumte Freiheit. Die Macht des Geldes, die wir bis 1989 nicht
so kannten, hat die Aufbrüche aus dem totalitären Zwang innerhalb
weniger Monate wieder zunichte gemacht. So konnte ich auch den
Nationalpreis, den die 30 GründerInnen des NEUEN FORUM vor
3 Jahren erhielten, nicht annehmen, denn in meinen Augen haben
wir Ostdeutschen nur den Käfig gewechselt.“
Thomas Klein ist Historiker und lebt in Berlin.
1 „Wir sind uns der schwierigen Voraussetzung durchaus bewusst: Die Diskreditierung einer sozialistischen Perspektive durch das, was die hier Herrschenden zum Zerrbild dieses alten Kampfziels der Arbeiterbewegung verkommen ließen, hat bei der Bevölkerung mehr Desillusionierung und Passivität als mutiges und problembewusstes Denken und Handeln bewirkt. … Wenn wir es auch in der DDR zulassen, dass die hier sich anstauenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme überfällige Reformen zu einer dramatischen „Flucht nach vorn“ werden lassen, sind die Gefahren eines Ausverkaufs an den Kapitalismus oder einer Militärdiktatur neostalinistischer Option durchaus real.“ Böhlener Appell, Anfang September 1989; vgl. Die Aktion, Die DDR als sozialistische Alternative, Dokumente der Initiative Vereinigte Linke, Hamburg 1989, S. 937f.
2 „Er stand soweit links, dass er rechts wieder herauskam“, Antwort des Neuen Forum Leipzig vom 13. Oktober 1989 auf die Erklärung der VL. Es ist schon von einer besonderen Delikatesse, wenn eine so um ihre Legalisierung besorgte Oppositionsgruppe wie das Neue Forum einer anderen illegalen Oppositionsgruppe öffentlich die „Staatsfeindlichkeit“ zu bescheinigen bereit war.
3 DSU = ostdeutscher CSU-Ableger
4 Am 1. Februar traf sich zu diesem Zweck de Maizière mit Kohl in Berlin und am 5. Februar war das Bündnis perfekt.
5 So die LDPD am 4. Februar bei der FDP.
6 So beschlossen am 7. Februar in Berlin. Der bis Anfang Januar im Neuen Forum dominierende linke Flügel verlor nachhaltig an Einfluss. Die Ost-Grünen waren damals den Realos bei den West-Grünen noch viel zu links.#
7 Zwischen der zweiten Novemberhälfte 1989 und der ersten Februarhälfte 1990 sank die Zahl der DDR-Bürger, die sich für „den Weg eines besseren, reformierten Sozialismus“ aussprachen, von 86 auf 56 Prozent. Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der Vereinigungsbefürworter von 48 auf 79 Prozent. Peter Förster/Günter Roski, DDR zwischen Wende und Wahl. Meinungsforscher analysieren den Umbruch, Berlin 1990, S. 53, 56.
8 Sebastian Gerhard, Vom Kampf gegen die Politbürokratie zur Verteidigung der DDR. Unabhängige Linke im kurzen Herbst der Utopie 1989/90.
9 So trafen sich im Februar 1990 im WF-Kulturhaus 170 Vertreter aus 70 Betrieben, darunter viele Mitglieder von Betriebsräten beziehungsweise aus Vorbereitungsgruppen und Gewerkschafter auf Einladung der Gruppe für Betriebsarbeit der Vereinigten Linken.
10 Die Initiativgruppe „Sozialdemokratische Partei in der DDR“ (SDP) war am 7. Oktober
1989 in Schwante zur Parteigründung geschritten. Die anfängliche Zurückhaltung der westdeutschen SPD gegenüber der SDP wandelte sich über deren Anerkennung als „ihren Partner in der DDR“ Anfang Dezember bis zur Aussage Egon Bahrs auf der SDP-Delegiertenkonferenz Mitte Januar 1990, es gäbe in Deutschland nur Raum für eine sozialdemokratische Partei. Die SDP wird zur SPD.
11 Eine aus dem Neuen Forum Anfang 1990 abgespaltene liberale Partei, die in der FDP aufging.
12 Eine seiner Grundlagen war Honeckers „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“.
13 Besonders kurios mutet an, dass Marion Seelig, Gründungsmitglied der IVL, 1989 beim Dezember-Arbeitstreffen diese Abgrenzungsblockade mit vertrat: Seit 1990 über die offene Liste der PDS Abgeordnete im Berliner Landesparlament, leistete sie dann ausgezeichnete Arbeit in den Bereichen Bürgerrechte und Migration und war ab 1999 selbst Mitglied der PDS/Partei Die Linke.
14 Zitiert nach Gerhard Rein in seiner Rede zum 20. Jahrestag des Neuen Forum am 5.9.2009.
15 Offener Brief an Joachim Gauck von Katrin Bastian, Jutta Braband, Judith Demba, Irene Fechner, Bernd Gehrke, Renate Hürtgen, Thomas Klein, Silvia Müller, Sebastian Pflugbeil, Christina Schenk, Reinhard Schult, Bettina Wegner vom 8.11.1999.
16 Deniz Yücel in der taz vom 29.1.2012.
17 Junge Freiheit vom 23.3.2012.
18 Die Tagespost vom 25.2.2012; Junge Freiheit vom 24.2.2012.
19 Der Freitag vom 2.3.2012.
20 Hier sei respektvoll vermerkt, das auch Wolfgang Ullmann zu den Unterzeichnern gehörte, was nach seiner Partizipation am Versuch der Ausbootung der Stiftung Haus der Demokratie 1998 nicht unbedingt zu erwarten war.
21 Die Zeit, Politik 02/2002.
22 Der Tagesspiegel vom 26.12.2001.
23 „Mir selbst wurde die Unterzeichnung der Erklärung deshalb schwer, weil ich den Grundton der Enttäuschung, der die Erklärung durchzieht, gar nicht teile. ´Niemand von uns habe sich vorstellen können, dass… ´ ist eine Generalisierung, die auf die freiheitlichen Sozialisten von 1989, als deren Teil ich mich begreife, nicht zutrifft. Im Gegenteil, weil wir manches prognostizierten, was heute beklagt wird, wurden wir als quasi ´unbelehrbare Dogmatiker´ beschimpft und ausgegrenzt.“ Bernd Gehrke, Offener Brief an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Treffens der Erstunterzeichner/innen der Erklärung „Wir haben es satt!“ am 20. April 2002 in Berlin.
24 Der Freitag vom 10. September 2004. Auch Wolfgang Templin gehörte diesmal zu den Mitunterzeichnern der Erklärung, die ca. 60 Ex-DDR-Oppositionelle unterzeichneten.
25 Das Bürgerkomitee 15. Januar entstand 1991 im Gefolge des Sturms auf die Berliner Zentrale des MfS am 15.1.1990.
26 Vgl. Martin Jander in Hoch und Guck 1/2004.
27 Die Rede ist von der Redaktion um Chefredakteur Erhard Weinholz. Die Gründungsredaktion bestand aus Werner „Josh“ Sellhorn, Andreas Schreier, Hagen Thiel und Peter „Blase“ Rösch. Sie löste sich 1993 im Streit mit dem Bürgerkomitee auf. Dessen Vorsitzender Hans Schwenke, der in der VL startete und im Berliner Abgeordnetenhaus beim Neuen Forum reüssierte, hatte gerade seinen doppelten Salto hinein in die FDP absolviert. Im Zuge der Konflikte mit dem Bürgerkomitee wurde die letzte von der Gründungsredaktion verantwortete Ausgabe
Nummer 9 als „Horch & Guck im Exil“ von der solidarisch-gastgebenden Zeitschrift „telegraph“ veröffentlicht.
28 Thomas Moser, Gefährliche Abhängigkeit, in: Publik-Forum 14/2006, S. 26.
29 Dem neuen Vorstand gehörten Joachim de Haas (Vorsitzender), Reinhard Schult (Stellvertreter), Martina Graeser (Finanzen), Gerald Praschl (Schriftführer und Redakteur der Superillu) und Stefan Wolle an.
30 Vgl. Renate Hürtgen, Wie steht es jetzt um Horch & Guck? Brief vom 21.6.2007.
31 Offener Brief an den Regierenden Bürgermeister von Berlin vom 25.4.2006 mit über 200 Unterschriften.
32 Aufruf internationaler WissenschaftlerInnen „gegen die Kriminalisierung kritischer Wissenschaft. Offener Brief an die Generalbundesanwältin Monika Harms“; vgl. auch die Erklärung des Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gegen Terrorismus-Verdächtigungen vom 10.8.2007.
33 „Mehr als 2000 Personen tauchen in den Akten als Kontaktleute auf“, hieß es im Spiegel. Vgl. „Gebildet, unauffällig, verdächtig“, in: Der Spiegel Nr. 47/2007.
34 „Das sind keine legal erworbenen Informationen.“ Gespräch über staatliche Repression, taz vom 14.12.2007.
35 So hat die Bundesanwaltschaft dem Ermittlungsrichter in der Antragsschrift zur Überwachung Holms ein entlastendes linguistisches Gutachten des Bundeskriminalamts vorenthalten. taz vom 13.7.2010.
36 Das Schweigen der Bürgerrechtler. BKA-Ermittlungen in der linken Szene, taz 28.11.2007.
37 Zur „Startredaktion“ von 1990 gehörten Wolfgang Rüddenklau, Dirk Teschner, Dietmar Wolf und Tom Sello.
38 Vgl. „Geschichte wird gemacht“; S. 170 des vorliegenden Heftes.
39 Pegida (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes).
40 PEGIDA – Nie wieda! Weihnachtsgruß von Neunundachtziger/innen 25 Jahre nach dem Mauerfall. taz vom 22.12.2014.
41 Vera Lengsfeld, Nicht in meinem Namen! in: Die freie Welt (Blogzeitung) vom 23.12.2014.
42 Hubertus Knabe, Tag der Befreiung? Das Kriegsende in Ostdeutschland, 2005.
43 Der Zentralrat der Juden in Deutschland sprach von der „Gefahr, … im Stiftungsbeirat fundamentale Unterschiede zwischen den Verbrechen der Nationalsozialisten mit europäischer Dimension und denen der Willkürherrschaft des Kommunismus in Ostdeutschland mit nationaler Dimension einzuebnen.“ „Durch die Konzeption der sächsischen Landesregierung, die auch bundespolitische Signalwirkung in der Gedenkstättenförderung hinsichtlich einer Re-Nationalisierung des Gedenkens entfaltet, wird geschichtspolitisch die Zeit nach 1945 unter dem Stichwort ‚doppelte Vergangenheit‘ einer ‚Waagschalen-Mentalität‘ ausgesetzt.“
44 Hier sitzt sie als „in Fragen der Aufarbeitung der SED-Diktatur besonders engagiert und qualifiziert“.
45 Erklärung von Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtlern und Historikerinnen und Historikern zur aktuellen Debatte um die Gedenkstätte Hohenschönhausen vom 5.12.2018.
46 Siegmar Faust, Europa und die Nationen – Unverwechselbar bleiben, Junge Freiheit vom 15.3.2013.
47 Regine Müller über Joachim Schlömers Inszenierung in Düsseldorf 2009, https://nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=2915:der-auftrag-joachim-schloemer-inszeniert-heiner-mueller-in-duesseldorf&catid=89&Itemid=100084
48 Britta Heidemann, Premiere in Düsseldorf, https://www.nrz.de/kultur/premiere-in-duesseldorf-schlechte-auftragslage-id389034.html
49 Heute meint Vera Lengsfeld: „Geologen und Astrophysiker (können) klar belegen…, dass Klimaänderungen auf der Erde fast ausschließlich auf Schwankungen der Sonnenaktivität und der kosmischen Strahlung zurückgehen … Die stalinistische Hybris von der Beherrschbarkeit der Natur durch den Menschen feiert ihre demokratische Auferstehung in der Vorstellung von der politischen Beeinflussbarkeit des Wetters … es (kann) keine „Klimapolitik“ geben …, weil sich das Wetter jeglicher politischen Beeinflussung entzieht.“
50 Inzwischen vernimmt man von Vera Lengsfeld: „Vor zwanzig Jahren waren der Verteidigungs- und der Sozialhaushalt in Deutschland etwa gleich groß. Seitdem ist der Verteidigungshaushalt stetig geschrumpft. … Wir haben also in Deutschland bereits den Zustand, dass die ausufernden Sozialleistungen die anderen Staatsaufgaben beeinträchtigen.“ Freiheit statt Versorgung, Ein Vortrag auf der Konferenz “Armut und Ausgrenzung” in Wien; siehe „Achse des Guten“ vom 08.10.2010.
51 Inzwischen teilt Vera Lengsfeld mit: „Gegen eine Verlängerung der Laufzeiten oder gar den weiteren Bau von Kernkraftwerken wird immer wieder ins Feld geführt, die Bevölkerung würde das niemals akzeptieren. Allerdings ist eben jene Bevölkerung, die in den 50er und 60er Jahren durchaus nichts gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie hatte, durch zwei Jahrzehnte der Verteufelung der Atomenergie dazu gebracht worden, die sichersten Kraftwerke der Welt abzulehnen. Durch geduldige Aufklärung ließe sich die derzeitige Ablehnung wieder überwinden.“
52 Vera Lengsfeld lässt als Sozialpolitikerin heute verlauten: „Der überproportionierte Sozialhaushalt Deutschlands bedeutet, dass die freiheitliche Demokratie immer mehr zugunsten einer „Gerechtigkeit“, die sich nach den Bedürfnissen derer orientiert, die mit Sozialleistungen versorgt werden, eingeschränkt wird. Das heißt, dass selbständiges Handeln in der Wirtschaft und in der Gesellschaft immer mehr in den Hintergrund gedrängt wird, weil die Umverteilungsmaschinerie bedient werden muss. … Von daher erklärt sich die Unlust der CDU, sich kritisch mit dem Gerechtigkeitsbegriff und dem Umverteilungswahn der Linken auseinanderzusetzen.“ Gedanken zu einer deutschen Leitkultur – Juni 2006.
53 Diese Verlautbarung trägt auch die Unterschrift des ehemaligen VLer´s Hans Schwenke, von Siegmar Faust, Arnold Vaatz und von Rainer Eppelmann.
54 Zeitschrift Freitag vom 25. Februar 2000.
55 Wolfgang Templin am 7.10.2002 in der taz zu seinem Interview von 1994 in der „Jungen Freiheit“: „Das war das Teil meiner Suche, die in dieser Phase auch ein gerüttelt Maß an Blindheit für das einschloss, was mit einem Angebot wie dem der Jungen Freiheit verbunden war. Das hat mich bei meinem Suchen, trotz dieser Blindheitsmomente, aber nicht in die rechte Richtung gebracht. Aus heutiger Sicht ist für mich übrigens nicht die Frage danach illegitim oder dieses Suchen, sondern die fehlende Aufmerksamkeit dafür, wer da noch sucht und in welcher Weise.“