Medien, Politik

Pressefreiheit – eine Bestandsaufnahme

Von Jenz Steiner

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Staatsfern, selbstbestimmt und frei von Zensur informieren, kritisieren, kontrollieren und Minderheiten berücksichtigen – die Aufgabe von Medien ist im Grundgesetz der Bundesrepublik klar beschrieben. Pressefreiheit gilt weltweit als ein kostbares Gut und in vielen Verfassungen verankert. Am Internationalen Tag der Pressefreiheit ist es Zeit für eine Bestandsaufnahme.
In einer Zeit, in der das Internet weltweit den Alltag dominiert und seinen Nutzerinnen und Nutzern eine Stimme gibt, ist die Liste der Länder, in denen politische Journalisten problemlos recherchieren, beobachten und berichten können, sehr kurz geworden.

Ein Blick auf die kürzlich veröffentlichte Karte der Pressefreiheit der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ suggeriert, dass das Maß an journalistischer Freiheit in den skandinavischen Ländern Europas besonders hoch sei. Dort gibt es allumfassende Informationsfreiheitsgesetze, die Bürgerinnen und Bürgern problemlos Zugang zu Regierungs- und Gerichtsakten ermöglichen. Öffentlich-rechtliche Medien genießen ein vergleichsweise hohes Vertrauen. Die Pressefreiheit wurde in Schweden bereits 1766 gesetzlich verankert. Whistleblower, Informanten von Journalisten sind juristisch gut geschützt. Niemand kann dort einen Journalisten zum Freigeben ihrer Quellen zwingen. Doch prangert etwa die Schwedische Journalistenunion seit 2014 eine Zunahme der Selbstzensur ihrer 20.000 Kolleginnen und Kollegen im Land an[1].

 

Schere im Kopf

Die Schere sitzt den schwedischen Schreiberlingen im Kopf und beschneidet freien Journalismus von innen. Besonders bei den Themen Flucht und Nationalismus Rechtspopulismus führe der indirekte äußere Druck nach Angaben der Gewerkschaft zu einer Beeinflussung der freien Berichterstattung. Dazu kommt der Druck durch den schwedischen Geheimdienst FRA (Försvarets radioanstalt, dt.: Funkeinrichtung für Nationale Verteidigung). Die Mitte-rechts-Regierung unter Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt hatte 2008 ein Ermächtigungsgesetzt verabschiedet, das dem Nachrichtendienst die verdachtsunabhängige Telefon- und Internetüberwachung und Datenweitergabe an die NSA ermöglicht[2].

 

Demokratie-Defizite in Deutschland

In Deutschland werden Journalistinnen und Journalisten von Mainstream-Medien von der Neuen Rechten als Lügenpresse und Staatsfunk diskreditiert, gejagt, belästigt und bei ihrer Arbeit behindert[3]. Für sie sind Journalisten lediglich das Sprachrohr etablierter Parteien – eine Lage, in die sich deutsche Medienmacher mitunter selbst versetzt haben, etwa durch unkritische und unsaubere Hofberichterstattung. Die Situation ist grotesk. Besonders bei Legida-Veranstaltungen in Leipzig fühlen sich Journalisten bei ihrer Arbeit bedroht[4]. Einerseits bringen die Bürgerinnen und Bürger, die Nutznießer der Pressefreiheit sind, ihren Protest auf die Straße, andererseits lehnen sie den Berufsstand des Journalisten ab, verweigern Interviews und schlagen Kameras weg[5].

Andererseits nehmen rechte und ausländische Medien die Rolle einer neuen Gegenöffentlichkeit ein. Jürgen Elsässers neurechtes Magazin „Compact“ erscheint angeblich in einer Auflage von 41.000 gedruckten Exemplaren[6]. Die rechte Zeitung „Junge Freiheit“ steigerte zu Jahresbeginn 2016 ihre verkaufte Auflage nach Angaben der IVW (Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern) um 16,4 Prozent auf 25.868 Exemplare im Vergleich zum Vorjahr[7]. AfD-Politiker lassen sich mit Vorliebe vom staatlichen russischen Auslandsfernsehsender RT interviewen[8]. Die deutsche Ausgabe der chinesischen Falun-Gong-Zeitung „Epoch Times“ generiert Auflage und Klicks als thematisches Sprachrohr der Pegida-Bewegung[9]. Währenddessen beklagt etwa der Sächsische Journalistenverband, dass einige Kolleginnen und Kollegen die Berichterstattung von neurechten Veranstaltungen scheuen würden[10].

Gewalt von Polizisten gegen Journalisten gehört in Deutschland zum Alltag. Jüngstes Beispiel ist die Inhaftierung von drei Pressefotografen bei den Anti-AfD-Protesten rund um die Messe Stuttgart Ende April 2016[11].

Besonders zu spüren bekommen Grassroots-Journalisten wie Blogger oder die Macherinnen Freier Radios, Podcasts oder Youtube-Kanäle die Grenzen der Pressefreiheit bei Recherchen in der öffentlichen Verwaltung, wenn es um die Offenlegung von Informationen oder die Teilnahme an Presseterminen geht. Sie haben nicht den vollen Rückhalt von Lobbyverbänden wie „Reporter ohne Grenzen“. Das räumen sogar die Gewerkschaften der Profi-Journalisten ein[12]. Wer keinen Presseausweis hat, muss oft draußen bleiben.

 

Präsidentenbeleidigung in der Türkei

Man braucht den Blick also gar nicht erst in Länder wie die Türkei schweifen lassen, in denen Pressefreiheit besonders klein geschrieben wird. Der Fall des türkischen Journalisten Barış Ince, der mehrmals für die Zeitung „Birgün“ über Korruptionsvorwürfe gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyin Erdoğan berichtet hatte und dafür zu umgerechnet 3.000 Euro Geldstrafe und später zu 21 Monaten Gefängnis wegen Präsidentenbeleidigung verurteilt wurde, verhallte hierzulande ein wenig[13]. Etwa 2.000 Verfahren wegen Kritik am Staatsoberhaupt laufen nach Angaben der Wochenzeitung „Die Zeit“ in der Türkei gegen Künstler, Journalisten und Intellektuelle. Der Arm der türkischen Justiz macht auch vor ausländischen Pressevertretern nicht halt. Jüngstes Beispiel ist die niederländische Korrespondentin Ebru Umar, die ebenfalls kritisch über Erdoğan für „The Post Online“ und das türkische Magazin Metro berichtet hatte und am 23. April 2016 deswegen von der türkischen Polizei festgehalten wurde und das Land vorerst nicht verlassen darf[14]. Während ihres Türkei-Arrests wurde in ihrer Wohnung in den Niederlanden eingebrochen und ihr Computer gestohlen. Memet Kılıç, Rechtsanwalt, Publizist und ehemaliger Bundestagsabgeordneter der Grünen, berichtete im Hessischen Rundfunk am 2. Mai 2016 von Shitstorms von Erdoğan-Anhängern in Deutschland gegen deutsche Journalisten in Form von Beleidigungen, Internet-Pamphleten und Halbwahrheiten. Doch zurück in die EU.

 

Mafia macht Druck in Italien

In Italien sehen sich Journalisten Journalisten unter Druck, die sich kritisch mit den Machenschaften der dotigen Mafiaorganisationen auseinandersetzen[15], zum Beispiel Lirio Abbate von der Zeitung „L’Espresso“, der mafiöse Strukturen in der Hauptstadt Rom aufgedeckt hatte, oder Roberto Saviano, der einen Dokumentarfilm über Camorra gedreht hat und seit neun Jahren nur an geheimen Orten lebt. [16]. In den Augen der Mafia haben Journalisten weltweit den Ruf mehr zu sein als nur Pressevertreter. Sie werden gleichgesetzt mit Ermittlern und Erfüllungsgehilfen der Staatsanwaltschaft.

 

Mischkonzerne machen Medien in Frankreich

In Frankreich überschatten die Anschläge auf das Satire-Magazin „Charlie Hebdo“ eine generelle Entwicklung, die die Pressefreiheit und Pressevielfalt dauerhaft beschneidet. Große Mischkonzerne sind mittlerweile Eigner etablierter Medienunternehmen und nehmen damit indirekt Einfluss auf die redaktionelle Arbeit der Sender und Publikationen. So steht die Verflechtungen zwischen Medien, Rüstungsindustrie und Politik in kaum einem etablierten Medium als Thema auf der Tagesordnung[17].

 

Nationaler Medienrat aus PiS-Funktionären kontrolliert Polens Presse

In Polen hat die neue nationalkonservative Regierung die neue nationalkonservative Rechts-Regierung die Medienlandschaft des Landes binnen weniger Monate komplett umgekrempelt. Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk sind Köpfe in den Führungsetagen gerollt[18]. Journalistinnen und Journalisten wurden entlassen, abgesetzt oder von ihren Sendeplätzen gedrängt. Andere warfen von selbst das Handtuch. Ein sechsköpfiger „Nationaler Medienrat“ übernimmt nun die wirtschaftliche und politische Kontrolle. Wer in diesem Gremium sitzt und entscheidet, bestimmen der Staatspräsident, der Sejm und der Senat. Kein Zufall, denn in allen drei Machtebenen dominiert die rechte PiS-Partei. Die polnische Oppositionspartei Nowoczesna hat im April das umstrittene Mediengesetz der nationalkonservativen Regierung vom Dezember 2015 vor das Verfassungsgericht gebracht[19].

 

Fazit

Ganz gleich in welches Land man blickt, nirgendwo steht es wirklich rosig um die Pressefreiheit. Diskreditierung durch die Neue Rechte, staatliche Gewalt und mangelnde Transparenz der Behörden, mafiöse Strukturen sind nur eine Facette der Schwierigkeiten, die professionelle und semiprofessionelle politische Journalisten und Medienaktivisten haben. Auf der anderen Seite stehen das Desinteresse und die Politikverdrossenheit des eigenen Publikums. Oft erleben investigative Journalisten, dass die Ergebnisse ihrer Arbeit diskreditiert, in einen Topf mit Verschwärungstheorien oder komplett ignoriert werden. Medienunternehmen beeinflussen die Arbeit ihrer Redaktionen, indem sie auf die Wohlgesonnenheit ihrer Anzeigenkunden, Anteilseigner und Kooperationspartner schielen. Linke und gewerkschaftsnahe Publikationen lassen ihre Schreiberlinge kostenlos oder mit eher ideeller Bezahlung arbeiten. Kleine, emanzipatorische Medien leisten zwar einen großen Beitrag zur Meinungsvielfalt und Pressefreiheit, doch verhallt ihre Arbeit dadurch, dass sie oft nur von einem sehr kleinen Publikum wahrgenommen wird.

[1]https://swedenreport.org/2014/10/23/swedish-journalist-union-imposes-self-censorship/

[2]http://www.golem.de/0806/60509.html

[3]http://meedia.de/2016/01/12/eliten-aus-pressehaeusern-pruegeln-pegida-frontfrau-ruft-zu-gewalt-gegen-journalisten-auf/

[4]http://www.tagesspiegel.de/medien/neues-online-portal-hier-spricht-die-luegenpresse/13481422.html

[5]http://www.spiegel.de/politik/deutschland/pegida-in-dresden-angriffe-auf-journalisten-a-1055170.html

[6]http://www.graswurzel.net/409/elsaesser.php
[7]http://www.ivw.eu/aw/print/mitglied/4834
[8]https://www.youtube.com/watch?v=8XaJ2nsATnE

[9]http://www.deutschlandfunk.de/epoch-times-klicks-mit-kritik-an-fluechtlingspolitik.761.de.html?dram:article_id=338942

[10]http://www.fnp.de/nachrichten/politik/Journalisten-unter-Druck;art673,1991185

[11]http://www.swr.de/landesschau-aktuell/bw/demos-gegen-afd-in-stuttgart-journalisten-erheben-vorwuerfe-gegen-polizei/-/id=1622/did=17357568/nid=1622/8og60h/

[12]http://pressefreiheit-in-deutschland.de/fuer-wen-gilt-pressefreiheit-bundestag-sperrt-blogger-aus-90765/
[13]http://www.nzz.ch/feuilleton/medien/interview-mit-baris-ince-fuer-erdogan-sind-wir-aussaetzige-ld.9881

[14]http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-04/tuerkei-pressefreiheit-festnahme-journalistin-niederlande

[15]https://www.tagesschau.de/ausland/pressefreiheit-italien-101.html
[16]http://www.zeit.de/2015/42/roberto-saviano-mafia-gomorrha

[17]http://daserste.ndr.de/panorama/aktuell/Charlie-Hebdo-Kam-der-Terror-von-aussen,paris292.html
[18]http://www.sz-online.de/nachrichten/saeuberungen-und-staatsmedien-pressefreiheit-in-polen-3383322.html
[19]http://www.nzz.ch/international/europa/opposition-bringt-mediengesetz-vor-verfassungsgericht-1.18723997