„Transit“ , Dt. 2018, Regie: Christian Petzold
Von Angelika Nguyen
Der Film kokettiert mit einer Idee: seine Fluchtgeschichte aus dem Roman von Anna Seghers spielt zwar 1941, aber in den Kulissen von heute. Im heutigen Paris, im heutigen Marseille. Das Resultat ist, dass die Geschichte nirgends mehr verortet ist. In welchem dramatischen Raum also bewegen sich die Flüchtenden, die, wie die Hauptfigur einmal sagt, vor „den Faschisten“ fliehen; von wo kommen sie, was ist ihr Ziel? Eine Schiffspassage nach Amerika? Welches Amerika? Das von heute oder das von damals? Und sollen die durchweg weißen, deutschsprachigen Figuren – vorwiegend dargestellt von unserem Standard-Fernseh-Ensemble – etwa die Flüchtenden aus Syrien, Afghanistan, Marokko, Somalia symbolisieren? Oder fliehen sie vor Angela Merkel?
Mit diesem misslungenen Trick leidet von Anfang an die Glaubwürdigkeit der Geschichte und mit ihr die der Figuren. Alles ist unterkühlt, fast teilnahmslos in Szene gesetzt, vorbildlich fotografiert und schrecklich perfekt.
Die Situation der Hauptfigur bleibt also abstrakt, was soll Franz Rogowski da spielen? Egal. Er spielt und spielt, großäugig, aufmerksam, immer auf dem Sprung, wie auf einer Probebühne.
Von der Erzählerstimme, die vielleicht die literarische Dimension eines Romans suggerieren soll, ist lange unklar, wem sie gehört – und damit auch die Erzählperspektive. Ihr Einsatz ist nervenaufreibend: wenn Rogowski und Paula Beer (als Marie) sich ansehen, sagt die Stimme: „Sie sahen sich an.“ Wenn Rogowski im Café mit dem Rücken zur Tür sitzt und sich umdreht, als die Tür aufgeht, sagt die Stimme: „Er saß mit dem Rücken zur Tür und immer, wenn die Tür aufging, fuhr er zusammen.“ Die Aussage wird also verdoppelt. Wozu, wird nicht klar. Der Effekt ist, dass die Erzählung sich immer wieder selbst zerstört. Am Ende: ein Scherbenhaufen.
Christian Petzold hat sich ja schon einmal in einer Zwischenwelt bewegt, in „Yella“, aber dort war das Surreale klar definiert (nämlich im Bewusstsein der sterbenden Hauptfigur), während hier in „Transit“ sich der Regisseur von jeder Zeit-Definition verabschiedet. So taumeln seine Figuren in einer Geschichte umher, die frei im historischen Raum schwebt, zwischen Nazizeit-Requisiten wie Sütterlinschrift, Füllfederhalter, Pässen vom „Deutschen Reich“ und den Autos, Polizeiuniformen, Restaurants und Graffitis unserer Gegenwart. Fehlte bloß noch, dass die Flüchtenden per Whats App Nachrichten austauschen statt an altmodischen Schnurtelefonen zu sprechen. Sind die Flüchtenden von heute die von damals, sind alle Flüchtenden gleich? Petzolds Kunstanspruch ist von Vornherein so universal, dass das Konkrete sich in der Darstellung gar nicht erst richtig entfalten kann, sondern nur sekundenhaft aufscheint. Nicht die maskenhafte Verzweiflung der Barbara Auer oder die Geschwätzigkeit des halb verrückt sich gebenden Justus von Dohnányi, auch nicht das Minimale von Matthias Brandt oder das federnd Verhaltene Godehard Gieses kann hier irgendeine Anteilnahme bewegen. Mit theatralischer Künstlichkeit werden die Auftritte der Protagonisten zelebriert und derart vereinzelt, dass keine Beziehungen oder gar Entwicklungen zwischen ihnen entstehen. Auch das hübsch fotografierte Hauptpaar wirkt merkwürdig abstrakt. Falls da irgendwas zwischen den beiden ist, konnte das gut geheim gehalten werden. Was bewegt sie, was treibt sie an? Wir erleben sie nur von außen, Informationen über sie werden möglichst vermieden. Da können auch Franz Rogowski oder Paula Beer (mit immer demselben Gesichtsausdruck) nichts mehr ausrichten. Im besten Falle ist es der Versuch, der fremden Not eine vertraute moderne Folie umzulegen, aber mit dem Resultat, dass sie gar nicht mehr erkennbar ist.
Die Verzweiflung der Verfolgten im von den Nazis okkupierten Europa hat man woanders filmisch schon bewegender erlebt. Petzolds Protagonisten sitzen in den Cafés meistens vor einer Karaffe Rotwein, zu jeder Tages- und Nachtzeit, wir sind ja in Frankreich, und jedes Mal, wenn die Klingel der Cafétür läutet, spaziert Paula Beer herein, rauscht kurz durch und wieder hinaus. Jedes Mal starrt ihr Rogowski aufgeregt hinterher. Die Wiederholung ermüdet. Es gibt keine wirkliche Steigerung der Erzählung, es wird monoton, und dafür ist der Film entschieden zu lang.
Einzig in der Begegnung der Hauptfigur mit dem kleinen halb verwaisten Jungen Driss kommt so etwas Ähnliches wie ein Spannungsbogen auf: Vater- und Sohnessehnsucht, ein Fußball, ein repariertes Radio, kurz aufkeimende Fürsorge – und dann die Enttäuschung. Dagegen sind viele andere Begebenheiten zum Sterben langweilig: die Migrantenszenen genauso wie die Gespräche zwischen der Hauptfigur und dem US-Botschafter, der in akzentfreiem Deutsch über Schriftstellerei philosophiert.
Während Christian Petzold in früheren Filmen kunstvoll die Balance gelang zwischen Traum und Realität („Yella“), Liebe und Hass („Wolfsburg“), Psychologie und Zeitgeschichte („Barbara“) , stürzt er hier ab ins erzählerisch Bodenlose, Unfassbare, Unkonkrete, reißt alle Orientierung ab, landet die Erzählung in historischer Beliebigkeit. Nichts ist mehr von Belang. Nichts berührt mehr wirklich. Nicht, dass Leute abgeführt werden oder zu Tode kommen oder ein Schiff auf eine Mine läuft.
„Die Geschichte von damals ins Heute holen“. Der Werbetext für den Film versprach, dass er die Perspektive Geflüchteter in unsere Komfortzone brächte. Das Gegenteil ist jedoch der Fall: er bringt unsere Luxus-Attitüde in die Fluchtgeschichte von damals, die 1944 zunächst nur im Exil erschien.
Das ist nicht nur ärgerlich, sondern auch fatal: verharmlost es doch die wirkliche Not Flüchtender. Damals – und heute.
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