Final-Cut-DVD zum 40. Geburtstag von F. F. Coppolas „Apocalypse Now“
Von Angelika Nguyen
„Apocalypse Now“ hat runden Geburtstag. Als Geschenk gibt es eine aufwendige technische Restauration des ohnehin für seine Virtuosität berühmten Films. Restauriert und technisch auf den aktuellsten Stand gebracht, erscheint eine neue DVD.
183 Minuten dauert diese Version von „Apocalypse Now“. Mit neu oder wieder eingefügten Passagen. Über einen Monat lang wird diese Fassung ab 15. Juli im Director’s Final Cut durch Kinos touren, bevor Releaseparty gefeiert wird. Der Klassiker hat seinen festen Platz am Filmhimmel.
„[Der Film] sieht besser aus, als er je ausgesehen hat und klingt besser, als er jemals geklungen hat.“ soll der Regisseur selbst gesagt haben.
Gleich die Eröffnungsszene zeigt das eindrücklich: ein Palmenwald wird mit Napalm bombardiert. Das eben noch sanft wedelnde Stück Natur versinkt per Zeitlupe im Feuer. Dazwischen schlagen in Dolby-Stereo die Rotorblätter von Helikoptern unablässig die Luft beiseite, sie queren ab und zu das Bild. Das Furchtbare der Zerstörung kommt nicht herüber, eher ist man fasziniert davon. Da erzeugt die Wegnahme des Lärms der Explosionen und dessen Ersatz mit dem hypnotischen Song „The End“ von The Doors ein Pathos, das die Vernichtung ins Reich der Poesie hebt.
Beeindruckend ist der Produktions-Aufwand. In einem riesigen szenischen Arrangement leuchtet das Feuer, das den Wald offenbar wirklich verbrennt. Orange-gelb-roter Himmel. Inzwischen eine Ikone aus dem westlichen Bilderbuch des 20. Jahrhunderts.
Was wird da zerstört? Wie heiß wird das eigentlich? Und wie kommt ein Mensch da noch raus oder darin um?
Diese Frage stellt sich hier nicht. Das ist großes Kino. Rauschhaftes kinematographisches Intro. Dichte Konzentration ab der ersten Sekunde. Das hier will in keine Handlung einführen, sondern fällt gleich in einen entrückten, verrückten Zustand und leitet mit demselben Lied gleich über zu dem Hotelzimmer, in dem US-Captain Willard unter Langeweile und Tropenhitze leidet. In Saigon.
Ist „Apocalypse Now“ aus dem Jahr 1979 ein Kriegsfilm oder ein Antikriegsfilm? Bezeichnenderweise sind sich die Lexika zu dem berühmten Kinoklassiker nicht einig geworden, in welche dieser Rubriken der Film einzuordnen ist.
Die Handlung: Vietnam 1969. Captain Willard, Mitglied einer US-Spezialeinheit in Vietnam, erhält in Saigon einen geheimen Auftrag: er soll den abtrünnigen Colonel Kurtz, der sich im nahen Kambodscha ein eigenes Gewaltreich errichtet hat, finden und töten. Dafür bekommt Willard eine Eskorte und eine Crew, die mit dem Boot flussabwärts den Weg zur kambodschanischen Grenze nimmt. Als Roadmovie angelegt, öffnet der Film eine breite Palette von Aspekten des amerikanischen Vietnamkrieges: Die Regellosigkeit dieses Krieges wie auch die Demoralisierung der US-Soldaten, die rassistische Indoktrinierung ihres vorgeblichen Bündnisses mit Südvietnam – sie benutzen zur Bezeichnung der Einheimischen vor allem ein in den USA verbreitetes antiasiatisches Schimpfwort – , Mordlust, Drogenkonsum und Tropenhitze.
Unzählige vietnamesische Menschen werden auf der Reise von US-Soldaten – auch von der Crew um Willard – getötet. Am Ende findet Willard Colonel Kurtz und tötet ihn. Captain Willard, der selbst auf dem Weg eine wehrlose verwundete vietnamesische Frau erschießt, ist der klassische Antiheld. Er ist nicht der reine Gute, aber so gut es eben geht. Das Böse dagegen wird er am Ende treffen, in Gestalt des geheimnisvollen Kurtz.
„Vietnam aber hat Fragen aufgeworfen.“, schreibt der berühmte Pentagon-Whistleblower Daniel Ellsberg 1972 in seiner Schrift „Papers on the War“ (dt. „Ich erkläre den Krieg“), „{…} Fragen danach, wer wir sind, was wir vorhaben und was uns zu tun gestattet ist.“
Der Film von Coppola erzählt: Die US-Armee hat sich alles gestattet. Bombardements auf Dörfer, deren leichte Bambushütten mit schwerem Gerät weg gefegt werden, Zielschießen aus Helikoptern auf weg rennende Frauen, Männer, Kinder, napalmverbrannte Wälder, Ermordung harmloser Bootspassagiere.
Es ist ein Film, der seiner eigenen Moral auf den Leim geht. Der Widerspruch: Guter Soldat Willard, böser Soldat Kurtz treibt die Handlung des Films an. Kurtz hat sich nahe der vietnamesischen Grenze ein kleines Reich aufgebaut, mit theatralischer Kulisse von toten und sterbenden Menschen aus Vietnam und Kambodscha, abgeschlagene Köpfe liegen herum, Menschen verrotten bei lebendigem Leib in engen Holzkäfigen, andere huschen dienend durch die Szene oder lächeln irrsinnig den Ankommenden zu. Kurtz, der Gewaltherrscher, der Massenmörder: gegen ihn sind die Alltagsmörder um Willard nur tapfere kleine Soldaten. Die Konstruktion des kranken Bösen dort und des modern zweifelnden Antihelden hier schafft ein Entschuldungsprogramm für die US-Figuren. Die sich in einem bizarren Mix aus gelangweilter Partystimmung und kolonialem Sendungsbewusstsein Taten gestatteten, von denen sie daheim den Mamas und Gattinnen besser nichts erzählten.
Einer aus der Crew jedenfalls, „Clean“, ein 17jähriger schwarzer Junge aus der South Bronx, bekommt von Mama auch noch eine liebvolle Audiobotschaft per Tonkassette, nachdem er eine unbewaffnete Gruppe Vietnamesen auf dem anderen Boot mit der MP niedergemäht hat. Diese Episode sollte stellvertretend für das Massaker der US-Soldaten in My Lai stehen, erläuterte einmal der Regisseur. Aber es kommt eben nicht als Anklage rüber. Denn der Film trauert nicht mit einer noch so kleinen Geste um die ermordeten Einwohner, nie, keine Sekunde. Kein Blick zurück, nur ein kalter Satz von Willard:„Ich hab euch doch gesagt, nicht anhalten.“
Der Film spielt in einem Land, dessen Perspektive ihn nicht interessiert. Desto ausführlicher schildert er die Gemütszustände seiner Hauptfiguren, der Täter. Vietnamesische Menschen, als Folie und Hintergrund, werden in diesem Film ausschließlich als schweigende Diener, weg rennende Flüchtende, im Laub verborgene Heckenschützen, vor allem aber als in Massen herum liegende, geradezu drapierte Tote gezeigt. Nicht eine Träne darf auf vietnamesischer Seite geweint werden, die vietnamesischen Figuren erhalten keine Namen, Persönlichkeit oder Geschichte. Sie bleiben gesichtslose, exotische Staffage.
Während in den späten 1960iger Jahren die US-amerikanische Militär-Präsenz in Vietnam eine breite Protestbewegung in Ost und West – bis hin zu prominenten Verweigerern wie Mohammed Ali („No Vietnamese ever called me Nigger!“) auslöste, fand die Erzähl-Perspektive des Film Ende der 1970iger Jahre kaum Widerspruch, sondern wurde vielmehr als cineastisches Meisterwerk gefeiert. Krieg oder Antikrieg – das wollte niemand mehr wissen.
Die Antivietnamkriegsbewegung gilt im Westen heute als Kulturgut, aber ging es eigentlich um die Menschen in Vietnam? Oder fungierte der Protest eher als Fanal für die eigene Emanzipation? Dazu passt dieser Film. Es ging und geht dem Westen vor allem um eigene Befindlichkeiten, ums eigene Gemüt, die eigene Komfortzone. Selbst Konflikte aus der Heimat wie die zwischen Schwarzen und Weißen sind im Einsatz in Vietnam hier scheinbar ausgeschaltet. Als Schüsse von der Uferböschung den schwarzen „Clean“ töten, gibt es auch bei den Weißen große Trauer.
1979 erschien noch ein anderer US-Spielfilm, der sich ebenfalls mit dem amerikanischen Krieg in Vietnam befasste, der klar in seiner Antikriegshaltung deklariert war und nicht minder großartiges Kino. Das Filmmusical „Hair“ von Milos Forman zeigt den Soldaten Burger, wie er aufgrund einer Verwechslung in den Krieg gerät, in seiner Bedrängnis singend, verzweifelnd, inmitten einer großen anonymen Masse von Soldaten, die in Reih und Glied in den dunklen Bauch eines Truppentransporters marschieren. Im Transporter verhallt sein Gesang „That’s me!!“ Zwei Szenen weiter stehen die Freunde an seinem Grab, und dann endet der Film mit einer großen bunten Protestdemo vor dem Weißen Haus. Eine rasante Sequenz, eine Ikonographie ganz anderer Art.
Dagegen inszeniert „Apocalypse Now“ vielfach die Gewalt von US-Soldaten gegen vietnamesische Männer, Frauen und Kinder. Die opulente, teils pathetische Inszenierung solcher Mordszenen kann man ambivalent als anklagend, fatalistisch oder ästhetisierend sehen. Auditive Zutaten verstärken die abgehobene Stimmung. Napalmbomben mit Popmusik , der Angriff auf ein Dorf mit Wagners „Walkürenritt“, der weite Himmel und immer wieder minutiös zusammenfallende Bambushütten, das alles suggeriert jedoch eine visuelle Schönheit von Vernichtung, die fragwürdig ist.
Das Mythische, angeblich Parabelhafte vor allem im letzten Teil, das Sprachduell zwischen Willard und Kurtz und das scheinbar Zeitlose des Films wurden viel gelobt. Feuchte Hitze und Einsamkeit – all das steht Captain Willard durch. Eine Version des moralisch verantwortlichen Kolonialisten.
Die vietnamesischen Opfer sind hier nur Kulisse für all die modernen verzweifelten Anti-Helden der westlichen Hemisphäre, grandios gespielt von Martin Sheen, Robert Duvall, Frederick Forrest, Marlon Brando und dem ganz jungen Lawrence Fishburne.
Für all das gab es Preise: ein paar Oscars und Golden Globes und einen vorderen Platz in der Best-Of-Filmliste aller Zeiten. Der kranke Satz von Lieutenant Colonel Bill Kilgore „Ich liebe den Geruch von Napalm am Morgen.“ schaffte es auf Platz 12 der besten Filmzitate des American Film Institute.
Nur sieben Jahre vor Erscheinen des Films, 1972, lief das neunjährige Mädchen Phan Thi Kim Phúc nackt aus ihrem Dorf Trang Bang, schreiend vor Schmerzen, auf ihrer Haut klebte Napalm, das immer weiter brannte. Die Kleidung hatte sie schon abgeworfen. Südvietnamesische Soldaten hatten die Napalmbomben, eine Gabe der befreundeten US-Armee, „aus Versehen“ abgeworfen, hieß es. Diese Perspektive, die ein US-Fotograf festhielt und wofür er ebenfalls ausgezeichnet wurde, klammert der Film völlig aus.
Erst im Februar dieses Jahres bekam Phan Thi Kim Phúc den Dresdner Friedenspreis für ihr jahrzehntelanges Engagement für Kinderhilfe in Kriegsgebieten. Aus diesem Anlass erzählte sie im Interview, dass die Narben, die ihren ganzen Körper bedecken, immer wieder schmerzen.
Ob das die Jubiläumsfeiern des Films, der Napalmangriffe so meisterhaft inszenierte und zu Pop-Zitaten stilisierte, stört? Wohl eher nicht.
Foto und Trailer: © 2019 STUDIOCANAL GmbH