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Vernehmergespräche II

Die Papiere des Herrn Bahro

aus telegraph 7/1992, von Wolfgang Rüddenklau

Titelblatt telegraph 7/1992

Titelblatt telegraph 7/1992

In seiner Antwort auf die Sondernummer des “telegraph” warf uns Gysi unter anderem vor, wir hätten uns nicht mit Bahro unterhalten. Es gab zu diesem Zeitpunkt bereits eine Vorabsprache über ein zu führendes Gespräch. Der ehemalige Vernehmer der HA IX der Staatssicherheit, Groth, dessen Gespräch mit Jutta Braband wir bereits im “telegraph” Nr. 1/92 dokumentierten, war seinerzeit auch gegen den Regimekritiker Rudolph Bahro eingesetzt. Wir arrangierten eine Wiederbegegnung der beiden.

Rudolph Bahro wurde ja bereits schon im Sonderheft des “telegraph” vorgestellt. Der 1935 geborene Diplomphilosoph gab 1977 im Westen “Die Alternative” heraus, eine marxistische Analyse der Systeme des damaligen Ostblocks. Dafür wurde er am 23. August 1977 “wegen Verdachts nachrichtendienstlicher Tätigkeit” verhaftet und im Juni 1978 zu neun Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Im Oktober 1979 wurde Bahro entlassen und in die BRD abgeschoben. Nach Gastspielen in den verschiedensten politischen und religiösen Bewegungen kehrte er 1989 in die DDR zurück und arbeitet seitdem als Dozent an der Humboldt-Universität. Er vertritt im Moment das Konzept einer Überwindung der ökologischen Krise durch Subsistenzwirtschaft, landwirtschaftliche Kommunen, die auf Dauer aus dem kapitalistischen Geldkreislauf aussteigen. Gerüchte über Bündnisse mit Ökofaschisten wollen wir an dieser Stelle nicht untersuchen. Uns gegenüber hat Bahro das dementiert Eine herangezögene Antifa-Recherche erwies sich als schwach recherchiert: Es ist eben nicht möglich, Vereinnahmungen und Zitate aus Sektenzeitschriften als seriöse Daten wiederzugeben.

Joachim Groth ist 1950 geboren und begann etwa ab 1975 in der Hauptabteilung IX/2 der Stasizentrale (Untersuchung) als Vemehmer zu arbeiten. Er führte unter anderem Ermittlungsverfahren gegen prominente Regimegegner wie Rupert Schröter, Jutta Braband, Jürgen Fuchs, Lothar Rochau, Bärbel Bohley und auch Rudolph Bahro. Zunächst war Groth Untersuchungsführer, dann Referatsleiter, sein letzter Dienstrang war Major. 1985 trat er aus Anlaß des Verfahrens gegen Bärbel Bohley, Ulrike Poppe und Irena Kukutz aus dem Staatssicherheitsdienst und der SED aus.

Bahro wollte zunächst wissen, wie Groth seine Rolle als Vemehmer durchgehalten habe. Groth sagt, daß die Begegnung mit vielen DDR-Oppositionellen als Vemehmer auch für seine Biographie sehr prägend geworden ist. “Da war die Ambivalenz, daß ich dieses Gedankengut verstand und zum Teil annahm, aber andererseits als Vertreter der Macht die Bösartigkeit dieser Gedanken herausstellen mußte. Das Ganze hätte so gar nicht passieren müssen. Sie, Herr Bahro, sagten mir damals, daß Sie nie so weit gegangen wären, wenn man mit Ihnen Ihre Ideen diskutiert hätte. Dann lag das Kind im Brunnen und die Staatsmacht mußte reagieren. Das Manuskript war ja seit 1973 bekannt. Es schlummerte im Panzerschrank eines stellvertretenden Ministers für Staatssicherheit.”

Bildmitte: Rudolph Bahro an der Humboldt-Universität 1992

Bildmitte: Rudolph Bahro an der Humboldt-Universität 1992

Bahro reagiert betroffen: “Seit 1973, das verstehe ich nicht.” Er fragt, ob das Politbüro das Manuskript kannte. Groth: “Das war ja sicher Ihr Ehrgeiz, daß sie darüber mit ihnen sprechen konnten.” Bahro: “Aber noch nicht 1973.”

Seit dem Fall Bahro, meint Groth, wurde jedes Stück Papier schlimmer als eine Waffe verfolgt. Ein neuer Bahro wurde gefürchtet. Wenn ruchbar wurde, daß jemand besonders im Bereich der maroden Wirtschaft, private Untersuchungen machte, gab es eine politische Linie, daß ein Anzeigenprüfungsverfahren eingeleitet wurde, eine Hausdurchsuchung gemacht und das Papier eingezogen wurde. Es war zu spät angekommen und es konnte keine inhaltliche Auseinandersetzung mehr damit geben. Als es dann im Westen angekommen war, gab es erst recht keine inhaltliche Auseinandersetzung mehr, denn mit einer Feindschrift setzte man sich nicht inhaltlich auseinander.

Es gab sehr viel Unruhe in der Staats- und Parteiführung um die Frage, wer hinter Bahro steckt. Zur Frage stand, wie üblich, nicht, ob da eine geheimdienstliche Steuerung vorlag, sondern es mußte nachgewiesen werden, daß eine geheimdienstliche Steuerung vorlag. Bahro wendet an diesem Punkt ein, daß das vielleicht allgemein galt. Jemand, der wirklich in seinem Manuskript gelesen habe, wäre auf solche Gedanken nicht gekommen. Groth: “Ich denke, daß höchstens fünf Leute im ganzen Ministerium das Manuskript gelesen haben. Wenigstens habe ich es gelesen.”

Bereits seit Jahren arbeiteten zwei Diensteinheiten am operativen Vorlauf des Falles Bahro. Allerdings wußte die eine nicht, was die andere tat und es war zunächst nicht bekannt, daß sich schon längst das Manuskript im Besitz des Staatssicherheit befand.

Offenbar hat es dann eine Vorinformation an die Untersuchungsabteilung gegeben, denn Groth sagt, daß er 1976 Bahros Manuskript gelesen habe. Offiziell konnte die Untersuchungsabteilung der HA IX allerdings nur in Erscheinung treten, wenn der Verdacht einer Straftat gegeben war und sie ein Anzeigenprüfungsverfahren einleitete. Der Fall Bahro trat in seine entscheidende Phase, nachdem er mit dem “Spiegel”-Redakteur Schwarz und mit dem Westfernsehen gesprochen hatte und der Beitrag im “Spiegel” erschienen war. Jetzt mußte folgerichtig die Verhaftung wegen “ungesetzlicher Verbindungsaufnahme” erfolgen.

Als Bahro am 23. August 1977 verhaftet wurde, sagte er zum Vemehmer Groth, er wäre sehr erstaunt gewesen, wenn die Staatssicherheit nicht gekommen wäre. “In diesem Fall,” meint er heute, “hätte ich die ‚Alternative‘ noch schnell umschreiben müssen. Ich habe andererseits meiner Analyse nicht geglaubt, wie schlimm es mit uns steht. Das habe ich erst Mitte 1989 geglaubt, daß die DDR jetzt baden geht. Aber meine Grundeinstellung auf die ganze Untersuchung hin war klar. Richtig erschrocken war ich nur, als es an der Tür klingelte. Nicht, weil es geklingelt hat, sondern wie es geklingelt hat bei der Verhaftung. Es war schon ein kleiner Schock, von 6 Uhr bis ich dann bei Groth im Zimmer saß und der Adjunkt mir ein Glas Limonade reichte, von dem ich glauben sollte, daß es vergiftet ist. Aber am Vorabend, als ich die Nachrichten hörte, war mir bereits klar, daß ich Summa Summarum gewonnen habe. Was darnach kam, war mir relativ unwesentlich. Und vor allem war mir die Zwangslage des Politbüros klar, irgend etwas zu finden, nach dem sie mich verurteilen können. Was mich geärgert hat, war dann diese “nachrichtendienstliche Tätigkeit”, daß ich nämlich verraten hätte, daß in unseren Betrieben am Ende die Bilanzen geschönt werden. Aber letzten Endes gehörte das für mich zum Spiel. Das war, als wenn der Rabbi in die Synagoge geht und sagt, daß die Bundeslade seine ist. Das spielte in Wirklichkeit auf dieser theologischen Ebene und da mußte sie etwas unternehmen. Ich wußte, daß ich dabei nicht den Hals riskiere, aber nur, weil nicht mehr Stalins Zeiten sind.”

Zunächst ging es für die Staatssicherheit darum, die staatsfeindlichen Kontakte Bahros nachzuweisen. Dies war im Fall seiner Verlage, einem Gewerkschaftsverlag, in dem seine “Alternative” erschien und einem DKP-nahen Verlag, der seine Dissertation herausgab, nur schwer zu realisieren. Eine Hilfskonstruktion mußte geschaffen werden, zu der ein Auftragsgutachten des IPW maßgeblich beitrug. Darin wurde unter anderem “nachgewiesen”, daß leitende Personen des “Spiegel” geheimdienstlich tätig war. Im übrigen vertrat man die Auffassung, daß jemand, der Informationen an einen westdeutschen Verlag gab, notwendigerweise geheimdienstlich tätig sein müßte, denn er hätte sein Buch ja auch im Ostberliner Dietz-Verlag veröffentlichen können.

Aber zunächst war der Vorwurf so vage, daß es Bahro möglich schien, durch Nennung seiner tatsächlichen Kontaktpersonen den geheimdienstlichen Vorwurf zu entkräften. In die Schweiz war das Manuskript von Harry Goldschmidt gebracht worden, Schweizer Staatsbürger, Mitglied der kommunistischen Partei und renomierter Musikwissenschaftler. Groth gibt zu, daß er hier Bahro hinters Licht geführt habe, andererseits habe aber er selbst auch zu diesem Zeitpunkt noch an eine Einstellungsmöglichkeit des Verfahrens geglaubt. Und falls Bahro die Namen nicht genannt hätte, hätte die Staatssicherheit in Bahros Bekanntenkreis das Oberste zum Untersten gekehrt, um fündig zu werden. Bahro heute dazu: “Ich glaube auch heute noch, daß es rational gute Gründe waren, aus denen heraus ich die Namen genannt habe. Mein Hauptmotiv war eine Art ‚vertrauensfördernde Maßnahme‘. Zugleich hatte ich aber doch das Gefühl, an ein paar ganz lieben Freunden Unrecht getan zu haben.” Groth hält dagegen, daß er die Liste derer hatte, die schon vorher das Manuskript angstschlotternd der Staatssicherheit gebracht hatten. Darunter seien viele gewesen, denen Bahro vertraut hätte. Bahro meint, daß das nichts ändert: “Es ging mir eher um persönliche Anständigkeit, gegenüber Leuten, die mir geholfen hatten und die Frage, ob ich sie Kollegiums erhalte, weiß ich, daß ich kleinere Brötchen backen muß. Wenn ich natürlich als Rechtsanwalt nur zwischen ZK, Bezirksleitung der SED und ähnlichen Stellen Gespräche führe, weiß ich genau, daß mich der Dorfrichter Adam nicht disziplinieren kann.” Groth führt einen anderen Fall an, die Verurteilung von Lothar Rochau im Jahre 1983. Lothar Rochau sei wirklich glänzend von Rechtsanwalt Schnur (“IM Torsten”) verteidigt worden, obwohl Schnur im Auftrag der Staatssicherheit arbeitete.

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Bahro meint, in der isolierten Situation in Untersuchungshaft sei Gysi ein wenig von einem Seelsorger gewesen. Erstaunt habe ihn, Bahro, bei der Lektüre der Dokumente der “telegraph”-Sondernummer, daß Gysi mit den Texten, die Bahro aus dem Knast geschmuggelt hatte, etwas für Bahro erreichen konnte.

Ironischerweise wurden die Kassiber aus Bautzen II unter Vermittlung eines dort einsitzenden CIA-Mannes nach draußen geschmuggelt. Nach dem zweiten Kassiber wurde Bahros Zelle ausgeräumt und er trat in einen 31-tägigen Hungerstreik. Als er dann wieder einen Kassiber schrieb, diesmal an den Generalsekretär, wurde er erwischt. Nach achttägiger Dunkelhaft und viermonatiger Einzelhaft wurde er in einen eigens für ihn und einen anderen gefährlichen Menschen eingerichteten Hochsicherheitstrakt eingesperrt. Im Hochsicherheitstrakt saß er mit einem Kaufmann und einem Altnazi, der Bahro merkwürdigerweise wegen Verrat an der Arbeiterklasse beschimpfte.

Zum 30. Jahrestag der DDR verdichteten sich dann wie üblich die Gerüchte über eine Amnestie. Groth meint, daß diese Amnestie, nämlich die Amnestierung aller, die über 9 Jahre Haft hatten, durchaus maßgeschneidert für Bahro war. Neun Jahre waren kein übliches Strafmaß. Bahro wurde in die DDR entlassen,

weil zu dieser Zeit die Bundesrepublik Mißbehagen am Freikauf von Häftlingen direkt in den Westen geäußert hatte. Es war aber klar, daß es nur eines Ausreiseantrags bedurfte und dieser in kurzer Zeit bearbeitet werden würde.

“Ich hatte,” meint Bahro, “das Gefühl, daß, wenn ich in der DDR bleibe, wie bei Robert Havemann die Stasi-Leute permanent vor meiner Tür stehen werden. Das wollte ich nicht, das machte für mich keinen Sinn. Ich hatte die Wahrnehmung, daß der Kreis um Havemann aus dem Kampf mit der Staatssicherheit eine Verbissenheit entwickelte, die ich nicht haben wollte. Im Ganzen gesehen war ich bei meinem Auftritt nicht beengt und nicht haßgeleitet, von gewissen Momenten abgesehen. Ich war relativ offen für die Sachen, um die es wirklich ging. Was mich geärgert hat, waren diese kleinen Schwindeleien, z.B. der Vorwurf der Geldgier durch die DDR-Nachrichtena- gentur ADN.”

“Mein Wunsch war nicht, der Partei im weltgeschichtlichen Sinne zu schaden. Ich wollte diesem Politbüro schaden. Deshalb waren sie mit Recht sauer. Das Schlimme für mich und für das Ganze war, daß Honecker eigentlich recht gehabt hat. Die DDR war, das konnte man damals nicht wissen, auf der Linie, die ich wollte, nicht zu halten. Soweit hat Honecker das richtig gesehen.”

Groth: “Der Fall Bahro war für mich ein wichtiger Meilenstein. Bei Bahro habe ich noch die große sicherheitspolitische Brisanz verstanden. Es bestand für mich nicht die Notwendigkeit, mich besonders stramm und linientreu zu verhalten. Ich konnte moderat sein und konnte meinen eigenen Intentionen näher kommen. Aber ich war mir mit Bahro einig, daß das Sympathie hin, Sympathie her, nun einmal der Lösungsalgorithmus für Sicherheitspolitik in der DDR ist.

Schwieriger wurde das bei anderen, nicht so spektakulären Fällen, wo man sich nach dem gleichen sicherheitspolitischen Strickmuster verhalten hat, beispielsweise in der Verfolgung der Anhänger eines ‚Sozialen Friedensdienstes‘. Alle, die irgendwie linke Kritik anmeldeten, wurden nach dem gleichen Schema verfolgt. Der Spielraum wurde immer enger, die Chancen, daß sich tatsächlich etwas ändert, daß man lernt und auf andere hört, wurden immer geringer. Ich hatte Vernehmungen zu führen, hatte Papiere zu lesen und mich inhaltlich intensiver damit auseinanderzusetzen als die anderen, die es nur diagonal lasen. Man muß Argumente und Gegenargumente gegeneinanderhalten, wenn man versucht, halbwegs ehrlich zu sich zu sein. Inhaltlich bleibt davon immer etwas hängen und dann beginnt man eine Gratwanderung, die sehr gefährlich ist. Man kommt an den Punkt, sich zu fragen, ob man weiter als Werkzeug funktionieren will, das Gehalt läuft weiter, man wird Zyniker und Priva- tisierer. Für mich war der Punkt die Untersuchung gegen Bohley und andere 1984. Es ist nicht so einfach, dort zu kündigen, das hat natürlich Folgerungen für die eigene Biographie.”

Bliebe noch das zu kommentieren, was Bahro neulich der “Wochenpost” anvertraute. Dem Druck der kapitalistischen Industriestaaten könnten nur terroristische Regierungen widerstehen, wie man in der 3. Welt sehe. Dementsprechend sei auch das DDR-Regime in mildem Licht zu sehen. Aber laut “Spiegel” hält er ja auch in seinen Öko-Kommunen Basisdemokratie für “Schickimicki”, vermutlich wegen der “kapitalistischer Einkreisung”. Ein “Ökofürstentum”, so Bahro, werde gebraucht. Bleibt die spannende Frage, an wen Bahro hinsichtlich der Rolle des Fürsten gedacht hat. Das erinnert mich an das, was einst Fürst Bismarck im Reichstag über den Arbeiterführer Lasalle sagte. Lasalle, mit dem er sich häufig und interessant unterhalten habe, sei, so Bismark, durchaus Monarchist gewesen. Nur hätten gewisse Zweifel darüber bestanden, ob er eine Dynastie der Hohenzollem oder eine Dynastie Lasalle wollte. r.l.