Allgemein, Osten, Politik

Vorn ist das Licht!

Über die Westlinke und ihr damaliges Verhältnis zu EX-DDR ‚lern
aus telegraph 3/1992, von Barni Geröllheimer

In letzter Zeit. gerät auch die Linke im Westen immer mehr ins Kreuzfeuer der Stasidiskussion.
Sie muß sich zunehmend des Vorwurfs der Kollaboration mit DDR­Funktionären erwehren. Spektakuläre Fälle. wie die Enthüllungen über Dirk Schneider oder die Selbstenttarnung von Till Meyer. geben diesen Vorwürfen umfangreiche Nahrung. Trotz dieser Anfein­dungen verhält sich die Westlinke bedeckt. was ihr Verhältnis zur DDR betrifft. Vergangenheitsaufarbeitung ist auch für sie kein gern gehörtes Wort. Ver­suche von Linken aus dem Ostens zu die­sem Thema eine Diskussion zu beginnen gab es schon oft. Doch leider blieb es beim Versuch. Deshalb auch der folgende Beitrag.

In den vierzig Jahren deutscher Zweistaatlichkeit. verließen unzählige Menschen die DDR gen Westen. Unter ihnen auch eine Reihe Menschen mit ei­ner kritischen Einstellung zu den westli­chen Industriegesellschaften.

Gerade für diese war der Wech­sel in die BRD oftmals die Folge einer oppositionellen Haltung zur DDR und mehrheitlich von den Herrschenden erzwungen. Der Wechsel des Wohnortes sollte nicht gleichzeitig das Ende ihres politischen Handelns sein. So versuchten sie sich in die West-Linke einzubringen. Doch sie stießen dabei oft auf Unverständnis und hatten Probleme. ihre Erleb­nisse und Sicht der Verhältnisse im Osten zu vermitteln. In Diskussionen kam es immer wieder zu Gegensätzlichkeiten die manchem Ostler heute aus Diskussionen mit Westlinken zur Genüge bekannt sind.

Um diesen Umstand etwas näher zu beleuchten. befragten wir einen ehemaligen DDR-Oppositionellen, der 1988 in die BRD übersiedelte – wie viele andere vor und nach ihm verließ er die DDR über den Knast – und in Westberlin erst mit der AL einer Bürgerinitiative und dann der autonomen Szene in Be1iihrung kam.

telegraph: Wie bist Du in den Westen gekommen?

Jochen(Name wurde von Red. geändert): Also. ich bin 1988 durch die Vermittlung“ der·Stasi in den Westen gekommen und war das nächste dreiviertel Jahr damit beschäftigt. mich einzurichten und alle Formalitäten abzuwickeln. Ich war dann ganz alleine. denn wirkliche Freunde kannte ich nicht im Westen. Aber ich hatte auch Glück weil mir freundliche Men­schen eine Wohnung vem1iltelten.

telegraph: Du hattest auch keinen Kon­takt zu anderen ehemaligen Ostlern?

Jochen: Meine ersten Kontakte waren nur von politischer oder geschäftlicher Natur mit einigen Leuten aus dem Osten. von der AL Journalisten. usw.

telegraph: Wie kam es zu Deinen AL­Kontakten?

Jochen: Dazu muß ich sagen. daß ich im Osten in der Umwelt-Bibliothek Berlin aktiv war. Da gab es vereinzelte Kontak­te zu Mitgliedern der AL. Außerdem bekam ich mit. daß es eine Szene in West­berlin gab. die die DDR-Opposition kannte und für die war ich dann interessant und die habe ich da kennen gelernt. Das war für mich erst einmal eine nette Erfahrung. Das waren dann aber hauptsächlich Leute, die nicht aus dem autonomen Spektrum kamen. Meistens Leute die davon gelebt haben. Also Journalisten, die ihre Akkreditierung dazu benutzt haben, um so ein Geschäft auf Naturalebene mit den Ostoppositionellen abzuwickeln, also Ware gegen Info. Ich habe nur wenige kennengelernt, die das aus Enthusiasmus gemacht haben oder aus persönlichen Freundschaften zu Leuten im Osten.

Bei der AL (Alternative Liste – also damals die Grünen in Berlin, d. Red.) war beim ganzen Thema Osten immer der Streit wie man Parteipolitik betreibt und es gab nur wenige Leute in der AL die wirklich was kontinuierlich zur DDR gemacht haben.

Viele haben sich nur daraufgesetzt, wenn irgendeine Story oder ein Highlight lief und nur wenige hatten ein politisches Interesse, welches sich dann hauptsächlich um Umweltfragen drehte. Es handelte sich dabei nie nur um die DDR-spezifische Probleme, sondern es ging immer auch um BRD-Innenpolitik, beispielsweise beim Müllexport. Hier wurde ein länderübergreifender Aspekt gefunden und man hat sich dann ran geklemmt. Was die da ökologisch machen, daß geht überhaupt nicht, war die Meinung. Gegen die politische Unterdrückung in der DDR hatten sie natürlich etwas. Feste Punkte waren aber immer die Zweistaatlichkeit und die Erfüllung der Bürgerrechte. Es ist also nicht von ungefähr, daß die DDR-Opposition mit ALern noch am besten zusammenarbeiten konnte, besser als mit der CDU.

telegraph: Wie ging es dann weiter mit den Kontakten?

Jochen: Ich habe später bei der Bürgerinitiative „BRDDR“ mitgearbeitet, die sich auch mit dem Thema Müllexport in die DDR beschäftigte. Dort konnte ich auch eine Unterstützung der Oppositionellen in der DDR anregen. Es wurden Materialien oder Geld organisiert und was man so braucht für politische Arbeit.

telegraph: Dein politischer Schwerpunkt bei den Kontakten in die DDR war immer das Thema Ökologie?

Jochen: Ja. Aber ich wollte auch den Herrschenden in der DDR in die Suppe spucken. Das kennzeichnet auch meine persönliche Situation im Westen. Ich habe mich die ganze Zeit auf den Osten konzentriert. Ich hatte in Westberlin keinen richtigen Freundeskreis. Alles nur lockere Bekanntschaften.

Telegraph: Du hattest auch intensive Beziehungen zu Autonomen. Und die haben doch, soweit ich mitbekommen habe, nach der Wende auf dem Standpunkt bestanden, daß die DDR antikapitalistisch war und deshalb allemal besser als die BRD. Waren sie dann nicht misstrauisch gegenüber Leuten, die die DDR in Richtung BRD verlassen haben?

Jochen: Auch die Autonomen die ich kennen gelernt habe, hatten die geistige Mauer im Kopf. Sie kannten wie alle anderen die Realität in der DDR nicht und sie spielte in ihrem Leben auch keine große Rolle, selbst in der politischen Auseinandersetzung nicht. Das fing damit an, wenn wir über Sozialismus, Kommunismus und verwirklichte Utopien gesprochen haben. Es machte sich immer wieder dieses Unwissen bemerkbar was die Realität betraf. In der Ideologie mochten sie ganz fit sein, aber was das Wissen über die DDR-Realität anging, hatten sie kein höheres Niveau als ein Leser von bürgerlichen Zeitungen. Während es z.B., was Nikaragua betraf, anders war. Da wussten sie viel mehr über die Realität. Viel mehr Leute waren dort gewesen und hatten viel mehr Faktenwissen.
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elegraph: Was meinst du warum Menschen in Westberlin z.B. mehr über Nikaragua wußten als über die DDR?

Jochen: In diesem Fall war es bei den linken Kräften in der BRD so, daß sie sich zwar teilweise auf eine gleiche Ideologie bezogen haben wie die DDR. Aber immer verbal, ohne reelle Beziehung zu Leuten im Osten. Das was sie da betrieben haben, war mehr so eine Art Briefbekanntschaft, mit der man sich jahrelang schreibt, sie aber nie gesehen hat.
Es sind zwar auch einige Linke rübergefahren und hatten Kontakte, aber die erhielten dann von der Stasi ratz-fatz Einreisesperren.

telegraph: Oder wurden instrumentalisiert. Wie zum Beispiel Till Meyer. Denkbar wäre wohl auch das Autonome von der Stasi benutzt wurden?

Jochen: Das ist schon richtig. Zu Till Meyer kann ich nichts sagen, da ich mich damit nicht so sehr beschäftigt habe. Aber von Autonomen glaube ich auch, daß es welche gab, die instrumentalisiert worden sind. Einige von ihnen fuhren für 170 DM zwei Wochen an den Werbellinsee (propagandistisch aufgezogenes FDJ-und Pionierlager in der DDR; Anmerkung d. Red.) und was sich da abgespielt hat kann man sich denken.

telegraph: Und wie war ihr Verhältnis zu Dir?

Jochen: Von den Leuten, mit denen ich dann zusammengelebt habe, wurde ich akzeptiert. Ich war ich und hatte meine Biographie. Wenn wirklich mal jemand rübergefahren ist, kam er zu mir und es war wieder mein Faktenwissen gefragt. Wo gute Kneipen sind und so. Ich habe dann immer versucht Leute zu vermitteln., damit sie mehr kennenlernen. Bei politischen Diskussionen wurde es dann lustig. Da wurde zum Hungerstreik von RAF in Verbindung mit GRAPO (1989; d.Red) die Freilassung aller revolutionären Gefangenen in allen imperialistischen Ländern gefordert und mein Einwurf war dazu: „Toll endlich tretet ihr auch mal für die Gefangenen in der Sowjetunion ein! Auf solche Sticheleien hat sich sofort eine heiße Diskussion entwickelt. Und da bin ich mit Leuten zusammengestoßen die einen klaren Trennungsstrich gezogen haben zwischen Knast und Knast. In der SU würden Menschen im Knast sitzen die es verdient hätten. Das war schon komisch.
Die Gedanken liefen auf der Schiene: „der Feind meines Feindes ist mein Freund“ oder „er kann ja nicht schlimmer sein als mein Feind“.