Der französisch-schweizerische Regisseur Jean-Luc Godard, dem das Konventionelle zuwider war, ist im Alter von 91 Jahren gestorben.
Statt eines Nachrufs:
»[F]ast hundert Prozent der Leute, die ich treffe, halten sich meines Erachtens für Ganzheiten, und das ist auf den Einfluß der Literatur zurückzuführen…Wenn ich mich mit jemandem streite und ihm wehtun will, ganz gleich, um wen es dabei auch geht (ob um Dich oder um einen Filmemacher, ob um Sie oder um die Verkäuferin im Laden um die Ecke, bei der ich die Wurst kaufe), – wenn ich also heute jemanden wirklich beleidigen will, dann nicht, indem ich ihm sage: Du Linker, Du Arschloch! Die einzige Beleidigung, die wirklich zieht, ist, wenn ich ihm sage: Sie sind wohl etwas dämlich. Das ist die einzige Sache, die die Leute noch trifft. Es gibt nicht mehr viele Länder, wo ein Spruch wie: die Arbeit ist schlecht gemacht, die Leute noch trifft. Sagt man aber: sie ist schlecht gemacht, weil Sie dämlich sind, dann besteht vielleicht die Möglichkeit, noch einmal ein Gespräch über die Arbeit anzufangen. Man hat die Leute nämlich beschimpft, und zwar mit ihrer Dummheit. Aber niemand hält sich heute für dämlich, jeder meint, er sei eine ganze Person, ein Ich.«
(Jean-Luc Godard, Reden mit Unterbrechungen, in: ders., Liebe Arbeit Kino – Rette sich wer kann (Das Leben). – Berlin: Merve Verlag, 1981
Jürgen Schneider